Zweiter Auftritt


[113] Die Phantasie. Die Bibel. Schēfakā kommt, in Eile und Aufregung.


SCHĒFAKĀ.

Ich bringe Botschaft – – – gänzlich außer Atem – – –

Ich muß mich setzen – – –


Geht nach dem Throne und läßt sich auf ihn nieder.


So, da sitze ich!

Kommt her!


Winkt sie rechts und links zu sich her.


Doch nein! Es zerrt mich wieder auf!


Verläßt ihren Sitz und geht, lebhaft gestikulierend, hin und her.


Wenn ich bewegt bin, muß ich mich bewegen!


Spricht in kurzen Absätzen, mit Zwischenpausen, während die Phantasie stehen bleibt, die Bibel aber nach dem Alabaster geht, um sich niederzusetzen.


Sie ist noch gar nicht tot – – – sie lebt vielleicht – – –

Sie lebt sogar wahrscheinlich – – – ganz gewiß! – – –

Doch darf sie niemals, niemals wieder her – – –

Auch wenn sie wollte – – – ihres Glaubens wegen:

Das ist beschlossen worden – – – abgemacht!

PHANTASIE.

Du sprichst von Bēnt'ullāh?

SCHĒFAKĀ bejahend.

Von Bēnt'ullāh – – –

Von der Verstoßenen – – – Ich liebe sie – – –

Zwar heimlich – – – aber doch![113]

BIBEL in deren Nähe Schēfakā grad kommt, sie liebkosend.

Du bist die Seele!

SCHĒFAKĀ zornig.

Mir Alles gleich – – – nur keine Ān'allāh!


Gedämpften Tones, heimlich tuend.


Dem Kādi soll es schlimm ergangen sein,

Auch dem Imām – – – vom Scheik! – – – Man hat gehorcht!

Doch öffentlich sind sie die besten Freunde – – –

Und Alles bleibt beim Alten – – – auch das Schach.


Wieder laut.


Das wird ein stolzes, imposantes Spiel.

Soll ich euch sagen, wie und wo?

PHANTASIE.

Wir hören!

SCHĒFAKĀ stellt sich breitspurig hin und zeichnet mit weit ausgestreckten Armen zu dem, was sie sagt, die Linien.

Da draußen in dem Sande von Achkām,

Sind vierundsechzig Felder abgeteilt,

Auf denen


Erst nach links und dann nach rechts.


hier – – – und hier – – – Figuren stehen.

Und vor den Feldern, also – – – hier und – – – hier,

Sind köstliche Altane hochgebaut,

Mit bunten Teppichen aus Fārahān,

Wo


Zeigt wieder nach links und nach rechts.


da der Scheik und – – – da die Hexe sitzt,

Um ihre Züge laut zu kommandieren.


Im Hintergrunde erscheint der Scheik der Todeskarawane. Die Phantasie setzt sich auf den Thron. Die Bibel, welche auf dem Alabaster sitzt, zieht sofort den Schleier über ihr Gesicht. Schēfakā aber fährt, ohne den Ankömmling zu bemerken, in ihrer Beschreibung fort.


Die kämpfenden Figuren sind zu Pferde,

Und jeder Zug erfordert Reiterkünste,[114]

Bei denen wir den Feind beschämen würden,

Wenn nicht der Scheik der Todeskarawane

Das Schach zu reiten übernommen hätte.

Ich habe mich zunächst vor ihm gefürchtet;

Dann habe ich mich bloß nur noch gescheut,

Und jetzt kann ich schon leidlich mit ihm reden,

Doch für die Rolle, die er spielen soll,

Ist er gewiß und sicher unbefähigt;

Das sieht man ihm ja schon von Weitem an![115]

Quelle:
Babel und Bibel. Arabische Fantasia in zwei Akten von Karl May. Freiburg i.Br. 1906, S. 113-116.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Babel und Bibel
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