2. Clorinda erwachet aus dem schädlichen Sünden-Schlaff/ und befindet sich sehr übel getröst

Ego dormivi, & soporatus sum, & exsurrexi.

Psal. 3. v. 6.


Ich bin entschlaffen/ und hab einen sehr tieffen Schlaff gethan/ und bin aufgestanden.


1.

O Gott! wo bin ich doch?

Auff was für einer Erden?

O weh mir! leb ich noch?

Ach! ach! wie will mir werden!

Ich bin gantz müd/ und schwach/

Erfüllt mit Ungemach/

Und schmertzlichen Beschwerden.


2.

Ey laß! was thue ich hier/

Wie lang hab ich geschlaffen?

Was gibt nicht Morpheûs1 mir

Ohn' Underlaß zu schaffen?

Es hätte können mich

Das böse Jäger-Vieh/2

Wie den Actæon straffen.
[15]

3.

O was ein wilder Ort/

Den ich nicht kan erkennen!

Man solt' ihn wohl den Port

Der bösen Hoffnung nennen.3

Ach hätt' ich Hirschen-Läuff/

Und Flügel/ wie ein Greiff/

Von hinnen schnell zu rennen.


4.

Wo ist das schöne Feld/

Da ich zuvor gelegen?

Und wo das Lust-Gewäld/

Bethaut mit göldnem Regen?

Wo ist der Freuden-Gart

Erfüllt mit mancher Art

Der Lustbarkeit zu pflegen?


5.

Wie hat nicht alles sich

So unverhofft verkehret?

Noch kurtz zuvor hab ich

Die Zeit in Freud verzehret/

Nun lig' ich von dem Leyd

Auff einer wilden Heyd

An gantzem Leib versehret!


6.

Ach könnt' ich nun mit Ruhm

Auch/ wie Adonis,4 sterben/

Verkehrt in eine Blum[16]

Ein ehrlichs End erwerben!

So dörfft ich jetzund nicht

Mein rothes Angesicht

So wunderlich entfärben.


7.

Weh' mir daß ich gehorcht

Dem Morpheûs so vermessen/

Und also ohne Forcht

Der edlen Zeit vergessen!

Nun will der Reuer mir

Das Hertz abnagen schier/

Der Kummer will mich fressen!


8.

Dann/ wie ich läider seh'/

So geht die Sonn zu Gnaden/

Stürtzt ihre Pferd schon gäh/

Im Hesper-Meer zu baden:5

Es will nun werden kühl/

Und ich Bethörte fühl'

Erst meines Schlaffens Schaden.


9.

Zu dem/ so find ich/ daß

Mich jedermann verlassen/

Bin forchtsam/ wie ein Haß/

Auff den die Hunde passen:

Kan auch/ weil in die Fehr

Kein Trost zu spühren mehr/

Kein Hertz zur Hoffnung fassen!
[17]

10.

Daphnis zwar könnte mich

Noch aus dem Würbel schwingen/

Wie wird Er aber sich

Zu solchem können zwingen?

Weil ich ihn nur verlacht/

Sein' edle Lieb veracht/

Wie kan Er mir beyspringen?


11.

Als Syrinx6 dort verschmächt

Des Pans verliebtes Wincken/

Und in dem Lauff vergächt

Gefangen an zu sincken/

Ließ Pan7 die stoltze Nymph/

Zu rächen seinen Schimpff/

Ohn' alle Hülff ertrincken.


12.

Ich (Edler Daphnis) auch

Hab deine Lieb verachtet/

Und nach verkehrtem Brauch

Nach fremmder Lieb getrachtet/

Da unterdessen du

In feuriger Unruh'

Nach mir schier gar verschmachtet.


13.

Ich stoltze Vasthi hab'8

Den Assuër entehret/

Mich frech geworffen ab/

Und gegen ihm gespehret.[18]

Nun kocht sein Liebes-Hitz.

Nemesische9 Feur-Plitz'/

Lieb wird in Rach verkehret.


14.

Wo soll ich dann nun hin

Mich arme Tröpffin wenden/

Die ich verlassen bin

An allen Ort- und Enden?

Wer ist wohl/ der mir mag/

Auff daß ich nicht verzag'/

Genuge Hoffnung senden.


15.

So gar/ Andromede,10

Mehr Hoffnung hat gefunden/

Als sie dort in der See

Am Felsen hieng' gebunden/

Perseûs hat sie getröst!/

Von ihrem Läid erlöst/

Das Meer-Thier überwunden.


16.

Ich aber werde nu

Durch alle Wüsteneyen

Widhopffisch pu pu pu

Mit Tereûs11 müssen schreyen/

Wer wird nachmalen mich

(Daphnis entfehret sich)

Des Untergangs befreyen?


17.

Das Urtheil ist gefällt/[19]

Daphnis hat es gesprochen/

Weil ich das Böß erwöhlt/

Und meine Treu gebrochen/

Wird er mir diese Schmach

So bald nicht sehen nach/

Und lassen ungerochen.


18.

Wo ist nun jetzt die Welt/

Der ich so sehr bewogen/

Die mich umb Gut/ und Gelt/

Umb Leib/und Seel betrogen?

Sie hat eydbrüchig mich

Gelassen in dem Stich/

Treu-loß darvon gezogen.


19.

Weil sie mich dann verlaßt/

Soll ich sie nicht verfluchen?

Weil mich der Himmel haßt/

Wo soll ich Rettung suchen?

Habt doch Mitleyden/ ihr

Vernunfft-beraubte Thier/

Und Schatten-reiche Buchen.


20.

Echo12 in einen Stein

Die du vor Läid verkehret/

Hör' an doch meine Pein/

Die schier mein Hertz verzehret/

Ich will durch Berg/ und Thal

Ausruffen meine Quaal/

Biß alle Welt mich höret.


Fußnoten

1 Der Schlaff-Gott. Poët.


2 Wilde Thier.


3 Promontorium malæ spei.


4 Adonis ein schöner Jüngling von einem wilden Schwein verletzt/ ist in eine schöne rothe Blum verwandelt worden. Poët.


5 Das Meer gegen dem Untergang der Sonnen.


6 Eine Nymph. Poët.


7 Ein Wald-Gott. Poët.


8 Esth. I.


9 Rachgierige.


10 Eine Nymph.


11 Ein Fürst in einen Widhopff verwandelt. Poët.


12 Des Narcissen Liebhaberin.


Quelle:
Laurentius von Schnüffis: Mirantisches Flötlein. Darmstadt 1968, S. 11-12,15-20.
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