1.

[271] Der Obermüller konnte den Niedermüller nicht leiden und der Niedermüller war dem Obermüller nicht gut, das hatte seine guten Gründe. Die Obermühle war bis vor zehn Jahren die einzige Mühle im Thale gewesen, und ihr Besitzer hatte sich recht gut dabei gestanden; da war der jetzige Niedermüller gekommen, hatte seine neumodische Klapper an den Bach gesetzt und dem Obermüller die Mahlgäste weggenommen. War das etwa schön von ihm? Der Obermüller wenigstens hielt es ganz für das Gegentheil, zumal er den theuern Prozeß verlor, den er anstrengte, um sich seines Concurrenten zu erwehren. Dieser aber war ein durchtriebener Pfiffikus, lachte sich Eins in's Fäustchen und hatte seine Freude über den Aerger seines nun mehr und mehr verarmenden Berufsgenossen.

Doch die zwischen den beiden Männern herrschende Antipathie hatte noch einen andern Grund. Der Obermüller war nämlich ein ächtes, braves Rheinlandskind und konnte es nicht verwinden, daß unser schönes Vaterland unter dem Drucke der französischen Herrschaft seufzte, seiner besten Kräfte beraubt wurde und seine reichen Hilfsquellen nach und nach versiechen sah. Der Niedermüller aber war von der obermoseler Gegend herabgekommen, wo man heimlich nach Frankreich hinüber zu schielen pflegte, und kannte keinen andern Herrgott, als den großen Bonaparte, der den Muth gehabt hatte, seine gewaltige Hand nach ganz Europa auszustrecken. Zwar hatte er eine Tochter, der wegen ihrer Schönheit, Sittsamkeit und Herzensgüte, vielleicht auch wegen des zu erwartenden Erbes die Jungburschen alle im Wege herumliefen, aber das machte doch die Sache nicht anders, vielmehr steigerte sich die Abneigung des Obermüllers um ein Bedeutendes, als er bemerkte, daß sie es seinem Franz auch angethan hatte, der des Abends um die Niedermühle strich und am Tage vor lauter Zerstreuung statt des zu mahlenden Getreides den Kartoffelsack in den »Rumpf« ausleerte.

Auch heut hatte er allerlei Ungebürlichkeiten, die sonst gar nicht in seiner Art lagen, begangen, und als es nun Abend geworden war, fuhr er mit den Armen in das Sonntagsnachmittagswamms und schickte sich zum Fortgehen an.

»Wo willst Du hin, Franz?« frug der Vater mit jenem unzufriedenen Tone, der jetzt öfters bei ihm zu hören war.

»Hinunter in's Dorf; es giebt heute Tanz.«

»Wirst aber wohl nicht ganz hinunterkommen!«

»Warum?«

»Weil Dir die Niedermühle im Wege liegt.«

»So gehe ich an ihr vorbei.«

»Oder bleibst ein Wenig stehen, bis die Anna herauskommt.«

Franz erröthete.

»Soll ich etwa vor ihr ausreißen, Vater?«

»Nein, das ist nicht nothwendig; aber Du weißt, daß ich das fremde Volk da unten nicht leiden mag. Der Niedermüller ist ein Franzosenfreund; er hat uns um unser Brod gebracht und ist schuld, daß wir Tag für Tag unser Leben wagen müssen, wenn wir nicht verhungern wollen. Die Anna mag gut sein, aber Du kannst schon noch eine Andere bekommen!«

»Aber ich mag keine Andere, Vater! Wir haben uns lieb, und Du würdest ihr gewiß auch gut sein, wenn Du sie so kenntest, wie ich sie kenne. Sie spricht gar herzig von Dir und der Mutter und möchte gern an Euch gutmachen, was ihr Vater Ungutes an Euch gethan hat.«

»So!« meinte der Müller nachdenklich und seine Stimme klang um ein Beträchtliches milder. »Sie hat mich allerdings immer freundlich gegrüßt, wenn ich ihr begegnet bin, weiter aber kenne ich sie nicht. Was sagt denn ihr Vater dazu?«

»Der weiß noch Nichts davon. Er will, sie soll den Douanenlieutenant Jambrieu nehmen, der in St. Goar stationirt ist.«

»Siehst Du! Wenn die Anna so denkt, wie Du sagst, so möchte es meinetwegen möglich sein, daß ich einmal Ja sage, aber der Alte wird es nimmermehr zugeben, daß sie den Sohn seines Todfeindes heirathet. Such' Dir also eine Andre! Du bist durch ganz Deutschland gewandert und auch mehrere Jahre in Frankreich gewesen, und wer so viel gesehen und gelernt hat, der bekommt schon eine Frau!«

Der Sohn antwortete nicht, sondern nahm die Mütze zur Hand und schritt nach der Thür. Er hatte dieselbe schon geöffnet, als hinter ihm die Weisung ertönte:

»Punkt Elf bist Du wieder daheim! Es giebt heut ein gutes Geschäft, und um Zwölf müssen wir über das Wasser sein. Wir haben Neumond, so daß uns nicht leicht Jemand sehen wird, und wenn uns der Zufall nicht die ganze Zollwache auf den Hals führt, so stecken wir ein schönes Geld in die Tasche. Mit Einem oder Einigen nehmen wir es schon auf.«

»Ists viel, was wir zu laden haben?«

»Mehr als gewöhnlich, und darum wird auch die Gesellschaft voll beisammen sein. Vielleicht wird es gar an Fahrzeugen fehlen.«

»So nehmen wir den Kahn des Niedermüllers dazu. Anna wird mir den Schlüssel dazu geben.«

»Weiß Sie denn, daß – – –?«

»Ja, sie weiß es. Sie ist ganz zufällig dahinter gekommen, und ich konnte nicht leugnen. Aber Ihr Andern braucht keine Sorge zu haben; ich habe es ihr nur von mir gestanden!«[271]

»So! Und sie hat Nichts verrathen? Das ist brav von dem Mädchen!« sagte der Vater. »Ich sehe nicht ein, warum die Einen den Zucker und Kaffee theurer bezahlen sollen als die Andern, und zwar blos deshalb, weil Herr Napoleon einen Grenzstrich zwischen sie gezogen hat.«

»Soll ich also den Kahn nehmen?« fragte der Sohn.

»Ja; nur nimm Dich in Acht, daß der Alte Nichts merkt! Du brauchst da gar nicht wieder zur Obermühle zu kommen, sondern kannst gleich hinüber rudern. Du weißt ja, wo wir zu treffen sind!«

Franz ging. Er war ein rüstiger, straffer und auch hübscher Bursche, dem ein Mädchen schon gut sein konnte; das wußte die Anna am Allerbesten, und darum lehnte sie bereits seit einer Viertelstunde am Gartenzaune und horchte in die stille Nacht hinaus, ob sich der bekannte Schritt des heimlich Geliebten nicht bald vernehmen lassen wolle. –

Quelle:
Die Kriegskasse. Eine kleine Episode aus einer großen Zeit von E. Pollmer. In: Frohe Stunden. 2. Jg. Dresden, Leipzig (1878). Nr. 18, S. 286.
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