7. Clorinda bejammert die abscheuliche Finsternuß ihres Hertzens/ in welcher sie/ deren Gnaden Gottes beraubt/ so lange Zeit gesteckt

Deus meus illumina tenebras meas.

Psalm. 17. v. 19.


O Gott/ erleuchte meine Finsternuß.


1.

Feindliche/ trutzige/ Rußige/ schmutzige/

Häßliche Nacht/

Welche den Räisenden/ Weit herum-kräisenden/

Herren und Knechten/ Edlen/ und Schlechten/

Grosse Forcht macht/

Ja unversehens gar

Stürtzt in des Tods Gefahr.


2.

Falsche/ verdächtliche/ Schwartze verächtliche/

Schelmische Nacht/

Welche die fallende/ Kaht-herumb wallende

Gäntzlich entweegte/ Gfährlich versteegte

Menschen auslacht:

Die an Mitleydens-Statt

Nur Freud an Unglück hat.


3.

Grausame/ greuliche/ Förchtlich-abscheuliche/

Diebische Nacht/[63]

Welche den Muhtigen/ Menschen-mord-blutige

Mörder- und Raubern/ Hexen/ und Zaubern

Sicherheit macht/

Und gibt zu böser That

Selbst ihnen Hülff und Raht.


4.

Reinigkeit-hassende/ Unschuld-verlassende/

Schandliche Nacht/

Welche den stinckenden/ Tugend-versinckenden

Venus-Geseilen/ Wo sie nur wöllen/

Unterschlauffs macht:

Verhüllt die geile Böck'

Mit ihrer schwartzen Deck.


5.

Neidige/ häßige/ Henckers-Hand-mäßige/

Bubische Nacht/

Welche der Wälderen/ Wiesen/ und Felderen/

Gärten/ und Auen Schönes Anschauen

Freuden-loß macht:

So gar das schönste Gold

Entfärbt die Liechts-Unhold.


6.

Grimmige/ läidige/ Freche/ meineydige/

Gifftige Nacht/

Welche die ruchtbare/ Sonsten gar fruchtbare/

Aecker/ und Matten Unter dem Schatten

Früchten-loß macht:

Dahero ihr dann seind

Viel Länder Spinnen-Feind.
[64]

7.

Tägliche/ schmertzliche/ Mündliche/ hertzliche

Klagen man hört/

Wie sie die prächtige Weite/ großmächtige

Nilische1 Haiden/ Saaten/ und Waiden/

Grausam verstört/

Das Land so schwartz bedeckt/

Daß Leut und Vieh verreckt.


8.

Sehet die nächtige/ Immer schattächtige

Finnen doch an/

Wie sie mit dünsteren/ Dicken/ und finsteren

Nebel/ und Düfften/ Schatten/ und Lüfften

Seynd eingethan:

Die Sonne sehen sie

Auch etlich Monat nie.


9.

Treu-loß-unärtige Böse leichtfertige

Schröckliche Nacht/

Welche die brennende Feld-herum-rennende

Schwürmische Geister/ Völlige Meister

Ihres Reichs macht/

Und reitzt so viel sie kan/

Sie zu der Boßheit an.


10.

Unter der feindlichen/ Dürmisch-unfreundlichen

Nächtlichen Schaar/[65]

Aerger/ gefährlicher/ Böser/ beschwärlicher/

Schädlicher/ schlimmer/ Schwärtzer und tümmer

Keine doch war'/

Als die/ so ich stock-blind

An meiner Seel empfind'.


11.

Alle Mæotische/ Wendisch- und Gothische2

Nächte seind nur

Eine noch gläntzende/ Morgen-angräntzende/

Lieblich-bemahlte/ Sonnen-bestrahlte

Schatten-Figur/3

Gegen der schwartzen Nacht/

So mir die Sünd gebracht.


12.

Diese verhinderet/ Schwächet und minderet

Allen den Schein/

Welcher/ zum anderen Leben zu wanderen

Wider die Fälle Solte ein' helle

Fackel mir seyn:

Macht/ daß in Finsternuß

Ich immer leben muß.


13.

Alle Gott-zeigende/ Tugend-zuneigende

Strahlen seynd hin/

Weil ich in allerhand/ (Leider nicht ohne schand!)

Bubische Thaten/ Willig gerahten

Jederzeit bin/[66]

So/ daß der Tugend-Glantz

In mir verfinstert gantz.


14.

Diese Heil-flüchtige Eitelkeit-süchtige/

Schädliche Nacht/

Haben die sinnliche/ Eilens-zerrinnliche

Eitele/ schnöde/ Himmels-Trost öde

Freuden gemacht:

Der schnöde Freud-Genuß

Bringt nichts/ als Finsternuß.


15.

Diese betriegende Freuden-vorliegende

Schmeichlende Nacht/

Eh' ich ihr Thun erkennt/ Hatte mich so verblendt/

Daß ich nachmahlen Alle Liecht-Strahlen

Völlig veracht/

Und mit dem Welt-Gesind

Zu Gutem worden blind.


16.

Diese Nacht schwächet mich/ Diese Nacht macht daß ich

Vollends verderb'/

Massen der gnadenschein Nimmer kan tringen ein.

So/ daß ich endlich Flammen-erkenntlich

Tugend-loß sterb':

Wo keine Sonn auffgeht/

Der Baum unfruchtbar steht.


17.

Diese verteufflete/ Gnaden-verzweifflete/

Höllische Nacht/[67]

Dannoch den Sünderen Bösen Welt-Kinderen

Wegen des sterbens/ Seelen-verderbens

Wenig Forcht macht:

Sie förchten nur das Licht/

Die Finsternuß gar nicht.


18.

Läider diß eulenblind Schwürmische Nachtsgesind

Bildet sich ein/

Unter den lebenden Welt-herum-schwebenden

Erden-Geschöpffen/ Sehenden Köpffen

Klugste zu seyn:

Vermeinen allezeit

Zu seyn von Blindheit weit.


19.

Dieses seind aber die Schlimste nächt/ welche nie

Werden erkennt/

Können vom gnadenlicht Werden vertriebe nicht/

Sonder nur immer Aerger/ und schlimmer

Läider verblendt!

Sie fliehen allen Schein/

Drumb geht das Liecht nicht ein.


20.

Eya dann gläntzendes/ Glori-bekräntzendes/

Göttliches Licht/

Laß' mich in nächtlichen Also verächtlichen/

Schatten der Sünden/ Ohne Gnad-finden

Sterben doch nicht:

Vertreibe mir die Nacht/

Die mich stock- blind gemacht.


Fußnoten

1 Aegyptische.


2 Mittnächtige Länder.


3 Obschon der Schatten nicht kan bestrahlt seyn/ so ist doch zwischen Tag und Nacht kein so tunckler Schatten/ als zu Mitternacht.


Quelle:
Laurentius von Schnüffis: Mirantisches Flötlein. Darmstadt 1968, S. 59-60,63-68.
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