Dritter Auftritt


[301] Szene: ein Zimmer im Palaste des Saladin, in welches von Sklaven eine Menge Beutel getragen, und auf dem Boden neben einander gestellt werden.

Saladin und bald darauf Sittah.


SALADIN der dazu kömmt.

Nun wahrlich! das hat noch kein Ende. – Ist

Des Dings noch viel zurück?

EIN SKLAVE.

Wohl noch die Hälfte.

SALADIN.

So tragt das übrige zu Sittah. – Und

Wo bleibt Al-Hafi? Das hier soll sogleich

Al-Hafi zu sich nehmen. – Oder ob

Ichs nicht vielmehr dem Vater schicke? Hier

Fällt mir es doch nur durch die Finger. – Zwar

Man wird wohl endlich hart; und nun gewiß

Solls Künste kosten, mir viel abzuzwacken.

Bis wenigstens die Gelder aus Ägypten

Zur Stelle kommen, mag das Armut sehn

Wies fertig wird! – Die Spenden bei dem Grabe,

Wenn die nur fortgehn! Wenn die Christenpilger

Mit leeren Händen nur nicht abziehn dürfen!

Wenn nur –

SITTAH.

Was soll nun das? Was soll das Geld

Bei mir?

SALADIN.

Mach dich davon bezahlt; und leg'

Auf Vorrat, wenn was übrig bleibt.

SITTAH.

Ist Nathan

Noch mit dem Tempelherrn nicht da?

SALADIN.

Er sucht

Ihn aller Orten.

SITTAH.

Sieh doch, was ich hier,

Indem mir so mein alt Geschmeide durch

Die Hände geht, gefunden.


Ihm ein klein Gemälde zeigend.


SALADIN.

Ha! mein Bruder![301]

Das ist er, ist er! – War er! war er! ah! –

Ah wackrer lieber Junge, daß ich dich

So früh verlor! Was hätt' ich erst mit dir,

An deiner Seit' erst unternommen! – Sittah,

Laß mir das Bild. Auch kenn' ichs schon: er gab

Es deiner ältern Schwester, seiner Lilla,

Die eines Morgens ihn so ganz und gar

Nicht aus den Armen lassen wollt'. Es war

Der letzte, den er ausritt. – Ah, ich ließ

Ihn reiten, und allein! – Ah, Lilla starb

Vor Gram, und hat mirs nie vergeben, daß

Ich so allein ihn reiten lassen. – Er

Blieb weg!

SITTAH.

Der arme Bruder!

SALADIN.

Laß nur gut

Sein! – Einmal bleiben wir doch alle weg! –

Zudem, – wer weiß? Der Tod ists nicht allein,

Der einem Jüngling seiner Art das Ziel

Verrückt. Er hat der Feinde mehr; und oft

Erliegt der Stärkste gleich dem Schwächsten. – Nun,

Sei wie ihm sei! – Ich muß das Bild doch mit

Dem jungen Tempelherrn vergleichen; muß

Doch sehn, wie viel mich meine Phantasie

Getäuscht.

SITTAH.

Nur darum bring' ichs. Aber gib

Doch, gib! Ich will dir das wohl sagen; das

Versteht ein weiblich Aug am besten.

SALADIN zu einem Türsteher, der hereintritt.

Wer

Ist da? – der Tempelherr? – Er komm'!

SITTAH.

Euch nicht

Zu stören: ihn mit meiner Neugier nicht

Zu irren –


Sie setzt sich seitwärts auf einen Sofa und läßt den Schleier fallen.


SALADIN.

Gut so! gut! – (Und nun sein Ton!

Wie der wohl sein wird! – Assads Ton

Schläft auch wohl wo in meiner Seele noch!)[302]


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 2, München 1970 ff., S. 301-303.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Nathan der Weise
Nathan der Weise
Nathan der Weise: Studienausgabe
Nathan der Weise: Handreichungen für den Unterricht. Unterrichtsvorschläge und Kopiervorlagen
Nathan der Weise: Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen (Suhrkamp BasisBibliothek)
Nathan der Weise

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Nachtstücke

Nachtstücke

E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz

244 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon