[311] Anton. Lisette.
ANTON. Nu? was will die! in meines Herrn Studierstube? Jetzt ging Valer heraus; vor einer Weile Juliane; und du bist noch da? Ich glaube gar, ihr habt eure Zusammenkünfte hier. Warte, Lisette! das will ich meinem Herrn sagen. Ich will mich schon rächen; noch für das Gestrige; besinnst du dich?
LISETTE. Ich glaube, du keufst? Was willst du mit deinem Gestrigen?
ANTON. Eine Maulschelle vergißt sich wohl bei dem leicht, der sie gibt, aber der, dem die Zähne davon gewackelt haben, der denkt eine Zeit lang daran. Warte nur! warte![311]
LISETTE. Wer heißt dich, mich küssen?
ANTON. Potz Stern, wie gemein würden die Maulschellen sein, wenn alle die welche bekommen sollten, die euch küssen wollen. – – Jetzt soll dich mein Herr dafür wacker –
LISETTE. Dein Herr? der wird mir nicht viel tun.
ANTON. Nicht? Wie vielmal hat er es nicht gesagt, daß so ein heiliger Ort, als eine Studierstube ist, von euch, unreinen Geschöpfen, nicht müsse entheiliget werden? Der Gott der Gelehrsamkeit – – warte, wie nennt er ihn? – – Apollo – könne kein Weibsbild leiden. Schon der Geruch davon wäre ihm zuwider. Er fliehe davor, wie der Stößer vor den Tauben. – Und du denkst, mein Herr würde es so mit ansehen, daß du ihm den lieben Gott von der Stube treibest?
LISETTE. Ich glaube gar, du Narre denkst, der liebe Gott sei nur bei euch Mannspersonen? Schweig, oder – –
ANTON. Ja, so eine, wie gestern vielleicht?
LISETTE. Noch eine beßre! der Pinsel hätte gestern mehr, als eine verdient. Er kömmt zu mir; es ist finster; er will mich küssen; ich stoße ihn zurück, er kömmt wieder; ich schlage ihn aufs Maul, es tut ihm weh; er läßt nach; er schimpft; er geht fort – – Ich möchte dir gleich noch eine geben, wenn ich daran gedenke.
ANTON. Ich hätte es also wohl abwarten sollen, wie oft du deine Karesse hättest wiederholen wollen?
LISETTE. Gesetzt, es wären noch einige gefolgt, so würden sie doch immer schwächer und schwächer geworden sein. Vielleicht hätten sich die letztern gar – – doch so ein dummer Teufel verdient nichts.
ANTON. Was hör ich? ist das dein Ernst, Lisette? Bald hätte ich Lust, die Maulschelle zu vergessen, und mich wieder mit dir zu vertragen.
LISETTE. Halte es, wie du willst. Was ist mir jetzt an deiner Gunst gelegen? Ich habe ganz ein ander Wildpret auf der Spur.
ANTON. Ein anders? au weh, Lisette! Das war wieder eine Ohrfeige, die ich so bald nicht vergessen werde! Ein[312] anders? Ich dächte, du hättest an einem genug, das dir selbst ins Netz gelaufen ist.
LISETTE. Und drum eben ist nichts dran. – Aber sage mir, wo bleibt dein Herr?
ANTON. Danke du Gott, daß er so lange bleibt; und mache, daß du hier fort kömmst. Wann er dich trifft, so bist du in Gefahr herausgeprügelt zu werden.
LISETTE. Dafür laß mich sorgen! Wo ist er denn? ist er von der Post noch nicht wieder zurück?
ANTON. Woher weißt du denn, daß er auf die Post gegangen ist?
LISETTE. Genug, ich weiß es. Er wollte dich erst schicken. Aber wie kam es denn, daß er selbst ging? Ha! ha! ha! »Es ist mit dem Schlingel nichts anzufangen.« Wahrhaftig, das Lob macht mich ganz verliebt in dich.
ANTON. Wer Henker muß dir das gesagt haben?
LISETTE. O niemand; sage mir nur, ist er wieder da?
ANTON. Schon längst; unten ist er bei seinem Vater.
LISETTE. Und was machen sie mit einander?
ANTON. Was sie machen? sie zanken sich.
LISETTE. Der Sohn will gewiß den Vater von seiner Geschicklichkeit überführen?
ANTON. Ohne Zweifel muß es so etwas sein. Damis ist ganz außer sich: er läßt den Alten kein Wort aufbringen; er rechnet ihm tausend Bücher her, die er gesehen; tausend, die er gelesen hat; andere tausend, die er schreiben will, und hundert kleine Bücherchen, die er schon geschrieben hat. Bald nennt er ein Dutzend Professores, die ihm sein Lob schriftlich, mit untergedrucktem Siegel, nicht umsonst, gegeben hätten; bald ein Dutzend Zeitungsschreiber, die eine vortreffliche Posaune für einen jungen Gelehrten sind, wenn man ein silbernes Mundstück darauf steckt; bald ein Dutzend Journalisten, die ihn alle zu ihrem Mitarbeiter flehentlich erbeten haben. Der Vater sieht ganz erstaunt; er ist um die Gesundheit seines Sohnes besorgt; er ruft einmal über das andre: Sohn, erhitze dich doch nicht so! schone deine Lunge! ja doch, ich glaub es! gib dich zufrieden! es war so nicht gemeint![313]
LISETTE. Und Damis? – –
ANTON. Und Damis läßt nicht nach. Endlich greift sich der Vater an; er überschreit ihn mit Gewalt, und besänftiget ihn mit einer Menge solcher Lobsprüche, die in der Welt niemand verdient hat, verdient, noch verdienen wird. Nun wird der Sohn wieder vernünftig, und nun – – ja nun schreiten sie zu einem andern Punkte, zu einer andern Sache, – – zu – –
LISETTE. Wozu denn?
ANTON. Gott sei Dank, mein Maul kann schweigen!
LISETTE. Du willst mir es nicht sagen?
ANTON. Nimmermehr! ich bin zwar sonst ein schlechter Kerl; aber wenn es auf die Verschwiegenheit ankömmt – –
LISETTE. Lerne ich dich so kennen?
ANTON. Ich dächte, das sollte dir lieb sein, daß ich schweigen kann; und besonders von Heiratssachen, oder was dem anhängig ist – –
LISETTE. Weißt du nichts mehr? O das habe ich längst gewußt.
ANTON. Wie schön sie mich über den Tölpel stoßen will. Also wäre es ja nicht nötig, daß ich dir es sagte? – –
LISETTE. Freilich nicht! aber mich für dein schelmisches Mißtrauen zu rächen, weiß ich schon, was ich tun will. Du sollst es gewiß nicht mehr wagen, gegen ein Mädchen von meiner Profession verschwiegen zu sein! Besinnst du dich, wie du von deinem Herrn vor kurzen gesprochen hast?
ANTON. Besinnen? ein Mann, der in Geschäften sitzt, der einen Tag lang so viel zu reden hat, wie ich, soll sich der auf allen Bettel besinnen?
LISETTE. Seinen Herrn verleumden ist etwas mehr, sollte ich meinen.
ANTON. Was? verleumden?
LISETTE. Ha, ha! Herr Mann, der in Geschäften sitzt, besinnen Sie sich nun? Was haben Sie vorhin gegen seinen Vater von ihm geredt?
ANTON. Das Mädel muß den Teufel haben, oder der verzweifelte Alte hat geplaudert. Aber höre, Lisette, weißt du es gewiß, was ich gesagt habe? Was war es denn? Laß einmal hören.[314]
LISETTE. Du sollst alles hören, wenn ich es deinem Herrn erzählen werde.
ANTON. O wahrhaftig, ich glaube du machst Ernst daraus. Du wirst mir doch meinen Kredit bei meinem Herrn nicht verderben wollen? Wenn du wirklich etwas weißt, so sei keine Närrin! – Daß ihr Weibsvolk doch niemals Spaß versteht! Ich habe dir eine Ohrfeige vergeben, und du willst dich, einer kleinen Neckerei wegen, rächen? Ich will dir ja alles sagen.
LISETTE. Nun so sage – –
ANTON. Aber du sagst doch nichts? – –
LISETTE. Je mehr du sagen wirst; je weniger werde ich sagen.
ANTON. Was wird es sonst viel sein, als daß der Vater dem Sohne nochmals die Heirat mit Julianen vorschlug? Damis schien ganz aufmerksam zu sein, und – – und weiter kann ich dir nichts sagen.
LISETTE. Weiter nichts? Gut, gut, dein Herr soll alles erfahren.
ANTON. Um des Himmels willen, Lisette; ich will dir es nur gestehn.
LISETTE. Nun so gesteh!
ANTON. Ich will dir es nur gestehen, daß ich wahrhaftig nichts mehr gehört habe. Ich wurde eben weggeschickt. Nun weißt du wohl, wenn man nicht zugegen ist, so kann man nicht viel hören – –
LISETTE. Das versteht sich. Aber was meinst du, wird Damis sich dazu entschlossen haben?
ANTON. Wenn er sich noch nicht dazu entschlossen hat, so will ich mein Äußerstes anwenden, daß er es noch tut. Ich soll für meine Mühe bezahlt werden, Lisette; und du weißt wohl, wenn ich bezahlt werde, daß alsdenn auch du – –
LISETTE. Ja, ja, auch ich verspreche dirs: du sollst redlich bezahlt werden! – Unterstehe dich! –
ANTON. Wie?
LISETTE. Habe einmal das Herz!
ANTON. Was?
LISETTE. Dummkopf! meine Jungfer will deinen Damis nicht haben –[315]
ANTON. Was tut das? –
LISETTE. Folglich ist mein Wille, daß er sie auch nicht bekommen soll.
ANTON. Folglich, wenn sie mein Herr wird haben wollen, so wird mein Wille sein müssen, daß er sie bekommen soll.
LISETTE. Höre doch! du willst mein Mann werden, und einen Willen für dich haben? Bürschchen, das laß dir nicht einkommen! Dein Wille muß mein Wille sein, oder –
ANTON. St! potz Element! er kömmt; hörst du? er kömmt! Nun sieh ja, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat. Verstecke dich wenigstens; verstecke dich! Er bringt sonst mich und dich um.
LISETTE bei Seite. Halt, ich will beide betriegen! – – Wo denn aber hin? wo hin? in das Kabinett?
ANTON. Ja, ja, nur unterdessen hinein. Vielleicht geht er bald wieder fort. – – Und ich, ich will mich geschwind hieher setzen – –
Er setzt sich an den Tisch, nimmt ein Buch in die Hand, und tut, als ob er den Damis nicht gewahr würde.
Ausgewählte Ausgaben von
Der junge Gelehrte
|
Buchempfehlung
»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.
162 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro