Das Gelage

[870] In einer Laube an der Seine trinken

Drei Freunde ihren Becher aus Burgund;

In warmer Freude überströmt der Mund,

Die Hecken blühn, die goldnen Sterne blinken.


Nicht sicher ist es heutzutag auf Erden,

Schwer im Verhängnis atmen diese Zeiten,

Im Garten hier auch leise Horcher schreiten,

Die frohen Zecher lauernd zu gefährden.

Die Freunde aber trinken froh und sprechen,

Wie die Gedanken auf im Herzen brechen,

Sie lassen frei die Herzensblume düften,

Kein Rückhalt sei in solchen Frühlingslüften.


Sie sprechen von den höchsten, letzten Dingen,

Und ihre Becher hell zusammenklingen.

Zum Sternenhimmel weist empor der eine

Und redet laut bei hochgeschwungnem Weine:

»Seht, Brüder, seht, wie uns die Sterne strahlen!

Als böten Herberg sie zu tausend Malen,

Wenn man von dieser Erde uns vertriebe.

Doch höher ist die Heimat, die uns bliebe.

Laßt uns das Herz mit Mut und Freude tränken:[870]

Zu Almerichs von Bene Angedenken!

Ein freier Mann! ein Forscher ohne Zagen!«

Und ihre Becher hell zusammenschlagen.


»Seht, wie der Frühling uns den Trunk gesegnet

Und in den Becher seine Blüten regnet!

O spielten doch in den Pokal die Weste

Uns Flocken von des Freundes Aschenreste,

Daß wir sie an die Lippen heben dürften

Und liebend mit dem Wein hinunterschlürften!«


Zerstreut an hundert Tischen in dem Garten,

Bei Wein und leckern Speisen aller Arten,

Studenten sitzen aus der hohen Schule

Paris, genannt die Leuchte dieser Welt,

Und, allzufreien Künsten zugesellt,

Bewirtet mancher neben sich die Buhle.

Von Schweden, Deutschen, Polen und Franzosen,

Von Italienern, Ungern, Engelländern,

Vielfach an Sprache, Sitten und Gewändern,

Die lauten Stimmen durcheinandertosen.


Hier halten Theologen Wortgefechte,

Spitzfindig dialektisch; blanke Waffen

Muß Aristoteles, der Heide, schaffen;

Juristen zanken dort um Römerrechte.

Die Ärzte lachen ob den Wortverdrehern

Und lehren, wie sich Elixiere brauen;

Sprachwurzeln werden lärmend ausgehauen

Von Philologen, Griechen und Hebräern.


Die Astronomen schelten sich um Zahlen;

Dort singt ein Trupp vergnügter Provenzalen

Den tapfern Troubadour Bertrand de Born,

Sein Minneleid und seinen Heldenzorn.

Goldstücke rollen dort, die Würfel dröhnen;[871]

Gelächter schallt zu jugendlichen Possen,

Und jedes wird mit edlem Wein begossen;

So lustig werd es allen Musensöhnen!


Und wieder spricht ein andrer in der Laube,

Indem er schwingt den roten Saft der Traube:

»Von Almerichs von Bene teuren Lehren

Blieb eine unvergeßlich mir vor allen;

Sie wird noch spät auf Erden widerhallen,

Wenn wir schon längst sind fort und nimmer kehren.


In dieser sternenhellen Frühlingsstunde

Sei sie uns wiederholt aus meinem Munde:


Was wir mit dunklem Worte nennen

Die göttliche Dreifaltigkeit,

Das sind drei Stufen in der Zeit,

Wie wir den einen Gott erkennen.


Den Vater glaubte den Gewittern

Der Mensch und dem Prophetenmund,

Vor Gottes Willen mocht er zittern;

Und solches hieß der Alte Bund.


Jehovas Tage mußten schwinden,

Der dunkle Donnernebel floh;

Wir lernten Gott als Sohn empfinden

Und wurden seiner Liebe froh.


Auch Christi Zeit, die Gott verschleiert,

Vergeht, der Neue Bund zerreißt,

Dann denken Gott wir als den Geist,

Dann wird der ewige Bund gefeiert.


So wird in Dreien Eins genommen

Und Gott von uns in seiner Macht

Geglaubt, empfunden und gedacht;

Es will die Zeit des Geistes kommen;[872]

Die Zeit, in der mit seinen Strahlen

Der Menschengeist zusammentrifft

In Eines, ohne Kreuz und Schrift,

Und selig ruht nach langen Qualen.« –


»Auf Almerichs von Bene Angedenken!« –

Das ist zum Theologentisch gedrungen,

Sie horchen auf von ihren Schulgezänken,

Und ein Lombard ist auf den Tisch gesprungen:

»Die neue Lehre soll die Welt besiegen!

Der Geist ist Gott!« so ruft er in die Scharen,

Und alle auf von ihren Bänken fahren,

Und nach den Sternen ihre Mützen fliegen.


Von Tisch zu Tisch hineilt das große Wort

Und reißt die jungen Herzen mit sich fort;

»Der Geist ist Gott!« so schallt es hin mit Macht,

Ein Freudendonner durch die Frühlingsnacht.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 870-873.
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