Goldammer und Ortolan

[125] 1.

Wenn die Goldammer singt,

Im Herzen mir klingt

Süßzitternd ein Wörtchen noch nach –

O du seliger Tag

In dem Jungkiefernschlag,

Wo vor Wonne dein Grauauge brach;

Und die Goldammer sang,

O wie innig es klang:

»Wie, wie hab' ich dich lieb!«


2.

Es girrten die Tauben, die Goldammer sang,

Der Pfingstvogel flötete drein,

Und über uns rauschend und säuselnd erklang

Des Föhrichtes dumpf Melodei'n,

Wie Opfergerüche durchtränkte die Luft

Des Kienes erquickender, frischender Duft –

Du Bild jenes Tages, entweich, entflieh! ...

Ich glaub', ich vergesse es nie.
[125]

3.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


4.

Die Luft ist heiß, ich schleppe mühsam

Die Füße durch der Landstraße Staub,

Kein Hoffen im Herzen, keine Angst zu sterben,

Und alles bedeckt weißgrauer Staub.

Vom trocknen Ebereschenzweig

Stimmt müde, matt und schmerzensreich

Der Ortolan

Sein Liedchen an...

Fort mit dem Liede:

»Ich bin müde –«...


Münster, 13. Dezember 1889


Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 125-126.
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