Ich hatte Tiflis mit einem Postfuhrwerk verlassen. Mein ganzes Gepäck bestand aus einem kleinen Koffer, der zur Hälfte mit Reisenotizen über Georgien vollgepfropft war. Zum Glück für dich, lieber Leser, ist der größte Theil dieser Manuscripte verloren gegangen, und zum Glück für mich ist mir der Koffer mit den übrigen Sachen, die er enthielt, erhalten geblieben.
Die Sonne begann bereits hinter den schneebedeckten Bergzinnen zu verschwinden, als ich in das Koyschauer Thal gelangte. Der Ossete, der mir als Kutscher diente, hörte nicht auf, seine Pferde anzuspornen, um vor Einbruch der Nacht den Koyschauer Berg zu erreichen, und sang daher unterwegs aus voller Kehle.
Welch ein prachtvolles Schauspiel gewährt dieses Thal! Von allen Seiten unersteigliche Berge, röthliche Felsen, bedeckt mit langen grünen Epheuranken und gekrönt mit dichtem Ahorngebüsch; hier und da auf den Abhängen die gelben Spuren reißender Bergströme und dort, ganz in der Höhe, der goldene Saum der Schneeberge, und endlich tief unten im Thal die Aragua, welche, nachdem sie einen andern namenlosen Fluß in sich aufgenommen, dessen Wasser schäumend aus einer finstern, mit nebelartigen Dünsten erfüllten Schlucht hervorstürzen, wie ein Silberfaden sich hinzieht und schimmert wie das Schuppengewand einer Schlange.
Am Fuße des Berges machten wir neben einem Duchan1[3] Halt. Dort befanden sich etwa zwanzig Georgier und Bergbewohner, welche sich sehr laut unterhielten; und nicht weit von ihnen hielt eine Kameelkarawane, welche hier zu übernachten gedachte.
Ich war genöthigt, Ochsen vor meinen Wagen spannen zu lassen, um diesen verwünschten Berg zu erklimmen; denn es war bereits Herbst und der Weg mit Glatteis bedeckt, – und dieser Berg hat eine Länge von ungefähr zwei Werst.
Was sollte ich machen? Ich miethete mir sechs Ochsen und einige Osseten. Einer von diesen nahm meinen Koffer, während die andern das Ochsengespann durch ihr Geschrei anspornten.
Hinter meinem Wagen fuhr eine andere Telege. Ich bemerkte, daß, obgleich sie schwer beladen war, sie doch von nur vier Ochsen mit Leichtigkeit gezogen wurde. Dieser Umstand überraschte mich. Der Herr dieses Gefährts folgte zu Fuße nach und rauchte aus einer kleinen, silberbeschlagenen Kabardinerpfeife. Er trug einen Offiziermantel ohne Epauletten und eine tscherkessische Pelzmütze. Er mochte etwa fünfzig Jahre zählen. Seine braune Gesichtsfarbe deutete darauf hin, daß er bereits lange unter der kaukasischen Sonne gelebt, und sein vor der Zeit ergrauter Schnurrbart harmonirte nicht mit seinem festen Schritt und seiner männlichen Physiognomie. Ich ging auf ihn zu und grüßte ihn. Schweigend erwiederte er meinen Gruß mit einem Kopfnicken, wobei er eine ungeheure Rauchwolke in die Luft blies.
»Wie es scheint«, sagte ich, »sind wir Reisegefährten.« Wiederum nickte er schweigend mit dem Kopfe.
»Sie gehen ohne Zweifel nach Stawropol?«
»Ja wol ... mit Sachen, welche der Regierung gehören.«
»Sagen Sie mir gefälligst, woher kommt es, daß Ihr Wagen trotz seiner schweren Ladung von nur vier Ochsen ganz leicht gezogen wird, während der meine, obgleich er[4] fast ganz leer ist, mit seinen sechs Ochsen und einer Escorte von Osseten sich kaum von der Stelle bewegt?«
Er begann verschmitzt zu lächeln und sah mich dann vielsagend an.
»Sie sind wol noch nicht lange im Kaukasus?« versetzte er.
»Seit einem Jahr,« antwortete ich.
Er lächelte zum zweiten Mal.
»Aber ich fragte ...«
»Ach,« versetzte er, »diese Asiaten sind ganz schauderhafte Halunken. Sie glauben wol, sie spornten die Ochsen an, weil sie so schreien? Der Teufel allein mag wissen, was sie schreien! Aber von ihren Ochsen werden sie ganz gut verstanden. Sie könnten getrost zwanzig anspannen, die Thiere würden trotz dieses Geschreis nicht von der Stelle kommen ... Wie gesagt, schauderhafte Spitzbuben! Aber wie soll man ihnen entgehen? Sie verstehen es, den Reisenden das Geld aus der Tasche zu ziehen, und übrigens hat man sie auch verwöhnt! Sie sollen sehen, sie fordern Ihnen noch obendrein ein Trinkgeld ab. Ich kenne sie; mich führen sie nicht mehr an!«
»Dienen Sie schon lange im Kaukasus?« fragte ich.
»Ich habe schon unter Alexis Petrowitsch2 gedient,« versetzte er, und sein Gesicht erheiterte sich. »Als er das Commando übernahm, war ich Second-Lieutenant; und ich habe mir in unsern Kriegen gegen die Bergbewohner zwei Grade erworben.«
»Und jetzt?«
»Jetzt gehöre ich zum dritten Linienbataillon, und Sie, wenn ich fragen darf?«
Ich gab ihm die gewünschte Auskunft.
Damit schloß unsere Unterhaltung, und schweigend gingen wir von jetzt an neben einander her.[5]
Wir kamen auf dem Gipfel des Berges an. Er war mit Schnee bedeckt. Die Sonne war untergegangen, und die Nacht folgte dem Tage ohne allen Uebergang, wie das im Orient gewöhnlich der Fall ist; allein – Dank dem Wiederschein des Schnees vermochten wir unsern Weg noch leicht zu erkennen, der, wenn auch mit geringerer Steigung, noch immer bergan führte.
Ich ließ meinen Koffer wieder auf den Wagen binden, vertauschte die Ochsen mit Pferden und warf einen letzten Blick in das Thal hinunter. Aber ein dichter Nebel, der wie Wellen aus den Schluchten in den Bergflanken aufstieg, hatte es vollständig bedeckt, und in dieser Höhe vermochte kein einziger Laut mehr an unser Ohr zu dringen. Die Osseten drängten sich lärmend um mich und forderten ein Trinkgeld. Aber der Stabscapitain redete sie so energisch an, daß sie im Nu auseinanderstoben.
»Ist das ein Volk!« sagte er. »Ein Stück Brod auf Russisch zu verlangen ist ihnen vollständig unmöglich; aber sie können sehr verständlich sagen: ›Gib mir etwas zum Trinken, Offizier!‹ Da sind mir doch die Tataren lieber; die sind wenigstens keine Trunkenbolde ...«
Wir hatten noch eine Werst bis zur Station. Rings um uns herrschte ein so tiefes Schweigen, daß man den Flug einer Fliege an ihrem Gesumme hätte verfolgen können.
Zu unserer Linken gähnte ein tiefer Abgrund; jenseits desselben und vor uns erhoben sich dunkelblaue, von Schluchten zerrissene und mit Schneemassen bedeckte Bergzinnen, die sich von dem blassen Horizont abhoben, und auf welchem noch ein letzter purpurartiger Glanz schimmerte. An dem dunklen Himmel begannen die Sterne zu blinzeln und – seltsam! es schien mir, als ob sie sich in einer viel weiteren Entfernung befänden, als bei uns im Norden.
Zu beiden Seiten des Weges ragten nackte, finstere Felsblöcke in die Höhe; da und dort drangen schwächliche[6] Gesträuche durch die Schneedecke hervor; aber Alles war regungslos, nicht ein einziges Blättchen ward vom Winde bewegt, und so war es inmitten dieses Todtenschlafes der Natur ein Vergnügen, das Schnauben unserer müden Pferde und das ungleichmäßige Klingeln des russischen Glöckchens anzuhören.
»Morgen werden wir ein herrliches Wetter haben,« sagte ich zu dem Hauptmann.
Ohne zu antworten zeigte dieser mit dem Finger nach einem hohen Berge, der sich gerade vor uns erhob.
»Was ist das?« fragte ich.
»Das ist die Gut-Gora.«
»Nun ...?«
»Sehen Sie, wie sie raucht!«
Und in der That, die Gut-Gora rauchte. An ihren Flanken wogten leichte Wolken hin und her, und auf ihrer Spitze lagerte eine so schwarze Dunstwolke, daß sie sich wie ein Fleck an dem dunklen Himmel aus nahm.
Schon vermochten wir die Poststation und die Dächer der sie umgebenden Hütten zu unterscheiden: schon schimmerte uns ein gastlicher Lichtschein entgegen, – da plötzlich erhob sich ein feuchter, eisiger Wind, in dem Abgrunde heulte der Sturm, und ein feiner Regen drang uns in die Kleider. Kaum hatte ich meine Burka3 umgeworfen, als es in dichten Flocken zu schneien begann. Ich warf dem Stabscapitain einen respectvollen Blick zu ...
»Wir müssen uns dazu verstehen, die Nacht hier zuzubringen,« sagte er ärgerlich. »Bei einem solchen Schneegestöber kann man nicht daran denken, den Berg zu passiren.« Und sich dann zu dem Postillon wendend, fuhr er fort: »Sind schon Lawinen gefallen?«
»Nein, noch nicht, Herr,« antwortete der Ossete; »aber es sind viele im Anzuge.«[7]
Auf der Poststation war es nicht möglich, Zimmer für Reisende zu finden. Man führte uns in eine verräucherte Hütte, wo ich meinen Reisegefährten einlud, eine Tasse Thee mit mir zu trinken; denn ich nahm überall eine eiserne Theemaschine mit mir herum, – und mehr als einmal war sie mein einziger Trost gewesen auf meinen Kreuz- und Querzügen im Kaukasus.
Die Hütte, in welcher wir die Nacht zubringen sollten, lehnte mit der einen Seite an einem Felsen. Drei glitschige, nasse Stufen führten zu ihrer Thür. Ich dringe zuerst tastend ein und falle über eine Kuh (in diesem Lande dient der Stall als Vorzimmer). Ich wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte: von der einen Seite blöken Schafe, von der andern bellt ein Hund. Zum Glück gewahre ich endlich mit Hilfe eines schwachen Lichtscheines eine andere Oeffnung, die eine Art Thür zu sein scheint.
Ich trat ein, und da bot sich mir ein ziemlich merkwürdiges Schauspiel: Ein weiter, saalartiger Raum, dessen Dach auf zwei von Rauch geschwärzten Balken ruhte, war mit einer Menge Menschen angefüllt. In der Mitte brannte ein armseliges Feuer auf dem Boden, und der in Wirbeln aufsteigende Rauch, welcher durch eine im Dache angebrachte Oeffnung hätte hinausziehen sollen, wurde vom Winde zurückgetrieben und verbreitete daher eine solche Finsterniß um uns her, daß es mir längere Zeit unmöglich war, etwas zu unterscheiden.
Um das Feuer hockten zwei alte Weiber, eine große Anzahl Kinder und ein gebrechlicher Georgier; Alle in Lumpen. Was sollten wir machen? Wir mußten uns mit unserm Quartier begnügen! Wir ließen uns am Feuer nieder, steckten unsere Pfeifen an, und bald begann die Theemaschine fröhlich zu singen.
»Ein armseliges Volk!« sagte ich zu dem Stabscapitain, indem ich auf unsere schmutzigen Wirthe zeigte, die uns mit einer gewissen Bestürzung stumm betrachteten.[8]
»Und noch dazu sehr dumm!« versetzte mein Reisegefährte. »Sie verstehen nichts, zu nichts sind sie fähig, ohne jede Anlage zur Cultur ... es ist unglaublich! Da sind doch wenigstens unsere Kabardiner und Tschetschenzen, obgleich wilde Räuber, unerschrockene Taugenichtse, während dieses Gesindel von Osseten nicht den geringsten Geschmack an dem Waffenhandwerk hat. Sie werden nicht einmal einen halbwegs brauchbaren Dolch bei ihnen finden. Ein heruntergekommenes Volk, diese Osseten!«
»Sind Sie lange im Lande der Tschetschenzen gewesen?«
»Zehn Jahre war ich dort; ich stand mit meiner Compagnie in dem Fort bei Kamenoibrod, – kennen Sie das?«
»Ich habe davon gehört.«
»Ja, mein Lieber, diese Kopfabschneider machten uns zu schaffen! Gegenwärtig halten sie sich Gott sei Dank etwas ruhiger; aber früher, wenn man sich nur hundert Schritt von den Wällen entfernte, – da lag so ein Teufelskerl in irgend einem Versteck und lauerte einem auf: man hatte kaum die Zeit, zu gähnen – da flog einem eine Schlinge um den Hals oder eine Kugel in den Kopf. Sind das Bursche!«
»Da haben Sie gewiß manches Abenteuer erlebt?« sagte ich neugierig.
»Das sollt' ich meinen! Manches Abenteuer ...«
Bei diesen Worten begann er an seinem großen Schnurrbart zu zupfen; dann stützte er den Kopf in die Hand und versank in Nachdenken.
Ich hätte mir gern die eine oder andere Geschichte von ihm erzählen lassen – ein Wunsch, der bei einem reisenden Schriftsteller sehr natürlich ist. Aber der Thee war schon fertig. Ich zog aus meinem Mantelsack zwei kleine Tassen, goß sie voll und stellte die eine vor meinen Gefährten hin. Er schlürfte das heiße Getränk und wiederholte dabei, wie wenn er mit sich selbst spräche: »Ja, ja, manches Abenteuer habe ich erlebt!«[9]
Dieser Ausruf gab mir neue Hoffnung. Ich weiß, daß die Veteranen des Kaukasus gern plaudern und erzählen. Sie haben dazu so selten Gelegenheit! Fünf Jahre hindurch bleibt mancher mit seiner Compagnie auf irgend einem verlorenen Posten, und während dieser ganzen fünf Jahre vernimmt er nicht ein einziges Mal die alltäglichen Worte: »Wie geht's Ihnen, Hauptmann?« – aus dem ganz einfachen Grunde, weil der Unteroffizier zu seinem Vorgesetzten sagt und sagen muß: »Ich wünsche Ihnen guten Tag ...« Und doch hätte er so viel Stoff zum Reden! Er lebt mitten unter einem wilden, merkwürdigen Volke; jeder Tag bringt die eine oder andere Gefahr, bald diese, bald jene außerordentlichen Ereignisse, – da muß man sehr bedauern, daß über ein solches Leben bei uns so wenig geschrieben wird.
»Nehmen Sie keinen Rum?« sagte ich zu meinem Reisegefährten. »Ich habe weißen aus Tiflis mitgebracht ... und bei so kaltem Wetter ...«
»Nein, ich danke, ich trinke nie geistige Getränke.«
»Warum nicht?«
»Ich hab's verschworen. Als ich noch einfacher Lieutenant war, da fand einmal ein Zechgelage bei uns statt; und in der folgenden Nacht wurde Alarm geschlagen. Sie können sich denken, in welchem Zustande wir ins Feuer eilten! Alexis Petrowitsch erfuhr die Geschichte, – mein Gott, wie gerieth er in Wuth! Wenig fehlte, so hätte er uns vor ein Kriegsgericht gestellt. Zu andern Zeiten kann oft ein ganzes Jahr vergehen, ohne daß man eine Seele zu sehen bekommt; aber Sie begreifen, in einem Lande, wo man immer auf dem Posten sein muß – sobald man da ein wenig zu viel trinkt, ist man verloren.« Als ich solche Worte hörte, verlor ich fast alle Hoffnung auf eine Geschichte.
»Da haben Sie z.B. die Tscherkessen,« fuhr er fort; »wenn die ihre Busa trinken, sei's auf einer Hochzeit oder bei einem Begräbniß, so kommt es immer zu einem Gefecht.[10] Einmal wurde ich fast mit Gewalt zu einer solchen Festlichkeit hingeführt, wo es mir bald übel ergangen wäre, und noch dazu bei einem mit uns in Frieden lebenden Fürsten.«
»Was fiel denn vor?«
»Ich will's Ihnen erzählen,« versetzte er. Hier unterbrach sich der Hauptmann, um seine Pfeife zu stopfen; als er sie angesteckt, fuhr er folgendermaßen fort:
»Zunächst muß ich Ihnen bemerken, daß ich damals mit meiner Compagnie in einem Fort jenseit des Terek lag – es werden bald fünf Jahre her sein. Eines Tages im Herbst sahen wir einen Transport Proviant herankommen; bei demselben befand sich ein Offizier, ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren. Er machte mir in Galauniform die Aufwartung und theilte mir mit, daß er den Befehl habe, bei mir im Fort zu bleiben.
Er hatte eine so feine weiße Haut, einen so zarten Teint und eine so glänzende neue Uniform, daß man es ihm sofort ansah, er müsse sich erst seit ganz kurzer Zeit im Kaukasus befinden.«
»Sie sind vermuthlich«, sagte ich zu ihm, »hierher in die Verbannung geschickt.«
»Ganz recht, Herr Stabscapitain,« versetzte er.
»Es freut mich sehr, Sie bei uns zu sehen,« entgegnete ich und reichte ihm die Hand. »Sie werden sich hier ein wenig langweilen; allein ich hoffe, wir werden als gute Freunde mit einander leben. Was mich betrifft, nennen Sie mich einfach Maxim Maximitsch, – und diese Galauniform, – bitte, kommen Sie ganz einfach in der Mütze zu mir.«
»Es wurde ihm ein Quartier angewiesen und er richtete sich in dem Fort ein.«
»Wie hieß er?« fragte ich.
»Gregor Alexandrowitsch Petschorin. Ein ausgezeichneter Junge, kann ich Ihnen sagen; nur ein wenig seltsam.[11] So z.B. konnte er bei Frost oder Regenwetter ganze Tage auf der Jagd zubringen. Jeder Andere wäre von solch einer Expedition erstarrt oder todtmüde zurückgekommen, – er wußte von gar nichts. Ein anderes Mal zog er sich in sein Zimmer zurück wie ein altes Weib und fürchtete sich bei dem geringsten Lufthauch zu erkälten und fröstelte und erblaßte, sobald das Fenster geöffnet wurde; und dabei habe ich ihn mit eigenen Augen ganz allein einen Eber angreifen sehen! Manchmal verbrachte er ganze Stunden bei mir, ohne auch nur einmal den Mund aufzuthun, wogegen er wieder zu anderen Zeiten plötzlich anfangen konnte Geschichten zu erzählen, daß man sich vor Lachen den Bauch halten mußte ... Ja, ja, er war ein merkwürdiger Mensch; übrigens mußte er auch sehr reich sein: er besaß eine solche Menge kostbarer Gegenstände!«
»Und haben Sie lange mit ihm zusammengelebt?« fragte ich wieder.
»Etwa ein Jahr. Ich werde es nie vergessen, dieses Jahr! Wie manche Sorge hat er mir gemacht! ... Es scheint fast, als ob es Menschen gäbe, die schon von Geburt an zu außerordentlichen Abenteuern bestimmt sind.«
»Außerordentliche Abenteuer!« rief ich noch neugieriger, indem ich dem Hauptmann eine neue Tasse Thee eingoß.
»Ich will Ihnen aus unserm damaligen Leben einen Vorfall erzählen. Sechs Werst von dem Fort wohnte ein mit uns in Frieden lebender Fürst. Sein Sohn, ein Knabe von fünfzehn Jahren, kam fast täglich zu uns, bald unter diesem, bald unter jenem Vorwande, und wir verhätschelten ihn vollständig, Petschorin und ich. So jung er auch noch war, an Geschicklichkeit und Verwegenheit that's ihm keiner zuvor: In vollem Galopp hob er seine Mütze von der Erde auf, und wie er zu schießen verstand, – das war ganz wunderbar! Nur einen Fehler hatte er an sich: Er besaß eine schreckliche Leidenschaft für das Geld. Eines Tages versprach ihm Petschorin scherzend einen Dukaten,[12] wenn er den schönsten Bock aus den Heerden seines Vaters raube, und denken Sie sich, – in der folgenden Nacht brachte uns der Taugenichts den Bock an den Hörnern herbei! Sobald wir ihn ein wenig stark foppten, flammten ihm gleich die Augen, und die Hand fuhr sofort nach dem Dolche. ›Nun, nun, Asamat,‹ sagte ich zuweilen zu ihm, ›nicht so rasch; deine Heftigkeit könnte dir noch einmal übel bekommen!‹«
»Eines Tages kam der alte Fürst, sein Vater, zu uns, um uns zur Hochzeit seiner ältesten Tochter einzuladen. Wir sollten seine Kunaks, Gäste, sein, und so durften wir, obgleich er ein Tatar war, uns nicht weigern, zu kommen. Wir gingen also hin. Beim Eintritt in den Aul4 stürzten uns bellend eine Menge Hunde entgegen, und die Frauen versteckten sich bei unserm Anblick, und diejenigen, welche wir zu Gesicht bekamen, waren nichts weniger als schön.«
»Ich hatte mir eine bessere Vorstellung von den Tscherkessinnen gemacht!« sagte Petschorin zu mir.
»Nur Geduld,« gab ich ihm zur Antwort und lachte. Und dazu hatte ich meine guten Gründe.
»In der Wohnung des Fürsten war bereits eine große Menge Menschen versammelt. Sie wissen, wenn diese Asiaten eine Hochzeit feiern, so laden sie alle ein, die ihnen begegnen. Wir wurden mit allen Zeichen der Auszeichnung empfangen und in den Ehrensaal geführt. Da ich das Land kannte, so hatte ich mir jedoch wohl gemerkt, wohin man unsere Pferde gebracht, um sie, wenn etwas vorfallen sollte, sofort zur Hand zu haben.«
»Und wie sind denn dort die Hochzeitsgebräuche?« fragte ich den Hauptmann.
»Die bieten nichts Auffallendes,« versetzte er. »Zunächst liest ihnen der Geistliche, der Mulla, ein paar Stellen aus[13] dem Koran vor; dann macht man den Neuvermählten und allen ihren Verwandten Geschenke; dann wird gegessen und Busa getrunken, worauf ein Nationaltanz, die Dschigitowka, getanzt wird, während ununterbrochen irgend ein schmutziger, in Lumpen gehüllter und auf einem erbärmlichen Klepper sitzender Bursch die ehrenwerthe Gesellschaft mit seinen Späßen amüsirt; und wenn die Dunkelheit eintritt, findet eine Art Ball statt, wozu ein armer alter Musikant auf einem Instrument – der Name desselben ist mir entfallen, es gleicht unserer Balalaika – die Musik macht. Die Mädchen und jungen Burschen stellen sich in zwei Reihen einander gegenüber und singen und schlagen in ihre Hände. Dann treten ein Mädchen und ein Bursch in die Mitte des Kreises und fangen an, nach einander Verse in schleppendem Tone herzusagen ... Alles, was ihnen gerade in den Sinn kommt; und diese Verse werden dann von dem ganzen Chor wiederholt.«
»Petschorin und ich saßen auf dem Ehrenplatze. Plötzlich kommt die jüngste Tochter unseres Wirthes, ein Mädchen von sechzehn Jahren, auf meinen Begleiter zu und singt ihm eine Art Compliment vor.«
»Können Sie sich nicht erinnern, was sie ihm eigentlich vorsang?«
»Ja, so ungefähr: ›Schlank und schön sind unsere Tänzer mit ihren silberbesetzten Kaftans; aber der junge russische Offizier ist noch schöner, und seine Tressen sind von Gold. Er erhebt sich unter ihnen wie eine Pappel; aber in unseren Gärten ist er nicht geboren und aufgeblüht.‹«
»Bei dieser Rede stand Petschorin auf, verbeugte sich vor der jungen Prinzessin, legte die Hand erst auf die Stirn, dann auf das Herz und bat mich, ihr seine Antwort in ihre Sprache zu übersetzen.«
»Nun,« raunte ich meinem jungen Freunde zu, als das Mädchen sich wieder entfernt hatte, »wie finden Sie sie?«
»Entzückend!« antwortete er; »entzückend! Wie heißt sie?«[14]
»Bela,« versetzte ich.
»Und in der That, sie war sehr schön: hoch, schlank, prachtvoll gebaut, Augen schwarz wie die der Gazelle, – ihr Blick drang einem bis ins Innerste der Seele.
Petschorin war ganz träumerisch geworden; er verlor sie nicht mehr aus den Augen; und auch sie richtete häufig verstohlen den Blick auf ihn. Aber mein Begleiter war nicht der Einzige, der Bela schön fand: aus einem Winkel des Saales richteten sich unablässig zwei andere unbewegliche, flammende Augen auf die junge Fürstin. Es waren die eines jungen Mannes meiner Bekanntschaft, Kasbitsch mit Namen.
Dieser Kasbitsch, müssen Sie wissen, stand zu uns in einem eigenthümlichen Verhältniß; er war weder unser Freund noch unser Feind. Sein Benehmen war mehr als einmal sehr verdächtig gewesen; allein er hatte sich nie bei einem Gefecht sehen lassen. Von Zeit zu Zeit brachte er uns Schafe in das Fort und überließ sie uns zu einem billigen Preise; nur ließ er nie mit sich handeln; was er forderte, mußte man ihm auch geben, – man hätte ihn eher umbringen als ihm etwas abhandeln können. Man sagte ihm nach, er schlösse sich gern den Zügen an, welche die Abreken über den Kuban unternahmen; und in der That, mit seiner kleinen trockenen Gestalt und seinen breiten Schultern hatte er ganz das Aussehen eines Räubers ... Und zu dem besaß er eine wahrhaft diabolische Geschicklichkeit! Sein Beschmet5 war immer in Fetzen zerrissen, aber seine Waffen glänzten von Silber; und sein Pferd galt für das schönste und beste in der ganzen Kabardie, und in der That, es war nicht möglich, einen ausgezeichneteren Renner zu finden als dieses Pferd. Nicht umsonst beneideten ihn Alle darum, und mehr als einmal hatte man versucht, es ihm zu stehlen; allein es war nie geglückt.[15] Mir ist, als sähe ich noch jetzt dieses Pferd vor mir: Pechschwarz, Beine wie Stahl, und Augen ... ich glaube, daß Belas Augen nicht schöner waren; und welche Kraft! Fünfzig Werst konnte es im Galopp zurücklegen, ohne einmal zu rasten; und dabei war es so fromm und wohldressirt, daß es wie ein Hund auf seinen Herrn zueilte und seiner Stimme gehorchte! Manchmal nahm sich Kasbitsch nicht einmal die Mühe, es anzubinden; kurz, es war das Ideal eines Räuberpferdes! ...
An diesem Abend war Kasbitsch finsterer als gewöhnlich, und ich bemerkte, daß er unter seinem Beschmet ein Panzerhemd trug ... Dieses Panzerhemd, sagte ich zu mir, trägt er nicht umsonst; er muß etwas im Schilde führen.
Es war sehr heiß im Saal, und so ging ich ein wenig hinaus in die frische Luft. Die Nacht hatte sich bereits auf die Berge herabgesenkt, und der Nebel begann aus den Thalschluchten heraufzuziehen.
Da kam mir der Gedanke, einmal nach unseren Pferden zu sehen, um mich zu überzeugen, ob ihnen nichts fehle. Vorsicht kann nie schaden, und ich hatte damals ein ausgezeichnetes Pferd, das mehr als ein Kabardiner mit neidischen Blicken betrachtet hatte. Ich ging unbemerkt auf den Hangar zu, – da hörte ich plötzlich Stimmen; die eine erkannte ich sofort: es war die des Asamat, des Sohnes unseres Wirthes; die andere ließ sich nur selten und ziemlich leise vernehmen.
Wovon mögen die denn dort reden, dachte ich bei mir; etwa von unsern Pferden?
Verstohlen näherte ich mich ihnen und begann zu lauschen, um mir kein Wort von ihrer Unterhaltung entgehen zu lassen, was nicht sehr leicht war; denn nicht selten machten es mir das Singen und Tanzen in dem Saal nebenan unmöglich, etwas von ihrem Gespräch zu unterscheiden.«
»Du hast ein herrliches Pferd!« sagte Asamat; »und[16] wenn ich hier Herr im Hause wäre und hätte einen Tabun von dreihundert Fohlen, die Hälfte davon würde ich dir hingeben für deinen Renner, Kasbitsch!«
Aha, da ist Kasbitsch, murmelte ich vor mich hin, – und ich dachte unwillkürlich an sein Panzerhemd.
»Ja,« antwortete Kasbitsch nach einigem Schweigen; »in der ganzen Kabardie findet man ein solches Pferd nicht wieder. Eines Tages – es war jenseit des Terek – hatte ich mit einigen Abreken eine Jagd auf russische Pferde unternommen. Unser Plan mißlang, und wir nahmen die Flucht, der Eine hierhin, der Andere dorthin. Ich ward von vier Kosaken verfolgt; schon hörte ich hinter mir die Rufe dieser Giauren, und vor mir befand sich ein dichter Wald. Ich legte mich auf meinen Sattel und empfahl mich dem Schutze Allahs, und zum ersten Mal in meinem Leben beleidigte ich mein Pferd mit einem Peitschenschlage. Wie ein Vogel stürzte sich das edle Thier durch die Zweige – die Dornen zerrissen meine Kleider, die Zweige schlugen mir ins Gesicht; mein Pferd setzte über alle Hindernisse hinweg und bahnte sich mit der Brust einen Weg durch das Dickicht.
Vielleicht hätte ich am besten daran gethan, es sich selbst zu überlassen und mich in dem Dickicht zu verstecken. Aber ich konnte mich nicht dazu entschließen, mich von ihm zu trennen – und der Prophet belohnte mich dafür. Schon pfiffen mir einige Kugeln um den Kopf; schon waren die Kosaken ganz nahe hinter mir, und sie verdoppelten ihre Anstrengungen, um mich zu ergreifen ... Da plötzlich befinde ich mich am Rande eines tiefen Abgrundes; mein Pferd macht einen Augenblick Halt und fliegt dann hinüber. Seine Hinterbeine gleiten am jenseitigen Rande ab und da bleibt es mit den Vorderfüßen hängen. Ich lasse die Zügel los und stürze mich in den Abgrund; das rettete mein Pferd; es machte eine neue Anstrengung, und da hat es wieder festen Grund unter den Füßen! Die Kosaken[17] hatten Alles mit angesehen; aber keiner steigt in den Abgrund hinunter, um mich zu suchen; wahrscheinlich glaubten sie, ich hätte mir bei dem Fall das Genick gebrochen, und ich hörte, wie sie sich daran machten, mein Pferd zu verfolgen. Alles Blut strömte mir nach dem Herzen; ich schleiche in dem hohen dichten Grase an dem Abgrunde entlang und schaue mich um: Ich befinde mich am Ende des Waldes, einige Kosaken jagen gerade aus demselben hervor, aber schon galoppirt mein Karagos unten durch die Ebene. Lange, sehr lange verfolgten sie ihn; und einer von ihnen hätte ihm zweimal beinah seine Schlinge um den Hals geworfen. Ich zitterte am ganzen Körper, schloß die Augen und begann zu beten. Einige Augenblicke später blicke ich wieder auf, und da sehe ich meinen Karagos mit hocherhobenem Schweif und flatternder Mähne frei wie der Wind durch die Ebene fliegen, – die Giauren aber schleppen sich auf ihren ermüdeten Pferden nach verschiedenen Richtungen durch die Steppe. Bei Allah, was ich dir da erzählte, ist die Wahrheit, die reinste Wahrheit! Bis tief in die Nacht blieb ich in meinem Abgrunde versteckt. Plötzlich – stelle dir mein Erstaunen vor, Asamat! – plötzlich höre ich in der Dunkelheit am Rande des Abgrundes ein Pferd hin und her galoppiren: es wiehert und stampft mit den Füßen die Erde, ich erkannte die Stimme meines Karagos, – und er war es, mein treuer Gefährte! ... Seit diesem Tage haben wir uns nie mehr getrennt.«
Bei diesen Worten klopfte Kasbitsch dem Pferde liebkosend auf den Hals und redete es mit allen möglichen Schmeichelworten an.
»Hätte ich einen Tabun von tausend Fohlen,« sagte Asamat, »ich würde ihn dir ganz hingeben für deinen Karagos!«
»Und ich,« antwortete Kasbitsch kalt, »würde ihn nicht annehmen.«[18]
»Hör', Kasbitsch,« sagte Asamat in bittendem Tone zu ihm, »du bist ein braver Mensch und ein tapferer Krieger; du weißt, mein Vater fürchtet die Russen und läßt mich nicht an den Streifzügen in die Berge theilnehmen. Gib mir dein Pferd, und ich thue für dich Alles, was du verlangst. Wenn du es wünschest, stehle ich dir meines Vaters beste Büchse oder seine Schaschka ... Du brauchst nur zu wollen, – und du weißt, seine Schaschka ist in Kurdistan gemacht; man braucht ihr nur die Hand nahe zu bringen, und es ist, als ob der Stahl von selbst schneiden wollte. Ich werde dir auch noch das beste Panzerhemd meines Vaters geben, und das ist gleich dem deinen von unschätzbarem Werthe.«
Kasbitsch bewahrte Schweigen.
»Seit dem Tage, wo ich dein Pferd zum ersten Mal gesehen,« fuhr Asamat fort, »wo ich es unter dir springen und mit weit geöffneten Nüstern stampfen sah, während Kies und Funken unter seinen Hufen stoben, – seit diesem Tage empfinde ich etwas ganz Unerklärliches in meiner Brust, und alles Andere ist mir gleichgiltig geworden. Die schönsten Renner meines Vaters sehe ich nur noch mit Verachtung an; ich schäme mich, sie zu reiten und ... Traurigkeit hat mich erfaßt und ganze Tage bringe ich auf einem Felsenzacken zu, und dann denke ich an nichts Anderes, als an dein schönes Pferd mit seinem edlen Gange und seinen glänzenden und pfeilgeraden Flanken. Mir ist, als suche sein kluger Blick den meinen, als hätte es mir etwas zu sagen. Kurz,« rief Asamat mit zitternder Stimme, »ich sterbe, Kasbitsch, wenn du dich weigerst, mir dein Pferd abzutreten.«
Bei diesen Worten brach Asamat in Thränen aus und begann zu schluchzen. Und doch hatte dieser Knabe einen eisernen Willen, und er hatte vielleicht niemals geweint, sogar als Kind nicht.
Als Antwort auf seine Thränen hörte ich eine Art Lachen.[19]
»Höre,« sagte Asamat mit fester Stimme; »du siehst, ich bin zu allem entschlossen. Wenn du willst, so entführe ich dir meine Schwester. Du weißt, wie sie tanzt, wie sie singt, und welch wundervolle Goldstickereien sie verfertigt! Nein, ein so schönes Mädchen gibt es nicht einmal in dem Serail des türkischen Padischah! ... Sag', Kasbitsch, willst du? Erwarte mich morgen Abend in der Nähe der Schlucht, da, wo der Waldbach herabstürzt: ich werde sie nach dem benachbarten Aul bringen – und sie ist dein ... Ist denn Bela nicht so viel werth wie dein Karagos?«
Lange, sehr lange bewahrte Kasbitsch Schweigen. Endlich hörte ich ihn statt einer Antwort folgende Strophe eines alten Volksliedes singen:
Wohl reich ist unser Land an schönen Frauen,
Und ihre Reize rühmt man weit und breit;
Süß ist's, in ihrer Augen Glut zu schauen,
Zu kosten ihrer Liebe Seligkeit.
Doch süßer leuchten mir der Freiheit Strahlen,
Und höher schätze ich mein braves Pferd:
Ein gutes Roß ist nimmer zu bezahlen –
Vier Frauen tauscht man ein um Geldeswerth ...
Was gleicht dem Muth des Rosses, seiner Schnelle,
Was seiner Treue und Beständigkeit?
Der Frauen Sinn ist launisch wie die Welle
Und wechselnd wie das Wetter und die Zeit!
Vergebens flehte und weinte Asamat; vergebens wurde er zornig ...
Endlich wurde Kasbitsch ungeduldig und rief ihm zu:
»Lass' mich in Ruh', unsinniger Knabe! Du willst mein Pferd reiten? Keine drei Schritt würdest du zurücklegen, und es würfe dich zu Boden und zerschmetterte dir den Kopf an einem Felsen.«
»Mir!« rief Asamat wüthend, und in demselben Augenblick hörte ich den Dolch des Knaben an dem Panzerhemd des Bergbewohners erklingen.[20]
Mit kräftiger Faust schleuderte Kasbitsch seinen Gegner gegen den Bretterzaun, – so heftig, daß dieser davon erzitterte.
Das wird einen schönen Lärm geben, dachte ich bei mir. Und damit eilte ich nach dem Stalle, machte unsere Pferde los und führte sie durch eine Hinterpforte hinaus.
Schon wenige Minuten später war das ganze Haus des Fürsten in Aufruhr. Und das war so gekommen: Asamat war mit seinem zerrissenen Beschmet in den Saal hineingestürzt und hatte gesagt, Kasbitsch habe ihn erwürgen wollen. Sofort sprangen Alle auf und griffen zu ihren Flinten – und der Kampf begann! Schreien, Lärmen, Schüsse – Alles durcheinander! Aber schon saß Kasbitsch auf seinem Pferde. Die Schaschka in der Hand, bahnte er sich einen Weg mitten durch die Menge und verschwand wie ein Dämon.
»Kommen Sie,« sagte ich zu Petschorin und ergriff ihn beim Arm; »es ist gefährlich unter Fremden ein Glas zu viel zu trinken; am besten, wir entfernen uns so schnell wie möglich.«
»Wir wollen noch etwas warten,« versetzte er; »ich bin neugierig, wie das endet.«
»Das wird schlimm enden. So sind sie alle, diese Asiaten; erst trinken sie ihre Busa und dann brechen sie sich die Hälse!«
Wir setzten uns zu Pferde und kehrten nach Hause zurück.
»Und was ward aus Kasbitsch?« fragte ich ungeduldig den Hauptmann.
»Eines solchen Menschen wird man nicht so leicht habhaft;« versetzte er, indem er sein Glas Thee leerte. »Er entschlüpfte!«
»Ohne verwundet zu werden?« fragte ich.
»Das mag Gott wissen! Diese Räuber haben ein zähes Leben. Ich habe sie im Feuer gesehen: Manche waren mit[21] Bajonnetstichen gleichsam durchlöchert wie ein Sieb, und doch schwangen sie noch ihre Schaschka.«
Der Hauptmann verstummte einige Augenblicke; dann fuhr er, mit dem Fuße gegen die Erde stampfend, also fort:
»Eines kann ich mir nie vergeben: Bei unserer Rückkehr in das Fort verführte mich, ich weiß nicht welcher Teufel, Petschorin das Gespräch mitzutheilen, das ich im Stall mit angehört hatte.« Er begann verschmitzt zu lächeln, – sein Plan war bereits fertig.
»Was für ein Plan? Bitte, erzählen Sie weiter.«
»Nun ja, was soll man machen! Da ich einmal angefangen, muß ich auch zu Ende erzählen.
Vier Tage nach diesem Vorfall kam Asamat zu uns in das Fort. Wie gewöhnlich ging er zu Petschorin, der beständig die eine oder die andere Leckerei für ihn bereit hatte. Ich befand mich gerade in seiner Wohnung.« Das Gespräch kam auf Pferde, und Petschorin hielt eine begeisterte Lobrede auf den Karagos des Kasbitsch.
»Welche Schönheit der Formen,« sagte er, »welch eine gazellenartige Behendigkeit, – ein wahres Eichhörnchen, – mit einem Wort, in der ganzen Welt findet man ein solches Pferd nicht!«
Die Augen des jungen Tataren funkelten, aber Petschorin that, als merke er seine Aufregung nicht. Ich versuche, der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben, aber das Gespräch kehrt immer wieder auf dieses wunderbare Pferd zurück.
Dieser Auftritt wiederholte sich bei jedem Besuche Asamats. Nach drei Wochen bemerkte ich, daß der arme junge Mensch blaß und mager wurde, – wie ein verzweifelter Liebhaber in den Romanen ...
Erst später erfuhr ich, was geschehen war: Petschorin hatte dem jungen Manne so zugesetzt, daß er vollständig den Kopf verlor. Eines Tages sagte er zu ihm: »Ich sehe, Asamat, daß du an nichts Anderes, als an dieses[22] Pferd denkst, aber es liegt nicht in deiner Macht, es zu besitzen! Wolan, sprich, was würdest du demjenigen geben, der es dir verschaffte?«
»Alles, was er verlangte,« antwortete Asamat.
»In diesem Fall verspreche ich, es dir zu verschaffen; aber nur unter einer Bedingung ... Willst du mir zuschwören, dieselbe zu erfüllen?«
»Ich schwöre ... Aber schwöre auch du!«
»Das versteht sich von selbst! Ich schwöre dir, dich in den Besitz des Pferdes zu bringen, wenn du mir deine Schwester Bela verschaffst. Karagos wird mein Hochzeitsgeschenk sein. Ich hoffe, daß dieser Vorschlag dir gefällt.«
Asamat schwieg.
»Du willst nicht? Nun, wie es dir beliebt! Ich glaubte, du wärest ein Mann, aber du bist noch ein Kind, – zu jung, solch einen Renner zu reiten ...«
Asamat wurde roth vor Zorn.
»Aber mein Vater!« rief er.
»Dein Vater! Entfernt er sich vielleicht nie von Hause?«
»Allerdings ...«
»Also abgemacht?«
»Abgemacht!« murmelte Asamat todtenbleich. »Und an welchem Tage?«
»Das erste Mal, wo Kasbitsch hierher ins Fort kommt. Er hat uns ein Dutzend Hämmel zu bringen versprochen; das übrige ist meine Sache. Aber du, Asamat, denk' an dein Versprechen!«
Das Geschäft war also abgeschlossen ... Offen gestanden, eine abscheuliche Geschichte! Als ich davon hörte, machte ich Petschorin Vorwürfe. Er antwortete mir, diese wilde Tscherkessin würde sich ganz glücklich schätzen, einem Manne, wie ihm, anzugehören, da er nach der Sitte des Landes ganz als ihr Gatte betrachtet würde, und daß zudem Kasbitsch, dieser Räuber, eine Züchtigung verdient habe.
Sagen Sie mir was konnte ich auf eine solche Beweisführung[23] antworten? ... Aber damals wußte ich noch nichts von dem zwischen Petschorin und Asamat getroffenen Uebereinkommen.
Eines Tages also kommt Kasbitsch und bietet uns Hämmel und Honig zum Kauf an. Ich lasse ihm sagen, er möchte am folgenden Tage wiederkommen.
»Asamat,« sprach Petschorin zu dem jungen Tscherkessen, der sich gerade bei uns befand, »morgen ist Karagos dein, wenn du mir heut Nacht Bela verschaffst; wenn nicht, wirst du das Pferd niemals besitzen ...«
»Es sei!« sprach Asamat und kehrte in aller Eile nach dem Aul zurück. Gegen Abend nahm Petschorin seine Waffen und entfernte sich aus dem Fort.
Wie sie es eigentlich angefangen haben, konnte ich nie erfahren. Aber in der Nacht kehrten beide zurück, und die Wache sah, daß sich auf Asamats Sattel ein weibliches Wesen befand, dessen Hände und Füße gebunden und dessen Haupt mit einem Schleier verhüllt war.
»Und das Pferd?« fragte ich den Hauptmann.
»Geduld, Geduld! ... Früh am folgenden Morgen kam Kasbitsch und bot uns seine Hämmel wieder zum Kauf an. Nachdem er sein Pferd draußen an dem Bretterzaun angebunden, kommt er zu mir. Ich lasse ihm Thee geben; denn obgleich er nur ein Räuber war, so war er doch immerhin mein Kunak.«6
Wir unterhielten uns ruhig über Dies und Jenes ... Plötzlich sehe ich, daß Kasbitsch zu zittern anfängt ... Er wechselt die Farbe und stürzt aus Fenster, das unglücklicherweise nach dem Hofe hinaus lag.
»Was ist dir?« fragte ich.
»Mein Pferd, mein Pferd!« rief er, am ganzen Körper zitternd.
Und in der That hörte ich das Galoppiren eines Pferdes.[24]
»Das ist ohne Zweifel,« sagte ich, – »irgend ein heranreitender Kosak ...«
»Nein! Verrath, Verrath!« schrie er und stürzte wie ein Panther aus meinem Zimmer.
Mit zwei Sprüngen war er draußen und stürzte auf das Thor des Forts zu. Die Wache wollte ihm den Ausgang versperren, indem sie ihm das Gewehr quer vorhielt; er sprang über die Waffe hinweg und fort flog er die Straße hinunter ...
In der Ferne sahen wir eine Staubwolke dahinrollen – es war Asamat mit seinem Karagos. In vollem Lauf zieht Kasbitsch seinen Karabiner hervor und schießt.
Einen Augenblick bleibt er unbeweglich stehen, bis er sich überzeugt, daß er vorbeigeschossen. Da beginnt er zu fluchen, zerschlägt seine treulose Waffe an einem Felsblock in Stücke, wälzt sich auf der Erde und weint und schluchzt wie ein Kind ...
Einige Bewohner des Forts nähern sich ihm; sie machen sich mit ihm zu schaffen und richten Fragen an ihn – aber er hört und sieht nicht. Jene stehen noch eine Weile um ihn herum und ziehen sich dann zurück. Ich lasse das Geld für die Schafe vor ihn hinlegen; aber er rührt es gar nicht an; er bleibt, das Gesicht zur Erde gekehrt, unbeweglich wie ein Todter liegen; ja, sogar die ganze Nacht hindurch blieb er in derselben Lage ... Erst am andern Morgen stand er auf, näherte sich dem Fort und bat den Soldaten, ihm zu sagen, wer ihm sein Pferd gestohlen habe. Die Schildwache, die gesehen, wie Asamat dasselbe losgebunden und mit ihm davongeritten, theilte ihm unbedenklich alles mit. Bei dem Namen Asamat funkelten Kasbitsch die Augen und er lief eiligst nach dem Aul, wo Asamats Vater wohnte.
»Und der Vater?«
»Kasbitsch traf ihn nicht zu Hause. Er hatte sich auf[25] einige Tage entfernt, und eben dieser Umstand hatte Asamat die Entführung erleichert.«
Als der Fürst zurückkehrte, fand er weder Sohn noch Tochter. Als schlauer Tscherkesse hatte Asamat begriffen, daß es um ihn geschehen sei, wenn er dem Kasbitsch in die Hände fiele. Seit dieser Zeit war er verschwunden. Wahrscheinlich hat er sich irgend einer Bande Abreken angeschlossen und sich jenseit des Terek oder Kuban zurückgezogen; und dort wird er auch wol seinen Kopf gelassen haben ...
Indeß hatte ich in dieser unglücklichen Geschichte noch eine Pflicht zu erfüllen. Sobald ich erfuhr, daß die Tscherkessin sich in Petschorins Wohnung befand, zog ich meine volle Uniform an und begab mich zu ihm.
Ich fand ihn in dem ersten Zimmer auf einem Bett ausgestreckt, die eine Hand unter den Kopf gelegt, während die andere noch die erloschene Pfeife hielt. Ich bemerkte, daß die Thür zu dem zweiten Zimmer verschlossen war, und der Schlüssel nicht in dem Schloß steckte. Ich begriff sofort die ganze Situation ...
Bei meinem Eintritt hustete ich und stieß leicht mit den Stiefelabsätzen gegen die Diele, – er blieb noch immer unbeweglich und that, als hörte er nichts.
»Herr Lieutenant!« sagte ich in einem möglichst strengen Tone; »sehen Sie nicht, daß ich hier bin?«
»Ah, guten Tag, Maxim Maximitsch!« antwortete er, ohne seine Stellung zu verändern. »Wollen Sie eine Pfeife rauchen?«
»Um Verzeihung, nicht Maxim Maximitsch steht hier, sondern Ihr Vorgesetzter.«
»Das kommt auf Eins hinaus. Wollen Sie eine Tasse Thee? Wenn Sie wüßten, was mir im Kopf herumgeht ...«
»Ich weiß Alles,« versetzte ich und trat auf das Bett zu.
»Um so besser; denn ich bin gar nicht dazu aufgelegt, Ihnen die Geschichte zu erzählen.«[26]
»Herr Lieutenant, Sie haben einen Fehler begangen, für den ich die Verantwortung trage ...«
»Ach, gehen Sie doch! Ist auch ein rechtes Unglück! Gehen wir nicht längst bei allem Hand in Hand?«
»Wozu diese Scherze? Uebergeben Sie mir gefälligst Ihren Degen!«
»Mitka, meinen Degen!«
Mitka brachte den Degen.
Nachdem ich so meiner Pflicht genügt hatte, setzte ich mich zu Petschorin ans Bett und sagte: »Gestehen Sie's nur, Petschorin, das ist nicht schön.«
»Was ist nicht schön?«
»Ei, daß Sie Bela entführt haben ... Und dieser verfluchte Asamat! ... Nun, gestehen Sie's nur,« wiederholte ich.
»Aber, wenn sie mir gefällt?«
Ja, was sollte ich auf einen solchen Grund antworten? ... Ich war ganz bestürzt. Indeß erklärte ich ihm nach einigem Schweigen, daß, wenn der Fürst seine Tochter zurückfordere, dieselbe wieder ausgeliefert werden müsse.
»Ist gar nicht nöthig!«
»Aber, wenn er erfährt, daß sie hier ist?«
»Wie sollte er das erfahren?«
Ich war zum zweiten Mal aus dem Felde geschlagen.
»Hören Sie, Maxim Maximitsch,« sprach Petschorin, indem er sich ein wenig aufrichtete; »Sie sind ein braver Mensch ... wenn wir diesem Wilden seine Tochter zurückgeben – was geschieht dann? Er wird sie entweder tödten oder verkaufen. Die Sache ist geschehen; wir dürfen sie nicht leichten Herzens verschlimmern. Behalten Sie meinen Degen und lassen Sie mir Bela ...«
»Es sei. Aber kann ich sie nicht wenigstens sehen?« fragte ich.
»Sie ist in dem anstoßenden Zimmer; aber selbst ich habe mich bis jetzt vergeblich bemüht, mich ihr zu nähern.[27] Da sitzt sie in einem Winkel, eingehüllt in ihren Schleier; stumm, unbeweglich, scheu wie ein Gemse. Ich habe eine Frau zu ihr kommen lassen, die Tatarisch kann; ich habe sie beauftragt, für Bela zu sorgen und sie nach und nach an den Gedanken zu gewöhnen, daß sie von nun an mir gehöre, – denn sie soll keinem andern Menschen angehören als einzig und allein mir,« setzte er, mit der Faust auf den Tisch schlagend, hinzu.
Ich gab endlich nach ... Was sollte ich machen? Es gibt Menschen, denen man unbedingt immer nachgeben muß.
»Und hat sich Bela in der That endlich an ihn gewöhnt,« fragte ich Maxim Maximitsch; »oder ist sie in der Gefangenschaft aus Schmerz und Heimweh gestorben?«
»Aber ich bitte Sie, warum hätte sie sich einem solchen Schmerz und Heimweh hingeben sollen? Vom Fort aus konnte sie ihre Berge eben so gut sehen, wie mitten in ihrem Aul, – und das genügt diesen Wilden. Und zudem machte ihr Petschorin täglich das eine oder andere Geschenk. Während der ersten Tage wies sie mit verächtlichem, stolzem Schweigen diese Geschenke zurück, welche nun ihrer Gesellschafterin gegeben wurden, was deren Beredtsamkeit nicht wenig erhöhte. Ach, die Geschenke! Was vermag ein bunter Lappen nicht über das Herz einer Frau! ... Doch lassen wir diesen Punkt bei Seite.. Lange mußte Petschorin kämpfen, um Bela's Widerstand zu besiegen, – so lange, daß er inzwischen Tatarisch und sie Russisch lernen konnte. Nach und nach gewöhnte sie sich daran, ihn zu sehen. Sie begann ihn verstohlen, ganz schüchtern anzublicken; aber sie blieb immer traurig; wenn sie mit leiser Stimme irgend ein nationales Lied sang, geschah das in so melancholischer Weise, daß mir ganz eigenthümlich zu Muthe wurde.«
»Eines Tages war ich Zeuge eines Auftritts, den ich nie vergessen werde. Ich kam zufällig an ihrem Fenster[28] vorüber. Dasselbe war offen; ich blieb stehen und blickte hinein. Bela saß auf einem Schemel, das Haupt auf die Brust gesenkt; Petschorin stand vor ihr.«
»Höre, meine Peri; da du früher oder später doch einmal die Meine werden mußt – warum willst du mich da so quälen? Liebst du vielleicht einen Tscherkessen? In dem Fall gebe ich dir augenblicklich die Freiheit.«
Sie fuhr kaum merklich zusammen und schüttelte den Kopf.
»Oder,« fuhr er fort, »hast du vielleicht eine unüberwindliche Abneigung gegen mich?«
Sie seufzte.
»Oder verbietet dir etwa deine Religion, mich zu lieben?«
Sie erblaßte und bewahrte Schweigen.
»Glaube mir, Allah ist der gemeinsame Gott für alle menschlichen Wesen, und wenn er mir erlaubt, dich so feurig zu lieben, warum sollte er dir verbieten, mir deine Gegenliebe zu schenken?«
Da schaute sie ihm, wie betroffen von diesem neuen Gedanken, unverwandt ins Gesicht; und in ihren Augen stand es zu lesen: sie schwankte zwischen dem Zweifel und dem Verlangen, besiegt zu werden. Welche Augen! Sie funkelten wie glühende Kohlen.
»Ich bitte dich, meine theure, süße Bela,« fuhr Petschorin fort; »du siehst, wie ich dich liebe. Ich bin bereit, Alles zu thun, was du verlangst, um dir deine Heiterkeit wiederzugeben. Ich will, daß du glücklich seist, und wenn du dich abermals deiner Traurigkeit hingibst, es wird mein Tod sein! Sage mir, willst du von jetzt an heiterer sein?«
Sie fuhr fort, ihn anzusehen mit ihren schwarzen Augen, träumerisch, stumm; aber dann irrte ein freundliches Lächeln über ihre Lippen und eine Bewegung ihres Hauptes deutete an, daß sie einwilligte.
Da ergriff er ihre Hand und bat sie um einen Kuß.[29] Sie sträubte sich schwach, indem sie sagte: »Nein, nein, das ist nicht nöthig.«
Er fuhr fort, in sie zu dringen, – da begann sie zu zittern und brach in Thränen aus:
»Ich bin deine Gefangene, deine Sklavin,« sprach sie; »du kannst natürlich mit mir machen was du willst,« – und von neuem flossen ihre Thränen.
Da schlug sich Petschorin heftig vor die Stirn und stürzte in das andere Zimmer.
Ich ging zu ihm. Er schritt, die Arme über die Brust gekreuzt, mit großen Schritten im Zimmer auf und ab.
»Aber, mein Lieber,« sagte ich zu ihm, »was bedeutet denn das?«
»Das ist kein Weib, sondern ein Dämon,« antwortete er. »Aber ich gebe Ihnen mein Wort, sie wird die Meine werden ...«
Ich schüttelte den Kopf.
»Jawol,« versetzte er; »und zwar, ehe acht Tage verflossen sind. Wollen Sie darauf eine Wette mit mir eingehen, ja, – ja?«
Ich reichte ihm die Hand und entfernte mich.
Am folgenden Tage schickte er einen Boten nach Kislar, um sich eine Menge kostbarer Gegenstände holen zu lassen. Es waren persische Stoffe, der eine schöner und kostbarer als der andere.
»Was halten Sie davon, Maxim Maximitsch,« sprach Petschorin zu mir, indem er diese Geschenke vor mir ausbreitete; »glauben Sie, daß eine asiatische Schönheit einer solchen Batterie widerstehen könne?«
»Sie kennen die Tscherkessinnen nicht,« antwortete ich ihm. »Sie sind ganz anders als die Georgierinnen und die Tatarenfrauen jenseit des Kaukasus, – ganz anders! Sie haben ihre eigenen Grundsätze und sind anders erzogen.«
Petschorin lächelte und begann einen Marsch zu pfeifen.
Aber der Erfolg bewies, daß ich Recht gehabt: die Geschenke[30] machten nur einen schwachen Eindruck. Sie zeigte sich vertrauensvoller, weniger wild – das war aber auch Alles.
Petschorin beschloß, ein letztes Mittel zu ergreifen.
Eines Morgens ließ er sein Pferd satteln, kleidete sich nach Tscherkessenart, nahm seine Waffen und begab sich zu ihr.
»Bela,« sagte er, »du weißt, wie ich dich liebe. Ich habe dich entführt in der Hoffnung, du würdest, wenn du mich kennen gelernt, meine Liebe erwiedern. Ich habe mich getäuscht. Lebe wohl! Alles, was hier ist, bleibt dein, und du kannst, sobald du willst, zu deinem Vater zurückkehren, – du bist frei. Ich bin ein Verbrecher in deinen Augen und muß mich bestrafen. Lebe wohl, ich gehe fort – wohin, das weiß ich nicht! Vielleicht habe ich bald das Glück, daß mich eine Kugel ereilt oder die Schaschka mich trifft; dann denk' an mich und verzeihe mir.«
Damit wandte er sich ab und reichte ihr zum Abschiede die Hand. Sie nahm die Hand nicht an und bewahrte Schweigen. Ich beobachtete sie durch die halbgeöffnete Thür; und mir wurde ganz beklommen zu Muthe – eine solche tödtliche Blässe bedeckte ihr schönes Antlitz!
Da er keine Antwort erhielt, that er einige Schritt nach der Thür zu; er zitterte, – und ich glaube, in diesem Augenblick war er fähig, den Plan wirklich auszuführen, den er ursprünglich nur zum Scherz ersonnen hatte. Ein so eigenthümlicher Mensch war er! Aber kaum hatte er die Thür berührt, als sie aufsprang und sich schluchzend in seine Arme warf.
»Können Sie mir's glauben, ich mußte ebenfalls weinen – das heißt, wissen Sie, wenn ich sage weinen – kurz – eine Kinderei!«
Der Hauptmann verstummte einen Augenblick.
»Ja, ich muß gestehen,« fuhr er dann fort und zupfte sich den Schnurrbart, »ich bedauerte, daß mich niemals ein Weib so geliebt hatte.«[31]
»Und war ihr Glück von langer Dauer?« fragte ich.
»Ja. Bela gestand uns, daß sie seit dem Tage, wo sie Petschorin im Hause ihres Vaters gesehen, oft von ihm geträumt und daß nie ein Mann einen so heftigen Eindruck auf sie gemacht habe. Ja, sie waren glücklich.«
»Welche Enttäuschung!« rief ich unwillkürlich aus. »In der That, ich hatte eine tragische Lösung erwartet – und da bin ich ganz unversehens in meiner Hoffnung getäuscht worden! ...«
»Aber,« fuhr ich dann laut fort, »erfuhr ihr Vater denn nie, daß sich seine Tochter bei Ihnen im Fort befand?«
»Es scheint, daß er einen solchen Verdacht hatte, aber er hatte nicht Zeit, sich Gewißheit zu verschaffen; denn wenige Tage später erfuhren wir, daß er getödtet worden sei. Und zwar in folgender Weise ...«
Mein Interesse war von Neuem erregt.
»Ich glaube, Kasbitsch hatte den alten Fürsten im Verdacht, Asamat habe ihm mit seiner Einwilligung das Pferd gestohlen; wenigstens erkläre ich mir die Sache so. Eines Tages erwartete er ihn drei Werst vom Aul, um seine Rache auszuführen. Der Greis kehrte von einem seiner vergeblichen Streifzüge zurück, die er unternommen, um seine Tochter wiederzufinden. Es war in der ersten Dämmerung; seine Begleiter waren ein wenig hinter ihm zurückgeblieben; traurig und in Gedanken verloren ritt er im Schritt des Weges daher, als plötzlich Kasbitsch wie eine Katze aus dem Gebüsch hervorstürzt, hinter den Fürsten auf das Pferd springt, ihm einen Dolchstoß versetzt, ihn zur Erde stürzt und auf seinem Pferde entflieht. Einige Eingeborene, die von einem Hügel aus Alles gesehen, verfolgen ihn, aber es war nicht möglich, ihn einzuholen.«
»So entschädigte und rächte er sich für den Verlust seines Pferdes,« sagte ich zu meinem Begleiter, um ihn anzuspornen, seine Erzählung fortzusetzen.
»Allerdings befand er sich vollständig im Rechte, wenn[32] man die Sache von ihrem Gesichtspunkte betrachtet,« sprach der Hauptmann.
Diese Antwort frappirte mich unwillkürlich. Ich mußte an die Fähigkeit des Russen denken, sich die Sitten und Gewohnheiten derjenigen Völker anzueignen, unter welchen er zufällig lebt. Ich weiß nicht, ob diese Eigenthümlichkeit Lob oder Tadel verdient – aber beweist sie nicht eine merkwürdige Schmiegsamkeit des Charakters und eine klare, gerechte Würdigung der Dinge, welche ihn das Böse überall da entschuldigen läßt, wo es weder vermieden, noch ausgerottet werden kann?
Mittlerweile hatten wir unsern Thee ausgetrunken. Unsere Pferde waren längst angespannt und zitterten im Schnee. Der Mond verblaßte im Westen und war bereits im Begriff, in den schwarzen Wolken zu verschwinden, die über den fernen Bergkämmen hingen wie die Fetzen eines zerrissenen Vorhanges. Wir verließen unsere Hütte. Trotz der Prophezeiung meines Reisegefährten klärte das Wetter sich auf und versprach uns einen schönen Morgen. Die am fernen Horizont in verschiedenen Gruppen schimmernden Sterne erloschen einer nach dem andern in dem Maß, als ein blasser Lichtschein sich vom Osten her über das dunkelblaue Himmelsgewölbe verbreitete und nach und nach den jungfräulichen Schnee der Berge beleuchtete. Zur Rechten und zur Linken thaten sich schwarze geheimnißvolle Abgründe auf, und die über sie hinrollenden Nebelwolken theilten sich und zogen wie riesige Schlangen an den Felsenrissen entlang, als hätten sie erkannt, daß der Tag im Anzuge war, und wollten sich vor ihm verstecken.
Auf der Erde wie in der Luft herrschte tiefes Schweigen, wie im Herzen des Menschen in dem Augenblick, wo er sich seinem stillen Morgengebet hingibt. Nur von Zeit zu Zeit blies ein frischer Luftzug von Osten her und erhob die vom Nachtfrost erstarrten Mähnen unserer Pferde.
Wir machten uns auf den Weg. Nur mit Mühe zogen[33] fünf erbärmliche Klepper unsern Wagen auf dem vielfach sich windenden Wege, der nach Gut-Gora führt.
Wir folgten zu Fuße, und jedes Mal, wenn die Pferde ermüdet stehen blieben, um zu verschnaufen, legten wir Steine unter die Räder.
Man hätte meinen sollen, unser Weg führe direct in den Himmel, – denn Alles, was wir vor uns sahen, führte noch immer bergan und endete in einer Wolke, welche seit dem vorhergehenden Abend über der Bergspitze schwebte wie ein Geier, der seine Beute erspäht.
Der Schnee knirschte unter unsern Füßen. Die Luft hatte sich so sehr verdünnt, daß ich nur mit Mühe zu athmen vermochte, und das Blut mir jeden Augenblick nach dem Kopfe stieg. Und doch empfand ich ein unerklärliches behagliches Gefühl in allen meinen Gliedern und mir war ganz froh zu Muthe, daß ich mich so hoch über der gemeinen Welt befand; – ein kindisches Gefühl, ich gebe es zu; aber wenn man sich aus den gesellschaftlichen Schlingen befreit, um sich der Natur zu nähern, wird man unwillkürlich wieder ein Kind. Die Seele läßt Alles fahren, was künstlich ist, und sie ist bestrebt, sich zu verjüngen und wieder so zu werden, wie sie ohne Zweifel einst wieder sein wird. Wer wie ich das Glück gehabt, auf einsamen Bergen umherzuirren, sie in allen ihren wunderbaren Formen lange zu betrachten, und die reine, belebende Luft ihrer tiefen Schluchten zu athmen, der wird ohne Mühe begreifen, daß ich das Bedürfniß fühle, diese Empfindungen zu schildern, diese großartigen Bilder zu beschreiben.
Endlich haben wir die Spitze der Gut-Gora erreicht. Wir machen Halt und blicken uns um. Eine graue Wolke hing über dem Berge, und ihr kalter Athem verkündete einen nahen Sturm. Aber im Osten war Alles so hell und goldig schimmernd, daß wir, das heißt der Hauptmann und ich, die Wolke und ihre Drohungen vollständig vergaßen ...[34]
Ja, auch der Hauptmann bewunderte dieses Schauspiel: einfache Herzen haben ein weit lebhafteres und mächtigeres Gefühl für die schönen, großen Naturbilder als wir, die wir über Bücher und Worte in Begeisterung gerathen.
»Sie,« sagte ich zu meinem Begleiter, »müssen an solche großartige Naturbilder gewöhnt sein.«
»Ja,« versetzte er, »man gewöhnt sich auch an das Pfeifen der Kugel, – wie man sich daran gewöhnt, die unwillkürlichen Regungen des Herzens zu beherrschen.«
»Man sagt jedoch, daß für manchen alten Krieger eine solche Musik sogar etwas Angenehmes sei.«
»Etwas Angenehmes ... wenn Sie wollen, ja ... aber in dem Sinne, daß dann das Herz lebhafter schlägt als gewöhnlich ... Aber sehen Sie doch,« setzte er, nach dem Osten zeigend, hinzu; »welch ein Land!«
Und in der That, dieses Panorama ist einzig in seiner Schönheit. Unter uns rollte sich das Koischauerthal auf, von der Aragua wie von zwei Silberfäden durchschnitten. Zu beiden Seiten dieses Thals wogte ein bläulicher Nebel, welcher vor den warmen Strahlen des Morgens zerfloß und in benachbarte Schluchten flüchtete. Zur Rechten wie zur Linken erhoben sich amphitheatralisch schneebedeckte oder mit Waldungen bestandene Berge; in der Ferne eben solche Berge, aber sie waren aus der Perspective einander ganz gleich und sahen aus wie Felsen. Und über diesen luftigen Bergkämmen, über diesen Schneemassen glänzte ein so reiner, so heiterer Purpurglanz, daß es Einem bedünkte, hier könnte man ewig leben. Die Sonne begann gerade hinter den bläulichen Bergen zu erscheinen, die nur ein geübtes Auge von den Dunstwolken zu unterscheiden vermochte. Aber über der Sonne zog sich ein rother Streifen hin, – und auf diesen lenkte mein Begleiter meine besondere Aufmerksamkeit.
»Habe ich es Ihnen nicht gesagt,« sprach er, »daß wir[35] heut Sturmwetter bekommen würden? Wir müssen uns beeilen, wenn es uns nicht auf dem Krestowoy überraschen soll. Vorwärts!« rief er den Führern zu; »sputet euch!«
Die Räder wurden gespeicht, nicht mit Hemmschuhen, sondern mit Ketten; die Kutscher nahmen die Pferde bei den Zügeln und das Herabsteigen begann. Zur Rechten war der Weg von einer steilen Felswand eingefaßt; zur Linken befand sich ein so tiefer Abgrund, daß ein ganzes Ossetendorf unten in einer Seitenschlucht sich ausnahm wie ein Schwalbennest. Ich schauderte bei dem Gedanken, daß diesen Weg, auf welchem keine zwei Wagen neben einander fahren können, der Regierungscourier oft in der finstersten Nacht passiren muß, ohne auch nur von seinem gebrechlichen Gefährt herunterzusteigen.
Der eine unserer Kutscher war ein russischer Bauer aus der Gegend von Jaroslaff; der andere ein Ossete. Dieser Letztere hatte die Vorderpferde abgespannt und führte die Gabelpferde mit der größten Vorsicht am Zügel, – unser sorglose Russe dagegen hatte nicht einmal seinen Sitz verlassen! Als ich ihn darauf aufmerksam machte, daß ein wenig mehr Eifer und Vorsicht nichts schaden könnte, und wär's auch nur wegen meines Koffers, welchen in diesem Abgrunde aufzusuchen ich durchaus keine Lust verspüre, da antwortete er mir:
»Beunruhigen Sie sich nicht, Herr! Mit Gottes Hilfe werden wir ebenfalls ankommen; wir sind ja nicht die Ersten, welche diesen Weg befahren.«
Er hatte Recht; mit Gottes Hilfe kamen wir an. Aber wir hätten auch nicht ankommen können ... Und wenn die Menschen nur darüber nachdenken wollten, so würden sie erkennen, daß das Leben nicht so viel werth ist, um sich wegen seiner Erhaltung so viel Mühe zu machen ... Aber vielleicht wünscht der Leser das Ende von Bela's Geschichte zu erfahren? – Da muß ich ihn zunächst darauf aufmerksam machen, daß ich nicht eine Novelle, sondern Reisebilder[36] schreibe, und daß ich folglich die Erzählung des Hauptmanns nicht eher fortsetzen kann, als bis es ihm selbst beliebt, sie fortzusetzen. Geduldigt Euch daher noch ein wenig, oder wenn Ihr das nicht könnt, überschlagt einige Seiten; doch möchte ich Euch nicht dazu rathen, denn der Weg über den Krestowoy oder den Mont St. Christophe, wie ihn der gelehrte Gamba nennt, ist wirklich Eurer Beachtung würdig.
Von dem Gut-Gora sind wir in das Teufelsthal hinabgelangt ... Welch ein romantischer Name! Stellt Ihr Euch bei diesem Namen nicht sofort einen Schlupfwinkel des höllischen Geistes vor, der von schrecklichen, unzugänglichen Felsen umgeben ist? Aber nichts von alledem. Der Name Tschertowaja Dolina (Teufelsthal) kommt nicht von Tschert (Teufel), sondern von Tscherta (Linie), denn hier befindet sich die Grenzlinie von Georgien.
Dieses mit Schnee angefüllte Thal erinnerte mich ziemlich lebhaft an Saratoff, Tamboff und andere »schöne« Gegenden unseres Vaterlandes.
»Da ist der Krestowoy!« rief mir, als wir in das Teufelsthal gelangt waren, der Hauptmann zu, indem er auf einen schneebedeckten Hügel zeigte, auf welchem ein schwarzes steinernes Kreuz stand.
Um diesen Hügel zieht sich ein Weg, den man kaum bemerkt, und der nur dann benutzt wird, wenn die gewöhnliche Straße durch Schneemassen versperrt ist.
Unsere Kutscher erklärten, daß noch keine Lawinen gefallen seien; und um unsere Pferde zu schonen, schlugen wir die Straße ein, welche in Folge vieler Zickzackbewegungen weniger steil war.
In einiger Entfernung begegneten uns fünf Osseten, die uns ihre Dienste anboten, und welche, indem sie sich an die Räder legten, unter Geschrei unsere Wagen bald zurückzuhalten, bald vorwärtszuschieben begannen.
Die Straße war hier wirklich gefahrvoll: Rechts hingen[37] über unseren Köpfen ungeheuere Schneemassen, im Begriff, wie es schien, bei dem geringsten Windstoß herab in den Abgrund zu rollen; der schmale Weg selbst war mit einem Schnee bedeckt, in welchen wir hier bis an die Knie einsanken, und der sich an anderen Stellen in Folge der Sonnenstrahlen und des nächtlichen Frostes in Glatteis verwandelt hatte, so daß wir nur mit der größten Mühe vorwärts kamen.
Unsere Pferde strauchelten und fielen jeden Augenblick. Zu unserer Linken that sich eine tiefe Schlucht auf, durch welche ein Waldstrom stürzte, der sich bald unter einer Eisdecke versteckte, bald über finstere Felsblöcke hinschoß.
Nach zwei Stunden waren wir endlich um den Krestowoy, also ein Weg von einer halben Stunde in zwei Stunden!
Inzwischen hatten die Wolken sich immer mehr gesenkt und sandten nun Schnee und Schloßen auf uns herab, und in dem Abgrunde heulte der Wind wie die Pfeife jenes russischen Räubers, von dem die Volkssage behauptet, sie ertöne von einem Ende des Reiches bis zum andern.
Bald war das steinerne Kreuz auf dem Krestowoy von Wolken eingehüllt, welche, eine immer finsterer als die andere, gleich Wogen von Osten her heranströmten ... Bezüglich dieses Kreuzes behauptet eine seltsame, aber allgemein verbreitete Sage, es sei von Peter I. errichtet worden, als er bis in den Kaukasus vorgedrungen sei. Aber erstens ist Peter niemals jenseit des Dagestan gekommen, und dann belehrt uns eine Inschrift in großen Buchstaben, daß es im Jahre 1824 auf Jermoloffs Befehl errichtet worden ist. Aber die Sage ist trotz dieser Aufschrift so tief in das Bewußtsein des Volkes eingedrungen, daß man in der That nicht mehr weiß, wem man Glauben schenken soll – um so mehr, da die Inschriften nicht immer sichere Zeugnisse sind.
Um die Station Kobi zu erreichen, mußten wir noch einen Weg von fünf Werst zurücklegen, – immer bergab,[38] und auf einer felsigen Straße, wo wir bald tief in den Schnee einsanken, bald auf dem Glatteis ausglitten. Unsere Pferde waren ganz ermattet, und wir starr vor Kälte. Der Schneesturm ward mit jedem Augenblick heftiger – ganz wie in unserm nordischen Vaterlande; nur daß sein Heulen noch trauriger und melancholischer klang.
»Armer verbannter Wind,« dachte ich; »du trauerst um deine fernen weiten Steppen! Dort kannst du frei deine kalten Schwingen entfalten, hier bist du beengt, zusammengepreßt und seufzest wie ein gefangener Adler, der mit seinem Schnabel schreiend gegen die eisernen Stangen seines Käfigs schlägt.«
»Das läßt sich übel an,« rief der Hauptmann. »Sehen Sie nur, ringsumher nichts als Nebel und Schnee; und so bleibt uns nur die angenehme Aussicht, entweder in den Abgrund hinunterzurutschen, oder hier an Ort und Stelle zu bleiben; zudem ist dort unten der Baidar so sehr angeschwollen, daß wir unmöglich hinüber können. Ist mir das ein Land, dieses Asien! Wie die Menschen, so die Flüsse – weder dem einen, noch dem andern kann man trauen.«
Unsere Kutscher indeß spornten durch Schreien und Fluchen die Pferde an, welche trotz der beredten Sprache der Peitschen um keinen Preis mehr von der Stelle wollten.
»Sehen Sie, Herr,« sprach endlich einer dieser Leute, »heute können wir nicht mehr bis Kobi kommen; wollen Sie, daß wir ein wenig rechts abbiegen? Da drüben auf dem Hügel ist ein schwarzer Punkt – vermuthlich sind das Hütten, wo die Reisenden bei Sturm und Wetter Schutz suchen. Die Osseten versprechen uns hinzuführen, wenn wir ihnen ein Trinkgeld geben.«
»Das kenne ich, Freundchen!« sprach der Hauptmann. »So ist dies Gesindel! Um ein Stück Geld für Branntwein zu verdienen, lassen sie sich zerreißen.«
»Aber Sie müssen doch gestehen,« sagte ich, »daß ihre Hilfe uns von großem Nutzen gewesen ist.«[39]
»Schön, schön,« murmelte er. »Ich kenne sie, diese Helfer! Sie wissen die Gelegenheit auszuwittern, wo es etwas zu erhaschen gibt: Als ob man ohne sie den Weg nicht finden könnte!«
Nach diesem Ausspruch wandten wir uns nach links und gelangten nach vielfachen Hindernissen und Mühen zu einer erbärmlichen Nachtherberge, bestehend aus zwei Hütten, welche roh aus Feldsteinen erbaut waren und die eine Mauer von demselben Material umgab.
Die zerlumpten Bewohner dieser Hütten nahmen uns herzlich auf. Ich erfuhr später, daß die Regierung ihnen Geld und Lebensmittel gibt unter der Bedingung, daß sie die Reisenden beherbergen, welche das Unwetter nöthigt, Zuflucht bei ihnen zu suchen.
»Hier fehlt uns ja nichts,« sagte ich zu dem Hauptmann, indem ich mich ans Feuer setzte. »Jetzt können Sie mir Bela's Geschichte zu Ende erzählen; denn ich bin überzeugt, daß sie noch nicht aus ist.«
»Und warum haben Sie diese Ueberzeugung?« versetzte der Hauptmann mit einem feinen Lächeln.
»Weil es nicht in der Ordnung der Dinge ist: was in so seltsamer Weise begonnen hat, muß auch ebenso enden.«
»Sie haben richtig gerathen ...«
»Das freut mich.«
»Diese Freude wird Ihnen Niemand verkümmern – aber was mich betrifft, ich kann mich einer gewissen Traurigkeit nicht erwehren, wenn ich daran denke. Es war ein herrliches Mädchen, diese Bela. Ich war bald so weit, daß ich sie liebte wie meine Tochter, und auch sie hegte eine große Zuneigung zu mir. Ich muß Ihnen hier bemerken, daß ich keine Familie habe; von meinem Vater und meiner Mutter habe ich schon seit zwölf Jahren keine Nachricht, und mir das Herz einer Frau zu gewinnen, daran habe ich nicht früh genug gedacht, – und jetzt, wissen Sie, kann bei mir vom Heirathen nicht mehr die Rede[40] sein; eben darum war es mir so angenehm, daß ich Jemand gefunden, den ich verhätscheln konnte.
Sie sang uns bald die Lieder ihres Volkes vor, bald tanzte sie die Leszinka ... Ha, und wie sie tanzte! Ich habe unsere Stutzer vom Lande gesehen, ich bin auch einmal zu Moskau – vor nun bereits zwanzig Jahren – auf einem großen Adelsball gewesen. Aber welch ein Unterschied! Wie Tag und Nacht!
Petschorin zierte und schmückte sie wie eine Puppe und sie wurde mit jedem Tage schöner, – ja, wunderbar schön wurde sie! Das Braun ihres Gesichts und ihrer Hände verlor sich, und ein lebhaftes Roth färbte ihre Wangen ... Und dabei war sie so heiter, trieb so manchen Possen mit mir ... Das arme Kind, Gott verzeih' ihr.«
»Aber was geschah, als sie von dem Tode ihres Vaters hörte?«
»Wir verheimlichten ihr denselben lange Zeit, damit sie sich erst an ihre neue Lage gewöhne; als wir ihr denselben dann mittheilten, weinte sie zwei Tage um den Vater und vergaß ihn dann.«
Vier Monate ging Alles herrlich. Ich glaube, ich habe Ihnen schon gesagt, daß Petschorin ein leidenschaftlicher Jäger war. Unter andern Umständen hätte er alle Wälder abgestreift, um einen Eber oder ein Reh aufzutreiben, – aber jetzt ging er über die Wälle des Forts gar nicht mehr hinaus. Allein eines Tages bemerkte ich, daß er wieder traurig und melancholisch wurde; er schritt wieder, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, in seinem Zimmer auf und nieder, und dann kehrte er plötzlich eines Tages, ohne Jemand etwas zu sagen, in den Wald zurück und blieb fast den ganzen Morgen abwesend. Das wiederholte sich von Zeit zu Zeit, und zwar immer öfter ...
Das ist ein böses Zeichen, dachte ich bei mir; da hat sich ohne Zweifel eine schwarze Wolke zwischen ihnen erhoben.[41]
Eines Morgens begebe ich mich in ihre Wohnung – mir ist, als wär's gestern gewesen. Bela saß auf ihrem Bett, angethan mit ihrem schwarzseidenen Beschmet, und so bleich und so traurig, daß ich ganz erschreckt wurde.
»Wo ist denn Petschorin?« fragte ich.
»Auf der Jagd.«
»Ist er heut' fortgegangen?«
Sie schwieg, als wäre es ihr zu peinlich, mir die Ursache ihres Kummers mitzutheilen.
»Nein,« sprach sie endlich mit einem tiefen Seufzer, »er ist schon seit gestern Abend fort.«
»Sollte ihm denn ein Unfall begegnet sein?«
»Gestern Abend,« fuhr sie unter Thränen fort, »stellte ich mir die traurigsten Dinge vor. Bald sah ich ihn von einem wilden Eber zerrissen, bald von einem Tschetschenzen als Gefangenen in die Berge geschleppt ... Und heute quält mich der Gedanke, er liebe mich nicht mehr.«
»In der That, mein liebes Kind, das wäre von Allem, was du dir denken kannst, das Schlimmste!«
Sie begann von neuem zu weinen; dann erhob sie stolz das Haupt, trocknete ihre Thränen und fuhr fort:
»Wenn er mich nicht mehr liebt, was hindert ihn dann, mich in meinen Aul zurückzuschicken? Ich will ihm nicht im Wege stehen. Wenn das so fortgeht, entferne ich mich von selbst. Ich bin nicht seine Sklavin – ich bin eine Fürstentochter!«
Ich versuchte, ihr Vernunft einzureden und sagte daher zu ihr:
»Aber bedenke doch, liebe Bela, daß er nicht ewig hier bei dir bleiben kann, als wäre er an deine Kleider genäht. Er ist jung; die Jagd macht ihm Vergnügen; und geht er, so geschieht's, um wiederzukommen; aber wenn du dich so betrübst, wirst du ihn bald langweilen.«
»Das ist wahr, das ist wahr!« antwortete sie; »ich will heiter sein!«[42]
Und lachend ergriff sie ihr Tamburin und begann zu singen, zu tanzen und um mich herumzuspringen. Aber dieser Freudenausdruck war nicht von langer Dauer; sie fiel auf ihr Bett zurück und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
Ich wußte nicht, was ich mit ihr anfangen sollte. Ich hab's überhaupt nie verstanden, mit den Weibern umzugehen. Ich sann hin und her und suchte ein Mittel, sie zu trösten; aber nichts wollte mir in den Sinn kommen. Eine Zeit lang saßen wir schweigend bei einander ... Eine höchst unangenehme, fast lächerliche Situation! Endlich sagte ich zu ihr:
»Das Wetter ist sehr schön; willst du mit mir auf den Wällen spazieren gehen?«
Es war im September, und in der That ein herrlicher Tag. Die Temperatur war weder zu frisch noch zu heiß, und all die Wälder ringsum nahmen sich aus, als wären sie auf Porzellan gemalt. Schweigend schlenderten wir auf den Wällen umher; dann setzte sie sich auf den Rasen, und ich setzte mich neben sie ins Gras. Ja, wahrhaftig, es war lächerlich anzusehen, wie ich ihr so auf Schritt und Tritt nachlief wie eine Wärterin.
Unser Fort lag auf einer Anhöhe und von seinen Wällen aus hatte man eine prachtvolle Aussicht. Von der einen Seite dehnte sich eine große, nur von einigen Schluchten zerrissene Ebene bis zum Fuße eines Berges aus, der bis zum Gipfel mit dichtem Holz bestanden war; da und dort gewahrte man Heerden von Pferden und den Rauch der Tscherkessendörfer.
An der andern Seite schlängelte sich ein kleiner Fluß durch die Landschaft, und in diesem Flüßchen spiegelten sich die Gebüsche, welche die felsigen Anhöhen bis zu dem Punkte bedecken, wo sie sich mit der Hauptkette des Kaukasus vereinen.
Wir saßen an einer Ecke der Bastion, so daß wir fast[43] Alles überschauen konnten. Plötzlich sehe ich Jemand auf einem grauen Pferde aus dem Walde herausreiten; er kommt uns immer näher und macht dann endlich an der andern Seite des Flusses etwa zweihundert Schritt von uns Halt. Und nun begann er sein Pferd zu drehen und zu wenden wie ein Verrückter. Ein merkwürdiges Schauspiel!
»Schau' doch 'mal, Bela!« sagte ich; »deine Augen sind noch jünger als die meinen. Wer zum Teufel ist das, und womit amüsirt sich der Mensch?«
»Sie blickte nach der angedeuteten Richtung und rief aus: das ist Kasbitsch.«
»Ah, der Taugenichts! Kommt der hierher, um sich über uns lustig zu machen?«
Ich blicke aufmerksamer hin – in der That, es war Kasbitsch mit seinem braunen Gesicht und seinen wie immer zerrissenen Kleidern.
»Das ist das Pferd meines Vaters,« sprach Bela und ergriff meine Hand. Sie zitterte wie Espenlaub und ihre Augen funkelten.
Aha, dachte ich, auch du, mein Täubchen, hast Räuberblut in den Adern.
»Komm' einmal hierher,« sagte ich zur Schildwache. »Nimm dein Gewehr und blase mir mal den Burschen da drüben über den Haufen, – du bekommst einen Silberrubel, wenn du ihn triffst.«
»Zu Befehl, Herr Hauptmann ... Wenn er sich nur nicht unaufhörlich im Kreise drehte.«
»Na, so sag' ihm, er sollte einen Augenblick stehen bleiben!« sprach ich lachend.
»Heda, Freund,« rief die Wache und winkte mit der Hand; »halt' einmal still; was hast du dich denn in einem fort wie ein Kreisel zu drehen?«
Kasbitsch blieb in der That stehen und horchte auf, da er vermuthlich glaubte, man habe ihm etwas zu sagen. Mein Grenadier nimmt ihn aufs Korn, es knallt ... gehorsamer[44] Diener! In demselben Augenblick gibt Kasbitsch seinem Pferde die Sporen und läßt es einen Seitensprung machen. Dann richtet er sich hoch im Sattel auf, macht uns nach seiner Weise einige Complimente, droht mit der Peitsche – und fort ist er.
»Schämst du dich nicht!« sagte ich zur Schildwache.
»Herr Hauptmann,« versetzte der Soldat, »er war dem Tode sehr nahe. Aber diese Menschen sind behext. Mit einem Schusse kann man es ihnen gar nicht anthun.«
Eine Viertelstunde später kehrte Petschorin von der Jagd zurück. Bela warf sich ihm in die Arme, ohne wegen seiner langen Abwesenheit eine einzige Klage, einen einzigen Vorwurf zu äußern ... Was mich betrifft, ich war ganz böse auf ihn.
»Hören Sie,« sprach ich zu ihm, »soeben war Kasbitsch an der andern Seite des Flüßchens, und wir haben auf ihn geschossen, – Sie hätten ihm begegnen können! Diese Bergbewohner sind ein rachsüchtiges Volk. Glauben Sie, er wisse nicht, daß Sie dem Asamat bei dem Pferdediebstahl geholfen haben? Und ich fürchte, daß er heut Bela erkannt hat. Ich weiß, daß sie ihm vor einem Jahre sehr gefiel, – er selbst hat mir's gesagt, – und wenn er ein anständiges Brautgeld hätte zusammenbringen können, würde er sie wahrscheinlich geheirathet haben ...«
Da wurde Petschorin nachdenklich.
»Ja,« versetzte er, »wir müssen vorsichtiger sein ... Bela, von heut' an gehst du nicht mehr auf den Wällen spazieren.«
Am Abend hatte ich mit ihm eine lange Auseinandersetzung. Es that mir leid, daß er so ganz anders geworden gegen das arme Mädchen. Nicht blos, daß er die Hälfte seiner Zeit auf der Jagd zubrachte, – sein Benehmen gegen sie, wenn er zurückkehrte, war so kalt, so gleichgiltig! Nur selten liebkoste er sie, sie verging zusehends,[45] ihr schönes Gesicht verlängerte sich, ihre großen Augen wurden trübe.
»Warum seufzest und weinst du denn, Bela?« pflegte ich sie manchmal zu fragen. »Hast du irgend einen Kummer?«
»Nein!«
»Wünschest du dir irgend etwas Besonderes?«
»Nein!«
»Trauerst du um deine Eltern?«
»Ich habe keine Eltern mehr.«
So erhielt man oft tagelang nur ja und nein oder ganz einsilbige Antworten.
Als ich hierüber mit Petschorin sprach, sagte er zu mir:
»Maxim Maximitsch, ich habe einen unglücklichen Charakter. Ob ich so durch Erziehung geworden oder ob Gott mich so geschaffen hat, – ich weiß es nicht. Aber das weiß ich, daß, wenn ich Anderen Unglück bringe, ich selbst noch viel unglücklicher bin. Das ist ein trauriger Trost für sie, werden Sie mir sagen. Freilich, aber es ist so. Noch ganz jung und kaum der Aufsicht meiner Verwandten entschlüpft, warf ich mich begierig allen Vergnügungen und Genüssen in die Arme, die für Geld zu haben sind, – und natürlich flößten mir diese Genüsse bald nichts als Widerwillen ein. Dann betrat ich die große Welt, aber bald empfand ich in der vornehmen Gesellschaft ebenfalls nur Langeweile. Ich verliebte mich in elegante junge Schönheiten. Ich wurde geliebt; aber dieses eitle Liebesgetändel erregte nur meine Phantasie und meine Eigenliebe; das Herz ging leer dabei aus ... Ich gab mich den Studien hin – auch der Wissenschaft ward ich überdrüssig. Ich erkannte, daß weder der Ruhm noch das Glück von der Wissenschaft abhängt; denn die glücklichsten Menschen sind die unwissendsten; und Ruhm – Ruhm erlangen diejenigen, welche geschickt sind.
Es erfaßte mich eine tödtliche Langeweile ... Da erhielt[46] ich den Befehl, mich nach dem Kaukasus zu begeben: das war die glücklichste Zeit meines Lebens. Ich hoffte, daß die Kugeln der Tscherkessen mir die Langeweile vertreiben würden, – neue Täuschung! Vier Wochen nach meiner Ankunft in diesem Lande war ich so sehr an das Pfeifen der Kugeln und die Nähe des Todes gewöhnt, daß ich in der That weniger darauf achtete, als auf das Summen der Moskitos, und ich war gelangweilter denn je, weil ich fast meine letzte Hoffnung verloren hatte.
Als ich Bela zum ersten Mal im Hause ihres Vaters erblickte, als ich sie zum ersten Mal auf meinen Knieen hielt und ihre schwarzen Locken küßte, da glaubte ich in meiner Thorheit, sie sei ein Engel, den das mitleidige Schicksal mir gesandt habe ... Ich hatte mich abermals geirrt. Die Liebe einer kleinen Wilden ist kaum besser als die einer vornehmen Weltdame. Der Unwissenheit und Einfalt der Einen wird man eben so überdrüssig als der Koketterie der Andern.
Nicht als ob ich Bela nicht mehr liebte. Ich verdanke ihr manche süße Augenblicke und würde mein Leben für sie hingeben, – aber ich langweile mich in ihrer Gegenwart ... Ist es Wahnsinn oder Schlechtigkeit von mir? Ich weiß es nicht; nur das steht fest, ich bin ebenfalls sehr bedauernswerth, vielleicht noch bedauernswerther als sie. Mein Innerstes ist durch die Welt verdorben, die Phantasie immer in Unruhe, das Herz unersättlich. Nichts befriedigt, nichts freut mich mehr. An den Schmerz habe ich mich eben so leicht gewöhnt wie an die Freude, und mit jedem Tage wird mein Leben immer leerer und inhaltsloser. Mir bleibt nur noch ein Heilmittel – das Reisen. Sobald es mir möglich ist, beginne ich zu wandern – aber nicht durch Europa, Gott behüte! Ich reise nach Amerika, Arabien oder Indien – vielleicht finde ich irgendwo unterwegs den Tod! Wenigstens darf ich hoffen, daß Dank den Stürmen und den schlechten Straßen die[47] Zerstreuungen, welche ich suche, sich nicht so bald erschöpfen werden.«
In diesem Tone redete er lange fort. Seine Worte sind mir im Gedächtniß geblieben, weil es zum ersten Mal war, daß ich derartige Dinge aus dem Munde eines fünfundzwanzigjährigen Mannes zu hören bekam. Wollte Gott, daß es auch das letzte Mal gewesen! ... Welch eine Sprache! »Aber bitte, sagen Sie mir doch,« fuhr der Hauptmann zu mir gewendet fort, »auch Sie haben, wie mir scheint, in der Hauptstadt gelebt, und zwar vor nicht langer Zeit, – sind denn wirklich unsere jungen Leute dort so?«
Ich antwortete ihm, daß es allerdings viele junge Leute gäbe, die eine solche Sprache führten, und daß allem Anschein nach mancher darunter sei, der keine erlogenen Gefühle zur Schau trüge; daß übrigens diese Ernüchterung eine Art Mode geworden, die wie alle Moden in den höchsten Klassen der Gesellschaft entstanden sei und sich von dort in niedrigere Regionen verbreitet habe, wo man sie übertreibe. Gegenwärtig suchten die meisten derer, welche in der That an dieser Krankheit litten, dieselbe wie ein Verbrechen zu verheimlichen.
Der Hauptmann begriff diese Feinheiten nicht, schüttelte den Kopf und sagte mit einem sarkastischen Lächeln:
»Haben nicht die Franzosen die Mode der Langeweile bei uns eingeführt?«
»Nein,« erwiderte ich, »die stammt von den Engländern.«
»Aha,« rief er aus; »das wundert mich nicht; die sind immer unverbesserliche Trunkenbolde gewesen.«
Dieser Ausfall erinnerte mich unwillkürlich an eine Moskauer Dame, welche behauptete, Byron sei weiter nichts als ein Trunkenbold. Uebrigens war die Bemerkung des Hauptmanns weit eher zu entschuldigen als die der Moskauer Dame; denn um sich in seinen Vorsätzen der Nüchternheit[48] zu bestärken, suchte er sich natürlich einzureden, alles Unglück dieser Welt rühre von der Trunksucht her.
Nach dieser Abschweifung fuhr er in seiner Erzählung folgendermaßen fort:
Kasbitsch zeigte sich nicht wieder, aber – ich weiß nicht warum, – ich konnte mich des Gedankens nicht entschlagen, daß er nicht umsonst sich dem Fort genähert, sondern irgend etwas Böses im Schilde führe.
Eines Tages bat mich Petschorin, ihn auf die Eberjagd zu begleiten. Lange sträubte ich mich; aber endlich gab ich wie immer nach.
Wir nahmen eine Escorte von fünf Soldaten und begaben uns früh Morgens auf den Weg. Bis zehn Uhr durchstreiften wir Wald und Sumpf – nicht eine Spur von Wild.
»Thäten wir nicht besser, zurückzukehren?« sagte ich.
»Wozu uns abmühen? Wir haben einmal einen unglücklichen Tag.«
Aber trotz Hitze und Müdigkeit wollte Petschorin ohne Wild nicht zurückkehren ... So war er. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, so mußte er auch seinen Willen haben; offenbar muß er in seiner Jugend schrecklich verzogen sein ... Endlich, gegen Mittag entdecken wir einen dieser verfluchten Eber: – paff, paff! ... ja wol, er entwischt uns ... es war wirklich ein unglücklicher Tag! ... Aber jetzt schlagen wir doch, nachdem wir uns ein wenig ausgeruht, den Heimweg ein.
Wir ritten schweigend neben einander, die Zügel lose in den Händen haltend. Schon befanden wir uns in der Nähe des Forts, das gerade ein Gebüsch unsern Blicken entzog, als plötzlich ein Schuß fiel ... Wir sehen einander an: Petschorin wie mich durchzuckte derselbe Gedanke ... Wir sprengen auf die Stelle zu, wo der Schuß gefallen war. Auf dem Walle waren die Soldaten zusammengelaufen und zeigen nach der Ebene: – Da fliegt ein Reiter[49] durch das Feld mit einem weißen Gegenstande im Sattel. Petschorin war ein eben so geschickter Schütze als der gewandte Tschetschenze. Im Nu hat er die Flinte am Kopfe und gibt seinem Pferde die Sporen; ich folge ihm.
Zum Glück waren unsere Pferde Dank unserer schlechten Jagd nicht ermüdet. Sie bäumten sich unter den Sporen und mit jedem Augenblick wurde der Raum zwischen uns und dem Räuber kleiner ... Endlich erkannte ich Kasbitsch; doch vermochte ich noch nicht zu unterscheiden, was er vor sich auf dem Sattel hatte.
In demselben Augenblick hole ich Petschorin ein und rufe ihm zu: »Es ist Kasbitsch.«
Er sieht mich an, schüttelt den Kopf und gibt seinem Pferde einen neuen Peitschenschlag.
Da endlich sind wir nur noch einen Büchsenschuß von dem Räuber entfernt. Sei es, daß sein Pferd weniger kräftig war als die unsrigen, oder bereits ermüdet, – kurz, trotz aller Anstrengungen bewegte es sich nur noch widerwillig von der Stelle. Ich glaube, daß er in diesem Augenblicke an seinen Karagos dachte.
In vollem Rennen nimmt Petschorin den Kasbitsch aufs Korn ...
»Schießen Sie nicht!« rief ich ihm zu; »behalten Sie Ihren Schuß für eine andere Gelegenheit; wir bekommen ihn ohnehin in unsere Gewalt.«
Ach, die Jugend, die Jugend! Sie erhitzt sich immer zur Unzeit ...
Der Schuß fällt, die Kugel schlägt dem Pferd in ein Hinterbein: es bäumt sich, macht etwa noch zehn Sprünge, wankt und stürzt auf die Knie. Kasbitsch sprang herunter und da sahen wir, daß er eine verschleierte Frau in seinen Armen hielt ... Es war Bela ... die arme Bela!
Er schreit uns in seiner Sprache irgend etwas zu und zückt den Dolch über ihr ... es war kein Augenblick zu verlieren; ich schieße aufs Gerathewohl und wahrscheinlich[50] traf ihn meine Kugel in die Schulter; denn plötzlich ließ er den Arm sinken. Als der Rauch meines Schusses sich verzogen hatte, lag das verwundete Pferd auf der Erde ausgestreckt und neben ihm Bela, während Kasbitsch, seine Flinte fortwerfend, sich in das Gebüsch stürzt und wie eine Katze an einem Felsen emporklettert. Gern hätte ich ihn mir von dort heruntergeholt – aber ich hatte keine Zeit mehr zu laden. Wir sprangen von den Pferden und eilten auf Bela zu.
Sie war todtenbleich, keine Muskel regte sich und in Strömen floß das Blut aus ihrer Wunde ... Der verruchte Bösewicht! Wenn er sie wenigstens ins Herz getroffen, so wär's doch mit einem Mal aus gewesen; aber als echter Räuber hatte er ihr die Klinge in den Rücken gestoßen!
Sie war ohne alles Bewußtsein. Wir zerrissen ihren Schleier, um damit so fest wie möglich ihre Wunde zu verbinden. Vergebens küßte Petschorin ihre kalten Lippen – nichts vermochte sie ins Bewußtsein zurückzubringen.
Er stieg wieder zu Pferde und ich legte die Unglückliche vor ihn auf den Sattel. Er legte einen Arm um sie und wir kehrten im Schritt nach dem Fort zurück. Nach einigen Augenblicken des Schweigens sagte Petschorin zu mir:
»Hören Sie, Maxim Maximitsch, wenn wir uns nicht mehr beeilen, bringen wir sie nicht lebend nach Hause.«
»Das ist wahr!« antwortete ich, – und wir ließen unsere Pferde zum gestreckten Galopp übergehen.
An dem Thore des Forts erwartete uns eine Menge Menschen. Vorsichtig trugen wir die Verwundete in Petschorins Wohnung und schickten nach dem Arzt. Er war zwar betrunken, kam jedoch sofort, untersuchte die Wunde und erklärte, länger als einen Tag habe die Unglückliche nicht mehr zu leben. Aber darin täuschte er sich ...
»Wurde sie wieder gesund?« fragte ich den Hauptmann und ergriff in einer unwillkürlich freudigen Aufregung seinen Arm.[51]
»Nein,« antwortete er; »der Arzt täuschte sich nur darin, daß sie noch zwei Tage lebte.«
»Aber so erklären Sie mir doch, wie hatte sie denn Kasbitsch entführen können?«
»Auf folgende Weise. Trotz Petschorin's Verbot hatte sie sich aus dem Fort entfernt und war auf den Wällen in der Nähe des Flüßchens spazieren gegangen. Es war sehr heiß; sie setzt sich auf einen Stein und badet die Füße im Wasser. Da plötzlich stürzt Kasbitsch, der im Hinterhalt lag, auf sie zu, verstopft ihr den Mund und schleppt sie in das Gebüsch, wo er sein Pferd zurückgelassen hatte. Inzwischen aber war es ihr geglückt, einen Schrei auszustoßen; die Schildwachen schlugen Lärm und schossen nach ihm, aber ohne ihn zu treffen ... In diesem Augenblick kamen wir.«
»Aber warum wollte Kasbitsch sie entführen?«
»Wie, warum? Weil diese Tscherkessen geborene Räuber und Diebe sind. Alles, was nicht fest ist, müssen sie nehmen, auch wenn sie nichts damit anfangen können, schon um des Vergnügens des Raubens willen. Das muß man ihnen nun nicht zu sehr verargen! Uebrigens war er ja auch schon längst in Bela verliebt.«
»Sie starb also?«
»Ja, sie starb; aber erst nach langen Qualen, und wir mußten ebenfalls schrecklich leiden.«
Gegen zehn Uhr Abends kehrte das Bewußtsein zurück. Wir saßen an ihrem Bett. Sobald sie die Augen aufschlug, begann sie Petschorins Namen zu murmeln.
»Ich bin bei dir, meine Dschanetschka!« (was in unserer Sprache »mein Herzchen« bedeutet) antwortete er, indem er ihre Hand ergriff.
»Ich sterbe,« seufzte sie.
Wir suchten sie zu beruhigen; wir sagten, der Arzt habe versprochen, sie unfehlbar zu heilen.[52]
Sie schüttelte das Köpfchen und wandte sich nach der Wand um. Die Arme, sie wollte so gern noch leben!
In der folgenden Nacht begann sie zu phantasiren; der Kopf brannte ihr; von Zeit zu Zeit wurde sie von Fieberfrost geschüttelt.
Ihre Reden hatten schon keinen Zusammenhang mehr; sie sprach bald vom Vater, bald vom Bruder und sehnte sich zurück in ihre Berge, in ihr Heimatsdorf: Dann sprach sie auch von Petschorin, gab ihm allerlei zärtliche Namen oder beschuldigte ihn, daß er seine Dschanetschka nicht mehr liebe ...
Er hörte sie, das Gesicht in den Händen verborgen, schweigend an. Aber während der ganzen Zeit bemerkte ich nicht eine Thräne an seinen Wimpern, – ob er nun in der That nicht weinen konnte, oder sich beherrschen wollte, ich weiß es nicht. Was mich betrifft, nie in meinem Leben habe ich etwas Schmerzlicheres gesehen.
Gegen Morgen hörte das Phantasiren auf. Etwa eine Stunde lang lag sie ganz blaß und regungslos und zwar in einem solchen Zustande der Schwäche, daß man kaum bemerken konnte, sie athme noch. Dann erholte sie sich wieder ein wenig und begann wieder zu sprechen, – aber wovon! Das würden Sie nie errathen ... Solche Gedanken steigen nur in denen auf, die im Sterben liegen! ... Sie sagte, es thue ihr leid, daß sie keine Christin sei und daß in der andern Welt ihre Seele mit der Petschorins sich nicht wieder vereine, und daß im Paradiese eine andere Frau seine Gattin sein werde.
Da kam mir der Gedanke, sie vor ihrem Tode zu taufen, und ich machte ihr den Vorschlag. Sie sah mich unentschlossen lange und schweigend an und erwiderte dann endlich, sie wolle in dem Glauben sterben, in welchem sie geboren sei.
So verging der ganze Tag. Welche Veränderung war an diesem Tage mit ihr vorgegangen! Ihre blassen Wangen[53] waren eingefallen, ihre Augen hatten sich immer mehr erweitert; ihre Lippen brannten. Sie empfand eine verzehrende Hitze in ihrem Innern, als ob man ihr ein glühendes Eisen in die Brust gestoßen.
Die zweite Nacht brach herein. Wir thaten kein Auge zu und wichen nicht von ihrem Lager. Sie litt schrecklich, seufzte und stöhnte; aber sobald ihre Qualen sich ein wenig linderten, bemühte sie sich, Petschorin zu versichern, daß ihr besser sei, drang in ihn, sich schlafen zu legen, küßte ihm die Hand und ließ ihn nicht aus den Augen.
Gegen Morgen begann sie jenen Schrecken zu empfinden, der die Stunde des Todes verkündet. Sie fing wieder an zu phantasiren, riß sich den Verband ab, und das Blut strömte wieder aus ihrer Wunde hervor. Als wir dieselbe von neuem verbunden, beruhigte sie sich einen Augenblick und bat Petschorin, sie zu küssen. Er kniete neben ihr Bett, er nahm sanft ihr Haupt mit dem Kissen auf und drückte einen Kuß auf ihre erkaltenden Lippen. In demselben Augenblick schlang sie fest ihre zitternden Arme um seinen Hals, als wollte sie ihre Seele in diesem Kusse übergeben ...
Ach, es war ein Glück für sie, daß sie starb! Was wäre aus ihr geworden, wenn Petschorin sie verlassen hätte? Und früher oder später wäre das ja doch geschehen.
Um die Mitte des Tages war sie ruhig und schweigsam, obgleich unser Arzt sie mit seinen Medicamenten quälte.
»Aber ich bitte Sie,« sagte ich zu ihm, »Sie haben ja doch selbst gesagt, daß sie unfehlbar sterben müsse; warum sie also noch so belästigen?«
»Es ist doch besser, Maxim Maximitsch,« versetzte er; »ich habe dann wenigstens mein Gewissen beruhigt.«
Es ist eine schöne Sache um das Gewissen!
Am Nachmittage beklagte sie sich über eine schreckliche Hitze. Wir öffneten die Fenster; allein die Temperatur war draußen noch heißer als im Zimmer. Wir ließen Eis[54] neben ihr Bett stellen – es half nichts. Ich wußte, daß diese unerträgliche Hitze ein Anzeichen ihres nahenden Endes sei und sagte dies Petschorin.
»Wasser, Wasser!« sprach sie mit heiserer Stimme, indem sie sich ein wenig auf ihrem Lager erhob.
Petschorin war kreidebleich geworden. Er goß ihr ein Glas Wasser ein und reichte es ihr.
Ich verbarg mein Gesicht in den Händen und begann ein Gebet zu sprechen – ich weiß nicht mehr, welches ... Ja, ich habe Manchen sterben sehen, in Hospitälern wie auf den Schlachtfeldern, aber das war nichts gegen einen solchen Tod, gar nichts!
Und dann war da, ich muß es gestehen, noch etwas Anderes, das mir das Herz beklemmte: Sie dachte in ihren letzten Stunden nicht ein einziges Mal an mich, – und ich liebte sie doch wie ein Vater! ... Nun, Gott wird es ihr verzeihen! ... Und die Wahrheit zu sagen, was war ich denn in ihren Augen, daß sie im Angesicht des Todes sich mit mir hätte beschäftigen sollen? ...
Sobald sie das Wasser ausgetrunken hatte, fühlte sie sich erleichert, und einige Minuten später verschied sie. Wir hielten ihr einen Spiegel vor die Lippen, nicht ein einziger Hauch trübte ihn.
Ich führte Petschorin fort aus dem Zimmer und zog ihn mit mir hinaus auf die Wälle. Lange schritten wir neben einander auf und ab, die Arme auf dem Rücken gekreuzt, ohne ein Wort zu sagen. Sein Gesicht zeigte den gewöhnlichen Ausdruck, und das schmerzte mich. Ich an seiner Stelle wäre vor Gram gestorben.
Endlich setzte er sich in den Schatten auf die Erde und begann mit seinem Stocke ich weiß nicht welche Figuren in den Sand zu zeichnen.
Aus Anstand glaubte ich ein paar tröstende Worte an ihn richten zu müssen. Er hob den Kopf in die Höhe und lächelte ... Bei diesem Lächeln durchlief ein eisiger Schauder[55] alle meine Glieder und ich entfernte mich, um die Vorbereitungen für das Begräbniß zu treffen.
Ich muß gestehen, daß ich mich zum Theil mit diesen Sorgen befaßte, um mich ein wenig auf andere Gedanken zu bringen. Ich besaß einen kostbaren kaukasischen Stoff; damit ließ ich ihren Sarg schmücken und fügte noch tscherkessische Silberborten hinzu, welche Petschorin eines Tages für sie gekauft hatte.
Früh am andern Morgen begruben wir sie hinter dem Fort am Ufer des Flüßchens, nicht weit von der Stelle, wo sie zum letzten Mal gesessen hatte. Um ihr kleines Grab stehen jetzt Holundersträucher und weiße Akazien. Gern hätt' ich auch ein Kreuz dorthin gestellt ... aber ich getraute mich doch nicht recht ... sie war ja doch nicht als Christin gestorben ...
»Und Petschorin?« fragte ich.
Petschorin wurde krank; er magerte ab; niemals sprachen wir mit einander von Bela; ich merkte, daß ihn das unangenehm berühren würde, und so schwieg ich ...
»Drei Monate später wurde er in ein anderes Regiment versetzt und reiste nach Georgien. Seitdem sind wir uns nicht wieder begegnet ... allein man hat mir vor einiger Zeit erzählt, er sei nach Rußland zurückgekehrt, doch befinde er sich nicht mehr im activen Dienst. Uebrigens erreichen Unsereins die Nachrichten erst sehr spät.«
Hier verbreitete sich der Capitain in eine lange Dissertation darüber, wie unangenehm es sei, alle Nachrichten erst ein Jahr später zu erhalten, – wahrscheinlich nur, um seinen Geist von diesen traurigen Erinnerungen abzuwenden.
Ich unterbrach ihn nicht und hörte nur zu.
Eine Stunde später war Alles zur Abreise bereit. Der Schneesturm hatte sich gelegt, der Himmel war wieder heiter geworden. Wir reisten weiter.
Unterwegs konnte ich es mir nicht versagen, das Gespräch abermals auf Bela und Petschorin zu bringen.[56]
»Und haben Sie niemals gehört,« fragte ich den Hauptmann, »was aus Kasbitsch geworden ist?«
»Aus Kasbitsch? Nein, das weiß ich nicht ... doch hat man mir gesagt, daß in den Reihen unserer Gegner ein gewisser Kasbitsch kämpfe, ein tollkühner Spitzbube, der einen rothen Beschmet trage, frech bis unmittelbar unter unsere Gewehrläufe komme und mit erstaunlicher Behendigkeit ausweiche, wenn ihm die Kugeln zu dicht um die Ohren pfiffen ... Das könnte er wol sein.«
In Kobi trennte ich mich von Maxim Maximitsch. Ich nahm mir Postpferde; wegen seiner schweren Ladung vermochte er mir nicht zu folgen. Wir hofften nicht, uns je wiederzusehen; allein wir sind uns noch einmal begegnet; wenn ihr's wünscht, will ich's euch erzählen. Es ist eine ganze Geschichte ... Allein, ihr müßt mir zunächst gestehen, daß dieser Maxim Maximitsch ein sehr braver, achtungswerther Mann ist ...
Wenn ihr mir das zugebt, bin ich vollkommen belohnt für meine vielleicht etwas zu lange Erzählung.
Ausgewählte Ausgaben von
Ein Held unserer Zeit
|
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro