[825] »Die Grünewalder kommen! Die Grünewalder kommen!« rief es auf der Straße. Schmerl war grad dabei, dem Herrn Schützenhauptmann den mit einem riesigen Federstutze[825] geschmückten Bounapartenhut zum letzten Male abzubürsten; bei diesem Rufe aber warf er die ehrwürdige Kopfbedeckung auf den Tisch und war mit einem »Meister, ich muß den Esel füttern!« zur Thür hinaus. Draußen aber ging er nicht etwa nach dem Stalle, sondern er sprang auf die Gasse, um sich das Schauspiel der heranmarschirenden Grünewalder Schützen und Turner nicht entgehen zu lassen.
Mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel kamen sie die Straße herauf, und es war ein gar martialischer Anblick, den die ehrsamen Spießbürger in der ihnen ungewohnten kriegerischen Montirung boten. Voran ritt der Herr Stadtrath Korndörfer als Adjutant. Der alte fette Schimmel, auf welchem er saß, konnte jedenfalls gar nicht recht begreifen, was mit ihm und hinter ihm vorging; er zog den fast kahlen Schwanzstummel so eng wie möglich an den Leib und warf die Beine nach vorn, als liefe er auf Eiern. Auch der Reiter schien im Unklaren zu sein, was er mit seinen Beinen anzufangen habe, und da sie in seiner nächsten Nähe jedenfalls am Besten aufgehoben waren, so hatte er sie mit Hülfe der kurzgeschnallten Steigbügel so viel wie möglich in die Höhe gezogen und seinem runden Bäuchlein damit einen unbezahlbaren Dienst geleistet, denn dasselbe hatte, weil es ihm unter dem bunten Rocke zu eng wurde, einige Knöpfe desselben losgesprengt und legte sich nun mit vertrauensvoller Bequemlichkeit auf die über den Rücken des Pferdes emporragenden Kniee seines geliebten Herren. Diesem standen in Folge der Anstrengung, sich auf seiner Rosinante zu erhalten, dicke Schweißtropfen in dem hochrothen Gesichte; der Gaul hatte einen eigenthümlich schüttelnden Gang, und es stand jeden Augenblick zu befürchten, daß er seinen Reiter zur Erde setzen werde.
Hinter den Schützen kamen die Turner. Ueber alle hinweg ragte die lange hagere Gestalt des Herrn Director Pappermann, welcher, im weißgewaschenen Drillichanzuge und den gestickten »Gul Heil« um die dürre Taille, unendliche Mühe hatte, Schritt zu halten, da er mit einem einzigen Ausstrecken seines Beines einen Raum überstieg, welchen ein Anderer nur nach mehreren Schritten zurückgelegt hatte.
»Batail – – lon – – – halllllt!« kommandirte der Anführer der Grünewalder Gäste. »Rrrrrechts – – ummmm!«
Alle drehten sich auf die rechte Seite, nur Einer nicht, und das war der Schimmel, welcher in frommer Unbefangenheit immer gradaus weiter trollte. Sein Reiter gab sich die erdenklichste Mühe, ihn zum Stehen zu bringen, aber vergebens, bis endlich Schmerl sich erbarmte, dem Thiere in die Zügel fiel und es unter allgemeinem Halloh zu der ihm gebührenden Stelle führte.
»Augen rrrechts! – – – Augen grrraaaad aus! – – – Präsentiiiirts G'wehr! – – – Imparade marrrrsch!« klangen die einzelnen Commando's und auf den letzten Ruf lösten sich die Chargirten aus den Gliedern, um den Fahnen das Chrengeleite in das Haus des Herrn Schützenhauptmann Passelmüller zu geben. Als der Schimmel diese Bewegung bemerkte, beschloß er, seine Kenntnisse auf dem Gebiete des Exerzier-Reglements durch schleunige Betheiligung an den Tag zu legen; verständnißvoll mit dem ehrwürdigen Graukopfe nickend, schritt er gravitätisch nach der Pforte des Vorgärtchens. Hier aber trat in dem zwischen dem Stakete hervorblickenden Grün dem streitbarem Rosse eine Versuchung entgegen, der es unmöglich widerstehen konnte. Die Beine breit auseinander nehmend, bückte es sich nieder, um von den saftigen Blättern zu kosten, und dadurch bekam sein Rücken eine so Demuth predigende Neigung, daß der Herr Stadtrath mit anerkennungswerther Folgsamkeit über den Hals des Thieres zur Erde rutschte. Die Truppen sahen diesem Sonnenuntergange mit präsentirtem Gewehre zu, und trotz des militairisch ernsten Augenblickes lief ein schallendes Gelächter die lange Fronte hinunter. Der Schimmel hob den Kopf, um einen strafenden Blick über die Compagnie zu werfen, der Adjutant aber beeilte sich, ins Haus zu kommen, wo ihm der Meister mit heiterem Lachen entgegentrat:
»Willkommen, Herr Rath! Auf Wunsch des Herrn Particulier Reichmann ersuche ich Sie, mein Gast zu sein. Schmerl, hole den Schimmel!«
Allerdings war es eine Enttäuschung für Korndörfer, statt eine Treppe höher, hier unten beim Bäcker einquartirt zu werden, und als nach dem »Rührt Euch« der Schuldirector mit erhobenem Haupte und zweideutigem Blicke an ihm vorüber und nach oben ging, waren es zwei sehr unangenehme Gefühle, die sein sonst so kaltblütiges Herz unter der dicken Specklage schneller klopfen ließen: der Aerger und die Eifersucht. – – –
Abend wars, und tiefe Finsterniß herrschte ringsumher; aber draußen über der Vogelwiese schwamm ein heller Lichtschein, denn hunderte von Flammen erleuchteten die Zelte und Buden, in und zwischen denen eine aufgeheiterte Menschenmenge sich bewegte.
In einem der Zelte saß Frau Reichmann, die sich mit dem Herrn Schuldirector von der Gesellschaft der Andern zurückgezogen hatte, um mit ihm über den gemeinschaftlichen Heirathsplan zu verhandeln. Sie schienen am Schlusse ihrer Unterredung angekommen zu sein, denn die Dame erhob sich jetzt, indem sie ihrem Günstlinge die Hand bekräftigend entgegenstreckte.
»Abgemacht, lieber Herr Director! Sie bekommen das Mädchen, und mein Alter wird gar nicht erst lange darum gefragt. Jetzt aber lassen Sie uns sehen, wo er mit dem Mädchen stickt!«
In einem andern Zelte saß Reichmann an der Seite des Stadrathes. Beide waren augenscheinlich etwas illuminirt, denn nur dann, wenn er einen kleinen Spitz besaß, wagte der Particulier, gegen seinen »Herrn im Hause« zu conspiriren.
»Abgemacht, Stadträthchen! Du bekommst das Mädchen, und meine Alte wird gar nicht erst ewig darum gefragt. Jetzt aber wollen wir sehen, wo das Weibsvolk hingelaufen ist! Milchen sieht es nicht gern, wenn man sie vernachlässigt.«
Die Hummelgeschwulst hatte sich vollständig wieder gelegt, so daß er also wieder wie ein vernünftiger Mensch reden konnte.
Während dieser beiden Heirathsabschlüsse standen Marie und Julius mit einander in einem abgelegenen Winkel des Festplatzes und hatten einander so viel zu sagen, daß sich ein Ende ihrer Unterredung gar nicht ersehen ließ. Da kam Schmerl, welcher Wache gestanden hatte, gelaufen.
»Macht, daß Ihr auseinander kommt! Sie sitzen beisammen im Schützenzelte!« Und als Marie beim Abschiede eine Klage vernehmen ließ, tröstete er mit vielem Selbstbewußtsein: »Habt nur keine Sorge! Ihr kriegt einander und die beiden Alten werden gar nicht erst viel darum gefragt. Laßt mich nur machen, ich habe so meine Gedanken!« – –[826]
Die Nacht war bereits vorgeschritten, doch ging es auf der Vogelwiese noch lebhaft zu. Wenn sich auch das Publikum nach und nach verlor, so hielten es doch die Schützen für ihr Pflicht, mit ihren Gästen so lange wie möglich auszuharren, und der Herr Hauptmann Passelmüller war natürlich Derjenige, der sich dieser süßen Verpflichtung am allerwenigsten entziehen konnte. Auch Reichmann hatte sich heut emanzipirt und saß mit dem Adjutanten beim vollen Glas. Die leeren Flaschen vor ihnen bewiesen, daß sie dem Durste wohl vorgesprochen hatten, und die Unterhaltung war schon längst in jenes Stadium getreten, in welchem der Geist immer leichter, die Zunge aber immer schwerer wird.
»Ich sage Dir aber, Reichmännchen, daß der Birnbaum aus Egypten stammt; ich hab's in alten Büchern gelesen, die noch dazu in Schweinsleder gebunden sind.«
»Nein, da blamirst Du Dich grad eben so sehr, wie heut mit dem Schimmel. Die Birne stammt aus Syrien. Der große Liegel, welcher Apotheker in Braunau war und die schönen Aufsätze in die ›Frauendorfer Blätter‹ geschrieben hat, sagt es auch, und was der behauptet, das ist richtig.«
»Na, weißt Du, Bruder, der Schimmel und der Liegel, das sind so zwei, die ihre eigenen Köpfe haben. Ich halte mich zu Diel, der ist zuverlässiger als der Liegel. Aber wir wollen uns heut nicht streiten! Mir ists so ganz eigenthümlich im Kopfe, und die Flaschen tanzen Doppelpolka vor meinen Augen. Komm, wollen nach Hause gehen!«
»Ich bin dabei, altes Haus! Meine Alte wird gar nicht wissen, wo sich ihr Herzallerliebster herumtreibt.«
Sie tranken aus und traten den Nachhauseweg an. Die Chaussee, welche in die Stadt führte und an beiden Seiten von Reihen hoher Pappeln eingesäumt wurde, war so breit, daß sich drei Wagen ausweichen konnten, trotzdem aber schien sie für die beiden seligen Nachtwandler zu schmal zu sein, denn sie fuhren, Arm in Arm, im Zickzack bald hinüber, bald herüber und stolperten immer über ihre eigenen Beine weg.
»Höre 'mal, Schatz,« meinte Reichmann, »ich glaube Du hast einen Spitz! Halte Dich nur immer fest an mich. Die alte Straße hat sich heut ganz verschoben, und wir müssen sehen, wie wir glücklich durch die Pappeln hindurchkommen.«
»Habe nur um mich keine Sorge! Mir ist's mehr um Dich, als um mich. Du hebst ja die Beine wie ein Droschkenpferd, das den Hahnetritt hat. Ueberhaupt kann ich mich ärgern, daß sie da Pappeln herstellen, die doch gar keine Früchte bringen; wenn ich Etwas zu sagen hätte, so müßten lauter Obstbäume gepflanzt werden.«
»Da hast Du ganz meine Meinung – hopp, Alter, komm, steh sachte wieder auf! Der große Liegel, der in Braunau Apotheker war, hält auch nichts von den Pappeln. Er hat nämlich die schönen Aufsätze für die – – Du,« unterbrach er sich, »wer ist denn der lange Kerl, der da am Baume steht?«
»Ja, ich weiß es nicht! Komm, wollen 'mal sehen, was er da am Stamme herumzukrebsen hat! Heda, guter Freund, was giebts denn hier Merkwürdiges, und wer sind wir denn?«
»Ich? Ich bin der Herr Schuldirector Papperman aus Grünewalde und wohne hier beim dicken Reichmann,« antwortete der Angeredete, indem er, hin und herwankend, mit einem Gegenstande, den er in der Hand hielt, unaufhörlich an die Pappel stieß. »Wenn ich nur das vermaledeite Schlüsselloch finden könnte! Durch das Gitter bin ich glücklich gekommen und durch das Gärtchen auch. Da stehen die beiden Nußbäume, und hier muß also die Thüre sein! Aber das Loch, das alberne, dumme Loch! Der Schlüssel muß zu groß sein; ich bringe ihn nicht hinein!«
»Aber Herr Director,« lachte Reichmann, »Sie sind ja gar nicht bei meiner Wohnung! Ich glaube, Sie haben einen Spitz. Das ist ja eine Straßenpappel, und wo soll denn da ein vernünftiges Schlüsselloch herkommen!«
»Bei Ihrer Wohnung? Fällt mir auch gar nicht ein, Sie dummer Mensch! Einen Spitz? Bekümmern Sie sich doch um sich; Sie turkeln ja, daß es Einen erbarmen möchte! Straßenpappel? Sie sind selber Straßenpappel, Sie Esel Sie? Ich werde wohl wissen, was ich vor mir habe! Heda, Reichmann, ich bins! So macht doch nur auf, Ihr Leute!«
»Komm, Bruderherz,« flüsterte taumelnd der Stadtrath, »der ist todal knill. Laß ihn nur immer pochen! Das wäre mir ein Mann für Dein Mädel; da bin ich doch ein anderer Kerl!«
»Hast recht, Goldjunge. Komm! Weißt Du was? Ich werde ihm meine Alte herschicken; die ist ganz verliebt in den Menschen, und da mag sie ihn auch nach Hause schleppen!«
»Bravo! An dir kann man seine Freude – hoppsa! Falle nicht in die Buttermilch, Gevatter. Nimms nicht übel, aber Du hast wirklich einen Affen!«
Mit eng verschlungenen Armen lavirten sie weiter. – Zu Hause angekommen, verabschiedete Reichmann sich von seinem Gast.
»Bist doch nicht bös, Herzensbruder, daß ich Dich wegen meiner Alten nicht mit hinaufnehmen kann?«
»I bewahre! Ich habe da hinter der Backstube ein ganz hübsches Kämmerchen. Aber ich werde mich gar nicht erst zu Bette legen. Sie wollen nachher von der Vogelwiese hereinziehen und die Reveille durch die Stadt machen; da muß ich auf sein.«
»Wie Du denkst! Ich werde auch nicht viel schlafen; ich bin von dem sauern Krätzer ganz confus im Kopfe. Hier ist die Thür zur Backstube. Gute Nacht!«
»Gute Nacht!«
Es war vollständig finster in dem Raume, aber vor den Augen des Stadtrathes funkelte es in allen Regenbogenfarben. Er war so ziemlich selig, und dazu schlug die hier herrschende Wärme so bedeutend auf ihn ein, daß er das Bedürfniß fühlte, sich sofort niederzulegen.
»Die Kammer, nein, die finde ich nicht, aber der Backofen, der ist hier rechts; und wenn ich mich da hinauf lege, brauche ich mich gar nicht erst auszuziehen!«
Mit Mühe krabbelte er auf allen Vieren die Stufen hinauf und streckte sich auf die warmen Steine nieder. In kurzer Zeit zeigte ein heroisches Schnarchen, daß er eingeschlafen sei; aber die Hitze ließ ihm keine Ruhe; er wälzte sich im Schlafe hin und her, rückte dabei dem Rande des Backofens immer näher und – plumps, lag er in der Beute, in welcher im hochaufgesiebten Brodmehle der Sauerteig gährte. Ein unwilliges Brummen war die einzige Folge des weichen Falles, dann drehte sich der Schläfer einige Male von einer Seite auf die andere und schnarchte ruhig weiter.
Nach einer Weile wurde es in der hintersten Ecke auf dem Backofen lebendig; es stieg Jemand langsam und gähnend herab, um Licht anzumachen. Schmerl war es. Er hatte wachen sollen, um die spät heimgekehrten Gesellen zu wecken, war aber selbst eingeschlafen und sah nun an die Uhr.[827]
»Eine halbe Stunde zu spät! Na, das giebt wieder einige Maulschellen. Schmerl, Schmerl was bist Du für ein trauriger Kerl! Aber was hilfts? Kriegen thue ich sie einmal, drum ists am Besten, ich hole Sie mir gleich!«
Er nahm die Lampe, um nach der Kammer zu gehen, in welcher die Gesellen schliefen. An der Beute vorübergehend, warf er einen Blick hinein und fuhr erschrocken zurück.
»Himmeltausendsapperment, da liegt Einer im Sauerteige! – – – Was! Das ist ja der dicke Schimmelreiter! Wie ist denn der in den alten Trog gekommen? Na, Bonifazius, das wird Keule setzen! Wer soll denn aus der Schmiere nun Brod backen! Der arme Kerl dauert mich; er hat doch heut ein Heidenpech! Ich gäbe sonst 'was d'rum, wenns der Geizhals, der Pappermann wäre. – Aber, ob der nicht auch noch mit hineinzubringen wäre? Prügel giebts so wie so, und da ists ganz egal, ob Einer drin liegt oder Zweie. Ich muß nur 'mal lauschen, und die Gesellen mögen in Gottes Namen liegen bleiben, denn aus dem Backen wird nun doch nichts mehr!«
Sich mißmuthig hinter den Ohren kratzend, verließ er die Stube und trat vor die Hausthür. Er kam grad recht, um zwei Personen durch die Pforte treten zu sehen. Es war der Schuldirector, welcher von seiner Freundin wirklich geholt worden war.
Droben in dem Zimmer, welches Marie bewohnte, war noch Licht. Die beiden Ankömmlinge blieben stehen.
»Warum nur das Mädchen nicht schlafen geht!« wunderte sich Frau Reichmann, indem sie emporblickte.
»Sie wird doch nicht etwa gar den – den – den Hassel- oder Passel- oder Prasselmüller bei sich haben, verehrteste Frau Freundin!«
»Das wollte ich mir verbeten haben!«
»Verbeten hin, verbeten her, verehrteste Frau Freundin,« lallte der Betrunkene; »ich werde mich überzeugen!«
»Ueberzeugen? Auf welche Weise wohl?«
»Ich werde mir eine Leiter holen und auf diesen Baum steigen; da kann ich grad in die Stube sehen.«
»Dazu fehlt Ihnen das nöthige Gleichgewicht, lieber Freund!«
»Was? Glauben Sie etwa, daß ich betrunken bin? Ich bin so nüchtern, wie, wie, na, wie der Herr Schuldirector Pappermann. Also, eine Leiter!«
Ohne sich um die Gegenrede der Frau zu kümmern, taumelte er durch den Flur hinaus in den Hof, wo er am Tage eine Leiter bemerkt hatte. Diese lehnte in der Ecke und zwar in der Nähe eines Ortes, an welchem ein jeder Mensch sich zuweilen zu geheimnißvollen Zwecken einzufinden pflegt. Trotz der großen Veranlassung zur Vorsicht, welche dieser Ort einzuflößen vermag, schoß der Herr Direktor im Eifer seines Vorhabens eine Lerche schief über den Hof hinüber und sprang in Folge dessen mit gleichen Beinen und bis unter die Arme in jene dunkle Flüssigkeit, für welche der Landmann eine besondere Vorliebe hat.
»Hülfe, Hülfe – ich ersaufe – ich verbrenne – ich erfriere – ich ersticke – Hülfe, Hüüüül–fe!«
Schmerl war ihm nachgeschlichen, hatte ihn sofort beim Kragen und half ihm aus dem Syrup. Das kalte Bad und der Schreck hatten nicht etwa ernüchternd auf den Verunglückten gewirkt, sondern derselbe fiel im Gegentheile, sobald er das Trockene berührte, vollständig betäubt und besinnungslos zur Erde. Der Lehrjunge ließ ihn liegen und ergriff die Leiter, mit welcher er nach dem Vorgärtchen zurückkehrte.
»Du bists?« fragte ihn die Dame. »Wo ist denn der Herr Director?«
»Der liegt im Hofe. Da werde ich 'mal hinaufgucken!«
Ohne eine Antwort abzuwarten, legte er die Leiter an den einen Nußbaum, stieg hinauf und blickte in das Fenster.
»Nun?« fragte sie, die nicht recht wußte, ob sie ihren Freund aufsuchen oder bleiben solle. »Siehst Du etwas?«
»Freilich; sie sitzen auf dem Kanapee und haben einander beim Kopfe.«
»Geh' runter!« befahl sie ihm entschlossen. Das war's, was er wollte; im nächsten Augenblicke stand er unten und die resolute Frau stieg die Leiter hinauf, um die beiden Liebenden auf frischer That zu ertappen. Als sie ihren Blick in das Zimmer warf, fand sie dasselbe leer und bemerkte zu gleicher Zeit, sich zurückwendend, daß Schmerl die Leiter weggenommen und an den andern Baum gelegt hatte. Sie war gefangen; Franziskus Bonifazius aber kehrte leise kichernd in den Hof zurück, wo er den Betrunkenen bei den Beinen faßte und unter die Pumpe schleifte, um ihm das duftende Eeau de Cologne aus den Kleidern zu spülen. Einige Minuten lang ließ sich Pappermann den Guß gefallen, dann aber schien ihm die Besinnung langsam zurückzukehren; er grunzte einige Male höchst mißbilligend zu dem Bade und gab sich dann Mühe, auf die Beine zu kommen. Schmerl half ihm dabei nach Kräften und führte ihn dann in die Backstube. Willenlosließ sich der pudelnasse Heirathscandidat auf den Backofen schaffen und war bald in einen unruhigen Schlaf geschlafen.
Nun lauschte Schmerl nach seiner Gefangenen. Diese verhielt sich vollständig ruhig; sie überlegte sich wohl, daß sie fürchterlich blamirt sei, wenn sie Lärm mache, und glaubte zuversichtlich, daß der Junge die Leiter ganz von selbst wiederbringen werde. Dieser aber schlich sich an die Thür Reichmanns, an welche er leise klopfte. Der Particulier war noch nicht zur Ruhe gegangen und öffnete.
»Was willst Du?« fragte er.
»Herr Reichmann, es ist ein Spitzbube in den welschen Nüssen.«
»In den Nüssen? Die sind ja noch nicht ganz reif!«
»Wenn auch; er ist aber doch droben auf dem Baume.«
»Aber wie ist er denn hinauf gekommen? Die Bäume sind doch so dick, daß kein Mensch hinauf oder herunterklettern kann.«
»Er hat sich die Leiter geholt. Aber ich habe sie ihm weggenommen, und nun kann er nicht herunter. Sie lehnt an dem andern Baume.«
»Das hast Du gescheidt gemacht! Gewiß ist's derselbe Kerl, der gestern in den Rettigsbirnen war. Ich werde mir Hülfe holen, und den Menschen fangen.«
»Hülfe? Es ist kein Mensch da; sie sind alle noch auf der Vogelwiese.«
»So?« meinte Reichmann, der in Folge seines gestrigen Abenteuers nicht gesonnen war, eine zweite Rutschparthie zu machen. »Na, ansehen werde ich mir ihn doch. Ich steige auf den andern Baum, und da kann er mir ja Nichts anhaben. Komm!«
Gesagt, gethan. Unten angekommen, erblickte er ganz deutlich den Nußdieb zwischen den Zweigen und stieg, ohne ein Wort zu sagen, die Leiter hinan. Sobald er zwischen den Aesten festen Fuß gefaßt hatte, begann er das Verhör.[828]
»Heda, guter Freund, wer sind wir denn?«
»Halt's Maul!« tönte es leise aber barsch zurück; sie hatte ihren Eheliebsten sofort an der Stimme erkannt. »Schaffe mir die Leiter her, daß ich hinunter kann!«
»Wa–wa–wa–waaaas?« klang es aus dem Munde Reichmanns, und wenn es heller gewesen wäre, hätte man sehen können, wie er vor Verwunderung fast nach Luft schnappte. »Du bist's, Milchen? So Etwas ist doch selbst dem großen Liegel nicht passiert, der Apotheker in Braunau war und die schönen Auf – – –«
»Halts Maul, sage ich, mit Deinem ewigen Liegel und sorge, daß die Leiter bald herkommt, sonst falle ich hinunter. Ich habe den Wadenkrampf schon in allen beiden Beinen!«
»Gleich, gleich, Milchen! Der Wadenkrampf ist gefährlich!« Er machte Anstalt, wieder herunter zu steigen, fand aber zu seinem Schrecken, daß die Leiter fehlte. »Da hat der Racker von einem Jungen die Leiter fortgenommen! Der will mich auswischen für die Hummelkeile, die er bekommen hat. Na, warte nur, es soll noch besser kommen!«
»Brülle doch nicht so laut, daß man's zehn Häuser weit hört. Wenn die Nachbarn aufwachen und uns sehen, sind wir blamirt für alle Ewigkeit.«
»Das ist wahr. Und da soll man dem Sapperlot wohl auch noch gute Worte geben? Wenn er nur wenigstens bald wieder käme!«
Schmerl aber dachte jetzt nicht an's Wiederkommen. Er öffnete leise die Thür zur Backstube und vernahm ein eigenthümlich klatschendes Geräusch, welches von grunzenden pustenden und schnarchenden Tönen begleitet wurde. Trotz der zu erwartenden Prügel mußte er fast laut auflachen.
»Der Pappermann ist auch heruntergerollt, und nun wälzen sie sich mit einander im Teige herum. Na, wird das ein Eierkuchen!«
Ein leises Geräusch an der Hofthür ließ ihm vernehmen, daß Julius und Marie aus dem Garten zurückkehrten, in welchem sie bisher gewesen waren; er rief den Ersteren zu sich und theilte ihm heimlich mit, wen er auf den Bäumen gefangen habe. Der junge Mann lachte herzlich über den Streich und veranlaßte das Mädchen, ihn mit nach ihrem Zimmer zu nehmen. Droben angekommen, bog er sich zum Fenster heraus.
»Guten Morgen, meine beste Frau Reichmann! Wie geht's?«
Die Angeredete schwieg, theils vor Wuth, theils aus Scham; aber von dem andern Baume her ließ sich eine klagende Stimme vernehmen:
»Herr Passelmüller, bitte, legen Sie uns doch die Leiter an! Meine Frau hat den Wadenkrampf, und ich kann mich hier kaum mehr erhalten; der alte Nußbaum biegt und schüttelt sich hin und her grad als ob er Einen zu viel getrunken hätte. Mir ist ganz jämmerlich Muthe.«
»Gut, ich wills thun! Aber eine Liebe ist der andern werth: Sie geben mir die Marie, und ich bringe die Leiter.«
»Ja, das geht nicht; die Marie habe ich den Stadtrath versprochen.«
»Dem Stadtrath?« fiel seine schöne Hälfte ein; »das sollst Du nur wagen! Hier bin ich Herr im Hause und –«
»Freilich, freilich,« unterbrach sie Julius; »es wird auch kein Mensch bestreiten, daß Sie da draußen Herr im Hause sind, sonst aber habe ich jetzt hier zu kommandiren. Also, die Marie, oder ich lasse Sie sitzen bis die Reveille geblasen wird, und dann bekommen Sie ein Ständchen, wie es nicht besser sein kann.«
»Nimmermehr! Die Marie bekommt der Herr Pappermann.«
»Wie Sie wollen!« Er trat vom Fenster zurück und setzte sich zu dem Mädchen, welches vor Angst zitterte und ihn vergeblich bat, die Eltern zu befreien. – Es verging eine geraume Zeit; draußen wurde es hell und heller; da rief es wieder bittend:
»Julius! Kommen Sie doch 'mal her!«
»Nun?« fragte der Gerufene, an's Fenster tretend.
»Sie sollen das Mädchen haben, aber holen Sie rasch die Leiter! Wenn der Baum so fortwackelt, so falle ich noch herunter und breche Hals und Beine.«
»Gleich, Herr Reichmann!« Mit lobenswerther Schnelligkeit begab sich der Sprecher nach unten, wo er den listigen Schmerl schon im Begriffe fand, die Leiter anzulegen. Reichmann stieg taumelnd herab. Seine Frau raisonnirte wie ein Rohesperling, daß er gegen ihren Willen capitulirt habe, und so wurde sie in den Zweigen gelassen, während sich die beiden Männer in das Haus begaben. – – – Nach einiger Zeit erschollen von der Vogelwiese her die Klänge eines Marsches; die Schützen waren im Anzuge. Milchen befand sich in einer schauderhaften Lage. Sie wußte, daß das ganze Corps hier vor dem Hause halten würde, und was dann geschah, wenn man sie entdeckte, das konnte sie sich lebhaft vorstellen, aber sich um einen solchen Preis loskaufen, das war eine zu große Zumuthung. Sie kämpfte mit sich selbst und konnte nicht eher zu einem Entschlusse kommen, als bis sie die Trommeln und Blasinstrumente von Weitem blitzen sah. Das gab den Ausschlag:
»Herr Passelmüller! – Herr Passelmüller!« rief sie ängstlich.
»Nun?« frug der Gerufene zum Fenster heraus.
»Rasch, rasch, ich will herunter; sie kommen schon!«
»Und Marie?«
»Nehmen sie sie in des Teu – – in Gottes Namen!«
Im Nu war er hinunter, legte die Leiter an und half ihr beim Absteigen. Es war die höchste Zeit, denn der Zug befand sich schon in unmittelbarer Nähe und machte dann vor dem Hause halt. Hier wurde dem Hauptmann Passelmüller ein dreimaliger Tusch gebracht, dessen Klänge so laut in die Backstube drangen, daß die beiden Teigschnarcher erwachten. Die Musik hören und mit beiden Beinen zugleich aus der Beute fahrend, war das Werk nur eines Augenblickes, und da die Läden geschlossen waren, so bemerkten sie ihren Nudelüberzug nicht, sondern rannten spornstreichs hinter einander durch den Flur hinaus in den hellen lichten Morgen.
Kein Mensch vermag das Halloh zu beschreiben, welches ihnen ertönte; Tusch erscholl auf Tusch, Hoch auf Hoch, aber der arme Schmerl kam dabei am schlechtesten weg. Die Gesellen waren erwacht und kamen halb angekleidet herbeigelaufen. Einen Blick auf die Teigabenteurer und in die Beute machte ihnen den Vorgang klar, und sofort warfen sie sich auf den unglücklichen Bonifazius, welcher unter lauten Demonstrationen seine Prügel so lange in Empfang nahm, bis ihn Julius befreite.
Unter den Klängen der schmetternden Musik und der wirbelnden Trommeln verschwand er, sich den Buckel reibend, im Hause.[829]
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