III

Der letzte Mediana

[104] Es war gegen Abend. Ein goldenes Licht, ähnlich dem, mit welchem die niedersteigende Sonne die Wogen des Ozeans küßt und sie mit purpurnen und silbernen Tinten färbt, spielte auf den zitternden Wellen, welche der Abendwind die grünen, biegsamen Stengel der Maisfelder ausführen ließ. Von diesem erfrischenden, wohlthuenden Winde sanft geschüttelt, fielen die weißen Blüthen der Olivenbäume wie Schneeflocken auf den duftenden Rasenteppich herab. Die Taglöhner kehrten nach verrichteter Arbeit in ihre Hütten zurück, die einen mit Ackergeräthschaften beladen und die andern mit dem langen Treibstachel versehen, mit welchem sie die trägen Ochsen zur Beschleunigung ihres Laufes veranlaßten.

An den Ufern des Baches, welcher durch die Felder der Hazienda del Venado strömte, versammelten sich Tausende von Thieren, um ihren Durst zu löschen. Bald waren es lange Reihen von Stieren und Kühen, welche bei dem Anblicke ihrer Tränke vor Freude brüllten; bald sprangen große Heerden freier Pferde nach dem Wasser hin oder verfolgten einander spielend auf der weiten Ebene. Der[104] Boden erzitterte unter dem Galopp dieser edlen Thiere, welche, obwohl an den Anblick des Menschen ziemlich gewöhnt, noch den schüchternen Stolz der wilden Mustangs hatten und dem bewundernden Blicke zahllose Köpfe mit glänzenden Augen, offenen, dampfenden Nüstern und fliegenden Mähnen darboten. Sobald der Durst gelöscht war, flogen sie in wogenden Haufen mit der Schnelligkeit des Blitzes wieder dahin, wobei sie, hochgehobenen Schweifes, muthwillig mit den Hinterhufen ausschlugen, bis sie inmitten der aufgewirbelten Staubwolke verschwanden. Nicht der mächtigste arabische Häuptling und nicht der reichste Patriarch zählte so zahlreiche und schöne Heerden, wie diejenigen waren, welche man hier erblicken konnte.

Zwei Männer kamen aus dem Walde und ritten auf die Hazienda zu. Der Eine saß auf einem Pferde, der Andere auf einem Maulthiere. Pferd und Maulthier gehörten jedes gewiß zu den schönsten Exemplaren ihrer Art; das erstere übertraf mit seinem stolzen Schwanenhalse und seiner weiten Brust kaum das neben ihm einherkourbettirende Maulthier mit seinen feinen Beinen, seinen schönen, runden Flanken und seinem glänzenden Kreuze. Der, welcher auf dem Pferde saß, war Don Augustin Pena. Er trug einen Strohhut von Guayaquil, ein Hemd von feinem, weißem Battist, ohne Wamms, und eine an den Lenden dicht anliegende Sammethose mit ächt und massiv goldenen Knöpfen. Der auf dem Maulthiere reitende Mann war der Kaplan der Hazienda, ein ehrwürdiger Franziskanermönch mit blauer Kutte. Als Gürtel trug er eine seidene Schnur; sein Kleid aber war über seinen mit langen, hellklingenden Sporen bewaffneten Reitstiefeln hoch aufgeschürzt. Ein großer, grauer Filz,[105] der ihm ziemlich keck auf der Seite saß, gab ihm ein mehr soldatisches als mönchisches Aussehen. Sie hatten sich unweit der Hazienda getroffen und kehrten nun im Verein zu derselben zurück.

»Aber sagt, ehrwürdiger Vater, warum Ihr so lange seid? Ich erwarte Euch schon seit drei Tagen von der Reise zurück und da Ihr nicht kamet, glaubte ich beinahe, der heilige Julian, welcher nach Eurer eigenen Versicherung der Schutzpatron aller Reisenden ist, habe Euch verlassen und es sei Euch daher irgend ein Unglück zugestoßen.«

»Der Mensch steht allüberall in Gottes Hand, Sennor Augustin, und ich kehre so spät zurück, weil ich während meiner Reise jede Gelegenheit ergriffen habe, diesem Herrn zu dienen in Worten und Werken. Ich habe Hungernde gespeist, Durstige getränkt, Betrübte getröstet, Kranke besucht, Sterbenden das heilige Sakrament ertheilt – –«

»Sterbenden? Ist Jemand in der Nähe gestorben?«

»In der Nähe nicht. Zwei Tagereisen von hier wurde ich zu der Mutter des Rastreador Tiburcio Arellanos gerufen. Sie sah dem Tode wie die Frau eines ächten, wackern Gambusino entgegen: mit frommem Herzen und muthiger Seele.«

»Des Tiburcio? Ja, ich weiß, daß sie todt ist; er hat es mir erzählt.«

»Wo und wenn?«

»Das berichte ich Euch später; es gehört eine volle Musestunde dazu. Habt Ihr sie sterben sehen?«

»Nein; meine Zeit war mir so knapp zugemessen, daß ich bald wieder fort mußte. Aber ihre Beichte habe ich gehört und ihr das letzte Sakrament gegeben.«[106]

»Man weiß nicht genau ob ihr Mann Marcos Arellanos, todt oder nur verschollen sei?«

»Er ist todt.«

»Wißt Ihr das genau?«

»Genau.«

»Wo ist er gestorben?«

»Am Rio Gilo, aber nicht gestorben, sondern ermordet worden von der ruchlosen Hand eines Mannes, dem er sein ganzes Vertrauen geschenkt hatte.«

»Ah! Ist der Mörder entdeckt? Hat er die That gestanden?«

»Nein.«

»Aber wie kann man denn so genau wissen, daß und wo er eines so gewaltsamen Todes gestorben ist?«

»Weder Ihr noch ich haben einen Begriff von dem erstaunenswerthen Scharfsinne, mit welchem diese Jäger und Goldsucher aus den unbedeutendsten Anzeichen, welche ein anderes Auge gar nicht finden und bemerken würde, sich eine ganze, verwickelte Geschichte mit zu bewundernder Sicherheit zusammensetzen.«

»Ich liebe diesen Tiburcio Arellanos, bin ihm zu großem Danke verpflichtet, wie Ihr bald erfahren werdet, und möchte wohl die Geschichte vernehmen.«

»Ich darf sie Euch erzählen; sie gehört nicht mit zur Beichte, obgleich sie mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut wurde. Marcos Arellanos hatte jenseits des Präsidio Tubac ein außerordentlich reiches Goldlager entdeckt, mußte aber vor den Apachen weichen und kehrte zu seiner Frau zurück, um sich zu einem zweiten Besuche dieser Bonanza vorzubereiten. Ihr vertraute er Alles an und ließ ihr sogar eine Zeichnung zurück, auf welcher der[107] Weg und die Lage des Goldthales ganz genau angegeben ist.«

»Warum that er das? Frauen vertraut man so wichtige Dinge nicht an.«

»Die Frau des Marcos war ein Weib, bei welchem dieses Geheimniß gut aufgehoben war; er theilte es ihr mit, damit es nicht verloren gehe, wenn ihm etwas Menschliches passiren sollte.«

»Habt Ihr die Zeichnung gesehen?«

»Nein.«

»Wer hat sie?«

»Tiburcio. Wäre er anwesend gewesen, so hätte Marcos ihm und sicher nicht der Frau die Sache mitgetheilt. Also Marcos ging wieder fort und kam nach Tubac. Hier sah man ihn täglich mit einem andern Gambusino verkehren, mit welchem er auch die Stadt verließ. Es ist sicher, daß dieser Mann ihn nach der Bonanza begleitet hat.«

»Und sein Mörder ist.«

»Jedenfalls. Sie müssen abermals von den Indianern vertrieben worden sein, denn ein Vaquero traf sie zwei Tagereisen jenseits des Gilo. Er folgte dann später ihren Spuren, welche nach dem Flusse führten, kam an zwei Stellen, wo sie des Nachts gelagert hatten, und erreichte auch den Ort, von welchem aus die Spur nur eines Mannes weiter führte. Die fehlende war die des Arellanos. Der niedergetretene, blutige Boden bewies, daß ein Kampf stattgefunden hatte und ein Mord geschehen war.«

»Der Mörder wollte jedenfalls das Geheimniß nur für sich allein haben.«

»So ist es. Der Vaquero kam glücklich zurück. Er hatte die Spur des Mörders wieder verloren, es aber[108] dennoch für seine Pflicht gehalten, der Frau des Todten Nachricht zu bringen.«

»Das ist der Fluch des Goldes. Meine lachenden Fluren dünken mir tausendmal werthvoller, als all die goldenen Barren, welche in meinen Truhen liegen.«

»Und dennoch billigt Ihr die Expedition, welche Don Estevan de Arechiza vorzunehmen gedenkt?«

»Ich billige sie, weil ich muß. Don Estevan verfolgt bei diesem Unternehmen einen Zweck, der mir erhaben scheint und mit der gewöhnlichen Sucht nach dem blinkenden Metalle nichts gemein hat. Und überdies wißt Ihr ja, was Niemand weiß: die Hazienda del Venado ist nicht mein Eigenthum, sondern das seinige, und ich bin nur lebenslänglicher Pächter auf derselben.«

Die beiden Männer hatten jetzt die Verpfählung erreicht, ritten in den Hof und stiegen am Fuße einer Freitreppe ab, die zu einer großen Vorhalle und von da in den Salon der Hazienda führte.

Dieser Salon war ein großes Gemach, in welchem, dem Gebrauche der heißen Länder zufolge, ein unaufhörlicher Luftdurchzug eine beständige Kühle hervorbrachte. Feine und schön gearbeitete chinesische Matten bedeckten den aus großen Werksteinen bedeckten Fußboden, und andere, reichere Matten dienten an den Fenstern als Jalousien. An den geweißten Wänden hingen einige werthvolle Kupferstiche, und das Ameublement bestand aus ledernen Schaukelstühlen, Putacas genannt, silbernen Braseros, wie die Kohlenbecken heißen, an deren glühendem Inhalte der Raucher seine Cigarritta anbrennt, einem Sopha von Rotang und Polsterstühlen aus dem gleichen Stoffe.

Auf einem Tische von polirtem Balsamoholze ließen[109] poröse Krüge das in ihnen enthaltene Wasser ausdünsten. Große Schnitten von Wassermelonen, in der Sprache des Landes Pasteques, zeigten auf einer silbernen Platte ihr leibfarbenes Fleisch, welches ein wohlschmeckender Saft mit rosigen Tropfen beperlte. Neben halbgeöffneten Granaten entfalteten Pitallas (Früchte von einer Varietät des Kerzenkaktus) den dunklen Purpur ihrer Körner, und Orangen, Grenadillen, süße Limonen, mit einem Worte, alle Arten südlicher Früchte, welche zum Durste reizen und ihn stillen, zeugten von den gastfreundlichen Absichten Don Augustins.

Dieser nahm mit dem Franziskaner Platz, um die Delikatessen zu kosten. Sie hatten damit kaum begonnen, so trat ein Diener ein und meldete:

»Sennor, es sind zwei Reisende draußen, welche um gastfreundliche Aufnahme bitten. Der Eine von ihnen gibt vor, Sie zu kennen.«

»Sie sind mir willkommen,« lautete der freundliche Bescheid.

Bald darauf traten die Männer ein. Der Jüngere von ihnen hatte ein offenes, vertrauenerweckendes Gesicht, und seine Stirn deutete auf Intelligenz und Kühnheit hin. Er schien flink und war schlank gebaut. Seine Kleidung zeigte trotz ihrer Einfachheit eine gewisse Eleganz, die für ihn einnehmen mußte.

»Ah, Ihr seid es, Pedro Diaz!« rief Don Augustin. »Gibt es in unserer Nähe einige Indianer zu vertilgen, daß Ihr Euch hier in der Einöde einfindet?«

Pedro Diaz war allerdings berühmt wegen seines unauslöschlichen Indianerhasses, wegen der Kühnheit, mit welcher er die Wilden bekämpfte, und wegen der Geschicklichkeit,[110] mit der er sich aus den größten Verlegenheiten zu ziehen gewußt hatte.

»Erlaubt mir, ehe ich Euch antworte,« sprach er lächelnd, »Euch den König der Gambusinos und den Fürsten der Musiker, Sennor Diego Oroche vorzustellen! Er riecht das Gold, wie ein Hund das Wild wittert, und spielt die Mandoline, wie kein Anderer sie zu traktiren versteht.«

Oroche grüßte mit ungeheurem Ernste. Indessen mußte er wohl schon seit sehr langer Zeit keine Gelegenheit gefunden haben, den feinen Geruch, von welchem Diaz gesprochen hatte, zu bethätigen, denn sein Aeußeres deutete auf keinen großen Reichthum hin. Um die Hand nach seinem uralten Filzhute hin zu bewegen, brauchte er die kunstreich gelegten Falten seines Mantels nicht in Unordnung zu bringen; er hatte nur nöthig, unter den vielen Löchern desselben eines zu wählen, um seine Hand bequem hindurchzustecken. Seine großen, harten Hände waren mit langen Nägeln bewaffnet, allerdings ein Beweis, daß er die Kunst verstehe, der Mandoline Töne zu erzwingen. Und in der That hing ihm an einem Bande ein solches Instrument um den Hals. Während er sich vor Don Augustin tief verneigte, fielen ihm die langen Locken seines ungekämmten Haares in das Gesicht, und diese Locken waren so steif und starr wie das Schilf, mit welchem die Mythologie die Götter und Göttinnen ihrer Flüsse bekränzt.

Als Beide Platz genommen hatten, ergriff Diaz das Wort.

»Wir haben gehört, daß zu Arispe eine Expedition nach dem Innern der Apacheria vorbereitet wird. Ist Euch der Führer derselben bekannt, Sennor Augustin?«[111]

»Er heißt Don Estevan de Arechiza.«

»Ist er ein Mann, dem man Vertrauen schenken kann?«

»Ich denke, ja.«

»Ich vernahm, daß er oft bei Euch gewesen sei, und wollte fragen, in welcher Weise ich mich bei ihm zur Theilnahme melden könne.«

»Bleibt hier bis er kommt! Ich erwarte ihn in einigen Tagen, dann könnt Ihr mit ihm selbst sprechen.«

»So ist Euch das Nähere unbekannt?«

»Er hält die Einzelnheiten sehr geheim. Also hat sich, mein lieber Diaz, der Golddurst endlich auch Eurer bemächtigt?«

»Bei Leibe nicht! Gold zu suchen überlasse ich einem so erfahrenen Gambusino, wie Sennor Oroche ist. Was mich betrifft, so sehe ich in der Expedition nichts als eine treffliche Gelegenheit, mit den Wilden wegen des vielen Unrechtes, welches sie an mir begangen haben, einmal ganz gründlich Abrechnung zu halten.«

Es wurde nach längerem Gespräche den zwei Gästen eine passende Räumlichkeit angewiesen, und die Dienerschaft war eben dabei, unter der Leitung Rosarita's die Abendtafel zu serviren, als sich draußen Pferdegetrappel vernehmen ließ und das Licht mehrerer Fackeln durch die Fenster hereinleuchtete.

»Don Estevan de Arechiza ist angekommen!« rief einer der Diener, und sofort eilte Pena hinaus, den jetzt nicht erwarteten Gast zu empfangen. Keiner seiner Begleitung wagte es, den Salon zu betreten, und nur Tiburcio trat ein, als verstehe es sich ganz von selbst, daß er nicht mit zur Dienerschaft gerechnet werde.[112]

Rosarita trat ihm sofort entgegen und bot ihm das kleine, weiße Händchen.

»Sennor Tiburcio, willkommen. Recht, daß Ihr kommt; ich habe schon längst auf Euch gewartet!«

Dann begrüßte sie mit vieler Ehrerbietung Don Estevan, der einen gehässigen Blick auf den Jüngling warf, welchen sie ihm vorgezogen hatte.

»Welch ein Glück für mich,« meinte er, »daß Ihr noch ein Wörtchen für mich übrig habt! Ich dachte schon, der Pferdebändiger habe Euch vollständig in Beschlag genommen!«

Sie erröthete über diesen unzarten Verweis, und auch der Haziendero runzelte leicht die Stirn.

»Nehmt es dem Kinde nicht übel, Don Estevan! Wir stehen in einer großen Schuld bei Tiburcio Arellanos, und Ihr werdet gestatten dies ihm ohne Zurückhaltung beweisen zu können. Uebrigens trefft Ihr uns unvorbereitet, da ich Eure Ankunft erst in einigen Tagen erwartete.«

»Ihr seid entschuldigt, Sennor! Mein Aufenthalt wird nicht von langer Dauer sein, da ich Grund habe, Tubac baldigst zu erreichen; ich werde Euch denselben später mittheilen.«

Man setzte sich zur Tafel! Nach derselben zog sich Don Estevan mit dem Haziendero in das Zimmer des letzteren zurück.

»Ihr wißt, daß mein ursprünglicher Plan bis in die Nähe des Rio Grande del Norte gerichtet war?«

»So habe ich gedacht.«

»Ich habe ihn geändert. Es meldete sich bei mir ein Mann, welcher am Rio Gilo eine ungeheure Bonanza entdeckt hat und mir sein Geheimniß verkaufte. Ich werde[113] die Expedition also zunächst dorthin führen, und dann sehen ob ich noch Zeit finde, mein erstes Vorhaben auszuführen.«

»Ist dieser Mann mit bei Euch?«

»Ja.«

»Wie heißt er?«

»Cuchillo.«

»Hinkt er?«

»Ja. Wie kommt Ihr auf diese Frage?«

»Und sein Pferd stolpert zuweilen?«

»Auch das stimmt. Kennt Ihr ihn.«

»Sehr gut, obgleich ich ihn noch nicht gesehen habe,« antwortete Pena, der seine unwillkürliche Vermuthung so schnell bestätigt fand. »Nehmt Euch vor ihm in Acht; er ist ein Mörder!«

»Ein Mörder? Was ficht Euch an!«

»Die Bonanza gehört dem Tiburcio Arellanos. Sein Vater hat sie entdeckt und wurde von Cuchillo ermordet.«

»Woher wißt Ihr das?«

»Ich habe es aus einem sicheren Munde.«

»Und dennoch seid Ihr falsch berichtet. Cuchillo hat diesen Marcos Arellanos niemals gesehen.«

»Er ist mit ihm in der Apacheria gewesen, hat ihn erdolcht und dann in das Wasser geworfen. Er mag sich vor der Kugel Tiburcio's hüten!«

»Weiß dieser etwas von der Sache?« frug Arechiza gespannt.

»Er weiß Alles!«

»Auch die Lage der Bonanza?«

»Auch diese. Er trägt den genauen Plan in seiner Tasche.«

»Teufel! Ah – und doch ist es anders. Ich werde[114] Eure Angaben genau untersuchen, hege aber schon im Voraus die feste Ueberzeugung, das Cuchillo mit dem Mörder nicht identisch ist. Habt Ihr die besprochenen Summen parat gemacht?«

»Ja, doch erlaube ich mir zu bemerken, daß die jetzt immer von mir bezogenen Beträge den Pachtzins auf eine ganze Reihe von Jahren hinaus verzehren.«

»Das thut nichts. Ich stehe also in Eurer Schuld, werde aber bald in der Lage sein, sie tausendfältig abtragen zu können. Oder gebt Ihr Eurem Herrn nicht länger mehr Kredit?«

»So lange Ihr wollt! Eure Besitzungen drüben im Mutterlande sind ja unermeßlich, wenigstens den Einkünften nach, die Ihr aus Ihnen zieht, Ihr braucht keine mexikanische Bonanza.«

»Für mich nicht, aber für die Zwecke, welche zu erreichen mir die Aufgabe geworden ist. Mexiko darf nicht länger eine Republik sein; es kann geordnete Verhältnisse nur von einer monarchischen Verfassung erwarten. Ich werde mir die dazu nöthigen Millionen aus der Bonanza holen und dann dem Lande einen König geben, der am Throne geboren ist und leider von einer beklagenswerthen Politik von ihm vertrieben wurde.«

»Wird Don Carlos die Krone Mexiko's annehmen?«

»Ich handle in seinem Auftrage; mehr braucht Ihr nicht zu wissen. Es ist Alles, Alles bis auf das Kleinste berechnet und vorbereitet; sobald wir das Gold haben, geht das Schwert über das Land und baut die Pforte, durch welche ich den Monarchen zu führen habe.«

»Und wenn die Bonanza schon einem Andern gehört?«

»Das werde ich untersuchen, wie ich ja bereits vorhin[115] sagte. Uebrigens könnte sie einem Einzelnen nur Verderben bringen. Sie ist von einem Gürtel wilder Horden umgeben, welchen nur die vereinigte Macht starker und kühner Männer zu durchbrechen vermag. Sind meine Zimmer zugerichtet?«

»Sie werden stets bereit gehalten. Erlaubt, daß ich Euch leite!«

Er führte ihn in die prachtvoll ausgestatteten Räume, welche ausschließlich für den Besitzer der Hazienda bestimmt waren, und verabschiedete sich dann von ihm.

Die Hazienda del Venado war es gewesen, wo sich Don Estevan von Arispe aus die nöthigen Quadrupel geholt hatte. Seine früher unternommenen Kaperfahrten waren von einem pekuniär außerordentlich günstigen Erfolge für ihn gewesen, und er hatte den aus der Beute gezogenen Erlös zum Ankauf dieser Besitzung verwandt, die er unter der Leitung Penas in sicheren und treuen Händen wußte. Das war die Einleitung zu dem Werke gewesen, zu dessen Vollendung er jetzt aus Spanien herübergekommen war.

Kaum sah er sich allein, so ließ er Cuchillo zu sich kommen.

»Was thut Tiburcio?«

»Ich weiß es nicht.«

»Erinnert Ihr Euch noch, was ich gestern von ihm sagte?«

»Er müsse sterben.«

»Nun wohl! Wie hoch schätzt Ihr ihn?«

»Hm, zehn Quadrupel sind nicht zu viel, fünf jetzt und die andere Hälfte wenn ich fertig bin.«

»Hier sind fünf.«[116]

»Ich danke, Sennor. Wann soll es geschehen?«

»Noch heut.«

»Ah, so bald?«

»Es muß so sein. Er weiß nicht nur von unserer Bonanza, sondern er hat sogar den vollständigen Plan in seiner Tasche.«

»Seid Ihr dessen sicher, Don Estevan?«

»So sicher, daß Ihr noch weitere Zehn bekommt, so bald Ihr diesen Plan in meine Hände legt.«

»Dann gehe ich sofort. Aber ich werde vielleicht Hülfe brauchen.«

»Nehmt Euch einen von unsern Leuten dazu; wen, das mögt Ihr selbst entscheiden.«

»Das ist schon entschieden. Baraja und Oroche werden sofort helfen, wenn ich ihnen begreiflich mache, daß es zu ihrem Vortheile geschieht.«

»Seid Ihr dieser Beiden wirklich sicher?«

»Baraja ist ein Bandit, dessen Dolch schon manchen rothen Tropfen geschmeckt hat, und Oroche nennt sich zwar einen Gambusino, hat aber stets nur vom Spiele gelebt und sticht für einen Quadrupel seinen eigenen Vater todt.«

»So geht! Ich warte hier auf den Erfolg.«

Cuchillo begab sich in den Raum, welcher der Begleitung seines Herrn angewiesen worden war, Baraja und Oroche saßen beim Spiele; Diaz hatte sich mit den Andern in einer Nebenstube bereits zur Ruhe gelegt. Auf dem Tische stand ein großer, halb geleerter Krug mit Meskal (Aloeschnaps), und die Blicke der beiden Männer ließen errathen, daß sie nicht mehr weit von dem Punkte standen, an welchem der Mensch aufhört, ein denkendes und fühlendes Wesen zu sein.[117]

»Kommt her, Cuchillo; trinkt und erzählt uns von der Bonanza!« lallte Baraja.

»Von der Bonanza? Mit der ists aus.«

»Aus!« riefen Beide, indem es schien, als seien sie durch diese Schreckensbotschaft vollständig ernüchtert worden.

»Ja; aus!«

»Warum? Inwiefern?«

»Weil es Einen gibt, der sie uns streitig macht.«

»Wer ist das? Ich schlage ihn auf der Stelle nieder!« versicherte Oroche, indem er seine Mandoline ergriff und mit derselben eine Bewegung machte, als wolle er sie Jemandem an den Kopf schmettern.

»Und ich stecke ihm ganz leise und still mein Messer zwischen die Rippen,« betheuerte Baraja, dessen furchtsame Natur mehr zu einer solchen Meuchelthat geeignet schien.

»Tiburcio!«

»Tiburcio? Was hat der mit unserer Bonanza zu schaffen?«

»Sehr viel. Er ist bereits schon einmal dort gewesen, will sein Eigenthumsrecht auf sie geltend machen und hat sich Don Estevan nur angeschlossen, um uns auszuforschen.«

»Er muß sterben!«

»Ja, sterben muß er!«

»Das sagt Ihr wohl, aber zwischen Wort und That ist ein weiter Raum!«

»Ein Raum? Gar keiner, nicht so breit wie mein Finger, nicht so viel, daß mein Haar drauf Platz hat! Was gebt Ihr, Cuchillo, wenn ich ihm eins versetze?«

»Um was habt Ihr gespielt?«[118]

»Um nichts. Unsere Taschen sind so leer, daß man darüber weinen könnte.«

»So soll Euch geholfen werden! Seht Ihr diesen Quadrupel, Baraja?«

»Natürlich! Her damit!«

»Und Ihr diesen, Oroche?«

»Her, sage ich!«

»Sobald Tiburcio einige Zoll kaltes Eisen im Fleische hat, bekommt Ihr beide!«

»Dann sind sie so gut wie schon verdient. Wir wollen dem Schurken lehren, uns unsere Bonanza streitig zu machen. Wo ist er, Cuchillo? Ich will hin zu ihm!«

»Wartet einige Minuten! Ich werde sehen, ob er zu finden ist.«

Er trat hinaus auf den Hof und umschlich das Gebäude. Ein Zimmer des Erdgeschosses war hell erleuchtet; an dem geöffneten Fenster lehnte Rosarita und athmete die Düfte der Blumen, welche auf dem Platze standen. Er ging weiter. An der andern Seite des Hauses war nur ein Fenster Licht, und er bemerkte den Schatten eines Mannes, welcher im Zimmer auf- und abging.

»Das ist Arellanos!«

Er überlegte, wie man am Besten da hinauf kommen könne; da verlöschte das Licht.

»Er geht schlafen. Die Thür an der Freitreppe ist offen; er wird die seinige auch nicht verschlossen haben. Es wird möglich sein.«

Er wandte sich zu dem Nebengebäude zurück, wo die Genossen saßen. Er hatte zu seinem Rundgange doch etwas mehr Zeit gebraucht, als erst zu vermuthen war, und als er eintrat, sah er auf den ersten Blick, daß er auf die[119] beiden Banditen nun nicht mehr rechnen könne. Sie hatten den Krug vollends geleert, Baraja lag unter dem Tische und Oroche mit seinem halben Leibe auf demselben, keiner seiner Sinne mehr mächtig. Es blieb ihm nichts mehr übrig, als Arechiza wieder aufzusuchen und ihm den Stand der Dinge mitzutheilen.

Eben huschte er über den Hof, da kam eine Gestalt leise die Freitreppe herab und ging der Gegend zu, in welcher das Licht aus den Fenstern Rosaritas glänzte.

»Das war er wieder! Auch er will den Blumenduft genießen; es soll der letzte Genuß sein, den er findet!«

In der nächsten Minute stand er vor Arechiza.

»Nun?«

»Ich habe noch nichts thun können.«

»Warum?«

»Baraja und Oroche haben sich um den Verstand getrunken und sind keines einzigen Schrittes fähig.«

»Und Arellanos?«

»Geht unten promeniren. Hätte ich nur Einen noch, so wäre es bald geschehen!«

»Ist dieser Eine so nöthig?«

»Für unvorhergesehene Fälle.«

Don Estevan hatte bereits abgelegt; er steckte den Dolch wieder zu sich und entschied, kurz entschlossen:

»Ich gehe mit!«

Tiburcio befand sich unter einem Dache mit dem »Stern von Sonora«. Dieser Gedanke ließ ihn an keine Ruhe denken; er trieb ihn im Zimmer auf und nieder und dann hinunter in die laue Nacht. Da sah er den Schein des Lichtes und erkannte Rosarita.

Würde sie zürnen, wenn sie ihn bemerkte? Durfte er[120] sie anreden? Sein zaghafter Fuß zauderte, dennoch aber setzte er ihn vorwärts und gelangte so in die Nähe des Fensters. Die Helle überfluthete seine Gestalt, und Rosarita erkannte ihn.

»Tiburcio!«

»Sennora!«

»Dünkt Euch der Duft der Violen süßer als die Ruhe?«

»Ich habe auch ohne diesen Duft keine Ruhe!«

»Warum?«

»Fast weiß ich es nicht, Donna Rosarita.«

»Es drückt Euch irgend ein Leid. Kommt, vertraut mir es an!«

Er trat an das niedere Fenster, und befand sich nun in unmittelbarer Nähe ihres Köpfchens und ihrer Hand.

»Ist es der Tod der Mutter, der Euch so kümmert, Tiburcio?«

»Er hat mir schwere Sorge gebracht, doch werde ich sie nicht lang zu tragen haben. Doch das größte Leid, welches den Menschen drücken kann, muß er tief im Herzen verschließen, denn wo gibt es eine Seele, die es ihm abnehmen will, daß er es vertrauen darf?«

Sie bog sich weiter zu ihm heraus.

»Ihr habt für mich gekämpft, Ihr habt für mich gewacht; Ihr seid so gut und tapfer. Laßt uns mit einander plaudern!«

Sie sprach so lieb und freundlich; die Bangigkeit wich von ihm, und bald plauderten sie wie zwei ahnungslose Kinder über Alles, was in den Bereich ihrer Rede kam, so daß sie nicht bemerkten, daß sich zwei Gestalten herbeigeschlichen hatten, die nun unter einigen in der Nähe[121] stehenden Pomeranzen- und Citronenbäumen standen. Er hatte ihr Händchen gefaßt und kehrte den Bäumen den Rücken zu.

»Vorwärts, Cuchillo: jetzt ists Zeit!« flüsterte Arechiza.

Der Bandit zog das Messer und warf sich mit zwei Sprüngen auf ihn. Ein Aufschrei Rosarita's rettete ihn vor dem sichern Tode. Er machte eine schnelle Wen dung, und der nach dem Herzen geführte Stoß traf nur den Arm. Im nächsten Augenblicke schon lag Cuchillo unter ihm und stöhnte unter dem Drucke der Hand, die sich um seine Kehle gelegt hatte.

»Sennor Cuchillo, betet ein Paternoster; es ist aus mit Euch!«

»Tiburcio!« rief Rosarita mit entsetzlicher Angst.

Er blickte auf. Eine zweite, verhüllte Gestalt hob die Hand, in welcher eine Klinge blinkte. Er bog sich zurück, schnellte empor, faßte den jetzigen Angreifer und schleuderte ihn unter die Bäume zurück. Dann stand er mit einem gedankenschnellen Sprunge im Zimmer des Mädchens.

»Verzeiht, Donna, aber hier bin ich sicher!«

»Ja, kommt zu mir! Bleibt, bleibt, und geht nicht wieder fort, sonst morden sie Euch!« bat sie todesbleich und vor Entsetzen zitternd, indem sie in den Sessel sank und ihm die Hände flehend entgegenstreckte.

Er schloß das Fenster und trat dann tief in das Zimmer zurück.

»Kanntet Ihr sie, Sennorita?«

»Nein; ich habe nur die Gestalten gesehen.«

»Es war Cuchillo und Don Estevan.«

»Don Estevan, der Herzog?«

»Der Herzog?« frug er verwundert.[122]

»Ach ja, das wißt Ihr doch nicht! Es ist ein tiefes Geheimniß, aber Euch darf ich es sagen: Don Estevan heißt eigentlich Graf Antonio von Mediana oder Herzog de Medina. Er ist der Besitzer dieser Hazienda und kann es nicht gewesen sein, der Euch überfiel.«

»Er war es, und ich kenne nun auch den Grund, wegen dem er mir nach dem Leben trachtet.«

»Welcher ist es?«

»Laßt mich ihn verschweigen! Die Hazienda ist sein Eigenthum? Dann bin ich hier keinen Augenblick mehr sicher. Erlaubt, daß ich gehe!«

Ehe sie es zu verhindern vermochte, hatte er die Thür geöffnet und war im Dunkel des Korridores verschwunden. Erst jetzt bemerkte sie das Blut, welches aus seiner Wunde auf die Diele geflossen war.

»Er ist verwundet! Er wird sterben!«

Sie nahm die Kerze und eilte ihm nach. Droben hörte sie Schritte erklingen; er kam schon wieder die Treppe herab, die Serape übergeworfen und die Büchse in der Hand.

»Ihr könnt nicht fort, Tiburcio; Ihr seid ja verwundet!«

»Eine leichte Schramme, Donna, die nichts zu sagen hat.«

»O, kommt herein; ich werde Euch verbinden!«

Sein Blick leuchtete auf und senkte sich dann beruhigend auf ihr angstvolles Gesicht.

»Ich danke Euch, Sennorita! Draußen finde ich ein Kraut, welches besser ist, als jeder Verband. Lebt wohl!«

Sie faßte ihn bei der Hand und hielt ihn fest.

»Ich darf es nicht leiden! Ihr habt uns gerettet[123] und beschützt, und seid dafür bei uns überfallen worden; Vater muß Euch Genugthuung verschaffen!«

»Das ist ihm unmöglich. Die Genugthuung, welche ich haben muß, kann nur ich selbst mir nehmen, und Euer Haus darf nicht der Schauplatz eines Kampfes sein, wie er nur hinaus in die Savanne paßt.«

»Tiburcio!«

»Rosarita!«

Er führte ihre Hände an seine Lippen.

»Lebt wohl für heut!«

Dann eilte er die Freitreppe hinab, über den Hof hinüber und zum Thore hinaus.

Draußen weideten die Pferde; das seinige befand sich unter ihnen; er suchte seinen Sattel unter den übrigen hervor, zäumte es auf, schwang sich empor und ritt davon. Drüben vom Walde leuchtete, halb von Büschen verdeckt, ein Lagerfeuer herüber. Dort konnten sich nur Jäger oder Vaqueros befinden, die ein Quartier im Walde dem weichlichen Bette vorzogen, und bei ihnen fand er sicher freundliche Aufnahme. Er lenkte sein Pferd zu ihnen hin.

Der Theil der Ebene, welcher hinter der Hazienda lag, befand sich ganz in demselben Zustande, in welchem ihn die ersten Ansiedler vorgefunden hatten, das heißt, er lag noch unbebaut und wild da. In der Entfernung eines Büchsenschusses erhoben sich die ersten Bäume, welche den Saum eines ungeheuren Waldes bildeten. Dieser erstreckte sich weit nach Norden bis an die Grenzen der Wüsten, jenseits welcher das Präsidio Tubac liegt.

Der schlecht gebahnte Weg, der den Wald in dieser Richtung durchzog, war der einzige, auf welchem man das Präsidio erreichen konnte, und wurde von einem Strome[124] durchschnitten, der zwischen hohen und steilen Ufern dahinrauschte. Er wurde durch den an der Hazienda vorüberfließenden Bach gebildet, der in seinem Laufe noch mehrere solche Wasser aufnimmt, bevor er so reißend wird. Eine Art roher Brücke, durch zwei neben einander gelegte Baumstämme gebildet, verband die beiden Ufer mit einander und ersparte so dem Reisenden einen langen Umweg, welcher nothwendig war, wenn man den Strom an einer seichteren Stelle passiren wollte.

In der Nähe dieses Weges und etwa in der gleichen Entfernung zwischen der Hazienda und der genannten Brücke brannte das Feuer, welches Tiburcio gesehen hatte. Seine flackernde Helle erleuchtete die dunkelgrüne Baumdecke und traf die graue Rinde der Mangles (Wurzelbäume), der Summache, die runzeligen Stämme der Korkeichen und das bleiche Laub der Eisenbäume. Die grünen und gelben Moose flimmerten unter den sammetnen Netzen der großen Aronblätter, welche mit Blüthen, silbernen Bechern ähnlich, geschmückt waren. Die herabhängenden Lianen glühten unter dem Einflusse der Flamme wie aus einem Feuerofen hervorgehende Eisendrähte, und die fernen Tiefen des Waldes, über welchem ein Schweigen lag, das kaum durch die dumpfe Stimme des zwischen seinen steinernen Ufern dahinbrausenden Flusses gestört wurde, lagen hinter der von dem Feuer erhellten Stelle wie ein düsteres, unheimliches Mysterium, dessen Schleier die menschliche Hand nur unter tausend Gefahren zu lüften vermag.

Am Feuer lagen Bois-rosé und Dormillon.

In einer Gegend, wo es keine menschlichen Wohnungen gegeben hätte, würde eine so gewöhnliche Thatsache, wie ein Lagerfeuer inmitten eines Waldes ist, von keinerlei[125] Bedeutung gewesen sein, hier aber in der Nähe der Hazienda, in welcher jedem Reisenden gern und willig Gastfreundschaft geboten wurde, mußten besondere Gründe vorliegen, daß die beiden Jäger den Wald einer größeren Bequemlichkeit vorgezogen hatten.

Ein ziemlich großer Haufe dürrer Aeste und Zweige, welcher neben dem Feuer lag, zeigte an, daß sie gesonnen seien, die ganze Nacht an diesem Orte zuzubringen. Zwei gabelförmige Aeste staken zu beiden Seiten der Flamme, und auf ihnen drehte Dormillon eine an seinen Ladstock gespießte Hammelkeule, von welcher das Fett in großen Tropfen in die Gluth fiel und ein vielversprechendes Prasseln und Zischen verursachte.

Bois-rosé, zu deutsch Rosenholz, trug eine Kleidung, welche ungefähr die Mitte zwischen derjenigen eines Indianers und eines Weißen hielt. Auf seinem Kopfe saß in Form eines Kegels eine aus Fuchspelz gefertigte Mütze. Ein baumwollenes Hemd mit blauen Streifen bedeckte seine breiten Schultern, und neben ihm auf dem Boden lag ein aus einer wollenen Decke verfertigter Mantel. Seine muskulösen Beine staken in indianischen Leggins, und an den Füßen trug er dicht mit eisernen Nägeln beschlagene Schuhe, auf denen man mehrere Jahre zu gehen vermochte.

Ein mit vieler Sorgfalt polirtes Büffelhorn, welches sein Pulver enthielt, hing über seiner Achsel, während in einem ledernen Beutel, welcher zu dem Horne ein Gegenstück bildete, sich ein großer Vorrath von Bleikugeln befand. Neben ihm lag eine schwere, langläufige Büchse, dieselbe, welcher nur die Sang-Mêlé abgenommene Flinte Tiburcio's ebenbürtig war, und in einem wollenen, bunten[126] Gürtel stak ein Jagdmesser mit starker, zweischneidiger Klinge.

Sein riesiger Wuchs ließ in ihm einen jener kühnen Jäger erkennen, die von den ersten in Kanada angesiedelten Normännern abstammen, und die man jetzt so selten mehr findet. Sein Haupthaar fing bereits an ins Graue zu fallen, und eine große, von einer Schläfe zur andern über die Stirn gehende Narbe deutete an, daß es sich einst in großer Gefahr befunden haben müsse. Bois-rosé hatte jedenfalls einmal nahe daran gestanden, skalpirt zu werden.

Seine von Sonne, Sturm und Wetter gebräunten gehärteten Züge schienen aus Bronzefluß gegossen zu sein, und es lag in ihnen ein Ausdruck der Güte, welche in einem freundlichen Gegensatze zu der herkulischen Stärke seiner Glieder stand. Die Natur ist so vorsichtig, diesen Kolossen ebenso viel Milde wie Körperkraft zu verleihen.

Sein Gefährte war, obgleich einen Kopf kürzer, nichts weniger als ein Zwerg zu nennen, vielmehr mußte er, Andern gegenübergestellt, unbedingt ein Enaksohn genannt werden. Seine schwarzen Augen und der Schnitt seines Gesichtes zeugten von ebenso viel geistiger Beweglichkeit wie Kühnheit. Seine Kleidung und Ausrüstung war ganz dieselbe Bois-rosé's.

Die Verbindung dieser beiden Männer mußte jeden Feind zur Vorsicht mahnen, und es war sehr leicht zu glauben, daß sie gewohnt seien, es auch mit einer beträchtlichen Uebermacht ohne Furcht und Zagen aufzunehmen.

Der Kanadier betrachtete den schmorenden Braten mit sichtbarem Wohlbehagen.

»Dieser Don Augustin Pena scheint ein ganz prächtiger[127] Kerl zu, nach den Hammeln zu schließen, welche er in seinen Heerden hat. Diese Keule scheint mir eine Delikatesse zu sein, von welcher ich mir sicherlich einige gute Stücke herabschlitzen werde.«

»Ich glaube dennoch,« antwortete Pepe, »daß sie in der Hazienda heut noch größere Delikatessen gespeist haben. Dieser Don Estevan de Arechiza tritt auch hier in einer Weise auf, daß man ihm sicher in keiner Hazienda einen magern Empfang bereiten wird.«

»Also Du bist wirklich sicher, daß es der Graf Antonio de Mediana ist?«

»Gerade so sicher, wie ich nun weiß, daß Du den kleinen Fabian, den er verderben wollte, gerettet hast.«

Das gutmüthige Gesicht des Riesen verklärte sich.

»Pepe, ich war bis zu dem Augenblicke, an welchem ich das Kind in dem treibenden Kahne fand, ein einsamer Kerl. Ich hatte weder Vater noch Mutter gekannt, besaß keine Geschwister, hatte weder Freund noch Frau und habe mich des Knaben angenommen mit ganzer, voller Seele. Er wuchs mir an das Herz, als sei er ein eigen Stück von mir, und seit mich diese Engländer von ihm trennten, habe ich weiter keinen Wunsch als zu erfahren, ob er noch lebt oder damals zu Grunde gegangen ist. Freilich wird mir dieses Verlangen wohl niemals erfüllt werden, da mich das Schicksal von der See in die Wälder und Savannen führte, wo an eine Gelegenheit zur Erkundigung nimmermehr zu denken ist.«

»Das ist noch kein Grund die Hoffnung aufzugeben, Rosenholz! Denk an den Grafen Antonio. Ich mußte fliehen, weil ich, so lange ich lebe, kein Freund vom Thunfischfang gewesen bin, und darf wohl nie nach Spanien[128] zurückkehren. Santa Lauretta, ich hatte bereits meinen Schwur, mit ihm noch einmal Abrechnung zu halten, vergessen, als ich ihn bei der Cisterne erkannte! Warum sollte nicht auch Dir ein solches Wiedersehen möglich sein?«

»Möglich, aber nicht beschieden! Wie sollte ich den Jungen erkennen, selbst wenn er mir einmal begegnete?«

»An der Narbe, die von meinem Messer stammt. Hat sie nicht auch uns als Beweis gedient, daß der Knabe, den Du fandest, ganz derselbe ist, welchen ich verwundete?«

»Der Schnitt ging nicht tief; die Zeit wird seine Spur wohl vollständig verwischt haben; und die Züge eines Kindes verändern sich in so langer Zeit so sehr, daß ein Erkennen gar nicht möglich ist. Bei Don Arechiza war das etwas ganz anderes. Als Du ihn kennen lerntest, hatte er ein bereits vollständig ausgeprägtes Gesicht, welches wohl altern aber seine Grundlinien nicht verändern konnte.«

»Dann ist dies auch bei mir der Fall, und es steht zu erwarten, daß auch er mich wieder erkannt hat, zumal er meinen Namen Pepe Dormillon hörte.«

»Er wird Dich und mich noch besser kennen lernen!«

»Das will ich meinen! Ich war in Elanchovi der ›Schläfer,‹ weil ich mich gegen den Hunger zu wehren hatte, welcher der einzige Sold meiner prächtigen Stellung war. Seit jener Zeit habe ich die Augen offen gehabt und werde mir einen Fang wie diesen nicht entgehen lassen. Wenn die Gesetze des Staates Partei für den Verbrecher nehmen, so muß – – –«

Er vollendete den Satz nicht, sondern hatte mit einem raschen Griffe seine Büchse erfaßt und stand im nächsten Augenblicke hinter den Büschen. Er hatte eine Gestalt bemerkt, welche sich der Lagerstätte vorsichtig zu nähern[129] suchte. Bois-rosé hatte mit dem Rücken nach der Hazienda zu gesessen und also nichts sehen können, stand aber dennoch im Nu neben ihm.

»Halt! Wer seid Ihr?« rief Pepe, das Gewehr anschlagend.

»Einer, der bei Euch lagern möchte!« antwortete es. »So tretet näher an das Feuer, damit man Euch betrachten kann!«

Dem Gebote wurde muthig Folge geleistet, und sofort ließen die beiden Waldläufer ihre Büchsen sinken.

»Tiburcio Arellanos! Ihr seid willkommen.«

Sie traten hervor und streckten ihm ihre Hände entgegen Er erkannte die beiden verwegenen Tigertödter.

»Ah, Ihr seid es? Ich vermuthete Euch nicht hier.«

»Hoffentlich bleibt Ihr dennoch bei uns!« meinte der Kanadier. »Irre ich mich nicht, so beabsichtigtet Ihr, mit Don Estevan de Arechiza nach der Hazienda del Venado zu gehen?«

»Allerdings.«

»Warum seid Ihr nicht dort geblieben?«

»Weil man mich zu morden versuchte.«

»Blitz und Donner! Wer wagte das?«

»Don Arechiza selbst.«

»Er selbst?« klang der erstaunte Ausruf. »Welchen Grund hatte er dazu?«

»Das werde ich Euch gern sagen; zuvor aber laßt mich mein Pferd holen, welches ich zurücklassen mußte, um unbemerkt an Euch zu kommen. Freilich ist mir das schlecht gelungen.«

Pepe lachte.[130]

»Weil man da droben in den Felsenbergen ganz andere Augen macht, als Ihr hier zu Lande.«

Tiburcio ging und brachte bald sein Pferd herbei, welches er anpflockte. Inzwischen war der Braten gar geworden und Rosenholz lud den Rastreador ein, am Feuer Platz zu nehmen. Erst jetzt fiel das Licht desselben auf die Züge des jungen Mannes. Pepe warf den ersten, forschenden Blick in dieselben und konnte eine Bewegung der Ueberraschung nicht verbergen. Am vorigen Abende bei der Cisterne hatte er eine Stellung innegehabt, welche es nicht erlaubte, ihn genau zu betrachten.

»Was ist das! Ihr seid verwundet?« rief der Kanadier.

»Ein wenig.«

»Zeigt einmal her!«

Tiburcio hielt ihm den Arm hin, und der Kanadier untersuchte die Wunde mit seltener Geschicklichkeit und einem fast zärtlichen Interesse.

»Der Teufel! Ihr hattet es mit einem Kerl zu schaffen, der keine schlechte Uebung besitzt. Ich glaube, nur eine schnelle Wendung hat Euch davor bewahrt, daß die Klinge in das Herz ging und somit Euren Abenteuern ein plötzliches Ende gemacht wurde. Allein seid ohne Furcht, mein Junge, es wird Euch nichts thun! Es kommt eine Kompresse von zerstoßenen Kräutern darauf, und dann hat die Sache nicht viel zu bedeuten. Pepe, suche doch eine Hand voll Oregano zusammen, was hier zwischen den Büschen steht, und zerstoße es zwischen zwei Steinen, während ich die Wunde säubere!«

Bald war ein Quantum von diesem im ganzen Lande wegen seiner vorzüglichen Eigenschaft so wohlbekannten Kraute zerstoßen; Rosenholz legte es auf die Wunde und[131] verband diese dann mit dem aus chinesischem Flor bestehenden Gürtel Tiburcio's.

»So! Ihr müßt Euch bereits erleichtert fühlen, denn nichts verhindert so sehr die Entzündung einer Wunde, wie das Oreganokraut, und Ihr werdet sogar nicht das geringste Fieber verspüren. Und jetzt steht Euch nun eine saftige Schnitte Hammelfleisch zu Gebote, wenn Ihr Appetit habt.«

»Ich habe bereits gegessen.«

»Ganz wie Ihr wollt! So werden wir uns an die Keule machen, und Ihr mögt uns dabei erzählen, was den ehrenwerthen Don Arechiza veranlaßt, mit Euch auf eine solche Weise zu verkehren.«

»Nicht er, sondern einer seiner Leute hat den Stoß gethan; doch war er dabei.«

»Zwei gegen Einen, und zwar hinterrücks! Das giebt keine gute Meinung von dem Muthe dieses vornehmen Herrn. Und dennoch wagt er, eine Expedition nach der Apacheria zu leiten?«

»Diese Expedition ist Schuld an dem Stiche, welchen ich erhalten habe.«

»Wollt Ihr uns das erklären?«

»Das ist sehr bald gethan. Mein Vater hat eine außerordentlich reichhaltige Bonanza entdeckt und diese Entdeckung einem gewissen Cuchillo mitgetheilt. Dieser mordete ihn, wie ich vermuthe, und verkaufte sein Geheimniß an Don Estevan. Auf welchem Wege, ist mir unbekannt, aber sie erfuhren, daß auch ich das Placer kenne, und wollten mich heut aus dem Wege räumen.«

»Das ist ja eine ganz außerordentlich saubere Angelegenheit! Könnt Ihr sie uns nicht ausführlicher erzählen?«

Tiburcio kam dieser Aufforderung nach. Während[132] er sprach, hafteten die Augen Dormillons scharf und unverwandt auf ihm, und dann ging über das Gesicht des Jägers ein befriedigtes Lächeln, wie man es wohl an Jemandem bemerkt, der mit sich über einen schwer zu ergründenden Gegenstand ins Reine gekommen ist.

»Was werdet Ihr jetzt thun?« frug er, als der Rastreador geendet hatte.

»Ich werde ihnen folgen und den Schwur erfüllen, den ich meiner Mutter gegeben habe.«

»Ist die Bonanza wirklich so außerordentlich reich?«

»Mein Vater hat, als er der Mutter diese Mittheilung machte, keine Worte finden können, die Schätze zu beschreiben, welche er gesehen hatte.«

»Es war Euer wirklicher Vater?«

»Nein. Ich bin nur der Pflegesohn von Beiden.«

»Ah! Darf ich fragen, wer Eure wirklichen Eltern sind?«

»Ich habe sie nie gekannt.«

»Aber Ihr wißt, wo sie gelebt haben?«

»Nein. Ich bin als dreijähriger Knabe mit einer englischen Kriegsbrigg nach Guaymas gekommen, wo sich Marcos Arellanos meiner angenommen hat.«

»Mit einer englischen Kriegsbrigg, sagt Ihr?« frug der Kanadier jetzt mit plötzlich erwachender Aufmerksamkeit. »Dreht Euch doch einmal herum!«

Er saß zur linken Hand Tiburcio's und konnte also die rechte Wange desselben, welche Pepe scharf gemustert hatte, nicht genau sehen. Der Rastreador wandte ihm, verwundert über diese Aufforderung, die rechte Seite seines Gesichtes zu. Rosenholz bemerkte den leichten Streifen, welcher sich quer über sie hinzog, und mit einer Stimme,[133] welche zwischen ängstlicher Erwartung und Jubel klang, frug er:

»Woher habt Ihr diese Narbe?«

»Ich weiß es nicht.«

»Könnt Ihr Euch auf nichts besinnen, was sich auf Eure früheste Jugend bezieht?«

Tiburcio wurde von dem dringlichen Tone dieser Rede betroffen.

»Warum fragt Ihr?«

»Weil – alle Wetter, Pepe, was meinst Du? Es stimmt mit der Narbe und dem englischen Schiffe, und das Alter ist auch das richtige. Sollte der liebe Gott mir altem Kerl wirklich eine solche Freude machen wollen? Was ists – was machst Du für ein Gesicht?«

»Hm, mein Gesicht ist wohl schon längst gemacht und fertig, aber wenn Du den Grafen Antonio de Mediana damals gesehen hättest, so – – –«

»Antonio de Mediana?« unterbrach ihn Tiburcio. »Kennt Ihr ihn? Kennt Ihr auch diesen Don Arechiza?«

»Sagt erst, ob Ihr die Beiden kennt!« gebot Bois-rosé schnell.

»Ich sah Estevan de Arechiza bei la Poza das erste Mal und erfuhr vorhin auf der Hazienda, daß er Graf von Mediana und Herzog von Medina sei.«

»Wer sagte Euch das?«

»Donna Rosarita, die Tochter Don Augustins.«

»Woher weiß sie es? Ist Graf Mediana auf der Hazienda del Venado bekannt?«

»Er ist der Besitzer derselben. Augustin Pena ist nur der Pächter.«

Pepe sprang auf.[134]

»Jetzt ist mir Alles klar! Die ›Esmeralda‹ war ein Kaper, Don Antonio hat ihn befehligt und seinen Raub hier angelegt. Darum ist er hier so gut bekannt und hat jedenfalls auf seinen früheren Streifereien ein Placer entdeckt, auf welches seine Expedition ursprünglich gerichtet war, ehe dieser Cuchillo ihm sein Geheimniß verkaufte.«

»Das kann richtig sein, Pepe!« stimmte Rosenholz bei. »Aber was wolltest Du vorhin sagen? Wenn Du den Grafen Antonio de Mediana damals gesehen hättest, so – –?«

»So würde Dir die Aehnlichkeit zwischen ihm und Tiburcio auffallen.«

»Ists wahr?«

»Ich täusche mich nicht. Hast Du Dir diesen Don Estevan nicht genau betrachtet?«

»Er saß immer so vorsichtig im Schatten; aber, bei Gott, Du hast Recht, ihre Gesichter sind wie diejenigen von Vater und Sohn oder Oheim und Neffe! Tiburcio Arellano, ich frage Euch noch einmal, ob Ihr Euch nicht auf irgend Etwas aus Eurer frühesten Jugend zu erinnern vermögt!«

Der junge Rastreador fühlte sich durch diese Verhandlung in die größte Aufregung versetzt. Sollte ihm hier von diesen fremden Jägern, welche aus dem fernen Norden kamen, die Aufklärung werden können, zu welcher selbst seine Pflegeeltern nicht befähigt gewesen waren?

»Ich werde nachsinnen. Laßt mir nur Zeit!«

Er stützte den Kopf in die Hand und versuchte, seine Erinnerung in die Zeit zurückzuführen, welche in dichten Nebeln hinter ihm lag.

»Ich sehe ein großes, helles Zimmer und – ja, und[135] das schöne Angesicht einer Frau, welche sich über mich neigt. Sie hat große, dunkle Augen und spricht Worte zu mir, aus denen Glück und Liebe klingen.«

War es die Aufregung oder irgend ein anderer Grund, es traten Bilder vor seinen Geist, die ihm bisher fremd und verschlossen gewesen waren.

»Ich schlinge die Arme um ihren Hals; sie küßt mich wiederholt, und nennt mich bei einem Namen, den – – ich höre ihn wie aus der Ferne klingen und kann die einzelnen Laute nicht unterscheiden.«

»Fabian!« fiel Pepe ein.

»Fa – bi – an –?« sprach Tiburcio, bei jeder Silbe auf seine eigene Stimme lauschend. »Fa – bi – an – ja, er ists, er ists; ich sehe ihre Lippen, wie sie sich öffnen, um ihn auszusprechen, und jetzt höre ich ihn so deutlich, als ob sie vor mir stünde, um mich zu rufen.«

Bois-rosé saß in vornübergebeugter Stellung da wie Einer, der auf etwas wartet, was er im heranrauschenden Fluge ergreifen und festhalten will. Sein Auge war unbeweglich auf das Gesicht Tiburcio's gerichtet, und sein Ohr verschlang jedes Wort aus dem Munde desselben.

»Weiter, weiter!« rief er ungeduldig.

»Das Zimmer ist offen. Sie nimmt mich auf ihre Arme und trägt mich hinaus. Wir stehen so hoch, so hoch, und tief unten liegt die See – – –«

»Das Balkonzimmer, das Balkonzimmer!« rief Pepe frohlockend.

»Dann nimmt mich ein Mann auf den Arm und trägt mich fort. Es ist finster, und der Mann droht mir, zu schweigen. Ein Schuß fällt und – – ja, jetzt weiß[136] ich, wo die Narbe herkommt, ein Messer fährt mir über das Gesicht. Der Mann springt mit mir fort.«

»Wohin?« frug Pepe athemlos.

»Ich sehe Wasser, viel Wasser – – ich habe Hunger – ich dürste und weine, und niemand ist bei mir. Da neigt sich ein Mann über den Rand des Bootes und hebt mich zu sich hinüber.«

»Wie sieht er aus, Tiburcio, wie sieht er aus?« klang es aus dem Munde des Kanadiers.

»Er ist fürchterlich groß und hat ein finsteres Gesicht; aber er hat mich lieb und ich muß Vater zu ihm sagen.«

»Mein Gott, weiter, weiter, sonst ersticke ich!« drängte Rosenholz, indem sich seine Augen weit öffneten und einen Blick unendlicher Liebe über den Rastreador ergossen.

»Ich bin lange Zeit auf einem großen Schiffe und habe den Vater unendlich lieb.«

»Habt Ihr ihn wirklich lieb, Tiburcio, wirklich?«

»Ja; er ist so gut mit mir, so mild, ganz anders, als man es bei seinem riesenhaften Aeußern erwarten sollte. – Da gibt es einen entsetzlichen Lärm auf dem Schiffe; ich höre Kanonen donnern und Büchsen knallen; viele Stimmen rufen, schreien und brüllen. Der Vater kommt herab zu mir, schwarz vom Pulverdampf im Gesichte und über den ganzen Körper mit Blut bespritzt.«

»Was thut er, was sagt er?« frug Rosenholz in allerhöchster Spannung.

»Er sagt, ich soll niederknieen und beten.«

»Die Worte, die er redet, die Worte! Habt Ihr sie vergessen?«

»Nein. Er faltet nur die Hände und ruft: ›Bete,[137] mein Sohn; der Tod ist da!‹ Dann eilt er wieder hinauf und – – –«

»Bete, mein Sohn; der Tod ist da! Hörst Du es, Pepe? Hörst Du die Worte, welche ich Dir tausendmal gesagt und erzählt habe? Er ist es, er ist es, Dormillon!«

Und den Rastreador in die Arme schließend und mit einer Macht an sich drückend, als wolle er ihn zermalmen, fuhr er fort:

»Der Mann, dieser Riese bin ich; und Du bist Fabian, mein Sohn, den ich liebte und um den ich die einzigen Thränen meines Lebens vergossen habe!«

»Ists wahr, ists möglich? Ihr mein Vater?« frug Tiburcio, vor Freude zitternd und die Umarmung von ganzem Herzen erwidernd.

»Ja, es ist wahr, ich bin Dein Vater, Dein Pflegevater, denn Dein rechter Vater ist längst todt, und Deine Mutter wurde ermordet.«

»Ermordet?«

»Ja; erstochen von diesem Don Estevan de Arechiza, oder Graf Antonio de Mediana!«

»Und wer waren meine Eltern?«

»Sage es ihm, Pepe; Du hast sie gekannt!«

»Euer Vater war der Graf Don Juan de Mediana und Eure Mutter Donna Luisa, die schönste Frau von Biskaya und Asturien.«

»Mein Vater ein Graf, ein spanischer Grand?«

»Ja, und zwar einer der reichsten und vornehmsten Granden des Königreiches.«

»Don Juan de Mediana! Und der Mörder meiner Mutter nennt sich auch de Mediana?«[138]

»Sie waren Brüder. Der Mörder ist Euer eigener Oheim!«

»Mein Gott, mir schwindelt vor diesen Eröffnungen!«

»Er hat Euch an der Cisterne erkannt, das ist sicher, und Euch aus diesem Grunde, nicht allein wegen der Bonanza, ermorden wollen. Aber Gott hat Euch zur richtigen Stelle geführt. Pepe, der Schläfer, hat ein Kleines mit ihm abzurechnen, und wenn Ihr wollt, könnt Ihr ihm dabei behilflich sein!« –

Während dieser Unterhaltung am Lagerfeuer fand eine andere in dem Zimmer Don Estevan de Arechi za's statt.

Cuchillo stand vor ihm.

»Ich kann nicht dafür, Sennor! Hätte er die Wendung nicht gemacht, so wäre ihm meine Klinge ganz sicher in das Herz gefahren.«

»Ihr könnt nicht dafür? So! Ich sage Euch aber, daß Ihr ein Schwächling seid, der eigentlich die Ruthe verdient, denn – – –«

»Die Ruthe?« unterbrach ihn Cuchillo mit flammendem Auge. »Don Estevan de Arechiza, vergeßt nicht, daß der Kapermatrose Juan etwas Anderes verdient hat, als eine solche Beleidigung! Was verdient Ihr dann wohl dafür, daß Ihr Euch von dem Jungen packen und fast zwanzig Schritte weit fortschleudern ließet?«

Don Estevans Stirn röthete sich stark; die Adern an derselben schwollen zur doppelten Stärke an, doch hatte er triftige Gründe, sich zu beherrschen.

»Cuchillo, vermeidet in Zukunft diesen Ton, wenn Ihr nicht Bekanntschaft mit der Art und Weise, wie ich dergleichen zu behandeln pflege, machen wollt. Euer Fehlstoß hat uns in die übelste Lage gebracht, die es nur geben[139] kann. Don Augustin ist in Beziehung des Besitzrechtes der Bonanza anderer Meinung als ich; er spricht sie dem Rastreador zu. Der Angriff auf diesen, der sein Gast ist, muß ihm als die größte Beleidigung gelten, und er wird erfahren, daß die That von uns ausgegangen ist. Unser Aufenthalt würde kein angenehmer sein. Tiburcio ist fort, wie Ihr mir sagt. Er hat uns durchschaut und wird sich schleunigst nach Tubac begeben, um uns zu verdächtigen und seine Erstlingsrechte geltend zu machen. Rechne ich dazu die Anwesenheit dieses Pepe Dormillon, aus welchem ein so berühmter Jäger geworden ist, so erkenne ich die Nothwendigkeit, schleunigst von hier aufzubrechen. Wie leicht ist es möglich, daß sie sich treffen! Irgend ein unvorhergesehener Umstand, eines jener unberechenbaren Ereignisse, wie sie so oft vorzukommen pflegen, kann dazu führen, daß er seine Abstammung erfährt und die Mörder seiner Mutter erkennt. Und wer sagt Euch, daß der Mörder seines Pflegevaters Marcos Arellanos vor seiner Rache sicher sei?«

»Dieser Umstand geht mich nichts an. Marcos Arellanos ist nicht unter der Hand eines Mörders gefallen!«

»Nein, sondern unter demselben Dolche, welcher Donna Luisa de Mediana traf,« meinte Arechiza bitterlich. »Doch streiten wir uns nicht; wir haben jetzt Besseres und Nöthigeres zu thun! Tiburcio muß sterben, und zwar auf jeden Fall. Wir reisen schon am frühen Morgen ab; sagt das den Andern und macht Euch fertig. Und sorgt dafür, daß Baraja und Oroche Euch behilflich sind, einen bessern Stoß zu führen als der letzte war! Die Bonanza steht auf dem Spiele, merkt Euch das, Cuchillo!«[140]

»Er wird mir nicht entgehen, Sennor! Am Morgen werde ich seine Spur erkennen, und dann muß es sich ergeben, wie wir zu handeln haben.«

Er ging.

Am andern Morgen brach die Kavalkade, ohne von Don Augustin Abschied zu nehmen, auf. Arechiza ließ ihm einfach sagen, er habe eine wichtige Veranlassung erhalten, ohne Zögern nach Tubac aufzubrechen. Cuchillo leitete sein Pferd an die Spitze des Zuges, wo Don Estevan ritt.

»Ich habe die Spur bereits untersucht.«

»Nun?«

»Sie führt hinüber in den Wald.«

»Ah! So ist er nicht sofort nach Tubac aufgebrochen? Wie weit habt Ihr sie verfolgt?«

»Bis ich ihn sah.«

»Wo war das?«

»Nicht sehr weit von hier an einem Lagerfeuer.«

»Wie unvorsichtig von ihm! Er weiß sich in Gefahr und geht nicht weiter fort.«

»Er steht unter dem besten Schutze, den er finden konnte. Der ›große Adler‹ und der ›zündende Blitz‹ sind bei ihm.«

»Pepe Dormillon? Teufel, da ist keine Zeit zu verlieren, sonst machen sie gemeinschaftliche Sache gegen uns!«

»Ich hätte mich hinzugeschlichen und meinen Stich verbessert, aber der Kanadier hielt Wache, während die beiden andern schliefen, und mit diesem anzubinden, das hieße geradezu in die Hölle laufen. Und die Sache mit einer Kugel abzumachen, fehlte mir die Büchse.«

»Seid Ihr Baraja's und Oroche's sicher?«

»Ja. Sie wollen die Bonanza nicht verlieren und[141] sind daher bereit, ihm Gelegenheit zu geben, nicht nach Tubac zu kommen. Uebrigens theile ich die Quadrupel mit ihnen, ein Umstand, den ich Euch ganz besonders an das Herz legen muß.«

»Macht Eure Sache gut, so kommt es mir auf ein Goldstück mehr nicht an!«

»Was befehlt Ihr uns?«

»Ihr reitet mit Baraja und Oroche bis in ihre Nähe. Die Beiden bleiben zur Deckung des Rückzuges halten, und Ihr schleicht Euch hinzu, um ihm die Kugel zu geben. Aber zielt gut! Ich reite mit den Uebrigen bis zur Brücke, wo ich Euch erwarte. Sie bildet den einzigen Weg, uns schnell zu folgen, und wir müssen sie daher zerstören.«

Als sie an die Stelle kamen, wo Tiburcio nach dem Walde eingebogen war, lenkte Cuchillo mit den beiden Banditen nach demselben ein, während Estevan mit Diaz und den Andern dem Wege nach der Brücke folgten.

Unterdessen hatten die drei Männer am Lagerfeuer erst nach langer und stürmischer Unterhaltung den Schlaf gesucht. Pepe war die letzte Wache zugefallen, und als die Morgenkühle einem milderen Hauche zu weichen begann, weckte er die beiden andern. Das Feuer wurde höher geschürt und ein neues Hammelstück darübergelegt. Bei allen Verrichtungen, welche sich jetzt nöthig machten, legte der Kanadier eine außerordentliche Liebe und Sorgsamkeit für Tiburcio an den Tag.

»Mein Sohn,« meinte er, »ich werde Dich nicht mehr Tiburcio sondern Fabian nennen, denn das ist Dein rechter Name.«

»Thue das, mein Vater!«[142]

»Nun sage, was Du zu thun beabsichtigest. Ich und Pepe, wir werden Dir bis an das Ende der Welt folgen.«

»Santa Lauretta, das ist wahr!« bestätigte Dormillon. »Besonders wenn Ihr Euch entschließen wollt, diesem Estevan de Arechiza ein wenig auf das Fell zu steigen. Seht hier diesen Ring! Er hat ihn mir damals gegeben, daß ich schweigen sollte. Ich that es auch, weil ich glaubte es handle sich um eine Sache, die sich mit meinem Gewissen vereinbaren lasse. Als ich aber die Wahrheit erfuhr, nämlich daß ich die Ausführung eines Mordes und Kindesraubes unterstützt habe, ließ es mir weder Ruhe noch Rast; ich mußte an die Arbeit gehen, den Thäter zu entdecken und der Strafe zu überliefern. Statt dessen aber sollte ich auf die Galeere gehen und nach dem Präsidio Ceuta gebracht werden, um Thunfische zu fangen. Der brave Hauptmann Don Lukas Despierto jedoch half mir aus der Tinte, weil er seinen Brief wieder holen wollte, den er auch bekam. Ich mußte fliehen, that aber den Schwur, keine Gelegenheit zu versäumen, den Mörder dennoch an die Strafe zu liefern und wo möglich den geraubten Knaben zu entdecken. Ich kam in die Vereinigten Staaten und traf ganz droben in Montana einen Bärenjäger, der mir erlaubte, mich zu ihm zu gesellen, und –«

»Und Dich lehrte, eine gute Büchse richtig in die Hand zu nehmen,« setzte Rosenholz hinzu. »Der gute Pepe glaubte nämlich, ein außerordentlicher Schütze zu sein, traf aber den Grizzly öfters in den Schwanz statt zwischen die bewußten zwei Rippen. Doch war er ein guter Schüler. Nach einigen Monaten hatte ich ihn schon so weit, daß er höchstens das Auge eines Fischotters mit dem Ohre verwechselte, was allerdings das Fell ein weniges beschädigt;[143] aber schon nach Verlauf eines Jahres konnte ich vollständig mit ihm zufrieden sein. Wenn er auch keine solche Büchse hat, wie die meine und die Deinige ist, mein Sohn, so weiß er doch stets das zu treffen, was er treffen will, und wenn unser Pulver blitzt, so ist Alles unser, was man mit einem guten Schuß erreichen kann. Auch Du verstehst Deine Sache, wie ich an dem Puma gesehen habe, den Du zur Cisterne brachtest, und wenn drei solche Männer mit sechs sichern Augen und ebenso viel starken Armen zusammenhalten, so weiß ich ganz genau, ob es diesem Grafen Antonio gelingen wird, meinen Pepe zum zweiten Male auf den Thunfischfang zu schicken.«

»Er ist mein Oheim, Vater!«

»Ja, das ist er, mein Junge; aber das darf kein Grund zur Nachsicht sein, denn gerade weil er der Schwager Deiner Mutter war, ist der Mord doppelt ruchlos und sollte zwiefach gerochen werden. Mein Trachten geht nicht nach Gold und Silber; ich habe über einen gut gelungenen Schuß mehr Freude, als über alle Bonanzen und Placers der Welt; aber dieses Goldthal ist Dein Eigenthum, welches Dir nur durch die Ermordung des Pflegevaters streitig gemacht wurde. Willst Du es haben, so bin ich und Pepe dabei, und Don Arechiza mit sammt seinen achtzig Mann soll es Dir nicht nehmen. Nur laß Dein Pferd zurück, denn – – –«

»Mein Pferd zurücklassen? Das hieße ja, von vorn herein aus Alles verzichten!«

»Laß Dir sagen, daß ein mittelmäßiger Jäger allerdings ohne Pferd fast nichts vermag, Leute besseren Schlages aber kommen auf ihren Füßen besser vorwärts, als auf dem Rücken eines Thieres, welches viel Zeit, Pflege und[144] Rücksicht erfordert und durch die Spuren seiner Hufe gar leicht zum Verräther wird. Entschließen wir uns, der Expedition in die Apacheria zu folgen, so bekommen wir es mit einem zwiefachen Feinde zu thun, mit dem wir es zu Fuße viel eher aufzunehmen vermögen als zu Pferde. Allerdings gibt es Strecken, die man nur beritten zurücklegen kann, doch dann sind wir auch Manns genug, uns ein Thier zu holen, wie wir es brauchen. Jetzt aber meine ich, wir sollten – – –«

Er fuhr mitten in der Rede empor. Ein Schuß war gefallen, und die Kugel hatte Fabian das Haar gestreift.

In der nächsten Sekunde schon standen sie im nächsten Dickicht und spähten und horchten nach der Richtung hin, wo die Detonation stattgefunden hatte. Sie vernahmen den davoneilenden Hufschlag eines Pferdes.

»Das galt Euch, Fabian,« meinte Pepe.

»Sicher ist es dieser Cuchillo gewesen, welchen Estevan gesandt hat, meiner Spur zu folgen!« rief der Rastreador in höchster Wuth. »Ich werde – – –«

»Halt,« rief der Kanadier. »Erst denken und dann handeln! Der Mann war zu Pferde; das ist ein sicheres Zeichen, daß sie aufgebrochen sind. Nur die Brücke führt über den Fluß. Don Arechiza wird dort auf den Mörder warten, um sie nachher vielleicht zu zerstören. Pepe, wir dringen gerade durch die Büsche auf sie los, und Du, Fabian, verfolgst den Menschen zu Pferde; Du hast einen Umweg, und wir werden zu gleicher Zeit dort eintreffen. Vorwärts!«

Fabian riß den Lasso los, saß auf und jagte davon, Alles das Werk nur eines Augenblickes. Zerdrückte und zerknitterte Blätter, kleine, frisch abgerissene und zerbrochene[145] Zweige und die Hufspuren im Boden zeigten seinem geübten Auge auf das Unzweideutigste, daß er den Verfolgten vor sich habe. Auf dem sandigen Wege angekommen, welcher in zahlreichen Windungen nach der Brücke führte, bemerkte er deutlich, daß es mehr als ein Reiter sein müsse; er ließ die Zügel schießen, gab dem Pferde die Zacken seiner Sporen in die Weichen und flog über das schwierige Terrain mit einer Geschwindigkeit dahin, welche beinahe derjenigen des Gedankens glich. Und dennoch vergingen Minuten, ehe er in die Nähe des Stromes gelangte.

Cuchillo hatte geglaubt, daß seine Kugel sicher ihr Ziel erreicht habe, und sich dann aus Angst vor den beiden furchtbaren Jägern schleunigst zurückgezogen. Sein Vorsprung war zu groß, als daß Fabian ihn trotz der Schnelligkeit seines Pferdes einzuholen vermocht hätte. Dieser stürmte ventre-à-terre dahin. Schon fing das Brausen des Waldstromes an, den lauten Galopp seines Pferdes zu übertönen, und bald ließen sich inmitten dieses Brausens auch menschliche Stimmen vernehmen.

Die ungestümen Sprünge eines Pferdes haben die Wirkung, daß sie die menschlichen Leidenschaften vermehren oder steigern; Pferd und Mann reagiren auf einander; das Herz des Menschen verfügt über stählerne Kniekehlen, das Thier aber erhebt sich bis zum Verständniß der Gefühle seines Reiters. Fabians Blut kochte. Der erneute Mordversuch hatte jede mildere Gesinnung aus seinem Herzen gedrängt, und er fühlte nur den einen Gedanken, seine Feinde zu erreichen und sie niederzuschmettern. An ihre überlegene Anzahl dachte er nicht.

Als er den letzten Busch hinter sich hatte und auf[146] den Fluß zuflog, bot sich ihm ein Anblick dar, der seinen Grimm aufs Höchste stachelte.

Wie bereits gesagt wurde, verband eine aus zwei grob behauenen Baumstämmen bestehende Brücke die beiden Ufer, zwischen denen der Salto de Agua dahinbrauste. Die beiden Enden dieser Balken, deren Vereinigung so viel Breite bot, daß ein Pferd darüber gehen konnte, ruhten, durch sonst nichts festgehalten, auf dem nackten Felsen; einige starke Männer konnten daher diese Brücke zerstören und dadurch wegen der Entfernung der beiden Ufer den Uebergang an die ser Stelle zur Unmöglichkeit machen.

In dem Augenblicke, wo Fabian im Begriffe war, die Balken zu erreichen, zogen vier von ihren Reitern angetriebene Pferde aus Leibeskräften an der Brücke, welche durch straff angespannte Lasso's mit den Sattelknöpfen verbunden war. Unter der Anstrengung der Pferde setzten sich die Balken in Bewegung, trennten sich und stürzten in den Strom hinab, daß das Wasser hoch aufspritzte, während die schnell freigemachten Riemen pfeifend dem Impulse der beiden Balken folgten.

Fabian stieß einen Wuthschrei aus. Arechiza hatte ihn erblickt. Auch er gerieth in Grimm darüber, daß der Rastreador seinem Anschlage zum zweiten Male entkommen war.

»Cuchillo, Ihr seid ein Schulknabe!«

»Sennor, der Teufel selbst muß diesen Menschen schützen, denn ich habe deutlich gesehen, daß meine Kugel – – –«

Er hielt inne. Die Andern brauchten nicht zu wissen,[147] was er in den letztvergangenen Augenblicken mit Baraja und Oroche vorgehabt hatte.

»Kommt herüber, Sennor Tiburcio,« höhnte Arechiza. »Wir stehen im Begriffe, die Bonanza aufzusuchen!«

Fabian hatte sein Pferd bei dem Anblicke der zerstörten Brücke herumgerissen. Mit schlagenden Flanken stand es unter ihm; auch er zitterte vor Grimm und Aufregung.

»Gut, ich komme,« gab er zur Antwort.

Er ließ die hindernde Büchse zu Boden gleiten, zog das Messer, warf sein Pferd herum und ritt bis an die Büsche zurück, um einen Anlauf zu nehmen. Dann griff er die Zügel hoch, richtete sich im Bügel auf, drückte die Sporen an und flog wie ein Pfeil auf den Fluß zu.

Das fürchterliche Wagniß sollte nicht gelingen; das Pferd scheute bei dem Anblicke der schäumenden Tiefe, bäumte sich empor und warf sich zurück.

»Er hat Angst, der Junge. Drohen kann er, aber reiten nicht!« rief Don Estevan.

»Sennor Arechiza, was habt Ihr mit Tiburcio?« frug der ehrliche Diaz, der den ganzen Vorgang nicht begreifen konnte.

»Nur eine kleine Privatsache, die Euch nicht kümmert!«

»So laßt ihn ruhig gehen. Es ist unmöglich, herüberzukommen, und Ihr treibt ihn durch Euren Spott in den sicheren Tod.«

»Er mag ersaufen, wenn er es nicht lassen will!«

Fabian hatte sein Pferd zum zweiten Male zurückgelenkt, um den Anlauf von Neuem zu nehmen. Arechiza sah die todesverachtende Entschlossenheit in seinen jugendlichen Zügen und bemerkte, daß er das Messer emporhob,[148] um es dem Pferde in den Hals zu stoßen, damit es durch den Schmerz zur größten Anstrengung getrieben werde.

»Er macht Ernst. Beim Teufel, er kommt! Cuchillo, Baraja, Oroche, schießt ihn nieder!«

Sofort richteten sich die Büchsen der drei Männer auf Fabian.

»Halt! Wer schießt, der stirbt!« donnerte da eine mächtige Stimme, welche das Brausen des Wassers weit überschallte.

Bois-rosé und Dormillon waren auf dem Platze angekommen und standen mit erhobenen Büchsen am diesseitigen Ufer. Sofort senkten sich die Gewehre der drei Banditen. Sie wußten, daß der »große Adler« seine Drohung wahr machen werde.

»Zurück, Fabian!« rief der Kanadier. »Du bist sonst verloren!«

»Fabian!« hallte es im Innern Arechiza's wider. »Sie haben sich erkannt, Fabian und Pepe!«

Die Warnung Bois-rosés kam zu spät. Mit Anspannung aller Muskeln flog das Pferd dem Flusse zu, ein fürchterlicher Satz – es erreichte mit allen vier Hufen das jenseitige Ufer; aber da wich das von dem Zahne der Zeit zermürbte Gestein unter ihm – ein Schrei des Entsetzens aus dem Munde der beiden Jäger, ein Jubelruf Don Estevans – Roß und Reiter verschwanden mit lautem, gräßlichem Aufschlage in den Fluthen, aus deren tosendem und wirbelndem Chaos kein Entkommen möglich sein konnte. – –[149]

Quelle:
Der Waldläufer von Gabriel Ferry. Für die Jugend bearbeitet von Carl May. Stuttgart (1879), S. 104-150.
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