Zweiter Auftritt

[1551] JULIUS. Was tut die Liebe nicht? und so viel vermag über dies Weib ein Andenken, der Schatten der Liebe, was muß nicht Hoffnung, ihre Seele, bei mir tun! O wer kann diesen Monat ausdauren! Ein Fürstentum für dich verlieren Blanka, das ist kein Opfer – das heißt ja bloß sich in Freiheit setzen – und deinetwegen wollt ich ja jahrelang mein Leben in dem tiefsten Kerker hinziehen, in den von dem erfreulichen Lichte nur so viele Strahlen fielen, als hinreichten, dein Gesicht zu erleuchten – Blankan sehen? – in diesem Augenblicke sehen? – Freilich kostet mir dieses Sehen meine ganze Ruhe; – hm, das ist nur[1551] ein elender Rest, und ein Blick von ihr wäre der tiefsten Ruhe des größten Weisen wert.

BLANKA nebst der Äbtissin tritt auf. Julius fliegt auf sie zu.

JULIUS. O meine Blanka!

BLANKA tritt einige Schritte zurück. Keinen Kirchenraub, Prinz!

JULIUS. Keinen Meineid, Blanka.

BLANKA. Nein – denn ich hoffe dem Himmel mein Wort zu halten.

JULIUS. Deine Gelübde sind Meineid. Kann der zweite Schwur, wenn er auch dem Himmel geschworen, wieder den ersten entkräften? Was ist denn beschworne Treue? Ein verschlossener Schatz zu dem jeder Dieb den Schlüssel hat! – Aber du hast dem Himmel nicht gelobet. Deine Gelübde sind nicht bis zu ihm gedrungen. Der Schutzgeist unsrer Verbindung hat sie noch in Verwahrung, und der wird sie dir am Tage unsrer Hochzeit, zum Brautgeschenk wiedergeben.

BLANKA. Ich habe vor jenem Altar, Ihnen und der Welt auf ewig entsagt, meinen Kranz zu den Füßen des Altars gelegt, mich selbst, oder vielmehr meine Liebe, dem Himmel geopfert. – Ach sie durchdrang mich so ganz, war so mein alles; – hätt ich mich ohne diese dem Himmel geopfert, so hätt ich ihm nichts, höchstens Spott dargebracht.

Dieser Schleier ward an jenem feierlichen Tage die Scheidewand zwischen mir und der Welt! – Kein Seufzer, kein Wunsch darf zurück. Will ich fröhliche Vorstellungen, so muß ich an die Ewigkeit denken, will ich mit Leidenschaft reden, so muß ich beten. Ich hab ein enges Herz. Liebe zu Ihnen und dem Himmel kann es nicht zugleich fassen – ich bin eine Braut des Himmels, und Julius, Sie wissen es zu gut, ich kann nicht halb lieben.

JULIUS. Ich weiß es so gewiß, als ich weiß, daß du damals den Himmel belogst – unschuldig belogst.

BLANKA. Nun ich entsag Ihnen nochmals – in Ihrer Gegenwart, und bloß deswegen nahm ich Ihren Besuch an.

JULIUS. Du würdest mich töten, wenn du nicht Unwahrheiten redetest. Die Liebe hat uns zu einem einfachen Wesen zusammengeschmolzen. Vernichtet können wir zusammen werden, aber nicht getrennt. Mädchen, Mädchen, dein ganzes Wesen war ja Liebe für mich!

BLANKA. Es war es, aber ich habe dies Wesen in Gebeten und[1552] Seufzern ausgehaucht – itzt habe ich ein andres Wesen. Zieht Julius' Bildnis hervor. Da nehmen Sie Ihr Bildnis zurück – es ist das einzige, was mir von unsrer Liebe noch übrig ist – Nehmen Sie, ich darf das Bildnis eines Mannes nicht haben.

JULIUS. Nimmermehr! Nimmermehr! und wenn du mir mein Herz und meine Ruhe wiedergeben könntest, so möcht ich sie nicht.

BLANKA gibt das Bild der Äbtissin. Und wenn Sie mein Bildnis ansehn, so vergessen Sie nicht, daß das Original nicht mehr da ist, daß itzt eine andre Blanka weint. Leben Sie ewig wohl. Ich kenne Ihr Herz, Prinz, machen Sie bald ein andres Mädchen dadurch glücklich – ich will für Sie und Ihre Gattin beten.

JULIUS. So bete für dich selbst. Der Mensch wird nur einmal geboren, und liebt nur einmal.

BLANKA. Für mich will ich um Vergessenheit beten – Leben Sie wohl.

JULIUS hält sie zurück. Blanka erinnerst du dich der unschuldigen Tage unsrer Jugend? An alles, was uns damals die Liebe gab, Schmerzen und Freuden, Wirklichkeit und Träume, Leben und Atmen, wie sie uns ihre schwersten Pflichten so leicht machte, und Gewicht auf ihre leichtesten legte? Aber du kannst dich dessen nicht erinnern! Einer solchen Empfindung kann keine Erinnerung nachkommen. Mitten in unsrer Glückseligkeit glaubten wir gestern, unsre Freuden könnten nicht steigen, und heute, unsre gestrige Leidenschaft sei Kälte. Allein ein schwaches Bild ist doch noch immer ein Bild. – O Blanka denk an unsre Zusammenkünfte im Zitronenwalde – an die Tränen bei der Ankunft – an die Tränen beim Abschiede!

BLANKA in tiefen Gedanken. Wunderbar! Auch Ihnen hat das geträumt? – mir träumte dasselbe.

JULIUS. Und ich schwöre dir, diese Tage sollen wiederkommen – entweder unter unsern Zitronenbäumen, oder den Palmen Asiens, oder den nordischen Tannen – wo, das weiß ich nicht, und es ist mir eins! – Aber ich will zu dir, und wenn der Weg zu deiner Zelle rauher wäre als der Weg zum Ruhme, und in Gebüschen zur Seite hagere Tiger für Hunger und Durst winselten! – Nur mein Tod kann diese Unternehmung verhindern – aber ich kann nicht sterben, itzt fühl ich meine ganze Stärke, in meinen Gebeinen ist Mark für Jahrhunderte.

BLANKA. Ich bitte Sie, lassen Sie mich![1553]

JULIUS. Es soll eine Zeit kommen, in der dir von deinen itzigen Leiden nichts mehr übrig sein soll, als ein wehmütiges Andenken – nichts mehr als hinreicht, um ein Abendgespräch über vergangene Zeiten interessant zu machen. Auf diesen meinen Armen will ich dich aus diesem Kerker tragen, und deine Empfindung soll die Freude des Erwachenden sein, daß der fürchterliche Traum nur ein Traum war.

BLANKA. Lassen Sie mich! – Hören Sie die Glocke zur Hora läutet.

JULIUS. Aber ein Andenken deines jetzigen Standes mußt du mir geben: Er nimmt ihr den Rosenkranz von der Seite. Pfand der klösterlichen Liebe, wie will ich dich schätzen! – Mir für nichts feil, als für deinen ersten Morgenkuß an unserm Hochzeitstage, dafür kannst du ihn einlösen, und alsdann soll er dein bestes Hochzeitsgeschmeide sein.

BLANKA. Mein Hochzeitstag ist schon gewesen –

JULIUS. Zerreiß deinen Schleier, Blanka! – ich will den großen Streit mit dem Himmel wagen – Ich weiß, du liebst mich, aber ich muß es itzt aus deinem Munde hören, ich beschwöre dich bei den Tagen der Freude, die vorbei sind, und die kommen sollen, versichere es mir noch einmal.


Er küßt sie.


BLANKA. Äbtissin – helfen Sie mir –


Sie wird ohnmächtig.


JULIUS. Sie liebt mich! – Sehen Sie, Äbtissin, das ist eine Versicherung, unsrer Liebe würdig, sie liebt mich wahrhaftig! – und wenn ein Engel seinen Finger auf das Buch des Schicksals legte, und schwüre: Blanka liebt Julius, so wär es nicht wahrhaftiger.

ÄBTISSIN. Ich bitte Sie, verlassen Sie uns.

JULIUS. Erst will ich diese göttlichen Augen wieder offen sehen. Blanka schlägt die Augen auf. Es ist genug – Äbtissin, ich danke Ihnen – so winselnd sehen Sie mich nicht wieder. Geht ab.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1551-1554.
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