Der Fall in den Fluß

[31] Lene Levi lief besoffen

Nächtlich in den Nebenstraßen

Hin und wieder »Auto« brüllend.


Ihre Bluse war geöffnet,

Daß man ihre feine, freche

Unterwäsche und das Fleisch sah.


Sieben geile Männlein rannten

Hinter Lene Levi her.


Sieben geile Männlein trachten

Lene Levi nach dem Leibe,

Überlegend, was das kostet.


Sieben, sonst sehr ernste Männer

Haben Kind und Kunst vergessen,

Wissenschaft und die Fabrik.


Und sie rannten wie besessen

Hinter Lene Levi her.


Lene Levi blieb auf einer

Brücke stehen, atemschöpfend,

Und sie hob die wirren blauen


Säuferblicke in die weiten

Süßen Dunkelheiten über

Den Laternen und den Häusern.


Sieben geile Männlein aber

Fielen Lenen in die Augen.
[31]

Sieben geile Männlein suchten

Lene Levis Herz zu rühren.

Lene Levi blieb unnahbar.


Plötzlich springt sie aufs Geländer,

Dreht der Welt die letzte Nase,

Jauchzend plumpst sie in den Fluß.


Sieben bleiche Männlein rannten,

Was sie konnten, aus der Gegend.
[32]

Quelle:
Alfred Lichtenstein: Gesammelte Gedichte. Zürich 1962, S. 31-33.
Lizenz:
Kategorien: