22. Nordlandssee

[133] Im Norden liegt ein See, gebirgumschlossen

Und fast das ganze Jahr bedeckt vom Eise.

Der Frühling, wenn er kommt, geht hier so leise,

Daß nur die kleinsten Blumen ihm entsprossen.


Dann kommt wohl auch ein Quell vom Berg ergossen,

Die Birke grünt, die leicht beschwingte Meise

Singt im Vorüberflug auf ihrer Reise,

Doch diese Sommerzeit ist bald verflossen.


Die Welle, noch vom Wind gekräuselt eben,

Erstarrt urplötzlich, vom Gestad' verschwindet

Das zarte Grün, die letzte Spur vom Leben.


Die Ruhe, die nun alles wieder bindet,

Ist ohne Glück, und keinen Trost mag geben

Die Einsamkeit, die hier das Herz empfindet.

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 133.
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