I.

Der Werber

[11] Die Dorfstraße herauf kam ein alter Kerl gegangen, dessen Aussehen nicht eben sehr empfehlend genannt werden konnte. Er trug ein Paar alte, beschmutzte Drellhosen und eine schwarze Kutte, über deren Kragen ein roth und gelb getüpfeltes Halstuch geschlungen war, dessen zwei Zipfel bis über die breite Brust herabhingen. Die grob gearbeiteten Knöchelschuhe an seinen Füßen hatten sicher schon seit Monaten weder Wichse noch Schmiere gesehen; der Zopf, welcher ihm am hintern Theile des Kopfes hing, war zersaust, vielleicht[11] vom Streichen durch dichten Wald und Busch; der riesige Dreispitz auf seinem Haupte hatte sichtlich schon manchen Krawall miterlebt, und der stark mit Eisen beschlagene Knotenstock in seiner Hand trug nur dazu bei, den martialischen Eindruck der ganzen Persönlichkeit zu erhöhen.

Bei einem Hause angekommen, über dessen Thür die Inschrift »Erbschenke zum wilden Mann« zu lesen war, bog er auf dasselbe ein und trat in die niedrige, verräucherte Gaststube, wo er außer der Wirthin einen Mann bemerkte, welcher die hinterste Ecke eingenommen hatte.

»Guten Morgen, Alte,« grüßte er mit tiefer Baßstimme, »gebe Sie mir einem Genêvre!«

»Scheneber? Den haben wir nicht. Ich denke, ein Kornschnaps wird auch gut genug für Ihn sein,« antwortete sie, einen geringschätzenden Blick auf seine staubbedeckte Gestalt werfend.

»So? Meint Sie das wirklich? Ja, Sie scheint eine fürchterliche Weisheit zu sein, das sieht man ja gleich an Ihrer allerliebsten Gurkennase, auf der die Warzen sitzen wie die Blattläuse am Sauerampfer! Aber Genêvre hat Sie doch, Sie alte Lügnerin. Her damit!«

Die Frau ließ ein zorniges Schnaufen durch die soeben beschriebene Nase vernehmen.

»Was bin ich, und wie nennt Er mich, Er Grobsack und Landstreicher? Eine Lügnerin? Will Er mir das wohl gleich beweisen, he?«

»Halte Sie Ihr Plapperment, sonst schlage ich Ihr den Grobsack um die Flattusenhaube, daß Ihr der Landstreicher in alle Ewigkeit vor den Augen flimmert! Steht etwa dort auf der Flasche nicht groß und deutlich genug ›Wachholder‹ geschrieben?«

»Ja, Wachholder, aber doch nicht Scheneber, oder wie Sein albernes Zeug heißen soll!«

»Da sperre Sie einmal den Mund auf und merke Sie sich das, was ich Ihr sagen werde!«

Er faßte sie bei beiden Schultern und brüllte ihr mit einer wahren Donnerstimme in die Ohren:

»Wachholder und Genêvre ist ganz ein und dasselbe! Hat Sie es kapirt, he? Und nun schenke Sie ein, sonst bewachholdere ich Sie, und das gehörig!«

»Herrjesses, hat der Mensch eine Stimme! Das ist ja grad, als hätte man es mit Löwen und Elephanten zu thun! Will Er denn einen Großen oder einen Kleinen?«

»Nehme sie den Stamper da oben herunter; aus Ihren Finkennäpfen trinke ich nicht!«

»Den Stamper dort? Ja, der kostet zwei gute Groschen. Hat Er Geld?«

Sein Auge blitzte halb zornig und halb belustigt auf.

»Will Sie mir wohl nun endlich einmal den Schnaps geben, oder soll ich nachhelfen!«

Diese Worte waren nicht sehr laut aber in einem eigenthümlichen Tone gesprochen, welcher kein weiteres Zögern zuließ. Die Wirthin schenkte das Glas voll und stellte es vor ihn hin.

»So, da! Er ist ein Grobian erster Sorte. Ich glaube kaum, daß sich der alte Dessauer mit Ihm messen kann, und der hat's doch gewißlich weg!«

»Ah, hat der's wirklich weg! Hab viel von ihm gehört; möchte ihn nur auch 'mal sehen!«

»Na, da behüte mich der liebe Gott, dabei zu sein! Da würden die Grobheiten niederprasseln wie ein Hagelwetter. Ihr Zwei paßt gut zusammen.«

»Meint Sie? Hat Sie ihn denn schon gehört?«

»Nein. Ich habe ihn blos einmal von Weitem gesehen und bin auch ganz froh, daß er mir noch nicht zu nahe gekommen ist. Wer ist Er denn eigentlich, he?«

»Das geht Sie den Teufel an. Aber rathe Sie doch einmal! Für wen oder was hält Sie mich?«

»Hm, Unsereins kennt seine Leute und wenn sie auch einmal in einem andern Rocke stecken. Euer Schnurrbart und der Soldatenzopf, die verrathen Euch. Ihr seid ein Unteroffizier und geht auf den Rekrutenfang.«

»Alle Wetter, Alte, ist Sie scharfsinnig! Na, wenn ich mich so schlecht verstellen kann, so werde ich verteufelte Geschäfte machen.«

Der Mann in der Ecke horchte auf. Seine schmale, niedere und zurückgebogene Stirn, welche in eine speckartig glänzende Glatze verlief, die weit auseinander stehenden kleinen, stechenden Augen, die scharf geschnittene Habichtsnase, die dünnen, bartlosen Lippen und das kurze, spitze Kinn, in welches sein Gesicht verlief, gaben demselben etwas entschieden Raubvogelähnliches, was durch den Ausdruck der Salbung, der auf seinen Zügen lag, eher vermehrt als vermindert wurde.

Als jetzt die Wirthin die Stube verließ, erhob er sich von einem Platze und trat herbei.

»Ist es erlaubt, bei Euch Platz zu nehmen?«

»Ich werde Ihn nicht fressen!«

»Es ist nicht gut, so allein zu sitzen; ich liebe die Langeweile nicht.«

»So mache Er sie sich kurz!«

»Ihr seid Werber?«

»Hm, ja, wenn ich es richtig nehme. Warum?«

»Weil ich Euch dann noch etwas zu fragen hätte.«

»So frage Er!«

»Sieht Er diesen Gulden hier?«

»Hält Er mich etwa für blind? Er reckt ihn mir ja weit genug unter die Nase her.«

»Diesen Gulden kann Er sich verdienen.«

»Ah! Womit?«

»Mit einer Auskunft, die Er mir giebt.«

»Worüber?«

»Ueber einen Mann, den ich suche.«

»Wer ist's?«

»Ein Schwindler und Betrüger, der sich für den Grafen Arthur von Hellbach ausgiebt.«

»Ist mir noch nicht begegnet; kenne überhaupt die Hellbachs gar nicht!«

»So! Dann hat er sich wohl einen andern Namen beigelegt. Ich bin sehr genau unterrichtet, daß er sich hier unter die Soldaten stecken will.«

»Ist nicht geschehen; würde ihn sonst kennen, denn ein neuer Offizier spricht sich schnell herum.«

»Offizier ist er jedenfalls nicht, denn da hätte er sich beim Fürsten melden und seinen wahren Namen sagen müssen. Er ist sicher als Gemeiner unter die blauen Lumpen gegangen.«

»Wohin? Unter die blauen Lumpen? Wird Er mir wohl sagen, wen Er unter diesen blauen Lumpen versteht?«

»Das könnt Ihr Euch wohl denken!«

»Nein. Heut ist Sonntag, und Sonntags habe ich mir all mein Lebtage nichts Gescheidtes denken können. Also heraus damit!«

»Es bleibt drin, denn Ihr seid Werber, und ich will Euch nicht beleidigen.«

»Das will ich Ihm auch gerathen haben, Er Himmelhund! Was hat es denn eigentlich mit Seinem Arthur von Hellbach für eine Bewandtniß, he?«

»Das ist ein Geheimniß.«

»So behalte Er es für sich! Warum aber zerbricht Er sich denn erst das Maul darüber?«

»Na, Euch könnte ich es schon anvertrauen, denn wenn Ihr noch nichts von ihm gehört und gesehen habt, so ist es doch möglich, daß Ihr ihm noch begegnet. Die Hellbachs sind nämlich österreichisch und eine sehr reiche Familie, welche in zwei Linien getheilt war, von denen die eine vor Jahreszeit ausstarb. Das Erbe ist also auf die andere übergegangen. Der verstorbene Hellbach war unverheirathet, und dennoch meldete sich nach seinem Tode ein Mensch, welcher sich für seinen Sohn ausgab und Anspruch auf die Hinterlassenschaft erhob. Natürlich wurde er als Betrüger hinter Schloß und Riegel gebracht, zerbrach aber die Eisenstäbe vor dem Fenster seines Gefängnisses und entkam. Er wurde zwar von einer aus sechs Mann bestehenden Patrouille erwischt, doch war es derselben unmöglich, ihn zu halten. Vier Mann schlug er nieder, und die andern zwei salvirten sich.«

»Sechs Mann? Und die Eisenstäbe zerbrechen? Das muß ja ein ganz sakerment'scher Schlingel sein!«

»Ja, er ist ungeheuer stark. Seine Spur blieb lange Zeit verloren, bis man sie in Sachsen wiederfand. Er ist jetzt hier im Lande und geht ganz sicher unter die Soldaten, um sich unter dem bunten Rock zu verbergen. Ihr habt mir zwar keine Auskunft geben können, aber hier ist der Gulden; er soll Euer sein, denn ich denke, daß wir einander wiedersehen werden, wo Ihr mich dann vielleicht besser berichten könnt.«

»So also ists gemeint! Habe ich denn wirklich eine so armselige Physiognomie, daß Er mir zutraut, Seinen Spion zu machen? Er ist wohl ein Wiener Polizist? Da nehme Er sich nur ja in Acht, daß Er nicht selbst bei der Parabel genommen wird, denn der Dessauer leidet kein solches schleichendes Gewürm in seinem Lande.«

»Falsch gerathen! Wäre ich ein Polizist, so würde ich mich an die Behörde wenden.«

»Na, was hat Er denn sonst für ein Metier? Heraus damit!«

»Ich bin Seifensieder.«

»So, i der Tausend! Was hat da Seine Seife mit den Hellbachs zu thun?«

»Mein Bruder ist Kammerdiener in der Familie; daher kenne ich die Angelegenheit.«

»Hm, ja, ja! Stecke Er Seinen Gulden nur immer wieder[12] ein; ein Seifensieder hat nichts zu verschenken, und trolle Er sich ja schleunigst von dannen, sonst richtet Er sich eine Lauge an, die Ihn in die Finger beißt!«

Er zog einen wohlgefüllten Leinwandbeutel aus der Tasche und wandte sich zu der wieder eintretenden Wirthin.

»Hier hat Sie Ihre zwei guten Groschen; aber das Zeug ist der reine Fusel und keinen Heller werth; hol's der Teufel, und Sie dazu!« – Er verließ die Schenke. Unweit derselben stand die Kirche. Eben läuteten die Glocken zum Beginn des Gottesdienstes. Er trat ein und nahm in einem Stuhle gegenüber der Kanzel Platz. Die nach und nach anlangenden Kirchenbesucher hielten ihre Augen mit ganz absonderlicher Neugierde auf ihn gerichtet; sein Habitus paßte zu wenig in die sonntägliche Umgebung, in welcher er sich befand.

Das erste Lied war bereits gesungen, ohne daß er sich an dem Gesange betheiligt hatte. Da kam eine dicke, vierschrötige Bauerngestalt langsam herbeigeschritten und blieb vor ihm halten.

»Das ist mein Platz!«

»So? Schön, gut!«

»Weg also mit Ihm!«

»Ja, weg mit Ihm!«

»Hat Er mich verstanden?«

»Vollständig.«

»Nun, so packe Er sich.«

»Nein, ich packe Ihn!«

Er erhob sich, faßte den Mann bei den Schultern und drückte ihn mit solcher Nachhaltigkeit auf den Nebensitz nieder, daß dieser in allen Fugen krachte.

»So, da hat Er einen Sitz. Der Seinige ist jetzt mein, wie Er sieht!«[13]

Der Zurechtgewiesene hielt es um des Kirchenfriedens willen für gerathen, sich zu fügen. Er nahm sein Gesangbuch vor und schlug das eben begonnene Lied auf. Es war das bekannte »Ein' feste Burg ist unser Gott.« Kaum aber hatte er das Buch vor sich hingelegt, so griff der Fremde darnach.

»Gebe Er her! Seine Stimme wird ja so nicht viel taugen.«

Er warf sich in Positur, strich sich den gewaltigen Zwickelbart zurecht und fiel mit einer Stimme ein, welche donnerähnlich den Gesang und die Orgelbegleitung überschallte. Die Folge davon war eine ebenso augenblickliche wie ungewöhnliche: die Gemeinde schwieg, und der Organist fuhr empor, als ob ihn eine Natter gestochen hätte. Die Donnerstimme sang nämlich das Lied nicht nach der bekannten Kirchenweise, sondern nach der Melodie des Dessauer Marsches »So leben wir, so leben wir, so leb'n wir alle Tage, bei der allerschönsten Saufkompagnie.«

Der Organist winkte, die Umsitzenden lachten – doch das war vergeblich, denn je größeres Aufsehen sein Gesang erregte, desto lauter ertönte seine Stimme, und selbst als der Orgelspieler alle Register zog und die Melodie mit vier Manualoktaven und doppeltem Pedale unisono intonirte, war der fürchterliche Baß noch deutlich zu hören nach der Melodie »des Mittags bei dem Branntewein, des Abends bei dem Bier.«

Da kam der Küster, vom Pfarrer gesandt, herbeigeeilt und gebot ihm Schweigen. Auch das war vergeblich; er sang weiter, mit einer wahren Wollust im Gesichte und einer Miene, welche verrieth, daß er sich durch nichts stören lassen werde. Es gab nur ein Mittel, ihn zum Schweigen zu bringen: der Prediger mußte die Kanzel besteigen und seinen Vortrag beginnen.

Er that es. Nach der gebräuchlichen Einleitung kam er zum Thema, welches nicht in einem Bibelworte, sondern in dem Verse bestand:


»Die Sünd' ist mächtig, und ihr Fürst

Droht aller Welt Verderben,

Weil er nach unsern Seelen dürst't,

Der Höll' sie zu vererben.«


Der Fremde hatte sich beim Beginne der Rede niedergesetzt, jetzt aber fuhr er in die Höhe und blickte mit funkelnden Augen zur Kanzel empor. Was bisher eine reine Unmöglichkeit gewesen war, die Einmischung eines Kirchgängers in die Predigt, es geschah:

»Halt, Ruhe, nicht weiter gemuxt!« erklang der lautschallende Befehl. »Wie kann Er es wagen, von der Kanzel herab gegen Seinen Fürsten zu rebelliren! Was sagt Er, was ich thue? Ich drohe aller Welt Verderben? Ich dürste nach Euern Seelen? Ich will sie in die Hölle spediren? Er ist abgesetzt, abgesetzt auf der Stelle und wird krummgeschlossen, daß es knackt! Die Kirche ist aus; packt Euch nach Hause!«

Hätte der Blitz mitten in die Versammlung hineingeschlagen, der Schreck wäre nicht größer gewesen als das Entsetzen, welches jetzt auf allen Gesichtern zu lesen war. Der Pfarrer faßte sich zuerst.

»Wer ist Er?«

»Wer ich bin? Donner und Doria, ich glaube gar, er kennt nicht einmal Seinen – ja so, Er stammt aus Sachsen, wurde vom Konsistorialrathe eingesetzt und ist erst eine Woche im Amte; Er kann mich also nicht kennen! Ich heiße Leopold, versteht Er mich? Fürst Leopold von Anhalt-Dessau und so weiter. Ich werde Ihn lehren, mich in der Kirche vor meinen Unterthanen zu schimpfiren! Steige Er herab; mit Ihm ists Matthäi am Letzten!«1

Der Geistliche hatte von den Eigenthümlichkeiten des Fürsten gehört; er wußte auch, daß dieser nur eine einzige Melodie zuwege brachte und alle möglichen Lieder nur nach dieser sang – den Dessauer Marsch. Er begriff die Situation und entgegnete daher:

»Mit dem ›Fürsten‹ waren doch nicht Ew. Durchlaucht gemeint.«

»So? Wer denn, wenn ich fragen darf?«

»Der Teufel.«

»Der Teu – –« Das Wort blieb dem alten Knasterbart im Munde stecken; er stand mit weitgeöffneten Lippen da und staunte über sich selbst. »Alle Wetter, habe ich da einen Schnitzer gemacht! Es ist ja wahr, daß Ihr Pastoren den Satanas mit solchen Titeln beehrt, die der Kerl gar nicht verdient! Na, da bleibe Er also oben und fahre Er in Seiner Rede fort. Ich habe Ihn nicht selbst installirt und bin also gekommen, um zu sehen, ob Er Seine Sache versteht. Also vorwärts, weiter!«

Er setzte sich wieder nieder und beachtete nicht die erstaunten und verwunderten Blicke, welche die anwesende Versammlung auf ihn warf.

Der Pfarrer setzte seine unterbrochene Predigt fort. Er war ein junger Mann, der sich in die gegenwärtige Lage gut zu schicken wußte. Er bemühte sich, den kräftigen Anschauungen seines hohen Patrones gerecht zu werden, und dies gelang ihm so vollständig, daß die strengen Züge des Fürsten einen immer befriedigteren Ausdruck annahmen, der am Schlusse der Rede in ein höchst beifälliges Kopfnicken überging. Der darauf folgende Theil des Gottesdienstes verlief ohne weitere Störung. Nach Beendigung desselben winkte Leopold den Organisten zu sich.

»Trete Er einmal hierher; so! Wie hoch beläuft sich Sein Gehalt?«[14]

»Vierzig Gulden für die Schule und fünfzehn für das Orgelspielen.«

»Das ist zu wenig für so einen Spielmann, wie Er ist. Er hat Seine Sache besser gemacht als Alle, die ich bisher gehört habe.

Die Orgel hat ja förmlich Zetermordio gebrüllt, und Seine Begleitung meiner Stimme ist ganz unvergleichlich gewesen. Ich glaube, ich habe noch nie so schön gesungen wie heut. Aber Seine Gemeinde ist nicht weit her; das Volk hat dagesessen und zwar das Maul aufgerissen, aber gesungen hat Keiner. Er muß eine bessere Stelle haben. Melde Er sich bei mir, so bald Er von einer Vakanz hört. Hier hat Er etwas!«

Er zog den Beutel und drückte ihm ein Goldstück in die Hand.

Der Mann war fast noch mehr erstaunt als erfreut, eine Belobigung zu erhalten, wo er gerade das Gegentheil erwartet hatte. Die Musik war eine der schwächsten Seiten des Fürsten, der so wenig Tongehör besaß, daß ihn die fürchterliche Dissonanz zwischen seiner Stimme und der Orgel ganz außerordentlich angesprochen hatte.

Nun trat er in die Sakristei, welche der Pfarrer noch nicht verlassen hatte.

»Höre Er, ich bin ganz zufrieden mit Ihm. Er hat den richtigen Schick, es den Leuten an das Herz zu legen. Und damit Er sieht, daß ich das zu würdigen weiß, werde ich mich bei Ihm zu Mittag laden. Er hat doch eine Frau?«

»Allerdings, fürstliche Durchlaucht. Ich fühle mich glücklich bei so hoher Ehre, doch weiß ich nicht, ob unsere einfache Küche – – –«

»Papperlapapp!« fiel ihm Leopold in die Rede; »ich verlange keine indischen Schwalbennester und keine amerikanischen Bärentatzen; ein Stück Fleisch mit Gemüse oder meinetwegen auch eine Schüssel Hirsebrei ist gut genug. Rechts um; vorwärts marsch in die Pfarre!«

Als sie ankamen, stand die Pfarrerin eben vor dem Herde und schlug Eier in die Pfanne.

»So ists recht,« meinte der Fürst; »zähle Sie getrost ein Dutzend mehr hinein. Was kocht Sie denn dazu?«

»Gebackene Pflaumen.«

»Donnerwetter, das ist mein Leibgericht, das mir die Anneliese wöchentlich wenigstens einmal vorsetzen muß. Ihr Leute von der Geistlichkeit habt keinen schlechten Geschmack!«

Das dralle, nette Weibchen war nicht wenig erstaunt über die ungenirte Weise, mit welcher sich dieser fremde Mann einführte, und sah den Pfarrer fragend an.

Dieser beeilte sich, das Versäumte nachzuholen.

»Liebe Frau, unserem Hause widerfährt heute eine ganz absonderliche Gnade und Ehre. Unser hoher Gast ist – – –«

»Schnickschnack!« unterbrach ihn Leopold. »Ich bin der Dessauer und habe Hunger, weiterer Worte bedarf es nicht.«

Jetzt erschrak die Frau auf das Heftigste.

»Mein Gott, ists möglich! Da mögen Ew. Durchlaucht nur Nachsicht üben, wenn mein Essen – – –«

»Still! Ruhe! Nicht gemuxt! Leckereien mag ich nicht, aber wenn Sie mir Etwas vorsetzt, so muß es genug sein, denn ich schlage keine üble Klinge. Spute Sie sich; ich habe nicht lange Zeit und werde in der Stube warten, bis angerichtet ist.«

Der Pfarrer folgte ihm in das Zimmer.

»Er ist ein Sachse, wie ich gehört habe?«

»Ja.«

»Woher?«

»Aus Dresden.«

»Ah, wo meine guten Freunde wohnen, der Kukuk mag sie reiten! Ich werde schon noch einmal über sie kommen, darauf kann Er sich verlassen! Wie ich hörte, war Er bisher Erzieher?«

»Beim Grafen von Glachau, Durchlaucht.«

»Warum hat Er diese Stelle quittirt?«

»Der Graf starb als Wittwer, und die beiden Kinder, ein Sohn und eine Tochter, kamen unter die Vormundschaft des Ministers von Brühl, mit dem ich nichts zu thun haben mochte.«

»Höre Er, da ist Er mein Mann! Ich mag den Kerl auch nicht leiden. Aber warum wandte Er sich denn gerade in das Dessauische?«

»Ew. Durchlaucht Gesandter, Geheimerath von Raumer, ist mir verwandt. Von ihm erhoffte ich eine Anstellung, die mir auch geworden ist.«

»Da hat Er einen gar wackern Vetter, und ich werde ihm meine Anerkennung ausdrücken dafür, daß er mir einen so guten Kanzelredner in das Land gezogen hat. Ich bin mit Ihm zufrieden, denn Er spricht, wie Ihm der Schnabel gewachsen ist, und redet keinen solchen frommen Syrup, wie man ihn von den meisten Geistlichen zu schlucken bekommt. Wer nicht an die Bibel glaubt, der ist ein Hundsfötter, den man hängen sollte, aber deshalb braucht man nicht zu himmeln und die Augen zu verdrehen, als ob sie in einem Leierkasten stäken. Es kommen in der Bibel Dinge vor, über die man sich ganz verteufelt ärgern kann.«

»Darf ich ein Beispiel davon hören, Durchlaucht?«

»Warum nicht! Was hält Er von der Strategie, Taktik und Heeresorganisation, wie sie in der Bibel vorkommt? Wenn ich so einen Kerl wie Josua, Gideon, Saul und wie sie alle heißen, in meinem Regimente zu Halle hätte, er müßte mir alle Tage Spießruthen laufen. Es ist abscheulich, was diese Menschen für Schnitzer machen. Diese Ammoniter, Moabiter und Moskowiter verstehen nicht zu exerziren, noch zu manövriren; ich glaube, es hat damals noch gar keinen richtigen Korporal gegeben. Und dieser Simson hantirt gar mit einem Eselskinnbacken, statt mit einem Säbel. Wäre ich ein Philister gewesen, ich hätte ihn bekinngebackt, daß ihm angst und bange geworden wäre!«

Er wurde in diesen sonderbaren Reflexionen durch ein Mädchen unterbrochen, welches eintrat, um den Tisch zu decken und einen Vortrunk zu kredenzen. Von ungewöhnlich hoher und voller Gestalt, war sie trotz dieser Verhältnisse eine Schönheit ersten Ranges zu nennen, was auch Leopold durch einen ihm unbewacht entschlüpfenden Ausdruck der Bewunderung bekundete.

»Sakerment! Hm, ja, hätte bald Etwas gesagt. Aber lasse Sie das Dienern und Verbeugen! Sie hat es zwar ganz prächtig exerzirt, aber ich mag solchen Firlefanz nicht gern leiden. Komme Sie doch 'mal näher!«

Sie trat zum Stuhle, auf welchem er Platz genommen hatte.

»Hierher! So! Achtung, Arme an den Leib, Kopf in die Höhe, Augen grad aus! Jetzt ists richtig. Wer ist denn die Jungfer? Seine Tochter kann sie nicht sein.«

»Sie ist eine – eine – eine Verwandte, Durchlaucht,« antwortete der Pfarrer mit einigem Stocken, »die sich zur Unterstützung meiner Frau bei uns befindet.«

»Verwandte? Unterstützung? Hm, von so einem Prachtmädel könnte ich mich auch unterstützen lassen. Hat Sie einen Liebsten?«

»Nein, Durchlaucht,« antwortete sie erröthend über die etwas indiskrete Frage.

»Keinen? So! Hm, das ist schön! Donnerwetter, da fällt mir Einer ein, der wie für Sie gewachsen ist, ein reputirlicher Kerl, lang, stark, gescheidt und muthig. Hm, ja, das gäbe ein Paar, über das man seine Freude haben könnte. Sage Sie doch einmal, hat Sie von der Anneliese gehört?«

»Durchlaucht meinen Dero Frau Gemahlin?«

»Ja, ich meine meine gute Alte. Sie hat einige Dutzend Jahre mehr auf dem Rücken wie die Frau Pastorin und braucht also eine Unterstützung nöthiger. Hat Sie Lust, zu ihr nach Dessau zu gehen?«

»Durchlaucht!« erklang es mehr erschrocken als erfreut.

»Na, na, na, Sie braucht darüber nicht gleich aus Rand und Band zu fahren. Meine Liese ist ein gutes Weibsen und wird Sie nicht verschlingen. Also, will Sie?«

»Die Gnade, welche Durchlaucht mir zugedenken, ist groß, aber ich möchte meine – meine Muhme doch nicht gern verlassen, weil – weil – –«

»Nun, weil – –?«[28]

»Weil sie zuweilen an Zufällen leidet, welche schnelle weibliche Hülfe erfordern.«

»Papperlapapp! Meine Anneliese hat ganz dieselben Zufälle; Ihr Grund fällt also weg. Sie hat keine Lust, das sehe ich gar wohl, aber das wird Ihr nicht viel helfen. Ich habe einen Plan mit Ihr. Also Sie geht nach Dessau?«

»Durchlaucht – –!«

Sie vermochte nicht, den Ausdruck der Besorgniß, welcher in ihren schönen, feinen Zügen lag, zu beherrschen, und auch das Gesicht des Pfarrers war höchst ernst geworden.

»Sie will nicht? Gut, so muß Sie; punktum, dabei bleibts! Morgen Mittag zwölf Uhr hat Sie sich auf dem Schlosse mit Sack und Pack einzufinden; kommt Sie nicht, so lasse ich Sie holen. Verstanden? Und nun mache Sie sich an Ihre Arbeit!«

Dieses Intermezzo war von einem sichtlich beängstigenden Eindruck auf die drei Personen der pastorlichen Familie, und auch der Fürst zeigte in Folge des Widerstandes, den er gefunden hatte, einige Verstimmung, die auch nicht wieder wich, bis er sich zum Aufbruch rüstete.

»Jetzt gehts wieder fort. Wenn Er einmal nach Dessau kommt, so spreche Er mit bei mir vor; Er soll auch eine Suppe und ein Dutzend Rühreier haben. Und liegt Ihm einmal Etwas am Herzen, so wende Er sich nur getrost an mich; ich habe es gern, wenn Leute, mit denen ich zufrieden bin, von der Leber weg reden. Und Sie, Frau Pastorin, lasse Sie Ihre Zufälle und habe Sie Dank für Ihre Gastfreundlichkeit! Ihre Pflaumen waren gut. Das Mädel aber schicke Sie mir nach Dessau, sonst könnte trotz Ihrer Pflaumen ein Wetter losdonnern, das Ihr monatelang vor den Augen leuchtet. Ordre parirt, merkts Euch, und damit adieu!«

Er ging. Bei jedem Gute und jedem Hause, an welchem er vorüberkam, fuhren die Köpfe durch die geöffneten Fenster, und die Jugend trollte in respektvoller Entfernung hinter ihm her, bis er das Dorf im Rücken hatte.

Bis Dessau waren einige Wegestunden zurückzulegen; die Sonne brannte trotz der vorgerückten Jahreszeit heiß hernieder; darum mäßigte er seine Schritte, bis er in den Wald gelangte, in dessen Schatten er schneller vorwärts kam. Eine Biegung des Weges überwindend, bemerkte er vor sich eine Gestalt, welche sofort seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

»Sapperlot ist das ein Kerl! Der könnte ja gleich Flügelmann bei der Potsdamer Garde werden. Achtzig Zoll hat der Kerl wenigstens, Schultern wie Simson, Hüften wie Goliath, und Schenkel wie – wie – na, der Teufel kann wissen, wie die Riesen damals alle geheißen haben; ich glaube, es war auch ein Herr Kules mit dabei! Wer mag der Mensch sein? Jung ist er auch, das sieht man am Gange und der Haltung. Ich werde ihm einmal auf den Zahn fühlen!«

Er verdoppelte seine Schritte und hatte den Gegenstand dieses Selbstgespräches in kurzer Zeit erreicht. Dieser war ein Jüngling von höchstens vierundzwanzig Jahren und zeigte allerdings eine Figur, welche jeden Werber in Entzücken versetzen konnte. Seine offenen, ehrlichen Züge nahmen den Fürsten sofort für ihn ein; es lag etwas beinahe Militärisches in seinem Wesen, und seine Bewegungen hatten eine Art eleganter Sicherheit, welche bei dem Sohne des Volkes nur selten anzutreffen ist.

»Guten Tag!« lautete der populäre Gruß Leopolds.

»Schönen Dank!«

»Woher des Weges?«

Der Jüngling warf einen prüfenden Blick auf den Frager und antwortete dann:

»Von Sachsen herein.«

»Und wohin?«

»Zunächst nach Dessau.«

»Was will Er dort?«

»Will mir eine Anstellung suchen, wenns möglich ist.«

»Als was?«

»Hm, als Gärtner oder so dergleichen.«

»Als Gärtner? Giebts denn nichts Besseres für Ihn?«

»Was denn zum Beispiel?«

»Nun, Soldat! Darauf muß doch ein Kerl, wie Er ist, ganz von selbst kommen. Ich glaube, der Dessauer würde Ihn mit Freuden in sein Regiment aufnehmen.«

»Denkt Er?«

»Ja, ich denke es. Hat Er nicht ein Lüstchen, he?«

»Hm, das schon, aber – – –«

»Nun, was aber – – –?«

»Ich habe nicht Lust, mich malträtiren zu lassen!«

»Malträtiren? Von wem denn, wenn ich fragen darf? Was will Er damit sagen?«

»Nun, vom Korporal, vom Feldwebel, von den Offizieren bis hinauf zum Obersten und endlich auch vom Fürsten selbst.«

»Alle Teufel, das wäre allerdings ein ganz verdammtes Malträtement! Und das sagt Er mir so frei und offen in das Gesicht, Er Mohrenelementer Er? Damit verdient Er Himmelhund ja eben, daß man Ihn malträtirt!«

Bei dieser Ausdrucksweise glitt das Auge des jungen Mannes wie unter einem plötzlichen Erkennen über die Gestalt des Fürsten, nahm aber schnell seinen vorigen Ausdruck wieder an.

»Wer ist Er denn, daß ich Ihm das nicht sagen soll?«

»Ich? Hm, ich bin – na, ich kann es Ihm ja sagen: ich bin ein Werber.«

»Ohne Montur?«

»Ohne Montur, denn so macht man den besten Fang. Und wie heißt Er?«

»Franz Baldauf.«

»Woher?«

»Aus Bautzen.«

»Was für ein Metier?«

»Gärtner.«

»Hat Er Papiere bei sich?«

»Natürlich.«

»Zeige Er sie 'mal her!«

Der Aufgeforderte griff in die Tasche und reichte ihm das Verlangte hin. Leopold warf einen Blick hinein.

»Richtig; das stimmt – aber, Donnerwetter, was ist denn das mit der Größe? Da steht ja siebzig Zoll, während Er über achtzig mißt!«

»Siebig? Steht das wirklich dort? Ich habe das Geschreibsel noch gar nicht so genau angesehen.«

»Freilich steht es da. Hier, sehe Er einmal her!«

»Wahrhaftig. Na, was ists denn weiter? Der Kerl hat sich jedenfalls verschrieben!«

»Anders kann es ja gar nicht sein; aber bei Seiner Figur eine Siebzig für eine Achtzig zu machen, dazu gehört eine geradezu fürchterliche Dummheit. Die Papiere wird Er mir gleich lassen!«

»Oho! Wozu denn?«

»Nun, weil ich Ihn anwerbe.«

»Ohne mich weiter zu fragen?«

»Ohne! Passe Er auf, wie schnell das geht!«

Er zog den Beutel, nahm einige Goldstücke heraus, schob sie ihm in die Außentasche seines Rockes, nahm ihm die Mütze vom Kopfe und setzte ihm an ihre Stelle den eigenen Dreispitz auf. Dies geschah allerdings mit einer Schnelligkeit, welche es dem Andern unmöglich machte, es zu verhindern. Er schien auch gar nicht überrascht und bestürzt zu sein, sondern nahm diese Prozedur mit lächelnder Miene hin.

»So! Er hat das Handgeld in der Tasche und des Fürsten Hut auf dem Kopfe und gehört also von diesem Augenblicke an in das blaue Regiment, welches zu Halle garnisonirt.«

»Hopsa, Alter; da habe ich wohl auch ein Wort zu sprechen!«

»Wie so? Der Handel ist abgemacht!«

»Noch nicht! Erstens habe ich das Geld zwar in der Tasche, aber angenommen habe ich es nicht. Wenn Er wirklich Werber ist, so muß Er ja wissen, daß Er mir es in die Hand zu geben hat. Zweitens muß Er mir erst noch beweisen, daß diese alte Mottenschachtel wirklich des Fürsten Hut ist. Drittens ist Er in Zivil und kann also einen gültigen militärischen Handel gar nicht abschließen. Und wenn auch diese drei Punkte nicht wären, so bin ich viertens Manns genug, zu thun, was grad nur mir beliebt.«

»Ah! Glaubt Er das wirklich?«

»Ja!« Im Nu hatte er den Hut wieder mit seiner Mütze vertauscht. »Hier hat Er Seine Filzquetsche wieder; die drei Dukaten behalte ich als Angebinde; Er muß nämlich wissen, daß heut mein Geburtstag ist! Heraus mit den Papieren!«

»Gratulire, grutulire!« lachte Leopold ingrimmig. »Aber die Wische werde ich als Andenken an Seinen Geburtstag doch behalten. Er ist Rekrut, und damit basta!«

»Er giebt die Papiere heraus, und damit hollah!«

»Hole Er sie sich!« rief der Fürst, den Knotenstock erhebend.

»Thue er den Prügel weg; Er sieht, daß ich auch so einen Rückenkitzler in der Hand habe!«

»Was, Er will sich also ernstlich zur Wehre stellen, Er Hundsfötter Er? Er ist Rekrut, und wenn Er nicht auf der Stelle den Stock wegthut, so lasse ich Ihn füsiliren!«

Die Augen des Jünglings leuchteten belustigt auf. Hätte der zornige Fürst auf das Mienenspiel seines Gegners Acht gehabt, so hätte er bemerken müssen, daß dieser errieth, wen er vor sich habe.[30]

»Mich füsiliren? Er wäre mir der Rechte dazu! Und den Hundsfötter, den stecke Er nur gleich wieder ein, denn mich geht das Schimpfwort nichts an. Er ist der Kukuk, der seinen eigenen Namen schreit.«

»Wa – wa – waaaaas? Der Hundsfötter bin ich selber? Himmel-, Hagel- und Graupelwetter, das hat mir noch Niemand geboten, das ist zu arg, das steigt mir in die Faust; hier – hier hat Er Eins, und noch Eins, und noch – – –«

Er vollendete vor Erstaunen seine Rede nicht. Der erste Hieb war durch eine blitzschnelle Bewegung des Jünglings parirt worden, und bei dem zweiten begegnete der Stock des Letzteren demjenigen Leopolds mit solcher Kraft, daß dieser dem Fürsten aus der Hand und weit fort über die Straße flog.

»Donnerwetter,« schnaubte der Entwaffnete, »da fliegt der[43] Knüttel zum Teufel; fahre Er mit, Er Lumpazi Hallunki Vagabundus!«

Er faßte den Gegner, der sofort den Stock fallen ließ, bei den Schultern und versuchte, ihn niederzuringen, brachte es aber nicht zu Stande. Mit ausgespreizten Beinen stand der Jüngling lächelnden Angesichtes wie eine Mauer da, ohne sich zu wehren, ohne jegliche Bewegung. Leopold wandte seine ganze Kraft auf, ihn aus dem Gleichgewichte zu heben, vergebens; er fluchte und tobte; sein Grimm wuchs mit jeder neuen nutzlosen Anstrengung, bis er völlig vor Wuth schäumte.

»Heiliger Sturmbock, der Kerl ist weiß Gott der leibhaftige Beelzebub; aber ich werde ihn doch noch in die Hölle schicken!«

Er trat zurück um auszuholen; er wollte den jungen Mann mit einem gewaltigen Ansprunge niederstürzen, wurde aber, da dieser zur Seite wich, von der Kraft seines Anlaufes auf den Boden geschleudert. Mit einem unartikulirten Schrei der äußersten Wuth erhob er sich wieder.

»Bei allen zehntausend Bomben und Granaten, das ist mir noch nie passirt; aber nun ists aus, nun wirds alle, jetzt nimmts ein Ende mit Ihm!«

Der Grimm verdoppelte seine Kräfte; das Ringen begann von Neuem – ganz mit demselben Erfolge. Da endlich schien dem Jünglinge die Geduld abhanden zu kommen.

»Giebt Er die Papiere heraus?«

»Nein, und hundertmal nein!«

»So nehme ich sie!«

Er legte die Arme um den Fürsten, der sich wie zwischen einem Schraubstocke fühlte und den Athem verlor; ein rascher Griff dabei, und er hatte seine Papiere zurück; ein nochmaliges Zusammenpressen der wie aus Stahl gebildeten Arme machte den Fürsten zu jedem Widerstande unfähig.

»So, jetzt sieht Er, was ein Hundsfötter zu bedeuten hat, Er Schelm und Spitzbube Er, der ehrliche Leute auf offener Straße anfällt, um ihnen die Legitimation zu rauben. Für einen Werber giebt Er sich aus? Ein Galgenstrick ist Er, ein Erzschlingel, den ich arretiren und nach Dessau liefern werde. Marsch vorwärts! Seinen Prügel werde ich tragen, und wenn Er nur den geringsten Versuch macht zu entfliehen, so ist Ihm sein Brod gebacken.«

»Was will Er? Mich arretiren? Ihm ist wohl der Tollwurm in den Kopf gestiegen! Weiß Er, wer ich bin? Weiß Er, an wem Er sich vergriffen hat?«

»Wer und was Er ist, das wird sich finden. Vorwärts jetzt, allons!«

»Ja, das wird sich finden, und zwar sofort! Sieht Er den Wagen, welcher dort kommt?«

»Der geht mich nichts an!«

»Der geht Ihn sogar sehr viel an, denn wie ich sehe, sitzt darin der Rittmeister Baron von Wehlen, Gesandter am sächsischen Hofe, der Ihm sagen wird, gegen wen Sein Mordanfall gerichtet war.«

Wirklich kam im scharfen Trabe ein Wagen herbeigefahren, in dessen Innern ein einzelner Herr saß. Dieser erkannte, in der Nähe angekommen, den Fürsten und gebot dem Kutscher, zu halten. Erstaunt blickte er auf die vom Falle arg beschmutzte Kleidung Leopolds.

»Durchlaucht hier?! Wollen Ew. fürstliche Gnaden vielleicht einzusteigen geruhen?«

»Ja, wohlan, ich fahre mit; doch zuvor sagt doch einmal diesem Himmelhund, wer ich bin!«

»Wer anders als Durchlaucht Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Feldmarschall Excellenz!«

»Hört Ers, Er Sakermenter? Will Er mich nun noch arretiren?«

Beim Klange des berühmten Namens hatte sich der Angeredete in eine militärisch-stramme Haltung geworfen; er stand da wie ein Soldat vor seinem Generale, doch war nicht die geringste Verlegenheit in seinen Zügen zu bemerken.

»Ich gebe Durchlaucht frei.«

»So! Will Er wirklich so gut sein? Und was denkt Er wohl, ob ich auch Ihn freigebe?«

»Ich hoffe es nicht.«

»Was? Er hofft es nicht? Er will gefangen sein?«

»Gefangen allerdings nicht, denn so etwas würde selbst Ew. Durchlaucht nicht gelingen.«

»Nun, was denn?«

»Ich nehme das Handgeld an. Hier sind die Papiere!«

»Donnerwetter, warum hat Er sich denn da vorhin so heidenmäßig gewehrt?«

»Uebertölpeln und zwingen lasse ich mich nicht. Was ich thue, das thue ich freiwillig. Hätten mir Ew. Durchlaucht gesagt, wer Sie waren, so hätte ich aus eigenem Antriebe um die Erlaubniß gebeten, in Dero glorreich berühmtes Regiment eintreten zu dürfen.«

Das Gesicht des Fürsten nahm einen wohlwollenderen Ausdruck an.

»Aber Er hat sich an mir vergriffen!«

»Ich kannte Ew. Durchlaucht nicht und war ebensowenig Derjenige, welcher den Streit begann. Auch glaube ich beweisen zu können, daß ich mit möglichster Rücksicht verfahren bin.«

»Das ist richtig! Er hat ja eine wirkliche Elephantenstärke und hätte mich zu Brei gemacht, wenn Er gewollt hätte. Kann Er schreiben?«

»Ja.«

»Schön! Er gefällt mir, und es kann etwas aus Ihm werden. Setze Er sich zum Kutscher. Er fährt mit mir nach Dessau; aber ich hoffe, daß Er sich in Zukunft eine ähnliche Paukerei mit mir nicht wieder einfallen läßt. Den Hundsfötter wollen wir gegenseitig zurücknehmen. Aufgestiegen, vorwärts marsch!« – – –

Quelle:
Der Pflaumendieb. Humoristische Episode aus dem Leben des alten Dessauers von Karl Hohenthal. In: All-Deutschland! 4. Jg. Heft 1–3. Stuttgart (1879).Nr. 3, S. 43-44.
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