Pästum

[35] Brütend liegt der Mittag über

Pästum's öder Fiebergegend,

Schwüle Nebel niederlegend,

Selbst die Sonne schimmert trüber,

Und die alte Stadt Poseidon's,

Stumm und einsam liegt sie da,

Ein zerstörtes Sodoma.


Auf zerbrochnen Steinkolossen

Umgestürzter Architrave

Blühen Kaktus und Agave,

Um die alten Mauern sprossen

Rote Blumen und Akanthus;

Duftig wuchern drüberhin

Thymian und Rosmarin.


Nur ein gelber Tempelriese

Trägt noch seine Quaderbalken;

Um den Giebel fliegen Falken,

Efeu rankt sich um die Friese,

Und die Natter und die Eidechs

Sonnt sich an der Tempelwand,

Wo geflammt der Opferbrand.


Ungebrochen stehn die schlanken

Dorersäulen; ein Jahrtausend[35]

Sahen sie vorüberbrausend;

Throne stürzten, Völker sanken;

Über ihre Marmorhäupter

Wie durchs Meer, dem sie geweiht,

Weht ein Hauch der Ewigkeit.

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 35-36.
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