|
[93] Ein armer Besenbinder hatte zwei Söhne und eine Tochter, und mußte sich sehr kümmerlich mit ihnen behelfen: denn sein Verdienst war nur gering. Als nun der Vater starb, ward die Noth der Geschwister noch größer, indessen halfen sie sich doch, so gut sie konnten, durch: denn sie hatten[93] einander recht lieb, und lebten in Friede und Eintracht beisammen, und arbeiteten fleißig, so daß es ihnen nie an dem nöthigen Unterhalt fehlte. Die Brüder setzten das Gewerbe des Vaters fort, und banden Besen, und die Schwester mußte sie nach der Stadt tragen und verkaufen, und aus dem Erlös den kleinen Haushalt besorgen.
Zuweilen wollten die Einnahmen nicht ausreichen, um die nothwendigsten Ausgaben davon zu bestreiten; dann aber sprach der zweite Bruder, der ein sehr heiterer und munterer Bursche war, den beiden Geschwistern Muth zu, und sagte scherzend: »Hört, Besenbinder Kinder verderben nicht, sagt das Sprichwort, und so werden auch wir nicht verderben. Geht es auch mitunter etwas knapp her, so daß wir zuweilen uns etwas einschränken müssen, der liebe Gott hilft uns immer wieder durch. Auf den wollen wir uns verlassen, vielleicht daß er uns einmal noch recht reich werden läßt; Hoffnung aber läßt nicht zu Schanden werden!«
Eines Tages waren sie wieder im Walde, um Besenreiser zu holen. Der jüngere Bruder stieg auf einen Baum, um Aeste abzuhauen, die der ältere dann unten zusammenlas, und die tauglichsten Reiser herausschnitt. Als er nun oben im Baume arbeitete, sah er ganz unvermuthet ein dunkelfarbiges, ihm völlig unbekanntes Vögelchen auf einem Neste sitzen, das sehr zahm zu seyn schien: denn es flog nicht weg, als er sich ihm näherte, sondern sah ihn mit seinen hellen Augen recht freundlich an.
»Ei!« sagte der jüngere Bruder, »du bist ja ein Vögelchen von ganz eigener Art; wer mag dich wohl so zahm gemacht haben, daß du dich gar nicht fürchtest, und ruhig auf deinem Neste sitzen bleibst? es ist ja, als wenn du mich kenntest, und als ob du schon wüßtest, daß ich dir nichts thun werde.« Er streckte seine Hand nach ihm und streichelte[94] es, und siehe, es blieb ganz still sitzen, und nickte ihm sogar mit seinem Köpfchen recht zutraulich.
Auf einmal sah der junge Bursche etwas Goldenes unter dem rechten Flügel des Vögelchens hervorschimmern. »Ei,« sagte er, »was ist das? Laß dir mal dein Flügelchen aufheben.« Da hob der Vogel den Flügel von selbst auf, und es lag unter demselben ein goldenes Ei.
»Darf ich dir's wegnehmen?« fragte der Bursche, »oder kannst du es ausbrüten, dann will ich es dir sehr gern lassen.«
»Wegnehmen!« sagte das niedliche Vögelchen, und nickte wieder mit seinem Köpfchen.
Da nahm der junge Bursche das Ei, stieg herunter vom Baum, zeigte es seinen Geschwistern, und trug es dann zu einem Goldarbeiter. Dieser untersuchte das Ei, und da er fand, daß es das feinste Gold enthielt, bezahlte er es mit zehn Thalern.
Am andern Tage stieg der Bruder wieder auf den Baum, und das Vögelchen saß wieder auf seinem Neste, und hatte ein anderes goldenes Ei unter seinem Flügel. Das Vögelchen gab ihm zu verstehen, er möchte es nur nehmen- da nahm er es und trug es zum Goldschmid, und erhielt wieder zehn Thaler.
So geschah es auch am dritten Tage, und die Geschwister hatten nun dreißig Thaler beisammen. »Seht ihr wohl,« sagte der zweite Bruder, »daß ich recht hatte! Nun ist das Sprichwort wahr geworden: Besenbinders Kinder sind Glückskinder. Da haben wir schon so viel Geld, daß wir uns viele tausend Besen dafür anschaffen können, und unsere Schwester kann uns auch einmal etwas zu Gute thun, und uns schöne Pfannkuchen backen.«
Zum vierten Male stieg der junge Bursche auf den Baum, und fand das Vögelchen abermals auf seinem Nestchen[95] sitzen, aber es lag kein Ei unter seinem Flügel. Das Vögelchen aber sah recht freundlich aus, und fing an zu sprechen, und sagte ganz vernehmbar: »Bring' mich zu dem Goldarbeiter, an welchen du die Eier verkauft hast, das wird zu euerm Glücke seyn, und zugleich auch zu dem meinigen.«
Der junge Bursche nahm den Vogel in die Hand, trug ihn nach Hause, und setzte ihn in ein Bauer; dann ging er zu dem Goldarbeiter, und bat ihn, daß er den Vogel aufbewahren möchte.
Das that auch der Goldarbeiter. Als er aber mit dem Vogel allein war, fing dieser folgenden Gesang an:
Wer verzehrt mein Herzelein,
Der wird bald ein König seyn,
Und wer ißt mein Leberlein,
Hat stets gefüllt ein Goldbeutelein.
Den Vogel mußt du haben, dachte der Goldschmidt. Und als nun die Besenbinders Kinder kamen, ihn wieder abzuholen, sagte er: Hört, Leutchen! laßt mir den Vogel ab; er gefällt mir, und ich möchte ihn gern bei mir behalten. Ich will auch dafür eure Schwester, die ich wohl leiden mag, heirathen, und ihr sollt bei uns wohnen, und mit uns essen und recht gute Tage haben.
Damit waren die Geschwister zufrieden, und ließen ihm das Vögelchen zu eigen.
Als nun die Hochzeit gefeiert ward, tödtete der Goldschmidt das Vögelchen, und ließ es rupfen; die beiden Brüder aber sollten es braten und Acht haben, daß es nicht anbrenne, er selbst aber wolle es dann verzehren.
Da gingen die beiden Brüder in die Küche, und steckten das Vögelchen an einen kleinen Spieß, und ließen es braten. Während sie nun da standen, und Acht gaben, und das Vögelchen bald fertig gebraten war, fiel ein Stückchen[96] heraus. »Das will ich doch kosten,« sagte der Eine, und ißt das Stückchen. Bald darauf fiel wieder ein Stückchen los. »Das soll für mich seyn,« sagte der Andere, und aß es.
Als nun der Vogel gebraten war, brachten sie ihn dem Goldarbeiter, der mit dem Schwesterchen schon beim Hochzeitmahle saß. Der suchte sogleich nach Herz und Leber, um sie geschwind zu essen, aber die waren fort. Da ward er sehr böse, und sagte: »Wer hat das Herz und die Leber gegessen?« – »Das werden wir wohl gewesen seyn;« sagten die Brüder. »Es fielen zwei Stückchen ab, die haben wir gekostet.«
»Habt ihr mir Herz und Leber gegessen, ihr dummen Jungen,« sagte der Goldarbeiter, »so behaltet den Vogel auch, und eure Schwester mag ich nun ebenfalls nicht.«
Damit jagte er sie alle drei zum Hause hinaus, und jammerte sehr, und ärgerte sich, daß er den Vogel nicht selbst gebraten habe.
Als sie nun nach Hause kamen, aß der Aelteste den Vogel, denn der Zweite wollte ihn nicht, weil es sein liebstes Goldvögelchen war; auch die Schwester wollte ihn nicht, weil sie durch ihn ihren Bräutigam verloren hatte. Deshalb aß ihn nun der Aelteste. Aber kaum hatte er ihn verzehrt, so stand eine sehr schöne Prinzessinn vor ihnen, an der Alles vom feinsten Golde war. Die sagte: »Nun bin ich endlich erlöst; ihr alle drei sollt mit mir nach meinem Königreich kommen.«
Da gingen sie mit. Aber kaum waren sie dort angelangt, so heirathete die Prinzessinn den ältesten der Brüder, weil er das Herz gegessen hatte. Da war er König. Der Andere, welcher die Leber gegessen hatte, fand jeden Morgen einen Beutel mit Gold, und weil er ein heiterer und munterer[97] Bursche war, und sehr reich dazu, so heirathete er die Schwester der Prinzessinn.
Darauf kam der Bruder der Prinzessinnen, und wollte seine Schwestern besuchen. Er aber hatte ein eigenes Königreich, und war noch nicht vermählt: denn es hatte ihm bisher noch keine Jungfrau so gefallen, daß er sie wohl hätte heirathen mögen. Als er nun unsere Besenbinders-Tochter sah, gewann er sie sehr lieb, und erwählte sie sich zu seiner Gemahlinn.
Da waren sie alle Drei verheirathet, und lebten in großem Glücke und Ansehen. »Ja,« sagte nachher oftmals der zweite Bruder, »ja, wenn man einen solchen Glücksvogel besitzt, so kann auch aus Besenbinders Kindern etwas Großes werden, ohne daß man großen Verstand dazu nöthig hat.«
Buchempfehlung
Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.
554 Seiten, 24.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro