Zweiter Auftritt


[295] Der Patriarch, welcher mit allem geistlichen Pomp den einen Kreuzgang heraufkömmt, und die Vorigen.


TEMPELHERR.

Ich wich ihm lieber aus. – Wär' nicht mein Mann! –

Ein dicker, roter, freundlicher Prälat!

Und welcher Prunk![295]

KLOSTERBRUDER.

Ihr solltet ihn erst sehn,

Nach Hofe sich erheben. Itzo kömmt

Er nur von einem Kranken.

TEMPELHERR.

Wie sich da

Nicht Saladin wird schämen müssen!

PATRIARCH indem er näher kömmt, winkt dem Bruder.

Hier! –

Das ist ja wohl der Tempelherr. Was will

Er?

KLOSTERBRUDER.

Weiß nicht.

PATRIARCH auf ihn zugehend, indem der Bruder und das Gefolge zurücktreten.

Nun, Herr Ritter! – Sehr erfreut

Den braven jungen Mann zu sehn! – Ei, noch

So gar jung! – Nun, mit Gottes Hülfe, daraus

Kann etwas werden.

TEMPELHERR.

Mehr, ehrwürd'ger Herr,

Wohl schwerlich, als schon ist. Und eher noch,

Was weniger.

PATRIARCH.

Ich wünsche wenigstens,

Daß so ein frommer Ritter lange noch

Der lieben Christenheit, der Sache Gottes

Zu Ehr und Frommen blühn und grünen möge!

Das wird denn auch nicht fehlen, wenn nur fein

Die junge Tapferkeit dem reifen Rate

Des Alters folgen will! – Womit wär' sonst

Dem Herrn zu dienen?

TEMPELHERR.

Mit dem nämlichen,

Woran es meiner Jugend fehlt: mit Rat.

PATRIARCH.

Recht gern! – Nur ist der Rat auch anzunehmen.

TEMPELHERR.

Doch blindlings nicht?

PATRIARCH.

Wer sagt denn das? – Ei freilich

Muß niemand die Vernunft, die Gott ihm gab,

Zu brauchen unterlassen, – wo sie hin

Gehört. – Gehört sie aber überall

Denn hin? – O nein! – Zum Beispiel: wenn uns Gott[296]

Durch einen seiner Engel, – ist zu sagen,

Durch einen Diener seines Worts, – ein Mittel

Bekannt zu machen würdiget, das Wohl

Der ganzen Christenheit, das Heil der Kirche,

Auf irgend eine ganz besondre Weise

Zu fördern, zu befestigen: wer darf

Sich da noch unterstehn, die Willkür des,

Der die Vernunft erschaffen, nach Vernunft

Zu untersuchen? und das ewige

Gesetz der Herrlichkeit des Himmels, nach

Den kleinen Regeln einer eiteln Ehre

Zu prüfen? – Doch hiervon genug. – Was ist

Es denn, worüber unsern Rat für itzt

Der Herr verlangt?

TEMPELHERR.

Gesetzt, ehrwürd'ger Vater,

Ein Jude hätt' ein einzig Kind, – es sei

Ein Mädchen, – das er mit der größten Sorgfalt

Zu allem Guten auferzogen, das

Er liebe mehr als seine Seele, das

Ihn wieder mit der frömmsten Liebe liebe.

Und nun würd' unser einem hinterbracht,

Dies Mädchen sei des Juden Tochter nicht;

Er hab' es in der Kindheit aufgelesen,

Gekauft, gestohlen, – was Ihr wollt; man wisse,

Das Mädchen sei ein Christenkind, und sei

Getauft; der Jude hab' es nur als Jüdin

Erzogen; laß es nur als Jüdin und

Als seine Tochter so verharren: – sagt,

Ehrwürd'ger Vater, was wär' hierbei wohl

Zu tun?

PATRIARCH.

Mich schaudert! – Doch zu allererst

Erkläre sich der Herr, ob so ein Fall

Ein Faktum oder eine Hypothes'.

Das ist zu sagen: ob der Herr sich das

Nur bloß so dichtet, oder obs geschehn,

Und fortfährt zu geschehn.

TEMPELHERR.

Ich glaubte, das[297]

Sei eins, um Euer Hochehrwürden Meinung

Bloß zu vernehmen.

PATRIARCH.

Eins? – Da seh der Herr

Wie sich die stolze menschliche Vernunft

Im Geistlichen doch irren kann. – Mit nichten!

Denn ist der vorgetragne Fall nur so

Ein Spiel des Witzes: so verlohnt es sich

Der Mühe nicht, im Ernst ihn durchzudenken.

Ich will den Herrn damit auf das Theater

Verwiesen haben, wo dergleichen pro

Et contra sich mit vielem Beifall könnte

Behandeln lassen. – Hat der Herr mich aber

Nicht bloß mit einer theatral'schen Schnurre

Zum besten; ist der Fall ein Faktum; hätt'

Er sich wohl gar in unsrer Diözes',

In unsrer lieben Stadt Jerusalem,

Eräugnet: – ja alsdann –

TEMPELHERR.

Und was alsdann?

PATRIARCH.

Dann wäre mit dem Juden fördersamst

Die Strafe zu vollziehn, die päpstliches

Und kaiserliches Recht so einem Frevel,

So einer Lastertat bestimmen.

TEMPELHERR.

So?

PATRIARCH.

Und zwar bestimmen obbesagte Rechte

Dem Juden, welcher einen Christen zur

Apostasie verführt, – den Scheiterhaufen, –

Den Holzstoß –

TEMPELHERR.

So?

PATRIARCH.

Und wie vielmehr dem Juden,

Der mit Gewalt ein armes Christenkind

Dem Bunde seiner Tauf entreißt! Denn ist

Nicht alles, was man Kindern tut, Gewalt? –

Zu sagen: – ausgenommen, was die Kirch'

An Kindern tut.

TEMPELHERR.

Wenn aber nun das Kind,

Erbarmte seiner sich der Jude nicht,

Vielleicht im Elend umgekommen wäre?[298]

PATRIARCH.

Tut nichts! der Jude wird verbrannt. – Denn besser,

Es wäre hier im Elend umgekommen,

Als daß zu seinem ewigen Verderben

Es so gerettet ward. – Zu dem, was hat

Der Jude Gott denn vorzugreifen? Gott

Kann, wen er retten will, schon ohn' ihn retten.

TEMPELHERR.

Auch Trotz ihm, sollt' ich meinen, – selig machen.

PATRIARCH.

Tut nichts! der Jude wird verbrannt.

TEMPELHERR.

Das geht

Mir nah'! Besonders, da man sagt, er habe

Das Mädchen nicht sowohl in seinem, als

Vielmehr in keinem Glauben auferzogen,

Und sie von Gott nicht mehr nicht weniger

Gelehrt, als der Vernunft genügt.

PATRIARCH.

Tut nichts!

Der Jude wird verbrannt ... Ja, wär' allein

Schon dieserwegen wert, dreimal verbrannt

Zu werden! – Was? ein Kind ohn' allen Glauben

Erwachsen lassen? – Wie? die große Pflicht

Zu glauben, ganz und gar ein Kind nicht lehren?

Das ist zu arg! – Mich wundert sehr, Herr Ritter,

Euch selbst ...

TEMPELHERR.

Ehrwürd'ger Herr, das übrige,

Wenn Gott will, in der Beichte.


Will gehn.


PATRIARCH.

Was? mir nun

Nicht einmal Rede stehn? – Den Bösewicht,

Den Juden mir nicht nennen? – mir ihn nicht

Zur Stelle schaffen? – O da weiß ich Rat!

Ich geh sogleich zum Sultan. – Saladin,

Vermöge der Kapitulation,

Die er beschworen, muß uns, muß uns schützen;

Bei allen Rechten, allen Lehren schützen,

Die wir zu unsrer allerheiligsten

Religion nur immer rechnen dürfen!

Gottlob! wir haben das Original.

Wir haben seine Hand, sein Siegel. Wir! –

Auch mach' ich ihm gar leicht begreiflich, wie[299]

Gefährlich selber für den Staat es ist,

Nichts glauben! Alle bürgerliche Bande

Sind aufgelöset, sind zerrissen, wenn

Der Mensch nichts glauben darf. – Hinweg! hinweg

Mit solchem Frevel! ..

TEMPELHERR.

Schade, daß ich nicht

Den trefflichen Sermon mit beßrer Muße

Genießen kann! Ich bin zum Saladin

Gerufen.

PATRIARCH.

Ja? – Nun so – Nun freilich – Dann –

TEMPELHERR.

Ich will den Sultan vorbereiten, wenn

Es Eurer Hochehrwürden so gefällt.

PATRIARCH.

O, oh! – Ich weiß, der Herr hat Gnade funden

Vor Saladin! – Ich bitte meiner nur

Im besten bei ihm eingedenk zu sein. –

Mich treibt der Eifer Gottes lediglich.

Was ich zu viel tu, tu ich ihm. – Das wolle

Doch ja der Herr erwägen! – Und nicht wahr,

Herr Ritter? das vorhin Erwähnte von

Dem Juden, war nur ein Problema? – ist

Zu sagen –

TEMPELHERR.

Ein Problema.


Geht ab.


PATRIARCH.

(Dem ich tiefer

Doch auf den Grund zu kommen suchen muß.

Das wär' so wiederum ein Auftrag für

Den Bruder Bonafides.) – Hier, mein Sohn!


Er spricht im Abgehn mit dem Klosterbruder.[300]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 295-301.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Nathan der Weise
Nathan der Weise
Nathan der Weise: Studienausgabe
Nathan der Weise: Handreichungen für den Unterricht. Unterrichtsvorschläge und Kopiervorlagen
Nathan der Weise: Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen (Suhrkamp BasisBibliothek)
Nathan der Weise

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon