XXXI. Auf das Marmorbild einer schönen Frau an ihrem Grabmal.

[124] (1836.)


So warst du. Jetzt hier unten

Bist du Geripp und Staub. Bewegungslos

Steht, über deinem modernden Gebein

Stumm blickend in der Zeiten Strom hinein,

Nur noch als Hüterin

Der Trauer und Erinnrung dieses Abbild

Verschwundner Schönheit. Jener süße Blick,

Der zittern machte, wenn er still, wie jetzt,

Auf einem Antlitz ruhte; jene Lippe,

Die wie ein voller Becher

Von Wonnen überträufte, jener Nacken,

Den Sehnsucht einst umarmte; jene weiche

Hand, die so oft gefühlt,

Wie kalt und feucht die Hand ward, die sie drückte;

Der Busen, dessen Wallen

Erblassen machte Den, der ihn erblickte,

Dies Alles war; jetzt bist du

Nur moderndes Gebein,

Deß Grauenbild der Marmor uns verbirgt.


Also zerstört das Schicksal

Ein Antlitz auch, das uns das lebensvollste

Abbild des Himmels schien. O ew'ges Räthsel

Des Menschendaseins! Heut ein Quell erhabner

Gedanken, unaussprechlicher Gefühle,

Prahlt Schönheit und verspricht –

Ein Licht in Nachtgebieten

Uns von der göttlichen Natur gesandt, –[125]

Von überird'schen Loosen,

Glücksel'gen Inselreichen, goldnen Welten

Ein sichres Unterpfand

Dem Sterblichen zu bieten:

Und morgen sehn wir schaudernd,

Durch einen leichten Anstoß hingerafft,

Entstellt, was uns noch eben

Hold schien und engelhaft,

Und auch die Wunderkraft,

Die Seelen zu entzünden,

Die hier gewaltet, fühlen wir entschwinden.


Ein unermeßlich Sehnen

Und hehre Phantasieen

Läßt durch die Seele ziehen

In weisem Einklang holder Töne Macht,

Daß durch ein wonnig Meer wie traumverwirrt

Der Geist getrieben wird,

Wie durch den Ocean

Zu seiner Lust ein kühner Schwimmer irrt.

Doch wenn an unser Ohr

Ein Mißton schlägt, verschwindet

Das Paradies, das uns entzückt zuvor.


Wie kannst du, Mensch, wofern du

In Schwäche so versunken

Nur Staub und Schatten bist, so stolz empfinden?

Und wohnt ein Himmelsfunken

In dir, wie kann dein bestes innres Leben,

So knechtisch hingegeben

An niedre Macht, entstehen und verschwinden?

Quelle:
Leopardi, Giacomo: Gedichte und Prosaschriften. Berlin 1889, S. 124-126.
Lizenz:
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