Der Winter

[23] 1778.


Bis zur fröhlichen Lenzesauferstehung,

Ruhn die farbigen Rasenblümlein alle,

Und die duftenden Kräuter dieser Wiese,

Ach! im starrenden, kalten Wintergrabe,[23]

Von hellblinkenden Floken überflimmert!

Aehnlich Todtengerippen, stehn die Bäume,

Ihres säuselnden Blätterschmuks entkleidet;

Wo, gehüllet in grüne Zweigbeschattung,

Oft die flötende Sängerin der Mainacht

Ihre schmelzenden Zauberlieder tönte!

Wes die Jünglinge sich und alle Mädchen,

Auf den Blumengefilden, weiland freuten,

Hat, verheerender Winternord! dein Odem

Von den frostigen Fluren weggewütet!

Jedes dämmernde Zweigdach für die Liebe,

Jede schattende Laube für das Kelchglas,

Hast in ödige Wüste du gewandelt!

Unbekümmert der tausend Mädchenthränen,

Unbekümmert der bangen Jünglingsseufzer!

O des mürrischen Freudentilgers! selbst des

Mir so heiligen Pläzchens nicht zu schonen,

Wo, am wallenden Busen meiner Maja,

Ich, im seligen Taumel, mir den Himmel,

Ueberblühet von Lenzgebüschen, träumte!

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 23-24.
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