[178] Die Gräfin Orsina. Marinelli.
ORSINA ohne den Marinelli anfangs zu erblicken. Was ist das? – Niemand kömmt mir entgegen, außer ein Unverschämter, der mir lieber gar den Eintritt verweigert hätte? – Ich bin doch zu Dosalo? Zu dem Dosalo, wo mir sonst ein ganzes Heer geschäftiger Augendiener entgegen stürzte? wo mich sonst Liebe und Entzücken erwarteten? – Der Ort ist es; aber, aber! – Sieh' da, Marinelli! – Recht gut, daß der Prinz Sie mitgenommen. – Nein, nicht gut! Was ich mit ihm auszumachen hätte, hätte ich nur mit ihm auszumachen. – Wo ist er?
MARINELLI. Der Prinz, meine gnädige Gräfin?[178]
ORSINA. Wer sonst?
MARINELLI. Sie vermuten ihn also hier? wissen ihn hier? – Er wenigstens ist der Gräfin Orsina hier nicht vermutend.
ORSINA. Nicht? So hat er meinen Brief heute Morgen nicht erhalten?
MARINELLI. Ihren Brief? Doch ja; ich erinnere mich, daß er eines Briefes von Ihnen erwähnte.
ORSINA. Nun? habe ich ihn nicht in diesem Briefe auf heute um eine Zusammenkunft hier auf Dosalo gebeten? – Es ist wahr, es hat ihm nicht beliebet, mir schriftlich zu antworten. Aber ich erfuhr, daß er eine Stunde darauf wirklich nach Dosalo abgefahren. Ich glaubte, das sei Antworts genug; und ich komme.
MARINELLI. Ein sonderbarer Zufall!
ORSINA. Zufall? – Sie hören ja, daß es verabredet worden. So gut, als verabredet. Von meiner Seite, der Brief: von seiner, die Tat. – Wie er da steht, der Herr Marchese! Was er für Augen macht! Wundert sich das Gehirnchen? und worüber denn?
MARINELLI. Sie schienen gestern so weit entfernt, dem Prinzen jemals wieder vor die Augen zu kommen.
ORSINA. Beßrer Rat kömmt über Nacht. – Wo ist er? wo ist er? – Was gilts, er ist in dem Zimmer, wo ich das Gequicke, das Gekreusche hörte? – Ich wollte herein, und der Schurke vom Bedienten trat vor.
MARINELLI. Meine liebste, beste Gräfin –
ORSINA. Es war ein weibliches Gekreusche. Was gilts, Marinelli? – O sagen Sie mir doch, sagen Sie mir – wenn ich anders Ihre liebste, beste Gräfin bin – Verdammt, über das Hofgeschmeiß! So viel Worte, so viel Lügen! – Nun was liegt daran, ob Sie mir es voraus sagen, oder nicht? Ich werd' es ja wohl sehen. Will gehen.
MARINELLI der sie zurück hält. Wohin?
ORSINA. Wo ich längst sein sollte. – Denken Sie, daß es schicklich ist, mit Ihnen hier in dem Vorgemache einen elenden Schnickschnack zu halten, indes der Prinz in dem Gemache auf mich wartet?
MARINELLI. Sie irren sich, gnädige Gräfin. Der Prinz erwartet[179] Sie nicht. Der Prinz kann Sie hier nicht sprechen, – will Sie nicht sprechen.
ORSINA. Und wäre doch hier? und wäre doch auf meinen Brief hier?
MARINELLI. Nicht auf Ihren Brief –
ORSINA. Den er ja erhalten, sagen Sie –
MARINELLI. Erhalten, aber nicht gelesen.
ORSINA heftig. Nicht gelesen? – Minder heftig. Nicht gelesen? – Wehmütig, und eine Träne aus dem Auge wischend. Nicht einmal gelesen?
MARINELLI. Aus Zerstreuung, weiß ich. – Nicht aus Verachtung.
ORSINA stolz. Verachtung? – Wer denkt daran? – Wem brauchen Sie das zu sagen? – Sie sind ein unverschämter Tröster, Marinelli! – Verachtung! Verachtung! Mich verachtet man auch! mich! – Gelinder, bis zum Tone der Schwermut. Freilich liebt er mich nicht mehr. Das ist ausgemacht. Und an die Stelle der Liebe trat in seiner Seele etwas anders. Das ist natürlich. Aber warum denn eben Verachtung? Es braucht ja nur Gleichgültigkeit zu sein. Nicht wahr, Marinelli?
MARINELLI. Allerdings, allerdings.
ORSINA höhnisch. Allerdings? – O des weisen Mannes, den man sagen lassen kann, was man will! – Gleichgültigkeit! Gleichgültigkeit an die Stelle der Liebe? – Das heißt, Nichts an die Stelle von Etwas. Denn lernen Sie, nachplauderndes Hofmännchen, lernen Sie von einem Weibe, daß Gleichgültigkeit ein leeres Wort, ein bloßer Schall ist, dem nichts, gar nichts entspricht. Gleichgültig ist die Seele nur gegen das, woran sie nicht denkt; nur gegen ein Ding, das für sie kein Ding ist. Und nur gleichgültig für ein Ding, das kein Ding ist, – das ist so viel, als gar nicht gleichgültig. – Ist dir das zu hoch, Mensch?
MARINELLI vor sich. O weh! wie wahr ist es, was ich fürchtete!
ORSINA. Was murmeln Sie da?
MARINELLI. Lauter Bewunderung! – Und wem ist es nicht bekannt, gnädige Gräfin, daß Sie eine Philosophin sind?
ORSINA. Nicht wahr? – Ja, ja; ich bin eine. – Aber habe ich mir es itzt merken lassen, daß ich eine bin? – O pfui, wenn ich mir es habe merken lassen; und wenn ich mir es öftrer[180] habe merken lassen! Ist es wohl noch Wunder, daß mich der Prinz verachtet? Wie kann ein Mann ein Ding lieben, das, ihm zum Trotze, auch denken will? Ein Frauenzimmer, das denket, ist eben so ekel als ein Mann, der sich schminket. Lachen soll es, nichts als lachen, um immerdar den gestrengen Herrn der Schöpfung bei guter Laune zu erhalten. – Nun, worüber lach' ich denn gleich, Marinelli? – Ach, ja wohl! Über den Zufall! daß ich dem Prinzen schreibe, er soll nach Dosalo kommen; daß der Prinz meinen Brief nicht lieset, und daß er doch nach Dosalo kömmt. Ha! ha! ha! Wahrlich ein sonderbarer Zufall! Sehr lustig, sehr närrisch! – Und Sie lachen nicht mit, Marinelli? – Mitlachen kann ja wohl der gestrenge Herr der Schöpfung, ob wir arme Geschöpfe gleich nicht mitdenken dürfen. – Ernsthaft und befehlend. So lachen Sie doch!
MARINELLI. Gleich, gnädige Gräfin, gleich!
ORSINA. Stock! Und darüber geht der Augenblick vorbei. Nein, nein, lachen Sie nur nicht. – Denn sehen Sie, Marinelli, Nachdenkend bis zur Rührung. was mich so herzlich zu lachen macht, das hat auch seine ernsthafte – sehr ernsthafte Seite. Wie alles in der Welt! – Zufall? Ein Zufall wär' es, daß der Prinz nicht daran gedacht, mich hier zu sprechen, und mich doch hier sprechen muß? Ein Zufall? – Glauben Sie mir, Marinelli: das Wort Zufall ist Gotteslästerung. Nichts unter der Sonne ist Zufall; – am wenigsten das, wovon die Absicht so klar in die Augen leuchtet. – Allmächtige, allgütige Vorsicht, vergib mir, daß ich mit diesem albernen Sünder einen Zufall genennet habe, was so offenbar dein Werk, wohl gar dein unmittelbares Werk ist! – Hastig gegen Marinelli. Kommen Sie mir, und verleiten Sie mich noch einmal zu so einem Frevel!
MARINELLI vor sich. Das geht weit! – Aber gnädige Gräfin –
ORSINA. Still mit dem Aber! Die Aber kosten Überlegung; – und mein Kopf! mein Kopf! Sich mit der Hand die Stirne haltend. – Machen Sie, Marinelli, machen Sie, daß ich ihn bald spreche, den Prinzen; sonst bin ich es wohl gar nicht im Stande. – Sie sehen, wir sollen uns sprechen; wir müssen uns sprechen –[181]
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