IV

Die Insel im Rio Gilo

[150] Jenseits des Präsidio Tubac liegen die ungeheuren Ebenen, welche Mexiko von den Vereinigten Staaten trennen, und nur durch die unbestimmten und abenteuerlichen Berichte der Jäger und Gambusino's bekannt sind.

Durch einen Theil derselben windet sich der Rio Gilo unter den verschiedensten Namen mit seinen Nebenflüssen. Er entspringt in den entferntesten Gebirgen des Nordens und durchläuft unermeßliche Strecken sandigen Bodens, in denen man weit und breit keinen Baum zu sehen bekommt. Die Dürre und Monotonie dieser Gegenden wird blos durch die von dem Regenwasser ausgehöhlten Schluchten unterbrochen; aber dieses Wasser befruchtet nicht, sondern verwüstet blos.

Der steinigte Boden zeigt dem Reisenden nur die schroffen Abgründe und ausgetrockneten Strombetten, welche ihn auf seinem Wege hindern, ohne ihm oder seinem Pferde irgend welche Nahrung zu bieten. Der Büffel und der Damhirsch fliehen diese Einöden, wo nur ungern ein dünnes Gras zu wachsen scheint, welches verdorrt, noch ehe es vollständig emporgesproßt ist, und selbst der Indianer erscheint[150] dort nur dann, wenn der brennende Wind aufgehört hat, welcher einen großen Theil des Jahres hindurch versengend in diesen Wüsten weht.

Nur am Wasser selbst ist eine bald armselige, bald wilde, verworrene Vegetation zu bemerken, die sich durch einige Niederungen oder auf der Zunge zwischen dem Flusse und einem seiner Nebenläufe vorgerungen hat. –

Es mochte vier Uhr Nachmittags sein, die Zeit, in welcher der Wind, obwohl noch durch die Rückwirkung des brennenden Sandes erhitzt, doch nicht mehr aus einem brennenden Ofen zu kommen scheint. Schon warf die sich im Westen senkende Sonne schiefe Strahlen, und dünne, weiße Wolken, von rosenfarbigen Lichtern durchzuckt, zogen langsam am Himmel dahin.

Hoch droben in den Lüften schwebte einsam und scheinbar ohne seine Schwingen zu bewegen ein Adler.

Von der Höhe herab, in welcher der König der Vögel schwebte, konnte sein scharfes, durchdringendes Auge zahlreiche menschliche Geschöpfe erblicken, die auf dem Boden der Wüste zerstreut waren – die Einen beisammen, die Andern so weit von einander, daß sie nur für ihn sichtbar waren, sich gegenseitig aber nicht bemerken konnten.

Gerade unter ihm dehnte sich eine Art von Cirkus aus, welcher durch einen natürlichen, unregelmäßigen Hag von großen, mit scharfen Spitzen versehenen Caktus und von dornigen Nopalpflanzen umgeben war. Einige wenige aus Eisenbäumchen bestehende Gebüsche vermischten ihr blasses Grün mit den schmutzigen Farben der Cakteen und Nopale.

An dem einen Punkte wurde diese aus Pflanzen geformte Ringmauer durch einen kleinen, oben ganz flachen[151] Hügel beherrscht. Um diese natürliche Festung her dehnten sich kalkhaltige Flächen, sandige Steppen und Reihen kleiner Bodenerhebungen aus, welche in diesem Sandmeere als feste Wellen erschienen.

Eine aus etwa sechzig Reitern bestehende Menschentruppe war in dem von den Pflanzen gebildeten Kreise abgestiegen. Die Flanken der Pferde dampften wie nach einem Eilmarsche. Man vernahm ein verworrenes Geräusch von menschlichen Stimmen, ein Wiehern von Pferden und ein Klirren und Klingen von Waffen jeder Art. Lanzen mit flatternden Fähnchen, Musketen, Karabinern, doppelläufige Flinten waren noch an den Sattelbögen befestigt. Von den Reitern besorgten einige ihre Pferde, andere lagen auf dem Sande umher unter dem kargen Schatten der Caktusstauden und dachten nach einem ermüdenden Tagemarsche, während dessen die brennende Sonne der heißen Zone, ganz wie die Kälte des Nordens, die Glieder steif gemacht hatte, vor allen Dingen an das Ausruhen.

In einiger Entfernung zeigten sich beladene Saumthiere, welche gleichfalls auf den Rastort zukamen, und noch weiter hinten konnte man schwer beladene Wagen bemerken, die, vielleicht zwanzig an der Zahl und von Mauleseln gezogen, sich gleichfalls, obwohl langsamer näherten.

In der Richtung, welche von diesen Leuten verfolgt worden war, konnte das Auge des am Himmel sich wiegenden Adlers Leichname von Menschen und Thieren bemerken, die über die dürre Ebene zerstreut lagen und den gefährlichen Weg dieser Abenteurer bezeichneten, welche Alles, selbst das Leben einsetzten, um die von Cuchillo an Don Arechiza verkaufte Bonanza zu erreichen.

Als die Maulthiere mit den Wagen am Rastorte angelangt[152] waren, trat eine augenblickliche Verwirrung ein, welche indessen nur einige Minuten anhielt. Bald waren die Wagen abgeladen, die Maulthiere ausgeschirrt und die Pferde abgesattelt. Dann wurden die Wagen, Deichsel gegen Deichsel, durch eiserne Ketten mit einander verbunden; die Saum- und Pferdesättel wurden auf einander geschichtet und füllten mit den Caktus- und Nopalpflanzen die leeren Räume zwischen den Rädern aus, so daß Alles eine feste und uneinnehmbar scheinende Barrikade bildete.

Im Innern des Lagers wurden die Thiere an die Wagen gebunden und die Küchengeräthe neben Reisbündel aufgestellt, welche man als Feuerungsmaterial in den Wagen mit herbeigebracht hatte.

Sodann stellte man eine Feldschmiede auf, und nun hallte der Ambos von den Schlägen des Hammers wieder, welcher beschäftigt war, Hufeisen oder Radschienen zu formen.

Ein reich gekleideter Reiter, dessen Anzug aber durch Staub und Sonne sehr gelitten hatte, saß allein noch mitten im Lager, welches sein Auge mit großer Sorgfalt nach allen Seiten hin durchlief, auf einem schönen Schweißfuchse. Es war Don Estevan de Arechiza, der Herzog von Medina.

Einige Männer waren damit beschäftigt, auf dem Plateau des Hügels, welcher das Lager beherrschte, die Stangen eines Leinwandzeltes im Boden zu befestigen. Als das Zelt fertig dastand, stieg nun auch der Reiter ab und trat unter die schützende Leinwanddecke.

Alle diese Vorbereitungen hatten die Zeit von kaum einer halben Stunde erfordert, so sehr wurden sie durch Gewohnheit und gute Aufsicht vereinfacht. –[153]

Das war das Eine, was der Adler zu sehen vermochte. – –

Von diesem Lager nach Osten zu, aber weit hinter den Steppenhügeln erhob sich aus dem Sande ein großes und dichtes, aus Gummi- und Eisenbäumen bestehendes Gehölz. Andere Bäume brachten diese Wüsten nicht hervor.

Unter dem Schatten dieses Gehölzes hielt ein zweiter Reitertrupp. Da waren weder Verschanzungen noch Wagen oder Saumthiere zu bemerken. Allein dies war nicht der einzige Kontrast, den dieser Trupp mit dem andern bildete. Er bestand aus einer doppelt so starken, also vielleicht hundertundzwanzig Mann zählenden Horde von Indianern. Ihre Gesichtsfarbe erinnerte stark an florentinische Bronze; die einen waren beinahe nackt, die andern mit fliegenden Ledergewändern und wallenden Büschen von Adlerfedern bekleidet; ihre Gesichter hatten sie mit hellem Zinnoberroth und gelbem Ocker bemalt, und an dem wilden, seltsamen Schmucke ihrer Pferde konnte man leicht erkennen, daß sie sich auf dem Kriegspfade befanden.

Fünf von diesen Söhnen der Wildniß, ohne Zweifel die Häuptlinge, saßen ernst um ein Lager herum, welches nach indianischer Sitte geschürt wurde, so daß man von Weitem weder Rauch noch Flamme bemerkte, und ließen die lange Pfeife, welche bei allen Berathungen der Indianer eine so große Rolle spielt, im Kreise cirkuliren. Ein lederner Schild, um dessen Rand eine dichte Federfranse lief, ein langer Spieß, eine Makana (Mordkeule) und ein Skalpirmesser bildeten die Ausrüstung eines jeden dieser Häuptlinge.

In einiger Entfernung von ihnen wurden von fünf[154] Kriegern ihre Pferde gehalten. Es waren schöne, feurige Thiere, die kaum zu zügeln waren. Sie trugen seltsam aussehende hölzerne Sättel, welche mit ungegerbtem Leder überzogen waren, und ungegerbte Fuchsfelle schmückten ihr Kreuz.

Während einer der Häuptlinge die Pfeife weiter reichte, zeigte er lautlos mit dem Finger nach Westen auf einen Punkt am Horizonte hin.

Das Auge eines Europäers hätte dort nur ein gräuliches Wölkchen erblickt, allein der scharfe Blick des Indianers nahm gar wohl die weiße Rauchsäule wahr, welche aus dem Lager der Weißen aufstieg und in der Höhe dieses Wölkchen bildete.

In diesem Augenblick brachte ein Bote eine ohne Zweifel sehr wichtige Nachricht, denn alle Krieger bildeten sofort eine lebhafte, malerische Gruppe um ihn her.

Er trat zu den Häuptlingen.

»Der Aelteste unserer Väter hat mich ausgesandt, zu ergründen den Weg der weißen Männer, welche gekommen sind in das Land der rothen Krieger aus einem Grunde, den wir noch nicht kennen. Dort« – er zeigte dabei nach dem Wölkchen – »haben sie sich gelagert, an Zahl fünf mal so groß, als das Jahr Monden hat, mit Wagen, Pferden und Maulthieren. Aber dort, wo kein Feuer brennt« – er deutete nach dem Flusse – »sind drei Bleichgesichter auf der grünen Insel, groß von Gestalt, wie die alten Urväter der rothen Männer, welche im Grabe liegen seit tausend Jahren.«

Der älteste der Häuptlinge blies ruhig den Rauch durch die Nase, gab die Pfeife seinem Nachbar und befahl dem Boten, die drei Männer einzeln zu beschreiben.[155]

»Ich sah einen Mann, groß und breit, wie ich noch niemand sah, zwei Köpfe höher denn ich selbst. Er hat das Auge eines Kindes aber die Gestalt eines Bären, und zehn Krieger können ihn nicht niederringen.«

Ein ungläubiges Gemurmel ließ sich unter der Zuhörerschaft vernehmen. Der Häuptling winkte mit der Hand.

»Es gibt nur ein Bleichgesicht, welches zehn Krieger nicht zur Erde ringen können. Seine Kugel trifft die zickzackende Schwalbe, seine Faust betäubt den Büffel und seine Stimme ist wie der Donner um Mitternacht. Er lebt weit im Lande der Sioux gegen Norden, ist noch niemals über das Gebiet der Comanchen herübergekommen, und wird von den rothen Männern der ›große Adler‹ genannt. Mein Sohn beschreibe den Zweiten!«

»Das andere Bleichgesicht ist nicht so hoch und stark, aber dennoch höher und stärker als die Männer der Apachen. In seinem Auge wohnt das Feuer, in seinem Fuß die Schnelligkeit des Hirsches, und seine Hand ist behend wie die Zunge der Schlange, die nie ruhen kann.«

»Aus welcher Gegend kommen diese Bleichgesichter?«

»Sie haben die Züge des Menschen, der gegen Mitternacht wohnt.«

»Mein Sohn beschreibe den dritten.«

»Er hat das Angesicht des Südens, ist jung wie die Strahlen der Morgensonne und schön wie die Squaw im neuen Wigwam des Kriegers. Sein Haupt ist höher, denn das meine, und seine Stärke und Gewandtheit wie die des Panthers im Urwalde. Ich habe gesprochen!«

Der Bote trat zurück.

Einige Augenblicke des Schweigens folgten, während[156] denen die Pfeife angelegentlich herumgereicht wurde. Dann forderte der Aelteste seine vier »Brüder« auf, ihre Meinung auszusprechen. Der Zweite erhob sich. Er war ein Mann von hohem Wuchse und dunklerer Gesichtsfarbe als die andern, ein Umstand, der ihm den Namen »Schwarzvogel« verschafft hatte. Er war eine imponirende Figur, als er dastand, um zu sprechen.

»Sechzig Sommer haben mein Auge erquickt und sechzig Winter meine Stirn gefaltet, aber nie habe ich gesehen, daß Freundschaft herrscht zwischen den Weißen des Nordens und den Bleichgesichtern vom Mittag. Die drei Männer auf der Insel gehören nicht zu den Kriegern, welche dort im Westen ein großes Feuer brennen; sie sind ihnen feindlich gesinnt und die rothen Söhne der Prairie mögen zu ihnen senden, damit sie kommen und mit uns gegen die Leute mit den Wagen kämpfen. Schwarzvogel, der Häuptling der Apachen, hat gesprochen!«

Auch die Andern erhoben sich nach der Reihe, aber Keiner stimmte der Ansicht Schwarzvogels bei. Seine Ansicht wurde verworfen, und man beschloß, eine größere Abtheilung gegen das Lager und eine kleinere gegen die Insel zu senden.

Ungefähr eine Viertelstunde später gingen hundert Mann in der Richtung des Lagers ab, während sich zwanzig der bewährtesten Krieger nach dem Inselchen hinbewegten und vor Verlangen brannten, das Blut der drei Personen zu vergießen, denen es für den Augenblick eine scheinbar sichere Zufluchtsstätte bot. –

Das war das Zweite, was der Adler sehen konnte. –

Im Süden von den beiden Lagern und zwar so, daß sie mit diesen Orten ein Dreieck bildete, lag inmitten des[157] Rio Gilo ein kleines Inselchen inmitten eines leichten Nebels. Der Gilo strömte hier, an den Ufern von Bäumen und Sträuchern beschattet, von Osten nach Westen, theilte sich eine Stunde unterhalb der Insel in zwei Arme und bildete ein großes Delta, dem eine Gebirgskette zur Grenze diente. Allein ein dicker Nebel bedeckte diese Hügel, und Gottes Auge allein hätte diesen Dunstschleier durchdringen können, der immer lebhaftere himmelblaue und violete Tinten darbot, je mehr sich die Sonne dem Horizonte zuneigte.

In diesem Delta, welches einen Flächenraum von beinahe zwei Quadratmeilen inne hat, etwa in gleicher Entfernung von der Hügelkette und der Gabel des Flusses, lag das Goldthal, wie Marcos Arellanos den Ort getauft hatte.

Große Zitterespen und Weidenbäume standen am Ufer des Flusses, einen Flintenschuß von der genannten Insel. Die Bäume standen so nahe am Wasser, daß ihre Wurzeln durch den Boden am Flusse hindurchdrangen und sich im Wasser tränkten. Auch war der freie Raum zwischen den Bäumen durch kräftig treibende Bandweiden oder andere in einander verschlungene Pflanzen ausgefüllt. Fast dem Inselchen gegenüber aber befand sich ein ziemlich großer und von Vegetation ganz entblößter Raum.

Dieser Weg war von Büffelheerden oder Haufen wilder Pferde, die am Ufer sich tränken wollten, ausgetreten worden. Man konnte also von dem Inselchen aus über diesen freien Raum hinweg einen Blick auf die Ebene werfen.

Die Insel war ursprünglich durch Baumstämme gebildet worden, die sich mit ihren Wurzeln oder Aesten im Bette des Flusses eingehackt und festgesetzt hatten. Andere[158] Bäume waren zu ihnen herangetrieben und von ihnen festgehalten worden; die einen hatten noch ihr Laub, die andern waren längst verdorrt, und da sich ihr Gezweig und Wurzelwerk innig verschlang, so bildeten sie eine Art rohen Flosses, seit dessen Bildung wohl viele Jahre verflossen waren. Trockenes Gras, welches durch die Wellen von den beiden Ufern abgerissen und hier angeschwemmt worden war, hatte die Maschen und leeren Räume dieses Flosses längst ausgefüllt. Der Staub, welchen der Wind vor sich hertreibt und in ferne Gegenden führt, hatte dieses Gras nach und nach mit einer Erdkruste bedeckt und bildete in Folge dessen auf dieser schwimmenden Insel eine Art festen Bodens, an dessen Ufern hohe Wasserpflanzen aufgeschossen waren.

Ueber dem kräftig treibenden jungen Holze, welches neben dem Schilfrohre und Pfeilkraute das Inselchen mit einem grünen, dichten Saume umgab, welcher mit den Baumskeletten oder den großen, von ihrer Rinde entblößten Aesten in bizarrer Weise verbunden war, hatten sich Weidenstämme erhoben.

Dieser Saum umschloß einen dreißig bis vierzig Quadratschuh großen und mit saftigem Grase gepolsterten Raum, und ein liegender oder auch nur knieen der Mensch verschwand, welche Höhe und Stärke er sonst auch haben mochte, gänzlich hinter dem durch das junge Holz und die Weidenäste gebildeten Vorhang.

Hinter ihm lagen drei Männer, von denen zwei schliefen, während der älteste von ihnen, die Büchse zum stets bereiten Schusse in der riesigen Faust, wachte. –

Das war das Dritte, was der Adler sah. –

Der Beschreibung nach, welche der indianische Kundschafter[159] von den drei auf der Insel befindlichen Weißen gemacht hatte, konnten diese Niemand anders sein, als Bois-rosé, Pepe Dormillon und Fabian de Mediana.

Der Letztere war nämlich trotz der Gefährlichkeit des Sturzes nicht in dem Wasser des Salto de Agua verunglückt. Der Fall in die Fluthen war nur für das Pferd tödtlich gewesen, und da Fabian ein ausgezeichneter Schwimmer war und die beiden Freunde ihm augenblicklich zu Hilfe kamen, so hatte er sich, allerdings unter Aufbietung aller Kraft und Geschicklichkeit, zu retten vermocht.

Don Estevan de Arechiza hatte den Ort mit seinen Begleitern aus Besorgniß vor den Kugeln der zwei Tigertödter sofort verlassen und glaubte den jungen Rastreador ohne jede Möglichkeit der Rettung verloren.

Die drei Verbündeten hatten einen weiten Umweg machen müssen, um durch eine Furth an das jenseitige Ufer zu gelangen. Dadurch war ihnen viel Zeit verloren gegangen, und als sie in Tubac anlangten, war die Expedition von dort aus schon einen vollen Tag unterwegs.

Sie verkauften die Felle der Tiger und des Puma, versahen sich mit allem Nöthigen und folgten dann nach.

Fabian sah sich mit einem Male von einem armen Pferdebändiger und Pfadfinder in einen Mann verwandelt, der die begründetsten Ansprüche auf Reichthum, Ehren und Würden hatte; aber sein Sinn war zu einfach und gesund, als daß er sich von diesen verlockenden Aussichten hätte blenden lassen sollen. Er hatte zwei Aufgaben zu erfüllen: den Tod seines Pflegevaters zu rächen, was ihm ja sein Schwur gebot, und sich dem Grafen von Mediana als Neffen vorzustellen, um ihm den Tod seiner Mutter in das Gedächtniß zurückzurufen. Tödten wollte er ihn[160] nicht, das hatte er im Stillen beschlossen, obgleich er seit frühester Jugend Anschauungen eingeathmet hatte, welche die Blutrache und Selbsthilfe als geboten erscheinen lassen.

Was er in Beziehung der Bonanza thun werde, damit war er mit sich noch nicht im Klaren. Er mußte seine Handlungsweise ja nach Umständen bestimmen, welche jetzt noch in solcher Ferne lagen, daß er nicht die mindeste Kenntniß von ihnen haben konnte.

Ganz anders dachte Pepe in seinem Herzen. Er hatte nie einen Menschen so gehaßt, wie diesen Grafen Antonio de Mediana, und war vollständig fest entschlossen, ihn, wenn er ihn in die Hände bekommen sollte, lebendig nicht entkommen zu lassen. Der Graf sollte ihm die Gewissensbisse entgelten, welche ihn so lange Jahre hindurch bis zum heutigen Tage, wo ihm der Tod der Gräfin noch immer schwer auf dem Herzen lag, unaufhörlich verfolgt hatten.

Was Bois-rosé betrifft, so kannte er keinen andern Wunsch, als seinem treuen Dormillon und dem geliebten Pflegesohn nach Kräften nützlich sein zu können. Er war trotz seiner äußerlichen Rauhheit ein treues und auch gottesfürchtiges Gemüth, und gerade die Frömmigkeit, welche sein tiefstes Wesen durchdrang, ließ ihm die Verbrechen Don Estevans in einem abscheulichen und strafbaren Lichte erscheinen, was zur Folge hatte, daß er, welcher die größte Zeit seines Lebens in Verhältnissen gewesen, in denen er auf sich selbst angewiesen war, gar nicht vor dem Gedanken zurückbebte, die Strafe in Gestalt einer bleiernen Kugel wirken zu lassen.

Sie waren von Tubac aus den deutlichen Spuren der Karavane nicht direkt gefolgt, sondern hatten sich stets[161] seitwärts von ihr gehalten, aber jeden Lagerplatz der Expedition scharf im Auge gehabt.

Die zahlreiche Gesellschaft war durch Entbehrungen und Indianerüberfälle um zwanzig ihrer Mitglieder gekommen, noch ehe sie das Goldthal erreicht hatte. Die drei Jäger, so wenig an der Zahl, waren bisher jeder Gefahr glücklich entgangen, da die Summe ihres Muthes und Scharfblickes, ihrer Erfahrung und Kühnheit diejenige der Expeditionsleute weit übertraf.

Sie wußten, wo die Karavane heut ihr Lager aufgeschlagen hatte, ahnten auch die gefährliche Nähe der Indianer und hatten daher beschlossen, auf dem kleinen Inselchen, wo sie vor jedem plötzlichen Ueberfalle gesichert waren, ihre nächtliche Ruhe zu halten.

Freilich hatten sie nicht bemerkt, daß gerade in dem Augenblicke, als sie sich ihrer Kleider entledigt hatten um hinüberzuschwimmen, der Kundschafter der Apachen am Flusse anlangte und jede ihrer Bewegungen genau beobachtete.

Pepe und Fabian hatten dann lange geschlafen. Der erstere erwachte, als die Sonne dem Horizonte nahe stand.

»Nun schlafe Du, Rosenholz. Ich werde wachen.«

Der »große Adler« schüttelte den Kopf.

»Laß mich mit Dir wachen. Sieh doch den Jungen an, wie ruhig er schläft, gerade so ruhig, als schliefe er in dem Hause einer Straße am Manzanares und nicht auf einer Insel im wilden Rio Gilo! Soll ich da nicht wachen über mein theures Kind?«

Pepe mußte ein wenig lächeln bei dem Ausdrucke »Kind.«

»So wache mit! Schau, wie er lächelt! Santa Lauretta, wer weiß, von was Schönem er träumt!«[162]

Ueber das kräftig gebräunte Angesicht Fabians flog ein Zug innigen Glückes; seine Lippen öffneten sich und flüsterten einen Namen:

»Rosarita!«

»Alle Wetter, Pepe, Du hast Recht! Also von Rosarita träumt er. Wer ist denn Rosarita?«

»Weißt Du nicht mehr, daß ihm Rosarita gesagt hat, Don Estevan de Arechiza sei der Graf von Mediana? Rosarita ist die Tochter Don Augustin Pena's.«

»Richtig! Ah, mein lieber Fabian, so erfährt man also, daß Rosenholz und Pepe nicht die Einzigen sind, welche Du lieb hast!«

»Schrei nicht so laut, Rosenholz! Du weckst ihn ja auf, denn Deine Stimme gleicht ja dem Donnern eines Wasserfalles!«

»Richtig! Aber wer kann für seine Lunge!« meinte der Kanadier mit leiserer Stimme. »Sieh doch die Staubwolke, welche dort am Ufer des Flusses aufsteigt! Es ist ein Haufe wilder Pferde, die hier saufen wollen, ehe sie die ferne Weide aufsuchen, wo sie die Nacht zubringen werden. Dort kommen sie in all der stolzen Schönheit, die Gott den freien Thieren gibt. Ihr Auge flammt, ihre Nüstern sind roth und geöffnet, ihre Mähnen flattern im Winde. Ah, ich habe Lust, Fabian aufzuwecken, damit er sie sehen und bewundern kann!«

»Laß ihn schlafen, Rosenholz! Ich glaube, er wird vielleicht später die Augen desto offener halten müssen, denn sieh, jetzt gehen sie hin wie eine Wolke, die der Wind verjagt.«

»Teufel! Sie haben etwas Beunruhigendes bemerkt! Aber, da ändert sich die Scene: Schau den Hirsch, der[163] dort seine großen, glänzenden Augen und sein schwarzes Maul in den Zwischenräumen der Bäume zeigt? Er muß etwas wittern; er horcht. Ah, da kommt er herbei, um ebenfalls zu saufen. Er hat ein Geräusch gehört – er richtet den Kopf in die Höhe. Sollte man nicht die Wasserfädchen, die von seinen Lippen gehen, für flüssiges Gold halten, wenn man die Sonne so dieselben färben sieht? Ha, was ist das!«

»Wölfe, Rosenholz, Wölfe sind es, die so brüllen oder vielmehr bellen, denn die jagenden Wölfe geben Töne von sich, welche denen des bellenden Hundes gleichen.«

Mit dem Geweihe auf den Lenden, mit geschwollenem Halse und zurückgeworfenem Kopfe, um durch die offenen Nasenlöcher die für seine große Lunge nöthige Luft leichter einathmen zu können, floh der Hirsch pfeilschnell über die Ebene dahin. Hinter ihm her war eine Meute hungriger Wölfe zu bemerken, einige weiß, die meisten aber schwarz. Diese Thiere verfolgten den Hirsch mit der Geschwindigkeit von Kugeln, welche auf dem ebenen Plane ricochettiren.

»Soll ich Fabian nicht wecken, Pepe?«

»Ja, wecke ihn, denn er wird ein sehenswertes Schauspiel haben, und später auch noch etwas mehr, wenn ich mich nicht irre.«

Bois-rosé rüttelte den Jüngling sanft und machte ihn auf den Hirsch aufmerksam.

Dieser hatte einen ungeheuren Vorsprung vor den Wölfen voraus; allein auf den Sanddünen, welche den Horizont begrenzten, konnte das scharfe Auge eines Jägers andere als Schildwache aufgestellte Wölfe bemerken, welche die Bemühungen ihrer Genossen, ihnen den Hirsch zuzutreiben, beobachteten.[164]

Das edle Thier schien sie nicht zu bemerken oder ihre Anwesenheit nicht hoch anzuschlagen, denn es floh noch immer nach ihrer Seite hin. Beinahe bei ihnen angekommen, blieb es aber doch einen Augenblick stehen; es sah sich in einem Kreise von Feinden eingeschlossen, welcher immer enger wurde.

Plötzlich wandte sich der Hirsch nach den ihn verfolgenden Wölfen um und machte einen Versuch, über diese Gruppe wegzukommen. Allein es gelang ihm nicht, über diese Menge heulender Köpfe hinwegzusetzen, und er fiel mitten unter seine Verfolger hinein. Einige derselben stürzten unter seinen Füßen zusammen; zwei bis drei beschrieben, während sie, von seinem Geweih getroffen, ihr Eingeweide verloren, in der Luft eine Parabel. Dann ging das arme Thier mit einem Wolfe, der sich in sein Bein festgebissen hatte, mit blutenden Flanken und weit hervorgestreckter Zunge dem Flusse zu, gerade den Zuschauern dieser seltsamen Jagd gegenüber. Dort machte es sich mit einer letzten Anstrengung von seinem Feinde frei und sprang in das Wasser.

»Das ist schön; das ist herrlich!« rief Fabian. »Der Edle hat sich gerettet!«

Die verfolgenden Wölfe waren nahe daran, dem Wilde nachzuspringen, als sie plötzlich, wie von einem panischen Schrecken ergriffen, sich wandten und davonjagten.

»Was ist das?« rief Fabian. »Warum fliehen sie?«

»Bücke Dich, bücke Dich, Kind!« antwortete Rosenholz. »Verstecke Dich hinter die Stauden!«

Augenblicklich lagen die drei Männer platt am Boden, denn es zeigten sich jetzt andere, furchtbarere Jäger auf[165] dem großen Kampfplatze, der in diesen herrenlosen Wüsteneien dem ersten Besten geöffnet ist.

Etwa zwölf von den wilden Pferden, welche der Kanadier und Pepe vorhin beobachtet hatten, galoppirten ganz bestürzt über die Ebene hin. Indianer, welche auf Pferden ohne Sattel ritten, um dieselben leichter und flinker zu machen, sprengten hinter den erschrockenen Thieren her. Die Reiter waren auf ihren Pferden zusammengekauert, daß ihnen die Kniee fast bis an das Kinn reichten, wodurch den Thieren die Möglichkeit einer durchaus freien Bewegung gegeben werden sollte.

Anfangs konnte man nur drei Indianer sehen, nach und nach aber tauchten etwa zwanzig am Horizonte auf. Die Einen waren mit Spießen bewaffnet, die Andern schwangen ihre aus Leder geflochtenen Lasso's in der Luft, und Alle stießen jenes Geschrei aus, mit welchem sie sowohl ihre Freude als auch ihren Zorn zu erkennen geben.

Pepe warf einen fragenden Blick auf den Kanadier; ein deutlich sprechendes Nicken war die Antwort.

»Ist das eine ernsthafte Jagd oder nur ein listiges Spiel, Rosenholz?«

»Hm! Wir müssen es abwarten, Pepe. Ich wüßte nicht, woher die Rothen wissen sollten, daß wir uns hier befinden.«

Die wilden Reiter verfolgten die vor ihnen herfliehenden Pferde. Die zahllosen Hindernisse, mit denen diese dem Anscheine nach so ebenen Flächen übersät sind, die Schluchten, die Hügel, die Caktuspflanzen mit ihren scharfen Spitzen vermochten sie nicht aufzuhalten. Ohne diese Hindernisse zu umgehen oder ihretwegen ihren ungestümen[166] Ritt zu mäßigen, setzten sie mit einer Kühnheit über sie hinweg, welcher nichts Einhalt zu thun vermochte.

Selbst ein kühner Reiter, beobachtete Tiburcio mit wahrer Begeisterung die Reiterkunststücke dieser unerschrockenen Jäger; allein die Vorsichtsmaßregeln, welche die drei Freunde ergreifen mußten, um sich dem Auge der Indianer zu entziehen, ließen sie einen großen Theil des imposanten und furchtbaren Schauspieles einer indianischen Jagd, deren Gegenstand man selbst werden kann, verlieren.

Die Savanne, welche vorhin erst so öde gewesen war, hatte sich plötzlich in einen Schauplatz des Tumultes und der Verwirrung verwandelt. Der in die Enge getriebene Hirsch hatte sich genöthigt gesehen, den festen Boden wieder zu suchen; er floh zur Seite hinaus, begegnete aber dort den Wölfen wieder, welche, durch die gehabten Anstrengungen aufgeregt, ihn heulend verfolgten. Die wilden Pferde galoppirten vor den Indianern her, deren Geheul dem der Raubthiere nichts nachgab, und beschrieben große Kreise, um der Lanze oder dem Lasso zu entgehen.

Aber jetzt bekam die Scene eine andere Wendung.

Zwischen zwei wellenförmigen Bodenerhebungen kam, die Indianer nicht bemerkend, ein Reiter herbei, den die drei Verbündeten trotz der Entfernung sofort als einen Weißen erkannten.

»Santa Lauretta, ein Bleichgesicht!« rief Pepe. »Jedenfalls ein Kundschafter Arechiza's, der sich ein wenig in der Gegend umsehen soll. Er ist hinter dem Winde und hat die Rothen nicht hören können. Da, da, sie haben ihn gesehen. Paß auf, Fabian, er ist verloren!«

Es war so, wie Dormillon sagte. Er kam, noch nichts ahnend, im langsamen Schritte durch die Vertiefung[167] geritten, während die Wilden schon hinter ihm einen Bogen beschrieben, um ihn einzuschließen. Die Pferde und Wölfe, der Hirsch, sie waren im fernen Nebel verschwunden, und nur die zwanzig Indianer waren zurückgeblieben, die sich auf allen Punkten eines ungeheuern Halbkreises zerstreut hatten, dessen Mittelpunkt der weiße Reiter war.

Jetzt bemerkte er sie. Man konnte deutlich sehen, wie er vor Schreck zusammenzuckte und dann den Horizont musterte, um einen Ausweg zu suchen. Er erkannte, daß die Feinde überall, nur nicht am Flusse waren, und hielt im Galopp auf diesen zu. Allein sein Pferd war entweder schlecht oder zu sehr abgetrieben; er kam nur langsam vorwärts, während sich der Halbkreis hinter ihm schnell verengte. Ungefähr dreißig Schritte vom Ufer entfernt, hatte ihn der Vorderste der Wilden eingeholt, warf ihm den Lasso um den Hals und riß ihn vom Pferde.

Der Indianer hatte eine dunklere Farbe als die andern, und sein Federschmuck zeigte ihn als einen Häuptling an. Es war Schwarzvogel.

Die drei Jäger lagen noch immer hinter dem Saume des Inselchens verborgen.

»Was thun wir, Rosenholz?« frug Pepe.

Der Gefragte wendete sein Gesicht zu Fabian.

»Fabian, mein Sohn, willst Du mir einmal die volle Wahrheit antworten?«

»Frage, Vater!«

»Noch nie in Deinem Leben hast Du Dich in so großer Gefahr befunden wie jetzt. Der Mann ist ein Weißer. Geben wir ihn verloren, so retten wir uns vielleicht, denn es ist wohl kaum anzunehmen, daß sie von unserem Hiersein Kenntniß haben. Nehmen wir ihn in[168] Schuß, so geben wir uns frei. Ich und Pepe werden thun, was Du für das Beste hältst Entschließe Dich schnell!«

»Wir retten ihn!«

»Gut! Nehmt Eure Gewehre her und schießt nicht eher, als bis ich es Euch sage!«

Die zwanzig Indianer hatten den Weißen erreicht und, ohne abzusteigen, ihn von dem Lasso befreit. Da gab der Häuptling einen Wink. Fünf seiner Leute stiegen ab, um den Gefangenen festzuhalten. Schwarzvogel zog, während sein Pferd wie eine Statue stand, das Messer.

»Teufel,« meinte Bois-rosé, »sie wollen ihm bei lebendigem Leibe den Skalp nehmen, wie die Ogellall ah's damals mir, als Du noch zur rechten Zeit kamst! Gieb dem Häuptling eine Kugel, gerade einen Zoll beim Ohr vorbei, Pepe!«

»Warum nicht in den Kopf?«

»Er ist ein Mensch und soll nicht ungewarnt alle gemacht werden!«

Der Schuß krachte gerade in dem Augenblicke, als der Schnitt vor sich gehen sollte; die Kugel flog einen Zoll von dem Kopfe Schwarzvogels vorüber, aber der Häuptling zeigte nicht die geringste Spur von Schreck oder auch Ueberraschung. Er lenkte sein Pferd bis hart an das Wasser heran und warf einen scharfen, forschenden Blick auf die Insel.

»Santa Lauretta, er hat gewußt, daß wir hier sind!« meinte Pepe, indem er sein Gewehr wieder lud.

»Nicht blos das,« fügte Rosenholz bei, »sondern er weiß auch, daß wir keine ehrlosen Mexikaner sind, sonst würde er sich unsern Kugeln nicht so unvorsichtig preisgeben.[169] Jedenfalls sind wir von einem Kundschafter beobachtet worden!«

Da legte der Wilde die Hände wie ein Sprachrohr an den Mund und rief herüber:

»Die weißen Männer mögen sich erheben, damit der große Häuptling der Apachen mit ihnen sprechen kann!«

Bois-rosé richtete sich in seiner vollen Länge empor, und ein zufriedenes Lächeln spielte um seine Lippen, als er sah, daß der Indianer im Erstaunen über die riesenhafte Gestalt einige Schritte zurücktrat.

»Was hat der rothe Mann mir zu sagen?« donnerte er mit seiner Kontrabaßstimme hinüber.

»Ist der weiße Mann ein Häuptling, daß ich mit ihm sprechen kann, oder soll einer meiner rothen Männer mit ihm reden?«

»Der weiße Mann ist ein König im Walde und ein Fürst in der Savanne; er wird mit keinem gewöhnlichen Indianer sprechen, doch erlaubt er dem Häuptling der Apachen, seine Stimme zu erheben!«

Bois-rosé kannte seine Leute und war gewillt, sich in den möglichsten Respekt zu setzen.

»Warum schießt mein Bruder auf meine rothen Söhne?«

»Warum hindert mein Bruder meinen weißen Sohn, zu gehen wohin er will?«

»Dieses Bleichgesicht ist weder der Bruder noch der Sohn des großen Königs aus dem Walde. Der Fürst in der Savanne kommt von Mitternacht, das Bleichgesicht aber von Mittag. Hat Schwarzvogel, der Häuptling der Apachen, recht gesprochen?«

»Er hat recht gesprochen, doch vergißt er, daß alle[170] Bleichgesichter Brüder sind. Er lasse den Gefangenen frei, damit die Stimme meiner Büchse nicht wiederspreche!«

»Der Apache fürchtet diese Stimme nicht, aber die Krieger vom Mittag fliehen vor ihr. Mein großer, weißer Bruder komme in unser Lager und kämpfe mit uns gegen das Lager der Bleichgesichter. Wir werden das Kalumet (Pfeife) mit ihm rauchen und ihm tapfere Gefährten sein.«

»Will mein rother Bruder meinen Namen hören?«

»Der Fürst der Savanne nenne ihn!«

»Die rothen Männer, so weit die Prairie und das Gebirge reicht, nennen ihn den ›großen Adler.‹ Hat mein Bruder diesen Namen schon vernommen?«

»Er hat ihn gehört,« antwortete der Indianer, der eine Geberde der Achtung nicht zu unterdrücken vermochte.

»So wird mein rother Bruder auch wissen, daß der ›große Adler‹ gerecht und freundlich ist. Er wird den rothen Kriegern kein Leid thun, sich aber auch nicht mit ihnen gegen seine weißen Söhne verbinden.«

»So muß hier dieses Bleichgesicht uns seinen Skalp geben!«

»Dann werden viele Kinder der Apachen ihr Leben verlieren!«

»Die Kinder der Apachen sind wie der Sand der Savanne. Der ›große Adler‹ aber hat nur noch zwei Männer bei sich. Er wird das Kalumet mit uns rauchen oder zu seinen Vätern gehen!«

»So will der Häuptling der Apachen seinen Gefangenen nicht freigeben?«

»Nein.«

»Dann muß sterben, wer die Hand an den weißen Mann legt!«[171]

»Der ›große Adler‹ sehe, was wir thun!«

Er gab einen Wink und ritt zurück, um aus dem Bereiche der Kugeln zu kommen. Das Messer eines der Indianer blitzte über dem Kopfe des Gefangenen. Der Kanadier hatte seine Büchse erhoben; der Wilde stürzte mit zerschmettertem Schädel nieder. Zehn Klingen zuckten zu gleicher Zeit. Pepe's und Fabians Büchsen blitzten, und zwei Indianer brachen zusammen.

Schon hatte Rosenholz wieder geladen.

»Lauf!« gebot er mit starker Stimme dem Weißen, welcher ohne Fesseln aber vor Todesangst zitternd dastand, und zugleich schoß er einen Vierten durch das Auge, so daß der Weiße Raum bekam, nach dem Wasser zu flüchten, wo er unter dem Schutze der drei Büchsen sicher zur Insel gelangt wäre. In der Verwirrung aber brach er nach seitwärts aus, wo sein Pferd stand, brachte durch diesen kläglichen Fehler sich und die Indianer aus dem Kugelbereiche der drei Jäger und lag nach wenigen Augenblicken vom Lasso erwürgt und skalpirt am Boden.

Die Wilden stießen ein nervenerschütterndes Geheul aus.

»Santa Lauretta, war der Mensch dumm! Nun haben wir uns umsonst in die Gefahr begeben.«

»Nein, Pepe. Sie hätten uns auch ohnedies aufgesucht. Aber schau, was sie thun!«

Sechs von den Wilden blieben zurück, die andern sprengten davon.

»Sie holen ihr Schießzeug, welches sie abgelegt haben, als sie die Jagd auf die Pferde begannen.«

»Ich glaube, wir werden eine regelrechte Belagerung auszuhalten haben,« meinte Fabian.[172]

»Sicher, mein Junge, wenn wir nicht hinüber zum gegenseitigen Ufer schwimmen und ihnen aus dem Wege gehen wollen.«

Pepe blickte ihn betroffen an.

»Zwanzig waren es, Rosenholz, jetzt sind es nur noch sechszehn. Wann hat der ›große Adler‹ den rothen Schuften schon einmal den Rücken gezeigt?«

»Was sagst Du dazu, Fabian?«

»Wir bleiben!«

Der Kanadier drückte den kühnen Rastreador an das Herz.

»So recht, mein Sohn! Ich wollte nur sehen, ob wir uns auf Dich verlassen können, denn diese Art von Flucht ist nicht meine Gewohnheit und würde den ganzen Schwarm hinter uns her gebracht haben. Jetzt aber gibt es noch einen kurzen Waffenstillstand. Wir müssen uns eine Verschanzung bauen, welche den Kugeln oder Pfeilen mehr Widerstand zu leisten vermag, als dieser sich stets bewegende Schilf- und Blättersaum. Sie werden jedenfalls über den Fluß gehen, um uns von zwei Seiten anzugreifen. Vorwärts, angefaßt!«

Die dem Ufer, an welchem sich die Indianer gezeigt hatten, entgegengesetzte Seite der Insel war durch ungeheure Wurzeln, welche wie spanische Reiter oder die Pallisaden einer Verschanzung in die Höhe standen, hinlänglich geschützt; allein die Seite, auf welcher der Angriff wahrscheinlich erneuert wurde, war blos durch eine zwar dichte aber wenig solide Einfassung von Schilf und jungen Weiden gedeckt.

Dank der außergewöhnlichen Kraft seiner Arme konnte der von den beiden Andern unterstützte Kanadier an den[173] beiden Enden des Inselchens, die gerade in der Richtung des Stromes lagen, einige große dürre Aeste sowie Baumstämme, die erst in neuerer Zeit angeflößt worden waren, losreißen. In einigen Minuten hatten die ebenso starken wie gewandten Jäger die schwächste und am meisten bedrohte Seite durch eine rohe aber feste Verschanzung geschützt, welche den Vertheidigern des Inselchens mehr als eine tödtliche Wunde zu ersparen vermochte.

»Siehst Du, Fabian,« sagte Rosenholz, »jetzt bist Du hinter diesen Baumstämmen so geschützt, wie in einer aus lauter Steinen aufgeführten Festung. Du wirst also einzig und allein den Kugeln ausgesetzt sein, welche von den am Ufer stehenden Bäumen herab zu uns herüber geschickt werden könnten. Aber wir werden es schon zu machen wissen, daß diese rothen Teufel die Spitze derselben nicht erreichen können.«

Der Kanadier trug nicht für sich, sondern nur für seinen Pflegesohn Sorge. Er rieb sich die Hände vor Freude darüber, daß es ihm gelungen war, zwischen diesem und dem Tode eine hinreichende Schranke hergestellt zu haben, und wies dem Jünglinge seinen Posten hinter dem am besten verschanzten Punkte an.

Die zehn Indianer waren jetzt zurückgekehrt; sie waren theils mit Büchsen, theils mit Pfeilen versehen. Nun ritten auch die Sechs fort, welche die Insel bisher bewacht hatten, um sich ihre Waffen zu holen.

»Paßt auf; der Tanz wird nun wohl beginnen!« meinte Pepe.

»Gebt Euch nur keine Blöße! Beim Laden nicht aufstehen, sondern sich auf den Rücken legen, Fabian; merke Dir das!«[174]

Die Indianer waren von der freien Stelle verschwunden. Es hieß jetzt, ein offenes Auge zu haben. Die Oberfläche des Flusses, der Gipfel der am Ufer stehenden Zitterespen, das Ufer selbst mit seinem Schilfe nichts durfte der aufmerksamen Prüfung der Jäger entgehen, denn die Nacht mit ihren vielen Fährlichkeiten rückte heran.

Es wurde allmählig dunkler, und die am Ufer stehenden Gesträuche begannen jene phantastischen Formen anzunehmen, welche das ungewisse Licht der Dämmerung den Gegenständen auf dem Lande verleiht.

Das Grün der Bäume ging in kalte, schwarze Töne über, aber die drei Jäger besaßen das scharfe Auge der Indianer, und bei der Wachsamkeit, welche sie an den Tag legten, wäre wohl nichts im Stande gewesen, ihre geübten Sinne irre zu führen.

»Pepe,« frug Rosenholz mit leiser Stimme, »kommt es Dir nicht auch so vor, als habe der Strauch dort« – er deutete mit dem Finger durch das Schilf hindurch auf einen Weidenbusch – »eine andere Gestalt angenommen und sich vergrößert?«

»Ja,« antwortete der frühere Miquelete, »der Busch hat nicht mehr die nämliche Form. Aber sag, bemerkst Du nicht, daß der dritte Strauch von da, aufwärts gerechnet, seine Blätter hängen läßt?«

»Richtig! Er hält sie nicht in die Höhe, wie es bei einem Busche ist, der seine Wurzeln hat.«

»Und,« frug jetzt auch Fabian, »seht Ihr dort zwischen jenem Weidenbaume und jener Espe einen Strauch, der vor zehn Minuten sicher noch nicht dort war?«

»Wahrhaftig! Sie verschanzen sich mit abgehauenen Zweigen. Es ist wirklich ärgerlich, daß sie Leute betrügen[175] wollen, von denen sie noch ganz andere Listen lernen könnten,« raisonnirte der Kanadier. »Hinter jedem von diesen drei Büschen steckt ein Indianer. Heraus mit den Kugeln. Jeder nehme seinen Strauch!«

Drei Schüsse krachten; drei laute Todesschreie antworteten, denen ein vielstimmiges Wuthgeheul folgte. Der künstliche Busch war verschwunden, und die beiden andern Sträucher hatten ihre ursprüngliche Gestalt wieder angenommen.

Die Verbündeten hatten sich auf den Rücken geworfen, um wieder zu laden. Als Antwort auf die drei Meisterschüsse schlugen jetzt über ihren Köpfen Kugeln und Pfeile ein, welche aber nur Blätter und dünne Zweige umherstreuten.

»Wenn ich mich nicht täusche, so sind es ihrer nur noch dreizehn, wenn nämlich die Sechs wieder zurück sind, ohne daß wir sie bemerkt haben. Aufgepaßt, Kinder! Ich sehe, wie die Blätter einer Zitterespe dort sich bewegen, und gewiß ist es nicht der Wind, der die Schuld daran hat. Ohne Zweifel ist es einer von diesen Schlingeln, welcher hinaufsteigt oder schon hinaufgestiegen ist.«

Ein Blitz auf dem beschriebenen Baume und eine Kugel, welche in einen der die Insel bildenden Stämme einschlug, bewiesen, daß Bois-rosé ganz richtig vermuthet hatte.

»Santa Lauretta, schießt der Kerl weit daneben!« sprach Pepe; indem er den Lauf seiner Büchse zwischen das Schilf schob. »Man kann ihn nicht sehen; aber sobald er wieder losdrückt, ist er verloren!«

Einige Minuten vergingen, ehe der Indianer wieder geladen hatte, dann aber, als es drüben aufblitzte, donnerte[176] auch der Bärentödter Dormillons. Nur in dem kurzen Augenblicke des Schusses hatte der Feind eine Blöße gegeben, aber dieser Moment hatte für Pepe vollständig genügt. Der Indianer fiel von Ast zu Ast herab, wie eine Frucht, die von einem Hagelkorne getroffen worden ist.

Ein wüthendes Geheul ertönte so entsetzlich, daß man eiserne Muskeln haben mußte, um bei diesen ohrenzerreißenden Modulationen nicht vor Schrecken zu beben.

»Santa Lauretta, erbarme Dich meiner! Sollte man nicht meinen, es heule ein Schock Tiger in der Finsterniß?«

Jetzt machte Fabian auf einmal eine Wendung stromaufwärts und legte die Mündung seines Gewehres auf die Gabel eines abgestorbenen Astes.

»Paßt auf, ich werde Einem das Schwimmen lehren!«

Ein Stück oberhalb der Insel und ganz in der Nähe des Ufers lag ein Stein, welcher zwei Fuß weit aus dem Wasser hervorragte. Fabian hatte bemerkt, daß ein Indianer mit blitzschneller Bewegung sich vom Ufer weg hinter ihm herabgeschnellt hatte. Von diesem Punkte aus konnte ein guter Schütze, da das Inselfloß an seiner oberen Spitze schlecht verbollwerkt war, großen Schaden anrichten.

Fabian lag still, ohne ein Glied zu zucken; er wartete, bis er wenn auch nur den kleinsten Zielpunkt bekommen werde. Da berührte sein Finger den Drücker, und diese kleine Bewegung kostete dem Wilden das Leben. Er war mitten in die Stirn getroffen; der Strom erfaßte ihn und trieb ihn an der Insel vorüber.

Auch jetzt erfolgte ein geradezu unbeschreibliches Geschrei. Die Wilden mußten sich allerdings in einer entsetzlichen Wuth befinden; sie hatten schon so viel Verlust[177] gehabt und damit noch nicht den mindesten Vortheil errungen.

»Denken die Spitzbuben etwa, uns mit ihrem Rottengeheul zu täuschen?« zankte der Kanadier. »Sie machen es wie die Schakale des Nachts; die heulen und antworten einander, als ob es ihrer hundert wären, und doch sind es nur drei bis vier. Diese rothen Schurken schreien auch, als seien es ihrer hundert, und doch zählen sie nur noch elf Mann. Ach, könnte man es so weit bringen, daß sie über das Wasser herüberkämen, so würde auch nicht Einer übrig bleiben, ihre Niederlage in seinem Dorfe zu vermelden!«

Er verfiel in ein kurzes Nachdenken.

»Halt, ich habe es!« rief er dann.

»Was?« frug Pepe neugierig.

»Können wir ihnen glauben machen, daß sie uns getroffen haben, so kommen sie sicher herbei, um unsere Skalpe zu holen.«

»Das ist wahr.«

»Aber es ist verteufelt viel Gefahr dabei.«

»Nicht so viel, wie Du denkst, Rosenholz. Diese rothen Schlingels werden dann zwar probiren wollen, ob wir wirklich todt sind, aber sie schießen ja noch lange nicht so wie ich damals, als ich den Schwanz eines Bären für dessen Rippe ansah.«

»Nun wohl, Kinder; so mag denn zuerst meine Pelzmütze darankommen. Ein Loch mehr wird ihr keinen Schaden bringen! Schreit nicht, sondern stoßt nur so einen ganz kleinen Laut aus, wenn sie herunterfliegt.«

Er steckte die Mütze auf einen Ast und hielt sie an eine kleine, zwischen zwei Zweigen befindliche Lücke. Sie[178] war bemerkt worden. Eine sicher gezielte Kugel riß den Ast auseinander, und auf den kurzen Ruf, welchen Pepe ausstieß, erklang vom Ufer her ein wahrhaft sinnverwirrender Lärm.

»Sie denken wahrhaftig, daß sie den ›großen Adler‹ zu seinen Vätern geschickt haben. Wartet nur, der Adler wird Euch Sperlinge alle fressen!«

»Dort steigt Einer auf die Espe!« rapportirte Fabian.

»Recht so; das will ich ja!« antwortete der Kanadier. »Wenn wir uns eng an den Rand drücken, kann er uns nicht sehen. Wir müssen so thun, als suche Einer von uns in der Mitte der Insel Etwas. Es ist schon so dunkel, daß man von dem Baume aus wohl die Gestalt, aber nichts Näheres erkennen kann. Gieb Dein Wamms und Deine Mütze her, Pepe!«

Er zog einen gabeligen Ast aus der Barrikade, legte das Wamms darüber, steckte die Mütze darauf und schob diese Gestalt ein wenig nach der Mitte vor. Sofort blitzte es von der Espe auf; die Kugel schlug zwar in einiger Entfernung ein, aber Bois-rosé ließ dennoch die Gestalt fallen.

Ein Triumphruf ertönte auf der Espe.

»Schon gut, mein rother Bruder! Zwei von uns sind hinüber in die ewigen Jagdgründe; holt Euch nun den Dritten noch! Wenn der Kerl ein besserer Schütze wäre und man nicht schon dichtes Zwielicht hätte, so könnte man so Etwas gar nicht wagen; so aber – na, Fabian, gieb mir doch einmal Deinen Hut her!«

Er bekam den Hut. Hätten die beiden Anderen seine Absicht geahnt, so hätten sie sicher die Ausführung derselben gehindert; er aber lächelte still vor sich hin, setze[179] sich den Hut, der ihm um ein Beträchtliches zu klein war, was aber die breite Krämpe nicht bemerken ließ, auf den Kopf und richtete sich, als er glaubte, daß der Mann auf der Espe wieder geladen habe, ein Stück über den Rand des Saumes empor.

Pepe stieß einen Ruf des Schreckes aus, der aber durch zwei Schüsse, von denen einer von der Espe und der andere vom Ufer her fiel, gedeckt wurde, und riß ihn zurück.

»Santa Lauretta, was fällt Dir ein!«

»Was mir einfällt? Jetzt gar nichts mehr, denn nun haben sie uns alle Drei weggeputzt. Hörst Du, wie die Satane jauchzen und brüllen? Freilich zielten sie etwas besser, als ich dachte: die eine Kugel ging mir in den Aermel und die andere, wahrhaftig, hier ist ein Loch in der Krämpe!«

Fabian war noch schreckensbleich; aber er machte dem verwegenen Manne keinen einzigen noch so leisen Vorwurf. Dieser schüttelte sich und meinte:

»Nun paßt auf; jetzt wird es einen wahren Hagel von Pfeilen und Kugeln geben! Ich kenne diese Leute, die nun den schönen Vorsatz fassen werden, unsere Leichen noch ein wenig todter zu schießen.«

Er hatte richtig vermuthet, denn nach wenigen Augenblicken wurde ein beinahe eine volle Minute anhaltendes Rottenfeuer auf die Insel gerichtet. Die Pfeile schwirrten über und auf dieselbe hin; die Kugeln rissen Splitter von den Stämmen und ganze Aeste los, aber keiner der drei Männer wurde getroffen.

»Seht Ihrs? Nun wird Schweigen eintreten, bis der Mond über die Baumkronen tritt. Das geschieht in[180] dreiviertel Stunden, und bis dahin können wir ihnen herlegen, was sie brauchen.«

Es war auf dem Flusse so dunkel geworden, daß man vom Ufer aus nicht das Geringste auf der Insel sehen konnte, während der schon früh am Himmel stehende und jetzt hinter den Bäumen sich erhebende Mond die Bäume und Büsche des Ufers mit seinem immer heller werdenden Lichte verklärte und es den Jägern gestattete, genaue Beobachtungen zu machen.

Sie schnitten sich dürres Schilf vom Rande der Insel, wirrten dasselbe in eine Form, die einem Kopfe glich, und stellten mit Hülfe ihrer Kleider drei Gestalten her, welche in der Stellung von Todten auf dem Grase lagen.

Der Mond stieg höher und warf nach der angegebenen Frist sein falbes Licht auf das Inselfloß. Von den Bäumen aus mußte man die Figuren für menschliche Gestalten halten. Die Jäger lagen inzwischen hinter ihrer Verschanzung und harrten der Dinge, die da kommen mußten.

»Steigt nicht dort Einer auf den Weidenbaum?« frug Pepe.

»Ja,« antwortete Fabian. »Man könnte ihn ganz prächtig auf das Korn nehmen, wenn wir nicht andere Absichten hätten.«

»Laßt sie nur immer hinauf. Sie kommen von selbst wieder herab.«

Nur mit äußerster Behutsamkeit hißte sich der Indianer von Ast zu Ast, bis er endlich die nöthige Höhe erreicht hatte, das Innere der schwimmenden Insel zu sehen und zu beherrschen. Dort kauerte er sich auf einem dicken Aste nieder und streckte sodann den Kopf vorsichtig[181] hervor. Der Anblick der auf dem Boden liegenden Leichen schien ihn nicht zu überraschen. Indessen vermuthete er vielleicht doch eine List, denn mit einer Kühnheit, die durch das Beispiel des auf diesem Baume Getödteten sicher keine Aufmunterung gefunden hatte, zeigte sich der Apache mit dem ganzen Körper und legte sein Gewehr an. Dann ließ er den Lauf seiner Waffe sinken und zielte abermals. Erst als er diese Manipulation einige Male versucht hatte, war er vollständig überzeugt, daß nur Leichen auf der Insel zu finden seien. Er nahm an, daß auf ihn ganz sicher geschossen worden wäre, wenn auch nur noch ein Einziger gelebt hätte, und stieß ein lautes Triumphgeschrei aus.

»Aha, der Fisch beißt an!« lachte Bois-rosé. »Es ist der Schwarzvogel, der nun sicherlich seine weißen Brüder besuchen wird.«

»Er steigt vom Baume herab,« bemerkte Fabian.

Indessen mußten die Indianer doch noch einigen Zweifel hegen, denn eine lange Stille folgte, ohne daß sie ein Lebenszeichen von sich gegeben hätten.

»Sie möchten gar zu gern unsere Skalpe haben; allein sie trauen noch nicht recht,« sprach Pepe, indem er ein Gähnen der Langeweile unterdrückte. »Santa Lauretta, ich glaube gar, ich beginne zu gähnen und zu schlafen wie in Elanchovi, wo ich auf eine so armselige Weise eine prachtvolle Stelle verlor!«

»Geduld!« tröstete der Kanadier. »Sie kommen ganz gewiß. Wer weiß, welcher Grund sie zur Zögerung veranlaßt!«

Er sollte Recht haben, denn kaum hatte er diese Worte geflüstert, so ließ sich ein Indianer am Ufer blicken, welchem[182] bald ein zweiter folgte, und bald konnten sie zehn Gestalten zählen, welche langsam in das Wasser stiegen.

»Sie werden, wenn ich sie recht kenne, hintereinander durch das Wasser waten,« flüsterte Bois-rosé. »Du, Fabian, nimmst den Zweiten auf's Korn; Pepe zielt auf die Mitte, und ich werde dem Vorletzten sein Theil geben. Auf diese Weise können sie, da sie durch Lücken von einander getrennt sind, uns nicht auf einmal borden, und wir werden dann leichter mit ihnen fertig. Es wird ein Kampf Mann gegen Mann sein, Fabian, mein Kind. Ich verbiete Dir, daran Theil zu nehmen! Du brauchst nur unsre Büchsen wieder zu laden, während Pepe und ich sie mit dem Messer erwarten!«

Ein Krieger von hohem Wuchse ging voran, es war Schwarzvogel; die andern folgten mit so vieler Vorsicht, daß ihre Bewegungen im Wasser nicht das geringste Geräusch verursachten.

Der Häuptling erreichte diejenige Tiefe, welche ihn zum Schwimmen nöthigte. Drei Ruderschläge mußten ihn an die Insel bringen.

»Feuer!« donnerte da die Stimme des Kanadiers.

Die Jäger richteten sich empor; drei Schüsse krachten wie einer, und drei Indianer versanken unter der Oberfläche des Wassers.

Pepe und der Kanadier warfen rasch die Büchsen hinter sich und erwarteten mit vorgestrecktem Beine und das Messer in der Hand, den Kampf Mann gegen Mann; aber bei dem Krachen der Schüsse war Schwarzvogel untergetaucht, und seine Leute stürzten sich in rasender Eile durch das Wasser auf das Ufer zu.

»Die Apachen zählen noch sieben tapfere Krieger,«[183] rief Bois-rosé ihnen mit einer wahren Donnerstimme nach. »Werden sie es wagen, die Kopfhaut des ›großen Adlers‹ zu holen?«

»Die Apachen sind feige Schakale,« höhnte Pepe. »Sieben von ihnen fliehen vor drei weißen Männern. Wer von ihnen will den Skalp des ›zündenden Blitzes‹ haben?«

Es erfolgte keine Antwort.

Da bemerkte Pepe in einiger Entfernung einen schwarzen, auf dem Rücken schwimmenden Körper, welcher in vollständiger Unbeweglichkeit sich dem Ufer zutreiben ließ.

»Don Fabian, ums Himmels willen, meine Büchse her! Es ist Schwarzvogel, der sich todt stellt und von der Strömung forttragen läßt!«

Er nahm den Karabiner aus den Händen des Jünglings und zielte.

»Jetzt wird mein rother Bruder den Skalp unseres weißen Sohnes bezahlen! Der ›zündende Blitz‹ wird den feigen Apachen nicht tödten, sondern ihm die Kraft des Armes nehmen, den er gegen die Fürsten der Savanne erhoben hat!«

Sofort tauchte der Körper des Häuptlings unter, kaum aber erschien sein Kopf wieder an der Oberfläche, um Luft zu schöpfen, so zerschmetterte ihm die schwere Kugel des Bärentödters die rechte Schulter.

Auch Rosenholz hatte nach seiner Büchse gegriffen. Er sah, daß einer der Entflohenen sich zwischen den Büschen hindurch dem Ufer wieder näherte, um den verwundeten Häuptling zu empfangen, und drückte ab. Der Wilde büßte seine Unvorsichtigkeit mit dem Tode.

Der Plan des Kanadiers war nicht vollständig geglückt,[184] weil die Apachen geflohen waren, statt an der Insel zu landen; aber von den Zehn hatten drei ihr Leben lassen müssen, und der Häuptling war gezeichnet für immer. Von den zwanzig Angreifern waren zwölf erschossen worden, ohne daß den Angegriffenen ein Haar gekrümmt worden war. Ein solcher Erfolg konnte nur so berühmten Männern, wie dem »zündenden Blitze« und dem »großen Adler« glücken, die mit den noch rauchenden Büchsen in der Hand dastanden wie drohende Götter der Rache, denen kein Sterblicher entgehen kann.

»Was nun, Pepe?« frug der Kanadier.

»Erst wieder landen und dann hinüber!«

»Es lebten noch Elf, und zehn gingen in das Wasser,« fiel Fabian ein. »Wo war der Fehlende?«

»Richtig, mein Kind! Hat er am Ufer gewacht oder – – – ah, hört Ihr das Pferdegetrappel? Es ist, wie ich eben sagen wollte: er wurde fortgeschickt, um Hülfe herbeizuholen. Jetzt ist es nichts mehr mit dem Hinübergehen, Pepe. Kommt, laßt uns unsre Mahlzeit halten; das ist das Beste; was wir jetzt thun können!«

Sie ließen sich nieder und verzehrten, die Umgebung scharf im Auge haltend, ein frugales Mahl, welches aus an der Sonne gedörrtem Fleische und ein wenig grobem Maismehl bestand.

Es herrschte eine lautlose Stille rings umher, aber sie wußten, daß es die Stille vor dem Gewitter sei. Der Mond stieg höher; die Zeit verging; er begann, sich wieder zu senken, und noch immer ward die Stille von keinem Geräusche unterbrochen, noch immer war kein Zeichen zu erkennen, welches auf die Nähe eines menschlichen, eines feindlichen Wesens schließen ließ.[185]

Da schlug das Wasser unruhig unter der Insel hin und her. Pepe lauschte.

»Was ist das? Diese Bewegung kommt nicht von der Strömung oder dem Wirbeln des Flusses; auch kommen weder Pferde noch Büffel um diese Stunde der Nacht an das Wasser, um sich zu tränken.«

Er stand auf und neigte sich, um sowohl den Fluß hinauf, als auch hinab zu sehen; allein ober- und unterhalb der Insel ballten sich dichte, undurchdringliche Nebel, welche die Kühle der amerikanischen Nächte, die auf die glühende Hitze des Tages folgt, aus den Ausdünstungen der Erde und des durch die Sonne erhitzten Wassers formt.

»Ich sehe nichts als den Nebel,« sprach er ärgerlich.

»Die Bewegung des Wassers ist leicht zu erklären,« behauptete Rosenholz. »Das Pferdegetrappel, welches wir vernahmen, rührte von den herbeigeholten Wilden her. Sie werden sich getheilt und einen Trupp da oben über das Wasser geschickt haben. Daher die schaukelnde Bewegung der Wellen.«

Die Nebel ballten sich dichter und dichter und legten sich mit wässeriger Schwere auch auf das Inselfloß nieder. Man konnte kaum einige Schritte weit vor sich sehen, und die fröstelnden Jäger hüllten sich fester in ihre Mäntel und Decken.

Da fuhren sie alle Drei mit einem Male zusammen.

»Auf beiden Ufern zugleich hatte sich mit einem Male ein so gewaltiges, so durchdringendes und so lange anhaltendes Geheul erhoben, daß, als die Lippen, denen es entströmt war, sich bereits wieder geschlossen hatten, die Echo's der beiden Ufer noch fortheulten.«

»Santa Lauretta, war das ein Konzert! So schön[186] und vollstimmig kann man es selbst unter der Puerta del Sol zu Madrid nicht zu hören bekommen. Jetzt können wir unsere Skalps locker machen, Rosenholz, und den Todtengesang einstudiren, den wir bald abzusingen haben!«

»Was sagst Du dazu, Fabian, mein Kind?« frug der Kanadier statt aller Antwort, mit außergewöhnlich weicher Stimme.

»Daß Gott den Seinen immer nahe ist, mein Vater!«

»Recht so, Junge! Wir sind zwar von beiden Seiten eingeschlossen, aber wenn der Mond vollends hinunter ist, wird sich schon eine Weise finden lassen, wie diese Mausefalle zu öffnen ist.«

Da ertönten aus weiter Entfernung Schüsse durch die stille Nacht. Man konnte deutlich die verschiedenen Kaliber der Gewehre unterscheiden. Das Schießen hielt an; es mußte da draußen ein erbitterter Kampf stattfinden.

»Ich glaube, die Apachen greifen das Lager Don Arechiza's an!« sprach Bois-rosé.

»Ich wollte, es ginge ihm nicht besser als uns!« zürnte Pepe. »Es ist kaum zu denken, daß er sich so wacker vertheidigt, wie wir es gethan haben!«

Jetzt ließ sich plötzlich am Ufer eine Stimme vernehmen.

»Mögen die weißen Männer ihre Ohren öffnen!«

»Es ist Schwarzvogel,« bemerkte Pepe. »Der Häuptling muß viel Kraft besitzen, den Schmerz seiner Verwundung so zu beherrschen, daß er es unternimmt, uns Geschichten zu erzählen!«

Es war wirklich Schwarzvogel. Er hatte sich verbinden lassen und wurde von zwei Kriegern auf ihren Armen gehalten.[187]

»Wozu sollen die Weißen die Ohren öffnen?« frug Pepe.

»Die Männer aus Mitternacht sind tapfer, und sie werden ihren ganzen Muth nöthig haben. Die tapfern Söhne der Apachen greifen in diesem Augenblicke die Weißen aus Mittag an. Warum stehen die Männer aus Mitternacht nicht auch wider dieselben?«

»Weil ein Adler nicht mit einem Schwarzvogel, nicht mit einem Pechvogel kämpft; weil Löwen nicht mit Schakalen jagen; weil Schakale nur heulen und kläffen können, während der Löwe zerreißt und verschlingt.«

»Der Häuptling der Apachen will nicht mehr sprechen mit dem ›zündenden Blitz‹, sondern mit dem ›großen Adler‹ aus dem Schneegebirge, mit seinem weißen Bruder, der die Kraft des Bären und die Stimme des Donners hat.«

»Was will der Schwarzvogel von dem Adler?« frug der Kanadier.

»Der Schwarzvogel will hören, wie der Adler ihn um sein Leben bittet, denn die Stunde ist da, in welcher er aus den Lüften zur Erde stürzt.«

»Wer will ihn zur Erde stürzen?«

»Die Hand des Apachen.«

»Die Hand des Apachen reicht nicht empor bis über die Wolken; sie ist die eines Kindes, welches sich vor der Maus verkriecht; sie ist die eines alten Weibes, welches sich vor der Kröte fürchtet.«

»Sie wird den König des Waldes und den Fürsten der Savanne zermalmen! Der Häuptling der Apachen will auch reden mit dem Panther des Südens!«

»Er meint Dich, Fabian!« sprach Rosenholz. »Schau, da hast Du schon Deinen Namen!«[188]

»Was will der Apache vom Panther, der ihn zerreißen wird?« rief Fabian.

»Der Panther ist jung und schön; in seinem Herzen wohnt Muth und Stärke, aber der Tod hat seine Tatze erfaßt und er kann ihm nur entrinnen, wenn er die Stimme vernimmt, welche jetzt zu ihm spricht.«

»Der Panther sieht den Tod nicht bei sich, sondern bei den rothen Katzen, die am Wasser lauern und vor Furcht über die Fluthen kreischen. Was will ihm die Stimme sagen?«

»Der junge Panther komme zu seinen rothen Freunden; er suche sich eine Squaw unter den Töchtern der Apachen, und er wird ein Häuptling und großer Krieger werden, dessen Stimme durch alle Wigwams klingt.«

»Santa Lauretta, der Kerl will Euch eine Frau verschaffen, Sennor Fabian,« meinte Pepe. »Bemalt Euch mit Ruß und Ocker und greift zu, denn so eine Allianz bietet sich einem Grafen von Mediana nicht alle Tage!«

Fabian konnte trotz der mißlichen Lage, in welcher sich die Jäger befanden, ein heiteres Lachen nicht unterdrücken.

»Laßt mich noch eine Frage aussprechen,« bat er. Und seine Stimme wieder erhebend, rief er über das Wasser hinüber: »Und wenn der Panther des Südens verspricht, sich eine rothe Squaw zu suchen, was wird dann der Häuptling der Apachen mit dem ›großen Adler‹ und dem ›zündenden Blitze‹ thun?«

»Sie werden sterben. Der Schwarzvogel wird ihre Eingeweide öffnen, um zu sehen die Angst, welche in ihnen steckt. Will aber der Panther nicht kommen, so wird er ihn mit zwei Fingern erwürgen, aus seiner Haut einen[189] Sattel für sein Schlachtpferd machen und seinen Skalp den Mäusen des Feldes zur Wohnung geben.«

»So mag Schwarzvogel herüberkommen und seine zwei Finger nicht vergessen. Aber er wird sich fürchten vor den drei weißen Häuptlingen und ihnen den Rücken zeigen mit seinen tapfern Kriegern, wie vorhin. Die drei Bleichgesichter haben zwölf seiner Söhne gefressen und den Schwarzvogel gelähmt, ohne daß ihnen ein Haar genommen ist. Wenn er kommt, so werden sie ihn zermalmen, aber seine Haut lassen sie ihm, denn der Skalp eines Apachen ist wie das Fell eines Hasen: ein tapferer Krieger stirbt lieber, als daß er sich mit ihm schmückt!«

»Bravo, Sennor Fabian!« applaudirte Pepe. »Das war mir aus der Seele gesprochen, obgleich Ihr noch viel zu höflich gewesen seid. Wir wollen doch einmal sehen, ob sie unsere Kopfhaut bekommen. Eine Flucht unter solchen Verhältnissen ist keine Feigheit, sondern eine Heldenthat. Der Adler erhebt sich in die Lüfte; der Blitz kann von keinem Sterblichen gehalten werden, und der Panther schwimmt wie der Fisch des Meeres. Laßt uns einmal überlegen, ob wir ihnen schwimmend entkommen können!«

»Jeder von uns hat gelernt, das Wasser zu theilen; aber wir müssen vorher versuchen, ob sie an diesen Umstand denken,« meinte Bois-rosé.

Der Mond war jetzt untergegangen; das Krachen des fernen Flintenfeuers hatte aufgehört, und es herrschte jetzt tiefe Stille und Finsterniß rings umher. Der Kanadier riß einen Weidenstamm aus dem Flosse; das knorrige Ende dieses Stammes glich so ziemlich einem menschlichen Kopfe. Er legte das Stück Holz behutsam auf die Oberfläche[190] des Wassers, und die schwarze Masse schwamm langsam den Fluß hinab.

Mit angehaltenem Athem lauschten sie auf den geringsten Laut, welcher anzeigen konnte, daß dieses Experiment von den Indianern entdeckt worden sei; aber es vergingen viele Minuten, ohne daß sich Etwas hören ließ.

»Es wird gehen, wenn wir vorsichtig schwimmen und in längeren Pausen von hier abgehen. Die Büchsen und die Munition – – –«

Pepe hielt in seinem Vorschlage inne. Am Ufer flammte ein Feuer auf, noch eins – weiter unten ein drittes und viertes – drüben auf der andern Seite flackerten ebenso vier, fünf wohlgenährte Feuer empor und warfen ihren, die dichten Nebel mit goldenen und purpurnen Tinten durchzuckenden Schein über den Fluß.

»Teufel, das ist schlimm!« rief Bois-rosé. »Wie wollen wir da fort?«

»Die Nebel werden dichter werden, Vater, und das dürre Feuerungsmaterial muß bald zu Ende gehen; dann verlieren die Flammen ihre Intensivität. Aber – halt, wartet, ich werde Euch selbst auf den Gedanken bringen, die Feuer zu dämpfen!«

Er hatte durch eine schmale Lücke in den Nebelballen den Kopf eines Indianers bemerkt, welcher in am Boden liegender Stellung das Feuer gerade der Insel gegenüber schürte. Er erhob die Büchse. Ein leiser Luftzug erneute die Lücke; der Schuß krachte, und ein vielstimmiges Geheul bewies, daß er sein Ziel nur zu gut erreicht habe.

In kurzer Zeit hatten sämmtliche Flammen ihre ursprüngliche Stärke verloren.

»Das hat geholfen!« meinte Rosenholz. »Fabian,[191] mein Junge, Du bist bei Marcos Arellanos in keiner schlechten Schule gewesen; das kann ich Dir und ihm mit dem besten Gewissen bezeugen. Es wird uns trotz der Feuer dennoch gelingen, den Strom so weit hinabzuschwimmen, daß wir sicher landen können. Meinst Du nicht, Pepe?«

»Wenn sich der Nebel verdickt, was zu erwarten steht, ja! Wie ist es mir um das Pulver und die Gewehre zu thun. Wir werden zuweilen tauchen müssen.«

»Hm,« meinte Fabian nachdenklich, »vielleicht brauchen wir weder zu schwimmen, noch zu tauchen!«

»Was sonst?«

»Nur ein wenig zu steuern und zu rudern.«

»Wie meinst Du das, mein Kind?«

»Habt Ihr nicht bemerkt, daß unsere Insel sich abwechselnd hob und senkte, als die Rothen über den Fluß gingen?«

»Das haben wir ja alle bemerkt.«

»Und daß sie in ihren Grundfesten bebte und wankte, als wir einige Aeste und Stämme zur Verbarrikadirung losrissen?«

»Auch das.«

»Nun, ich meine, wenn es uns gelänge, die Insel flott zu machen, so – – –«

»Santa Lauretta,« fiel ihm Pepe in die Rede, »wie gewaltig dumm sind wir gewesen, Rosenholz! Meinst Du nicht auch!«

»Ich stimme Dir vollständig bei, denn der Gedanke Fabians wird uns Rettung bringen. Die Insel wird vielleicht durch eine Wurzel oder einen dicken, die Kette eines Pflichtankers vertretenden Baumstamm auf dem Grunde festgehalten. Es müssen schon viele Jahre her[192] sein, seit sie hier festsitzt; der Boden, welcher sich gebildet hat, läßt das vermuthen. Das Wasser muß das niedere Holzwerk schon längst in Fäulniß gesetzt haben, und davon will ich mich nun überzeugen.«

Er trat an den Rand der Insel und ging mit großer Vorsicht in das Wasser.

Die beiden Zurückgebliebenen folgten mit ihren Augen nicht ohne Unruhe seinen angestrengten Untersuchungen. Er verschwand von Zeit zu Zeit unter der Oberfläche des Flusses wie der Taucher, welcher längs der Seiten des Schiffes das Leck sucht, das dem Fahrzeuge den Untergang bereiten kann. Endlich kam er wieder auf das Floß.

»Nun,« frug Pepe, »sind wir durch viele Anker festgehalten?«

»Es geht Alles gut, wie ich glaube. Bis jetzt sehe ich nur einen, der die Insel festhält, und das ist der Nothanker.«

»Du mußt wieder hinunter?« meinte Fabian.

»Ja, wenn wir uns flott machen wollen.«

»So hüte Dich ja, zu weit hinunterzudringen! Du kannst Dich sehr leicht in das Netz von Aesten und Wurzeln verwickeln und ertrinken müssen.«

»Sei unbesorgt, mein Junge,« antwortete der Riese. »Es würde eher ein Walfisch an einem Fischerkahne, den er zwanzig Fuß hoch in die Luft schleudern kann, hängen bleiben, als ich unter dieser Insel, die ich durch einen Druck mit der Schulter auseinandertreiben könnte. Ich muß nur vorsichtig zu Werke gehen, daß sie beisammen bleibt, sonst gerathen wir aus dem Regen in die Traufe. Jetzt vor allen Dingen müssen wir ein Steuer haben. Das Wasser hat ganz konträre Strömungen, und wenn wir das Floß[193] auch nicht ganz in die Gewalt bekommen können, weil wir nicht rudern dürfen, so müssen wir doch so wenig wie möglich abhängig von ihm sein.« –

Schwarzvogel, der Häuptling, saß am Fuße eines Baumes. Die zerschmetterte Schulter wurde ihm von einer Riemenbandage zusammengehalten. Sie mußte ihm fürchterliche Schmerzen verursachen, obgleich er jede Miene bewachte, dies nicht zu verrathen.

Sein glühendes Auge heftete sich unablässig auf die düstere Masse der Insel, wo, wie er glaubte, die drei Männer, nach deren Blut er dürstete, in einer entsetzlichen Angst schwebten.

Während der ersten Stunden der Nacht konnten die Indianer leicht sehen, was vorging; je dicker aber der Nebelschleier um das Inselchen wurde, um so mehr verkleinerte sich der Lichtgürtel, den die Feuer auf den Fluß warfen. Bald wurden die Dünste so stark, daß die Wachenden das gegenüberliegende Ufer nicht mehr sehen konnten, und endlich verschwand das Inselchen selbst im Nebel.

Der Häuptling wußte, daß es nothwendig sei, die Aufmerksamkeit zu verdoppeln. Er rief daher zwei Krieger zu sich und schickte sie zu den Schildwachen an beiden Ufern.

»Geht und sagt den Wachen, daß Jeder vier Ohren öffnen müsse, um die Augen zu ersetzen, welche der Nebel verblendet. Sagt ihnen, daß die Dankbarkeit Schwarzvogels groß ist und seine Strafe streng. Wer die Augen schließt und schläft, den wird die Mordkeule des Häuptlings nicht in die ewigen Jagdgründe, sondern in das Land der Schatten bringen. Der Krieger, welcher auf dem[194] Posten schläft, kommt in die Einöden der Geister, welche ewig schlafen!«

Es giebt kein nächtliches Geräusch, welches dem Ohre eines Indianers entgeht, und ihrem durchdringenden Auge entzieht sich nicht so leicht ein Gegenstand, den es zu finden strebt. Allein heute machte der Nebel die Luft wieder sonor und entzog zugleich dem Auge selbst die nahe Umgebung. Nur die gespannteste Aufmerksamkeit konnte die durch den Nebel und die nächtliche Dunkelheit beeinträchtigte Schärfe der Sinne einigermaßen wieder ersetzen.

Mit geschlossenen Augen und offenen Ohren standen die indianischen Krieger unbeweglich an ihren Feuern und suchten munter zu bleiben, während die ganze Natur in Schlaf versunken war. Von Zeit zu Zeit warf Jeder einen Baumast in das Feuer, um dasselbe zu unterhalten, und nahm dann seine ruhige, aufmerksame Haltung wieder an.

So verfloß eine geraume Zeit, während welcher nichts zu hören war, als das geschwächte Tosen eines weit oben liegenden Wasserfalles und das leise, flüsternde Murmeln des von dem Wasser bewegten Schilfes.

Die kalte Nachtluft verdoppelte die Schmerzen des Häuptlings und in Folge dessen auch seinen Grimm. Das Licht des Feuers, welches neben dem Baume brannte, an dessen Stamme er lehnte, beleuchtete seine scharf geschnittenen Züge, welche in Folge des Blutverlustes unter ihrer schwärzlichen Haut bleicher geworden waren. Sein von häßlichen Malereien bedecktes und vom Schmerze verzerrtes Gesicht, seine wilden, unheimlich und rachsüchtig funkelnden Augen gaben ihm ganz das Aussehen jener blutdürstigen Götzenbilder, wie sie in barbarischen Zeiten und Ländern angebetet wurden und heut noch verehrt werden.[195]

Da rauschte es im nächsten Busche und ein junger Indianer stand vor ihm. Er war vollständig mit Blut überdeckt; seine Brust keuchte, und seine Nüstern standen weit offen, ein Zeichen, daß er lang und schnell gelaufen war. –

»Was willst Du? Dich sendet Katzenparder, der Häuptling! Es muß etwas Wichtiges sein, da er den schnellsten Läufer unseres Stammes zu mir schickt.«

»Der Katzenparder sendet keinen Läufer mehr. Das Messer eines Weißen ist in sein Herz gedrungen, und er ist dem Rufe Manitou's hinüber in die ewigen Savannen gefolgt.«

»Er wird dort fröhlich sein; denn er ist als Sieger gestorben,« antwortete, seine Wißbegierde beherrschend, einfach der Häuptling.

»Er ist als Besiegter zur Erde gesunken. Die Männer der Apachen sind geflohen; ihre Anführer und fünfzig berühmte Krieger liegen auf dem Schlachtfelde.«

Es fehlte nicht viel, so wäre der Häuptling trotz des brennenden Schmerzes seiner Wunde und der von seiner Würde gebotenen Zurückhaltung bei dieser Nachricht aufgesprungen. Er bedurfte einiger Sekunden, um ruhig zu erscheinen, und frug dann ernst und kalt:

»Wer sendet Dich?«

»Krieger, welche einen Anführer brauchen, um sich zu rächen. Der Schwarzvogel war bisher das Haupt eines Stammes; jetzt aber ist er das Haupt eines ganzen Volkes.«

In den Augen des Verwundeten glänzte Stolz und Befriedigung. Einerseits vermehrte sich seine Gewalt, und andererseits bewies die erlittene Niederlage der anderen[196] vier Häuptlinge die Klugheit seines Rathes, den er heute gegeben hatte.

»Hätten sich die Büchsen von Mitternacht mit denen unserer Krieger vereinigt, so hätte nicht ein einziger Mann aus Mittag seinen Skalp noch auf dem Schädel. Der ›große Adler,‹ der ›zündende Blitz‹ und der ›Panther des Südens‹ harren jetzt auf die Macana des Apachen. Wer ein bleiches Gesicht hat, muß sterben. Aber was kann ein verwundeter Häuptling thun? Die Hälfte seines Blutes ist geflossen; seine Beine tragen ihn nicht, und er würde auch vom Pferde sinken.«

»Man wird ihn festbinden,« antwortete der Läufer, welker beinahe erschrocken aufgeblickt hatte, als er die berühmten Namen hörte. »Aber warum legt Schwarzvogel nicht seine starke Faust auf die Häupter der drei weißen Jäger?«

»Antilope, der Läufer, hat die Füße des Hirsches und den Gedanken des Fuchses. Er mag vernehmen aus dem Munde seines Häuptlings die Erzählung des Kampfes gegen die Könige des Waldes und die Fürsten der Savanne!«

Der Läufer verneigte sich, stolz auf diese seltene Gunst.

Der Häuptling erzählte ihm Alles. Als er geendet hatte, hielt Antilope seinen Blick gesenkt. Er sann nach. Nach einer Weile erhob er den Kopf.

»Die Stille der Nacht hat zu mir gesprochen. Ehe Schwarzvogel vielemal hundert zählen kann, sollen die Bleichgesichter in seiner Gewalt sein.«

»Können meine Krieger auf dem Wasser wie auf dem Kriegspfade gehen?«

»Nein; aber sie können das Feuer nach der Insel[197] senden, daß es sie verzehrt und die weißen Männer an das Ufer müssen.«

Der Häuptling blickte den Rathgeber überrascht an.

»Ich sagte es: Antilope, der Läufer, hat die Gedanken des Fuchses.«

»Soll er thun, was er gesagt hat?«

»Geh, thue es!«

Der Läufer wandte sich um und verschwand in dem Nebel.

Dieser war so dicht geworden, daß man kaum zwei Schritte weit vor sich zu sehen vermochte. So klein die Insel auch war, ihre jetzigen Bewohner vermochten nicht, sie zu überblicken. Mit großer Anstrengung hatte der Kanadier einen langen, jungen Stamm aus dem Holzgewirr des Flosses gelöst, die Aeste von demselben entfernt und mit Hülfe von Fabians Lasso seinen Mantel um die oben stehen gelassenen Zweige gewunden.

»So, jetzt haben wir ein Steuerruder, welches nicht das mindeste Geräusch machen wird. Nun befestigen wir noch zwei Hölzer als Dullen und dann machen wir uns flott!«

Er war noch mit dieser Arbeit beschäftigt, als von drüben die Stimme des Häuptlings zum zweiten Male herüberklang.

»Ist das Ohr der weißen Männer offen, zu hören die Worte Schwarzvogels, des Häuptlings der Apachen?«

»Wollen wir noch einige Worte mit dem Schlingel sprechen, Rosenholz?« frug Pepe.

»Thue es; ich habe keine Zeit dazu.«

»Was will der große Häuptling von den Jägern der Schneeberge?«[198]

»Die drei Bleichgesichter mögen ihren Todtengesang anstimmen, denn ehe er beendet ist, werden sie in den Händen meiner Krieger sein!«

»Teufel!« meinte Rosenholz. »Sie haben Etwas vor.«

»Die Könige der Wälder singen nicht anders als nur mit ihren Büchsen,« antwortete Dormillon laut. »Die Apachen kennen diesen Gesang.«

»Er wird nicht mehr ertönen. Die weißen Krieger mögen herüberkommen, ehe wir sie zwingen. Das Herz des Apachen duftet von Milde. Sie werden Verzeihung finden.«

»Die Fürsten der Savanne verkehren nicht mit Männern, deren Rücken sie im Kampfe gesehen haben. Einer von ihnen gilt mehr als tausend Apachen. Wollen die rothen Männer um Gnade bitten, so mögen sie herüberkommen!«

»Die Zunge des ›zündenden Blitzes‹ ist scharf. Der Apache wird sie ihm aus dem Maule nehmen mit der Schärfe des Messers.«

»Und die Zunge Schwarzvogels ist wie diejenige des Stinkthieres, welches sich mit ihr reinigt. Die Häuptlinge der Weißen schließen die Nase, wenn er spricht.«

»Das Messer des Apachen wird dem ›zündenden Blitze‹ die Nase nehmen, damit er wieder hört, was zu ihm gesprochen wird. Die Hand der rothen Krieger ist stark; sie wird ihn zermalmen.«

»Der Häuptling der Apachen wird im Wigwam seiner Squaw sitzen und den alten Weibern erzählen, daß ihn die Fürsten der Savanne verlachen. Der Blitz ist schneller, als der Gedanke und vernichtet Alles, was er erfaßt. Niemand vermag ihn zu ergreifen!«

»Der Apache wird ihn ergreifen! Ich habe gesprochen!«[199]

»Ah, ist es das!« sprach jetzt Rosenholz, indem er stromaufwärts deutete. »Sie wollen die Insel verbrennen.«

Der Nebel war jetzt so greifbar, daß man von der Insel aus die Feuer an den beiden Ufern nicht mehr sehen konnte. Die Mitte des Stromes lag in tiefem Schatten, in welchem sich ein kleines Licht erhob, welches von Sekunde zu Sekunde größer wurde und sich dem Flosse näherte.

»Sie haben einen Brander hergestellt und wissen, daß dieser durch die Strömung unbedingt an die Insel geführt wird. Die Schufte! Es ist gar kein übler Gedanke, uns durch das Feuer in das Wasser und auf das Ufer zu treiben!« meinte Pepe.

»Sie haben ihre Berechnung gemacht, ohne von unserem Steuerruder etwas zu wissen.«

»Wie so?« frug Fabian.

»Sobald der Brander in die Nähe der Insel kommt, wird er dieselbe hell erleuchten. Das gestattet ihnen, uns mit ihren Bogen und Büchsen so in Schach zu halten, daß wir uns verborgen halten müssen und keine Maßregeln treffen können, ihnen abzuwehren. Das Steuerruder aber ist lang; es wird unser Retter sein.«

»Kannst Du es allein machen, Rosenholz?«

»Ja,« antwortete dieser, indem er aus dem Saume des unteren Inselendes einige Aeste riß, um sich in der Geschwindigkeit an dem oberen eine kleine Verschanzung herzurichten.

»So gieb Deine Büchse her. Kommt, Sennor Fabian, wir werden Gelegenheit finden, einige gute Schüsse zu thun. Schießt Ihr nur einmal. Das andere besorge ich dann weiter, während Ihr schnell ladet!«[200]

Sie krochen hinter den Saum und machten sich schußbereit.

Der Brander kam langsam zwar, aber sicher näher und näher. Er war von harzigem Holze hergestellt, dessen lautes Knistern man jetzt deutlich vernehmen konnte. Von einem ziemlichen Umfange, verursachte er eine Flamme, welche beide Ufer trotz des Nebels hell erleuchtete, so daß man die Silhouetten der dort stehenden Indianer deutlich erkennen konnte. Sie waren ihres Erfolges so sicher und glaubten die drei Jäger in solcher Verwirrung, Angst und Rathlosigkeit, daß sie eine Gefahr für sich gar nicht erwarteten und es für überflüssig hielten, verborgen zu bleiben und auf das Schauspiel zu verzichten, welches ihnen die Vernichtung der kleinen, natürlichen Festung bieten mußte.

»Bois-rosé lag hinter seinen Aesten, durch welche er das Ruder verkehrt gesteckt hatte, und erwartete den ersten Anprall des Branders mit fest angeschwellten Muskeln. Er konnte die Bauart desselben genau betrachten. Zwei aneinander befestigte Baumkronen trugen eine Unterlage von grünem Grase, auf welcher eine bedeutende Menge dürren, harzigen Holzes aufgeschichtet und in Brand gesetzt worden war. Beim Anstoße an die Insel mußte diese brennende Masse das Gleichgewicht verlieren und auf das Floß fallen, wo so viel dürres Holzzeug vorhanden war, daß sie in wenigen Augenblicken in Flammen aufgehen mußte.«

»Jetzt ist es hell genug da drüben. Drauf!« kommandirte Pepe.

Zwei Schüsse krachten.

»Getroffen! Zwei!«[201]

Während Fabian sich auf den Rücken warf, um zu laden, schoß Pepe die dritte Büchse ab.

»Drei!« sprach er, seine Opfer zählend.

Die Indianer zogen sich bei diesem unerwarteten Angriffe so viel wie möglich zurück; aber das Licht des Branders erzeugte, verbunden mit der Helle ihrer eigenen Wachtfeuer, eine solche Deutlichkeit des kleinsten Gegenstandes, daß, besser noch als am hellen Mittage, jeder Gegner zu erkennen war. Die dunklen Gestalten der Indianer waren selbst durch die Büsche hindurch, hinter denen sie sich verborgen hatten, sichtbar, so daß Fabian nicht schnell genug zu laden vermochte.

»Vier! Schneller, Sennor Fabian! Wenn ich nur fünf Minuten Zeit erhalte, gehen zwei Dutzend Rothhäute darauf. Fünf!«

Jetzt wurde die Insel von einem heftigen Stoße erschüttert. Der Brander war an das Ruder getroffen. Er wankte, erhielt sich aber, da Rosenholz wohlweislich Etwas nachgegeben hatte, im Gleichgewichte, wurde von dem Jäger vermittelst der Stange von der Insel abgehalten, trieb an derselben vorüber und schwamm dann langsam stromabwärts weiter.

Ein Hagel von Pfeilen und Kugeln war, als das Floß in heller Beleuchtung stand, auf dasselbe niedergefallen, hatte aber nicht den mindesten Schaden angerichtet.

»Sechs!« zählte Pepe.

Er mußte, während der Brander vorüber ging, eine Pause machen, zielte dann aber mit um so größerem Eifer. Fabian erkannte, daß die Helle abnahm. Das kurze Licht mußte benutzt werden; er wandte sich und steckte seine soeben geladene Büchse durch die Schanze.[202]

»Sieben!« rief Pepe frohlockend.

»Acht!« der Rastreador.

»Santa Lauretta, jetzt ist es aus! Konnte dieses schöne Licht nicht noch einige Minuten anhalten? Bei meiner Seele, diese Apachen werden noch nach fünfhundert Jahren an die Fürsten der Savanne denken, die zu Dreien eine solche Anzahl tapferer Zinnober- und Ockergesichter in die ewigen Wälder schickten! Wollen wir dem Brander nach?«

»Nein. Wir müssen warten. Wir können in seine Beleuchtung gerathen, wenn wir ihm sofort folgen.«

»Oder,« meinte Fabian, »er kann an das Ufer stoßen, dasselbe entzünden und so unseren Weg verrathen.«

»Das steht wohl nicht zu befürchten. Die Rothen würden das Feuer sofort löschen, um nicht selbst in Gefahr zu gerathen.«

Dieses Mal hatten die Wilden nicht ihr gewöhnliches Geheul vernehmen lassen. Ihre Wuth hatte jetzt wohl den Grad erreicht, an welchem sie schweigsam, aber desto verderblicher wird. Ihre Wachsamkeit verdreifachte sich, als es wieder dunkel geworden war wie vorher.

Wohl über eine Viertelstunde war vergangen, als Rosenholz sich anschickte, wieder in das Wasser zu gehen.

»Jetzt wird es Zeit. Wir dürfen nicht rudern und kommen also nur mit der geringen Geschwindigkeit des Wassers vorwärts. Wenn wir länger warten, kann es sehr leicht geschehen, daß wir bei Anbruch des Tages noch im Bereiche der Wilden sind.«

Er stieg hinab. An den sich um die Insel her bildenden Wirbeln konnte man erkennen, daß er arbeitete. Das Floß zitterte wie ein Fahrzeug inmitten einer hohlen[203] See. Man fühlte, daß der Riese eine letzte, gewaltige Anstrengung machen müsse. Fabian wurde es einige Augenblicke enge um das Herz bei dem Gedanken, daß Bois-rosé vielleicht mit dem Tode kämpfte – als ein dumpfes Krachen, ähnlich dem des Fugenwerkes eines Schiffes, das an einem Felsen zerschmettert wird, sich unter seinen Füßen hören ließ.

In demselben Augenblicke erschien der Kanadier wieder auf der Oberfläche des Wassers, mit triefenden Haaren und flammrothem Gesichte. Mit einem Satze faßte er auf der Insel festen Fuß. Sie begann, sich langsam um sich selbst zu drehen und glitt dann sanft und langsam stromabwärts. Eine ungeheure Wurzel, welche tief im Bette des Flusses stak, war von dem Messer und den kräftigen Händen des Kolosses, der in seiner Verzweiflung eine zehnfache Stärke entwickelt hatte, zerschnitten und zerbrochen worden.

»Gelobt sei Gott,« rief er; »das war eine fürchterliche Anstrengung – wir sind jetzt flott!«

»Und schwimmen von den ewigen Jagdgründen dieser rothhäutigen Schlingels wieder fort!« antwortete Pepe, indem er ihm half, mittelst des alsobald eingesetzten Steuers die Insel in die richtige Lage zu bringen.

Das Wasser brach sich an dem Mantel ohne das allergeringste Geräusch; das Floß gehorchte leidlich dem Steuer, und so ging es langsam vorwärts.

Blieb man auf der Mitte des Stromes, so war die Entdeckung kaum zu befürchten, wenn nicht ein unvorhergesehener Umstand eintrat. Die drei Männer verhielten sich so ruhig, daß ringsum die tiefste Stille herrschte. So verging eine ziemliche Weile. Da tauchte vor ihnen ein[204] Licht auf, welches immer größer wurde und gerade auf der Mitte des Wassers zu brennen schien.

»Santa Lauretta, was ist das?« frug Pepe.

»Der Brander kann es doch unmöglich sein!« meinte Fabian.

Rosenholz antwortete nicht. Er hielt sein Auge scharf auf das Feuer gerichtet und untersuchte dabei vermittelst des Steuers durch das Gefühl die Strömung des Flusses.

»Es ist ein Wachtfeuer am Ufer,« entschied er dann.

»Es brennt ja in der Mitte des Flusses,« entgegnete Fabian.

»Der Fluß macht eine Biegung.«

»So halte Dich auf ihr!« drängte Pepe. »Wir treiben ja sonst gerade auf das Ufer und das Feuer zu!«

»Die Strömung ist so stark, daß ich ihr halb folgen muß, wenn ich mir nicht das Steuer zerbrechen oder gar das Floß zerreißen will.«

Das Feuer, welches soeben durch den Nebel hindurch ganz schwach erschienen war, vergrößerte sich jetzt zusehends und erleuchtete eine indianische Schildwache, welche in ihrem furchtbaren Kriegskostüme aufrecht und unbeweglich dastand.

Eine lange Bisonmähne bedeckte das Haupt des Indianers, über welchem ein Federschmuck gleich der Zierrathe eines römischen Helmes hin und her wallte.

Glücklicher Weise war der Nebel zu dick, als daß der Apache, welcher nur durch das Feuer sichtbar wurde, die dunkle Masse der Insel hätte bemerken können, die sanft wie ein Seevogel auf dem Flusse fortschwamm.

Da richtete der Wilde, gleich als habe ihm sein Instinkt gesagt, daß die Kühnheit und Geschicklichkeit der Feinde seine Wachsamkeit täuschen werde, sein gesenktes[205] Haupt in die Höhe, wobei er die wallende Mähne, welche ihn schmückte, schüttelte.

»Sollte der Kerl Verdacht hegen?« sprach der Kanadier.

»Ach, die Büchse ist zu laut; aber hätte ich Bogen und Pfeil, so würde ich mich sehr beeilen, diesen menschlichen Bison in die andere Welt zu schicken, wo er Wache stehen könnte, so lange es ihm beliebte.«

Der Indianer steckte den Spieß jetzt in die Erde, neigte den Körper vor und hielt die beiden Hände über die Augen, um den durchdringenden Blick derselben gegen die Flamme zu schützen.

Das Herz der Flüchtigen schlug beinahe hörbar, und sie wagten kaum mehr, Athem zu holen. Wenn der Wilde sie gewahrte, so waren sie verloren.

Der Indianer bot, während er so gleich einem reißenden Thiere im Hinterhalte lag und sein von den langen Bisonhaaren halb verdecktes Gesicht zeigte, einen furchtbar gräßlichen Anblick dar, und ein Mann von gewöhnlichem Muthe hätte ihn sicher nicht ohne Beben sehen können.

»Sollte der Teufelskerl uns bemerkt haben?« frug Pepe.

»Nein. Aber er wird uns bemerken, wenn – ah, Gott sei Dank, jetzt drehen wir uns. Wenn Du Dir diese Physiognomie für spätere Zeiten merken willst, Pepe, so sieh ihn Dir noch einmal an, denn der Nebel wird ihn gleich verschwinden lassen.«

Wirklich verschwand das Licht bald ganz in der Weise, wie es vor ihnen aufgetaucht war, hinter ihnen, und von jetzt an setzten sie ihre Fahrt fort, ohne etwas Auffälliges zu bemerken.

»Das ist jedenfalls das äußerste Lagerfeuer gewesen,«[206] meinte Rosenholz. »Pepe, ziehe Dir ein Paar tüchtige Aeste heraus; jetzt könnt Ihr unsre Geschwindigkeit durch Rudern mehr als verdoppeln.«

Diesem Gebote wurde Folge geleistet, und das Floß folgte den Anstrengungen der drei Männer mit einer Schnelligkeit, welche man ihm bei seiner Zusammensetzung gar nicht zugetraut hätte.

Es wurde Tag.

»Jetzt müssen wir landen,« sprach der Kanadier, »und dann das Weite zu gewinnen suchen.«

»So lege an, wo es Dir beliebt,« antwortete Pepe. »Von dort an folgen wir dann zu Fuße dem Laufe des Wassers, um den Indianern unsere Spuren zu verbergen. Glaubt Ihr, Don Fabian, daß wir noch weit bis zum Goldthale haben?«

»Ihr habt ja die Sonne hinter den Nebelbergen, welche es verdecken, untergehen sehen. Wir können höchstens einige Wegsstunden davon entfernt sein, nach der Zeichnung, welche mein Pflegevater angefertigt hat.«

Rosenholz gab, von den Anderen unterstützt, dem Flosse die Richtung nach dem Ufer hin, und nach kurzer Zeit stieß es so heftig auf das Land, daß dadurch ein großer Riß in dem Boden entstand. Sie sprangen an das Ufer.

Der Kanadier nahm die Fuchspelzmütze von seinem Haupte.

»Mein lieber Gott, ich danke Dir, daß Du mir die Freude machst, die Einzigen, welche ich auf Erden habe, gerettet zu sehen: meinen Fabian und meinen alten Gefährten in Kampf und Gefahr!«[207]

Bei diesen Worten streckte er den beiden Genannten freudig bewegt die Hände entgegen.

»Santa Lauretta, Alter, Du thust recht, Gott zu danken für diese wunderbare Rettung!« antwortete Pepe tief gerührt. »Wir sind noch niemals in einer gar so argen Klemme gewesen wie diese war, und wenn ich das Glück habe, dem Don Schwarzvogel und den Seinen wieder zu begegnen, so werde ich ihnen sicher erkenntlich sein!«

»Jetzt nun fort!« sprach Fabian.

»Halt, mein Kind! Wir haben vorher noch einige Vorsichtsmaßregeln zu treffen. Wir werden das Floß, welches uns so nützlich gewesen ist, in Stücke reißen und dem Strome übergeben, damit die Indianer durchaus keine Spur von ihm vorfinden.«

Die drei Gefährten gingen an das Werk.

Durch die Trennung der Wurzel, welche die Insel auf dem Boden festgehalten hatte, und durch den gewaltigen Stoß, mit dem sie auf dem Ufer sitzen blieb, bereits gelockert, konnte sie der vereinigten Anstrengung der drei Jäger keinen langen Widerstand entgegensetzen.

Die Baumstämme, aus denen sie bestand, wurden auseinandergerissen und in den Strom hinausgetrieben, der sie fortführte; die Aeste folgten, das Land fiel zu Boden, und in kurzer Zeit war von dem Flosse, an welchem die Natur so lange Zeit gearbeitet hatte, keine Spur mehr übrig.

Dann ließen es sich die Jäger angelegentlich sein, ihre Fußtapfen zu vertilgen und jeden niedergetretenen Grasstengel wieder aufzurichten.[208]

»So!« entschied Pepe. »Jetzt sind wir vollständig fertig und können gehen. Viel aber gäbe ich darum, die Gesichter dieser Rothhäute zu sehen, wenn sie bemerken, daß die Insel verschwunden ist und der ›fliegende Blitz‹ sich über alle Berge davongemacht hat!« – – –[209]

Quelle:
Der Waldläufer von Gabriel Ferry. Für die Jugend bearbeitet von Carl May. Stuttgart (1879), S. 150-210.
Lizenz:
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