[200] An Friederike Brun, geb. Münter.
1791.
Süß athmen die Blüten am stürzenden Bach,
Hoch lächelt am Hügel manch friedliches Dach,
Umkreist von grünen Gehegen,
Dem Wandrer entgegen.
Die Lüfte wehn reiner, die Unterwelt flieht,
Die Pfade sind schattig, der Cytisus blüht.
Wie mild ergeußt sich die Frische
Der Balsamgebüsche!
Wie schimmert das Grün der arkadischen Flur!
Wie glänzen die Thäler von Gold und Azur!
Wie blinkt im wolligen Kleide
Die silberne Weide!
Wie funkelt der Bäche mäandrische Flut!
Wie dämmern die Hügel von Heerden umruht!
Wie glühn, in blendender Reihe,
Die Berg' in der Bläue!
[200]
Dem Tempe des Friedens von Heerden bewallt,
Entwinden die steinigen Pfade sich bald,
Der Schlund am Felsen wird enger,
Die Düsternis bänger.
Nun sterben die Laute beseelter Natur;
Dumpftosend umschäumen Gewässer mich nur,
Die hoch an schwarzen Gehölzen
Dem Gletscher entschmelzen.
Wo Felsen den wütenden Stromfall umdräun,
Da wandl' ich im Schauer der Wildniß allein,
Und seh' mit traurigem Sinnen
Die Fluten verrinnen.
Hier wandelte nimmer der Odem des Mais;
Hier wiegt sich kein Vogel auf duftendem Reis;
Nur Moos' und Flechten entgrünen
Den wilden Ruinen.
Wie Hesper vom Purpur des Abends umwallt,
O Freundin, so lächelt mir deine Gestalt,
Und hellt mit mondlicher Milde
Des Todes Gefilde.
O Freundin! ich denke mit Lust und mit Weh
Des Hügels, wo wir, unter Eichen, am See,[201]
Im Geist' all unsern Vertrauten
Ein Hüttchen erbauten.
Noch tönet, wie leiser Harmonikaklang,
Mir tief in der Seele dein süsser Gesang.
Du rührst im Grazienschleier
Die lesbische Leier.
Hell schwebt noch, im abendlich duftigen Flor,
Das Eiland der friedlichen Saone mir vor,
Wo jüngst wir unter Syringen
Im Dämmerlicht gingen.
Noch wähn' ich die Thäler im Blütengewand,
Noch wähn' ich, die Wälder am Nachtigallstrand
Des Sees und Agathons Hallen
Mit dir zu durchwallen.
Das Zaubergemälde der Täuschung zerrinnt,
Wie Nebelgestalten im sausenden Wind;
Kalt sprühn um wehende Locken
Mir schneiende Flocken.
Jezt neigt sich allmählich von eisigem Plan
An steiler Granitwand hinunter die Bahn.
Wie dräun, halb dunstig umflossen,
Die Felsenkolossen!
[202]
Oft reissen hoch aus der Umwölkungen Schooß
Mit Donnergetöse die Blöcke sich los,
Daß rings in langen Gewittern
Die Gipfel erzittern.
Tief schlummert hier unter dem Trümmergestein
Am einsamen Kreuz der Erschlagnen Gebein.
Der Wandrer meidet mit Schauer
Die Stäte der Trauer.
Ruht sanft, o ihr Todten, im Wolkenrevier.
Der Odem des Ewigen wandelt auch hier.
Empfangt, statt Lorbeer und Rose,
Dies Opfer von Moose.
Dort senkt sich, so schaurig und still wie die Gruft,
Ein Pfad über Schiefer aus nächtlicher Kluft,
Wo Todesahndungen walten
Um gräßliche Spalten.
Ihn wandelt der Jäger der Gemsen, im Graun
Der feuchtenden Wolke, mit kühnem Vertraun,
Und späht, im treuen Geleite
Der Hunde, nach Beute.
Oft dringt er im Lauf der herkulischen Jagd
Durch kaltes Geträufel und Schlünde voll Nacht
Hinunter zu der Kristalle
Cimmerischer Halle.
Ich folge dem Starken; im Kampf mit Gefahr
Erhebt sich, wie machtvoll zur Sonne der Aar,
Der Geist aus kerkernden Schranken
Zu Göttergedanken.
[203]
Bald endet am schwankenden Stege die Kluft.
Wie lieblich sich unten aus magischem Duft
Die Pyramidengestalten
Der Tannen entfalten!
So lächelt, nach Wogengetümmel und Sturm,
Dem nächtlichen Schiffer der leuchtende Thurm
Durch Nebel, welche die Auen
Der Heimat umgrauen.
In Herrlichkeit ragen, am Westhorizont,
Die Riesen der Alpen, schon röther besonnt.
Wie sanft sich östlich mit Bäumen
Die Triften besäumen!
Die Schneewelt umschleiert ein weißliches Grau;
Fern glänzen die Blumengefilde vom Blau
Der Soldanelle verkündet;
Die Wüste verschwindet.
Schon senkt sich der Abend. Im röthlichen Schein
Winkt, unter den Felsen am Lerchenbaumhain,
Die Eremitenkapelle
Mit moosiger Zelle.
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