Erster Auftritt

[109] Ein großer Versammlungssaal, in dem lauter altväterisch gekleidete Herren und Frauen im Zirkel sitzen und Kaffee trinken. Herr Steigerl. Frau Steigerl. Speck und Schmalz.


Introduktion


SPECK.

Vielgeliebte, Hochgeborne,

Godeln, Mahmen, liebe Freund –

Unser Kopf ist ganz verrammelt,

Darum hat man Sie versammelt –

Jeder rate, wie er's meint!

CHOR.

Was ist denn geschehn?

Wir raten ja gern

Der Frau und dem Herrn!

Was ist denn geschehn?

SPECK.

Unseres Freundes liebes Söhnel,

Von Geburt aus leicht und schwach,

Lauft ein' jeden schönen Diendel,

Wie besessen – fleißig nach.

CHOR.

Das wird auch kein Unglück sein,

Madeln lauft er nach, nein, nein! –

SPECK.

Statt zu lernen und studieren,

Tut er nix als karessieren.

ALLE.

Karessieren.

SPECK.

Statt als Mensch von Geist zu handeln,

Tut er nix als immer brandeln!

ALLE.

Brandeln? Brandeln?

FRAU STEIGERL.

Darum bitt ich Sie zu raten,

Was mit ihm zu tuen sei?

CHOR.

Der ist aus der Art geraten!

Was zu machen? eh, ei, ei!


Alle sitzen nachdenkend, nach einer Pause.


STEIGERL. Na, meine lieben Gevattern und Vettern, Godeln und Mahmen, geben Sie einen gescheiten Rat von sich; was ist mit unserm Fritzel anzufangen? –

FRAU STEIGERL. Bedenken S' aber dabei, daß es ein schwaches Bürschel und daß er mein einziges Kind ist.[109]

STEIGERL. Ja, das einzige, denn es kommt nichts mehr nach.

SPECK. Und was tut er denn im Grunde, was wir nit auch getan haben? Der Herr von Steigerl und ich sind in denen Jahren rechte Ramsamperl gewesen; jetzt spielen d' Studenten Billard – und wir, zu unserer Zeit, waren halt auf den »langen Puff« versessen.

STEIGERL. Aber die Schulden, die er macht? –

SPECK. Aber schauen S', wie kurios Sie sind! Sie haben ja immer hoch hinaus gewollt mit Ihrem Sohne; das ist ja ein klarer Beweis, daß was Höheres in ihm steckt! – Ein Mensch, der keine Schulden hat, macht gar kein Aufsehen in der großen Welt. Sie müssen ihn halt rangieren, vielleicht weiden S' selber reich dabei!

FRAU STEIGERL. Ist nit ohne Grund geredet, etwas Nobels steckt auf jeden Fall in ihm; aber er hat noch andere Fehler; er macht alles lächerlich; er will alles besser wissen, und er schimpft über alles wie ein Rohrspatz.

SPECK. Das ist ein Genie, sag ich Ihnen, wie 's noch kein's in unserer Familie gegeben hat. Danken S' den Göttern für so einen Sohn! – Soll er etwa modest und bescheiden sein? Soll er etwa das loben, was anderen Leuten recht ist? Soll er etwa nicht über alles das keck urteilen, was er auch nicht versteht? Da wär er ja eine Null in der heutigen Welt! – Wer den Schnabel bei dieser Zeit nit recht in den Tag hineinwetzt, der heißt ein Tuckmauser, ein Ignorant, ein Dalk; wer aber keck räsoniert, ist ein Genie! – Der Fritz wird Ihnen noch viele Freuden machen.

STEIGERL. Der G'vatter hält ihm halt immer die Stange – was sagen denn die übrigen respektabeln Vettern und Godeln dazu?

SCHMALZ. Ich halt ihn für einen verzogenen Buben, den nur die allerschärfste Zucht bessern kann; zum Beispiel ein Weib, das so handig ist wie die Frau Godel.

FRAU STEIGERL. Mir wird übel, ich bekomme meine Krämpfe!


Alles gerät in Bewegung.


STEIGERL. Jetzt haben Sie's gut gemacht – wenn nur das Weib in Fraisen aufgeht, so haben Sie's auf Ihrem Gewissen. Satzerl, ärgere dich nicht, das ist ja alles in Wind geredet, es gibt keine zweite, wie du bist!

SCHMALZ. So behalten Sie ihn also, und füttern Sie einen[110] Taugenichts, der Ihnen und uns allen noch Schande machen wird.

FRAU STEIGERL. Jetzt hab ich g'nug – wer mein Fleisch und Blut beschimpft, der greift mich an; mein Fritzel ist ein schwaches Kind, der zu viele Krankheiten in seiner Jugend ausgestanden hat, um schon ausgebildet zu sein: wann er einmal recht stark und alt ist, wird er schon brav werden, und was das Schandmachen betrifft, so muß ich Ihnen allerseits erklären, daß ein Mensch wie er, der auf allen Haustheatern die Bedienten spielt, der an alle seine Madeln Briefe aus'm ›Eipeldauer‹ herausschreibt, der im Billard einem jeden Markör sechzehn vorgibt, der auf jedem Ball in den Vorstadtsälen der beste Tänzer ist, der am längsten aushält – daß so ein Mensch einer uralten Familie keine Schand macht –, ich brauch keinen Rat, man laßt ihn halt austoben, und wer nit auf'n Kopf g'fallen ist, der hat's ohnehin leicht einsehen können, daß d' Mama bei diesem Konsilium lieber recht viel Gutes von ihrem Söhnel gehört hätte, wo es ihr dann auf ein paar Diners nit angekommen wäre.

STEIGERL. Die Sitzung ist aufgehoben; wir sind zwar nit viel g'scheiter, als wir vorher waren, aber das tut nix, ich danke Ihnen doch für die Inkommodität. Alle brechen auf. Sie haben mit uns zu befehlen!

SCHMALZ. Nur mich bitt ich künftig wegzulassen, denn wer keinen guten Rat hören will, der muß auch keinen fordern.


Chor aus der ›Europa‹


Wir wollen jetzt gehn,

Denn g'scheit ist halt schön.

Der Fritzerl ist brav

Und gut wie ein Schaf!

Scharmanteste Godel, scharmanteste Mahm,

O rufen S' uns bald wieder alle zusamm'!


Alle gehen ab bis auf Steigerl, seine Frau und Speck.


Quelle:
Das Wiener Volkstheater in seinen schönsten Stücken. Leipzig 1960, S. 109-111.
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