324. Das Eierlesen.

[242] Der ebenso einfache und prunklose als kräftige Charakter unserer Alten tritt uns überall in ihrem Leben, selbst in ihren Spielen entgegen. Ein Spiel dieser Art wurde noch bis vor 4 oder 5 Jahren (wo es der Pächter abstellte) alljährlich zu Ostern in Ellmarshausen, einer Malsburgschen Besitzung, unweit Wolfhagen, von den Knechten des Pachthofs geübt. Einige derselben begeben sich nämlich am zweiten Ostertage in die in der Nähe an der Erpe[242] liegenden Mühlen, wo sie, nach scherzhafter Anforderung, von jedem Müller eine Anzahl Eier, zusammen etwa 120-130 Stück geschenkt erhalten. Nun ziehen alle Knechte auf eine große Wiese bei Ellmarshausen, woselbst die Eier in eine einzige lange Reihe ausgelegt werden, Stück um Stück, mit je einem Fuß Zwischenraum; an das oberste Ende dieser Eierlinie wird ein Korb hingestellt. Zwei Knechte, welche sich stark genug fühlen, einen Wettlauf zu bestehen, treten dann hervor, um zu gleicher Zeit ihren Lauf zu beginnen. Des Einen Ziel ist das, eine halbe Stunde von Ellmarshausen auf der Höhe liegende Dorf Nothfelden, von wo er, mit einem Zeugniß seiner Anwesenheit versehen, ungesäumt zurückkehren muß. Des Andern Aufgabe dagegen ist, von dem Korbe, welcher stehen bleibt, bis zum untersten Ei der Linie zu laufen, dieses zu holen und behutsam in den Korb zu legen und ebenso mit allen übrigen Eiern zu verfahren, doch darf er immer nur eins holen. Hat er auf diese Weise alle Eier in den Korb getragen, ehe der Gegner von Nothfelden wieder auf der Wiese eintrifft, so ist der Sieg sein; kommt aber dieser mit seinem Laufe eher zu Ende, als jener mit dem Eierlesen, so hat er den Sieg.

Ist der Wettlauf geschehen, so geht es zu Tanz und Musik, wobei die andern Knechte den Sieger frei halten müssen. Die Eier aber werden in Gemeinschaft verzehrt.

Auch in Ehlen findet, bei gutem Wetter, am zweiten Ostertage das »Eierlesen« noch statt. Am Tage zuvor gehen einige junge Bursche im Dorfe von Haus zu Haus, Eier zu sammeln; zwei tragen Körbe, die andern sagen die Bitte her. Am folgenden Tage ziehen Burschen und Mädchen unter Musikbegleitung auf eine lange ebene Trift vor dem Walde, wo die Eier Stück um Stück in eine, sind es viele in zwei Reihen ausgelegt werden. An das obere Ende stellt sich die Musik und nun lauft einer von den Burschen von da zum untern Ende und holt das letzte Ei und[243] dann, immer eins nach dem andern, die nächstfolgenden. Während dem lauft ein Anderer nach dem eine halbe Stunde entfernten Dorfe Dörnberg, wo er aus dem ersten Hause, welches er erreicht, ein Zeichen seiner Anwesenheit, einen Besen oder was ihm am schnellsten zur Hand ist, mitnimmt. Wer mit seiner Aufgabe zuerst fertig ist, hat den Sieg und die Ehre des Tages und wird unter Musik und Jubel durchs Dorf und zum Tanze geführt, wobei die Eier gebacken und gemeinschaftlich verzehrt werden.

In gleicher Weise ist das Eierlesen auch in Burghasungen, und selbst um Frankenberg herum und an der untern Diemel noch üblich.

Mündlich.

Quelle:
Karl Lyncker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen. Kassel 1854, S. CCXLII242-CCXLIV244.
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