Lose der Dauer

[211] Im Gletschereis wird kein Atom verwesen,

Im dürren Sand bleibt unversehrt die Leiche;

Der taube Stein bleibt ewig sich der gleiche,

Und nur die Blüte wird vom Tod gelesen.


Ein Griechenland ist flücht'ger Traum gewesen,

Zum schönsten Glauben sprach die Zeit: Erbleiche!

Doch wandellos aus Trümmern größrer Reiche

Starrt jene Mumienherrschaft der Sinesen.


Ein Nachen schwankt, wo Flotten einst gelandet;

Sein Bett vergißt der Strom, die Spur vom Zuge

Der frühsten Völkerheere liegt versandet.


Nur Wind und Wolken stets im alten Fluge

Ziehn hin und her, und Flut und Ebbe brandet,

Und nur der Wechsel kommt nicht aus der Fuge.

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Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 211.
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