Erster Auftritt


[235] Die Szene: des Sultans Palast.

Saladin und Sittah spielen Schach.


SITTAH.

Wo bist du, Saladin? Wie spielst du heut?

SALADIN.

Nicht gut? Ich dächte doch.

SITTAH.

Für mich; und kaum.

Nimm diesen Zug zurück.

SALADIN.

Warum?

SITTAH.

Der Springer

Wird unbedeckt.

SALADIN.

Ist wahr. Nun so!

SITTAH.

So zieh'

Ich in die Gabel.

SALADIN.

Wieder wahr. – Schach dann!

SITTAH.

Was hilft dir das? Ich setze vor: und du

Bist, wie du warst.

SALADIN.

Aus dieser Klemme, seh'

Ich wohl, ist ohne Buße nicht zu kommen.

Mags! nimm den Springer nur.

SITTAH.

Ich will ihn nicht.

Ich geh vorbei.

SALADIN.

Du schenkst mir nichts. Dir liegt

An diesem Platze mehr, als an dem Springer.

SITTAH.

Kann sein.

SALADIN.

Mach deine Rechnung nur nicht ohne

Den Wirt. Denn sieh'! Was gilts, das warst du nicht Vermuten?

SITTAH.

Freilich nicht. Wie konnt' ich auch

Vermuten, daß du deiner Königin

So müde wärst?[235]

SALADIN.

Ich meiner Königin?

SITTAH.

Ich seh' nun schon: ich soll heut meine tausend

Dinar', kein Naserinchen mehr gewinnen.

SALADIN.

Wie so?

SITTAH.

Frag noch! – Weil du mit Fleiß, mit aller

Gewalt verlieren willst. – Doch dabei find'

Ich meine Rechnung nicht. Denn außer, daß

Ein solches Spiel das unterhaltendste

Nicht ist: gewann ich immer nicht am meisten

Mit dir, wenn ich verlor? Wenn hast du mir

Den Satz, mich des verlornen Spieles wegen

Zu trösten, doppelt nicht hernach geschenkt?

SALADIN.

Ei sieh! so hättest du ja wohl, wenn du

Verlorst, mit Fleiß verloren, Schwesterchen?

SITTAH.

Zum wenigsten kann gar wohl sein, daß deine

Freigebigkeit, mein liebes Brüderchen,

Schuld ist, daß ich nicht besser spielen lernen.

SALADIN.

Wir kommen ab vom Spiele. Mach ein Ende!

SITTAH.

So bleibt es? Nun dann: Schach! und doppelt Schach!

SALADIN.

Nun freilich; dieses Abschach hab' ich nicht

Gesehn, das meine Königin zugleich

Mit niederwirft.

SITTAH.

War dem noch abzuhelfen?

Laß sehn.

SALADIN.

Nein, nein; nimm nur die Königin.

Ich war mit diesem Steine nie recht glücklich.

SITTAH.

Bloß mit dem Steine?

SALADIN.

Fort damit! – Das tut

Mir nichts. Denn so ist alles wiederum

Geschützt.

SITTAH.

Wie höflich man mit Königinnen

Verfahren müsse: hat mein Bruder mich

Zu wohl gelehrt.


Sie läßt sie stehen.


SALADIN.

Nimm, oder nimm sie nicht!

Ich habe keine mehr.

SITTAH.

Wozu sie nehmen?

Schach! – Schach!

SALADIN.

Nur weiter.[236]

SITTAH.

Schach! – und Schach! – und Schach! –

SALADIN.

Und matt!

SITTAH.

Nicht ganz; du ziehst den Springer noch

Dazwischen; oder was du machen willst.

Gleichviel!

SALADIN.

Ganz recht! – Du hast gewonnen: und

Al-Hafi zahlt. – Man laß ihn rufen! gleich! –

Du hattest, Sittah, nicht so unrecht; ich

War nicht so ganz beim Spiele; war zerstreut.

Und dann: wer gibt uns denn die glatten Steine

Beständig? die an nichts erinnern, nichts

Bezeichnen. Hab' ich mit dem Iman denn

Gespielt? – Doch was? Verlust will Vorwand. Nicht

Die ungeformten Steine, Sittah, sinds

Die mich verlieren machten: deine Kunst,

Dein ruhiger und schneller Blick ...

SITTAH.

Auch so

Willst du den Stachel des Verlusts nur stumpfen.

Genug, du warst zerstreut; und mehr als ich.

SALADIN.

Als du? Was hätte dich zerstreuet?

SITTAH.

Deine

Zerstreuung freilich nicht! – O Saladin,

Wenn werden wir so fleißig wieder spielen!

SALADIN.

So spielen wir um so viel gieriger! –

Ah! weil es wieder los geht, meinst du? – Mags! –

Nur zu! – Ich habe nicht zuerst gezogen;

Ich hätte gern den Stillestand aufs neue

Verlängert; hätte meiner Sittah gern,

Gern einen guten Mann zugleich verschafft.

Und das muß Richards Bruder sein: er ist

Ja Richards Bruder.

SITTAH.

Wenn du deinen Richard

Nur loben kannst!

SALADIN.

Wenn unserm Bruder Melek

Dann Richards Schwester wär' zu Teile worden:

Ha! welch ein Haus zusammen! Ha, der ersten,

Der besten Häuser in der Welt das beste! –

Du hörst, ich bin mich selbst zu loben, auch[237]

Nicht faul. Ich dünk' mich meiner Freunde wert. –

Das hätte Menschen geben sollen! das!

SITTAH.

Hab' ich des schönen Traums nicht gleich gelacht?

Du kennst die Christen nicht, willst sie nicht kennen.

Ihr Stolz ist: Christen sein; nicht Menschen. Denn

Selbst das, was, noch von ihrem Stifter her,

Mit Menschlichkeit den Aberglauben wirzt,

Das lieben sie, nicht weil es menschlich ist:

Weils Christus lehrt; weils Christus hat getan. –

Wohl ihnen, daß er ein so guter Mensch

Noch war! Wohl ihnen, daß sie seine Tugend

Auf Treu und Glaube nehmen können! – Doch

Was Tugend? – Seine Tugend nicht; sein Name

Soll überall verbreitet werden; soll

Die Namen aller guten Menschen schänden,

Verschlingen. Um den Namen, um den Namen

Ist ihnen nur zu tun.

SALADIN.

Du meinst: warum

Sie sonst verlangen würden, daß auch ihr,

Auch du und Melek, Christen hießet, eh

Als Ehgemahl ihr Christen lieben wolltet?

SITTAH.

Ja wohl! Als wär' von Christen nur, als Christen,

Die Liebe zu gewärtigen, womit

Der Schöpfer Mann und Männin ausgestattet!

SALADIN.

Die Christen glauben mehr Armseligkeiten,

Als daß sie die nicht auch noch glauben könnten! –

Und gleichwohl irrst du dich. – Die Tempelherren,

Die Christen nicht, sind Schuld: sind nicht, als Christen,

Als Tempelherren Schuld. Durch die allein

Wird aus der Sache nichts. Sie wollen Acca,

Das Richards Schwester unserm Bruder Melek

Zum Brautschatz bringen müßte, schlechterdings

Nicht fahren lassen. Daß des Ritters Vorteil

Gefahr nicht laufe, spielen sie den Mönch,

Den albern Mönch. Und ob vielleicht im Fluge

Ein guter Streich gelänge: haben sie

Des Waffenstillestandes Ablauf kaum

Erwarten können. – Lustig! Nur so weiter![238]

Ihr Herren, nur so weiter! – Mir schon recht! –

Wär alles sonst nur, wie es müßte.

SITTAH.

Nun?

Was irrte dich denn sonst? Was könnte sonst

Dich aus der Fassung bringen?

SALADIN.

Was von je

Mich immer aus der Fassung hat gebracht. –

Ich war auf Libanon, bei unserm Vater.

Er unterliegt den Sorgen noch ...

SITTAH.

O weh!

SALADIN.

Er kann nicht durch; es klemmt sich aller Orten;

Es fehlt bald da, bald dort –

SITTAH.

Was klemmt? was fehlt?

SALADIN.

Was sonst, als was ich kaum zu nennen würd'ge?

Was, wenn ichs habe, mir so überflüssig,

Und hab' ichs nicht, so unentbehrlich scheint. –

Wo bleibt Al-Hafi denn? Ist niemand nach

Ihm aus? – Das leidige, verwünschte Geld! –

Gut, Hafi, daß du kömmst.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 235-239.
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