Fest-Ode bei Einweihung der Schiller-Statue in München

[265] 5. Mai 1863


Bringet, ihr Wogen des Lebens, wieder jene begeisterten Stunden zurück,

Wo vor dem harrenden Volk zum erstenmal

Aus ehernem Gusse das Standbild seines Dichters leuchtend und groß sich erhob?

Einst spät des Nachts noch stund ich einsam still betrachtend dort, und ich redete viel mit dir im Geist,

Und die Nacht stund über uns mit ihren Sternen.


Schmerzlich den letzten und bangen Hauch ausatmend, der Nachtigall gleich, noch im Tode,

So starb, was an Schiller von Staub war. Frühlingslicht

Ruht über des Toten entschlafenem Antlitz, aus ist alles beengende Leid,

Aus aller Kampf in trüber Erdennacht; Tränen, tief empfundene Tränen, geheiligt durch ihn selbst,

Dem sie galten, weihte Deutschland seinem Sänger.
[265]

Schweigende du, die des Schöpfers Plan mit undurchdringlichem Schleier umgibt,

Du heilige Nacht um den Abgrund alles Seins,

Durchleuchtet von Strahlen des Lichtmeers, höchste Schönheit, Geheimnis der Welt,

Die Seele, selbst sich Rätsel, denkt voll Sehnsucht viel sich Inniges über ihr Los hienieden aus,

Oft in schwermutvollen, stets anmut'gen Bildern.


Dichtend sah sie viel voll Tiefsinns schon, was der erforschende Geist

Spät hernach erst fand, vollbringend den Sieg der Idee.

Sie trägt dann, wie ihr eigenes Bild,

Wie die geflügelte Sphinx an sich das Memento noch hat, so auch, und jetzt

Hehr und befreit im Triumph, die Totenmaske hoch in die blühende Welt,

Als das Sinnbild ihrer Abkunft von den Sternen.

Wie wir entstanden, woher wir kommen, welches der Ersten des Menschengeschlechts

Ursprüngliche Heimat und ihr Schicksal war, traumhaft

Die Mythe nur sagt es und wirft darüber blitzschnell sprühendes Streiflicht und weckt

Ein Vorgefühl vollkommener Einsicht; Sinnbild wird ihr alles Erscheinende, jede Lebensspur

Wird der Ausdruck einer Weltalloffenbarung.


Und die Geschichte beginnt mit jener düstern Erinnerung an Frevel und Schuld,

An ein verlornes Paradiesesglück,

Dem dann finstrer Mächte Gewalt folgt, Mord und Gräu'l, unsäglicher Jammer der Welt,

Bis die erstehen, die kampfesfroh, Halbgötter, Unrecht tilgen und siegend vom Joch die Welt befrei'n,[266]

Licht vom Himmel, Recht und Wahrheit den Menschen bringend.

Auch du, Poesie, edelst und befreiest den Menschen, du schaffest

Reihen lebensvoller Gestalten, der Tugend schönes Vorbild; deine Glut

Leuchtet voran und erhellt den streng vom Geschick uns gegebenen dunkeln Pfad.

An der Geschlechter, der Menschheit Wiege webst du Bilder der künftigen Zeit

Und erhebst aus Grabesnacht ruhmreiche Vorwelt.


Welchen Gedanken flocht deutungsvoll die Gottheit, welchen Gedanken an sich

In ihrer Erkornen Sendung? Denn die sind

Mit aller erhabnen Erinnerung eines Volks aufs tiefste verwoben und stets

Der Größe Mitvollbringer, weil ja ewig, Zeugschaft gebend von Geist- und Gemütskraft, unverfälscht

Als ein Erbgut stets der Dichtung Sprache fortlebt.


Kühn wie der Adler vor Deutschlands Heereszug zu der Kaiser gewaltiger Zeit,

So weht wie vom hohen Gebirg dein Flug! Dich mit Stolz

Voll innigen Dankes nennt sein das Vaterland, ja jedes Jahrhundert bekennt sich

Zu deinem Ruhm, die Gegenwart strebt, tiefgerührt von deines Gesanges Wohllaut, wetteifernd dich

Auch im Erzbild ragend stets vor sich zu schauen,


Komm denn zu uns, wo, deines Genius Flügen verwandt,

Säulenbau dich grüßt, wo der Antike geweiht, o Schiller, dich an die Welt[267]

Tempel und Künste des Altertums erinnern in stillem Marmorglanz,

Edle Gestalten und Formen reiner Schönheit, wo mit heiliger Glut

Dich ein König ehrt und stets mit neuem Lorbeer![268]

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 265-269.
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