Der rote Mantel

[91] Nis Hinrichsen von Heistrupgaard,

Der Hardesvogt von Bülderupgaard,

War klug und wahr im Rate.

Sein Hengst sprang zwanzig Ellen weit,

Gespickt mit Pfeilen war sein Kleid,

Am Sonntag Jubilate.


Der alte König Gorm ist tot,

Da war im Reiche große Not,

Wer soll nun König werden.

Den Jüngsten, Gilm, liebt Volk und Land,

Der Andre, Skjalm, ist unbekannt,

Der schweift umher auf Erden.
[91]

Doch als er hört des Königs End',

Flugs hat er auch die Stirn gewend't,

Und ist zu Haus schon heute.

Der Jüngste aber schreit ihn an,

Was willst du hier, du fremder Mann,

Dich kennen nicht die Leute.


Was, rief der Älteste mit Grimm,

Du Kobold, du, und das wär' schlimm,

Doch höre, was ich sage.

Nis Hinrichsen, wie dir bekannt,

Ist Vicekönig hier im Land,

Der schlichte unsre Klage.


Nis zog die Hakennase kraus

Und wettert zornig: Ei, der Daus.

Vor Ärger wurd' er gelbe.

Denn mach' ich Skjalm die Sache recht,

So mach ich Gilm die Sache schlecht,

Und umgekehrt dasselbe.


Der Teufel hol' den Kronenzwist,

Ich bitt' mir aus ein Halbjahr Frist,

Es wird vielleicht gelingen.

Stark füttern ließ er seinen Rock,

Und übte über Stein und Stock

Sein milchweiß Pferd im Springen.


In Urnehöved war die Wahl,

Es warten dort in Helm und Stahl,

Skjalm, Gilm, und ihre Ritter.

Nis kam und schrie von Weitem schon:

Gilm blieb im Land, dafür den Thron. –

Kehrt, fort wie Ungewitter.
[92]

Heraus die Plempen, schlagt ihn tot,

Brüllt heiser Skjalm, Schockschwerenot,

Und laßt die Pfeile schwirren.

Es braust die Jagd wie Wettergraus,

Doch Nis ist immer weit voraus,

Und läßt sich nicht beirren.


Heissa, in rasendem Galopp,

Ein Wagen wegquer, drüber, hopp,

Es zaudern schon die Letzten.

Sein dicker roter Mantel bläht,

Von tausend Pfeilen übersät,

Weit ab die Hund', die hetzten.


Den roten Mantel hing er auf

An einer Marmorsäule Knauf

In hohen Tempelhallen.

Mein Urgroßvater fand ihn noch,

Ich sah von ihm kein Ösenloch,

Er ist in Staub zerfallen.

Quelle:
Detlev von Liliencron: Adjudantenritte und andere Gedichte, Leipzig 1883, S. 91-93.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Prévost d'Exiles, Antoine-François

Manon Lescaut

Manon Lescaut

Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon