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[60] Der Scheik. Babel. Schēfakā.
SCHEIK ihnen nachschauend.
Da gehn sie hin, die Geister des Kurān!
Wie gern sie doch regieren, diese beiden!
So heimlich! Ohne daß man es bemerkt!
Man kann sie nur auf scharfer Trense reiten.
Im Uebrigen läßt man sie sich gefallen!
SCHĒFAKĀ hat ein Kissen aus dem Zelte geholt, legt es auf den steinernen Thron. Zum Scheik.
Komm, setze dich, du Geist des Morgenlandes!
Während er es tut.
Ob du wohl weißt, wie gern auch du regierst!
Ganz öffentlich! Daß Jeder es bemerkt!
Man muß oft große Nachsicht mit dir haben.
Im Uebrigen gefällst du mir sehr gut!
Holt ihm einen Tschibūk, bringt Tabak, gibt Feuer, auch ihrem Vater, der seinen Platz wieder eingenommen hat und in den Büchern blättert.
SCHEIK sich behaglich dehnend.
Wie wohl ist mir!
Gibt ihr die Peitsche, die sie zur Seite legt.
Da, nimm die Peitsche hin!
Ich will mich pflegen. Fort mit dem Regieren,
Wär es auch nur um deinetwillen, Kind,[60]
Damit ich dich einmal zufrieden stelle!
Zu Babel.
Was tun wir heut?
BABEL.
Wir kleiden unsre Seele.
SCHĒFAKĀ faltet die Hände und senkt sie tief herab, drolliger Augenaufschlag.
»Was tun wir heut?« »Wir kleiden unsre Seele!«
Wie groß das klingt, wie überirdisch groß!
Erklärend.
Der Schöpfer hat ein dickes Buch geschrieben,
Das hochberühmte Buch vom »Menschen geiste«,
Zu dem der Scheik Modell gewesen ist.
Und nun das Buch gebunden vor uns liegt,
Sitzt er, der Schöpfer,
Auf ihren Vater deutend.
unten an der Erde
Und seine Kreatur, der »Menschengeist«,
Auf den Scheik deutend.
Dagegen auf dem allerhöchsten Platze!
SCHEIK komisch.
Das Schreckenskind!
BABEL wichtig.
O nein! Modell zur »Seele!«
SCHĒFAKĀ fortfahrend.
Der Schöpfer schreibt an einem zweiten Werke,
Am Manuskripte von der Menschenseele,
Zu der nun ich Modell zu stehen habe.
Ich glaube, wenn er es vollendet hat,
Ist er ganz in die Erde weggeschwunden,
Doch aber ich, nur seine Kreatur,
Bin in den höchsten Himmel aufgestiegen.[61]
BABEL mit Würde.
Das Hohe sinkt, sobald das Niedre steigt;
Das ist Gesetz und wird es ewig bleiben.
SCHĒFAKĀ kindlich.
Wenn du zu fallen hast, sobald ich steige,
So bleib ich unten, denn ich liebe dich.
Wenn ich mich heut als »Seele« schmücken soll,
Geschieht es nur für dich und nicht für mich.
Denn dieser Schmuck, den du mir anbefiehlst,
Ist viel zu schwer und viel zu reich für mich.
SCHEIK.
Fast ebenso kam mir der meine vor,
Als ich als »Geist« vor meinem Spiegel stand,
Doch heute weiß ich, daß es richtig war.
Sich erinnernd, mit Stolz.
Dein Vater kleidete mich
Deutet nach dem Turme.
aus dem Schatz
In königliche Mārakānda-Seide.
Im Gürtel von geweihter Schlangenhaut
Erglänzte mir die scharfe Sūri-Klinge.
Im Haar trug ich den Reif von Ēridū,
Und von der Schulter floß in schweren Falten
Der goldgewebte Mantel von Elīssa.
Steht auf, mit königlicher Gebärde.
So saß ich als der erste »Menschengeist«
Auf seinen Thron deutend.
Hier auf dem ersten Thron der Weltgeschichte – – –
Tut einige gravitätische Schritte und fährt dabei fort.
Ging auch zuweilen stattlich hin und her
Und übte mich in wirkungsvollen Blicken – – –[62]
SCHĒFAKĀ munter.
Ich weiß, ich weiß. Das tut der Geist ja immer!
SCHEIK scherzend.
Die Seele aber nicht?
SCHĒFAKĀ.
Es fällt ihr schwer.
SCHEIK.
Wenn ich ihr helfen dürfte?
SCHĒFAKĀ.
Dann vielleicht!
SCHEIK.
So geh, und schmücke dich!
SCHĒFAKĀ zu ihrem Vater.
Soll ich es tun?
BABEL auch scherzend.
Der Geist befiehlt!
SCHĒFAKĀ.
So füge ich mich ihm!
Verschwindet in der Frauenabteilung des Zeltes.[63]
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