[269] Die letzte altpolnische Mahlzeit. – Der große Tafelaufsatz. – Erklärung seiner Figuren. – Seine Wandlungen. – Dombrowski wird beschenkt. – Noch einmal das Federmesser. – Kniaziewicz wird beschenkt. – Thaddäus' erste Amtshandlung bei der Übernahme der Güter. – Gervasius' Bemerkungen. – Das Concert der Concerte. – Die Polonaise. – Lieben wir uns!
Nun aber wird geräuschvoll die Thür weit aufgemacht:
Der Wojski tritt ein, in der Mütze, – auf Niemand hat er Acht,
Trägt hoch den Kopf, grüßt Keinen, tritt nicht unter die Gäste;
Denn in neuer Würde erscheint er am heutigen Feste:
Als Hofmarschall. – Mit seinem Marschallstabe weist er
Der Reihe nach allen Gästen, als Ceremonienmeister,
Die Plätze bei Tische an; man setzt sich alsobald:
Erst, als der Wojewodschaft oberste Gewalt,
Nimmt den Ehrenplatz der Marschall-Kämmerer ein,
Den sammt'nen Sessel mit der Armlehn' aus Elfenbein.
Neben ihm zur Rechten der General Dombrowski,
Zur Linken die Generale Kniaziewicz, Pac, Malachowski,
Zwischen ihnen des Kämmerers Gemahlin. Weiter kamen
Officiere, Magnaten, abwechselnd Herrn und Damen,
Dann Schlachta und Landedelleute. Alle sind auf den Plätzen,
Jeder, wo der Wojski ihn anwies sich zu setzen.
Der Richter verbeugt sich freundlich und verläßt den Saal;
Er giebt draußen im Hof der Bauernschaft ein Mahl.[270]
Zwei Feldwegs Länge maß der Tisch, an dem er sie reihte;
Er nimmt das eine End' ein und der Pfarrer das zweite.
Thaddäus und Soschja setzen sich nicht; sie essen im Geh'n,
Sie haben die Bedienung der Bauern zu verseh'n.
Das war so alte Sitte: die neuen Herrn erschienen
Bei der ersten Mahlzeit, um selbst das Volk zu bedienen.
Indessen schauten im Saal, bevor das Mahl begann,
Die Gäste voll Verwund'rung den Tafelaufsatz an:
An Material, wie an Arbeit, gleich kostbar und auserwählt.
Fürst Radziwill-Sierota1 ließ, wie die Sage erzählt,
Dieses Stück in Venedig eigens construiren,
Und nach eigenen Plänen in polnischer Art verzieren.
Später, im Schwedenkriege, wurde es weggenommen,
Und ist, man weiß nicht wie, in ein Schlachcichaus gekommen.
Heut' aus dem Schatze geholt, macht's auf dem Tische Staat,
Steht in der Mitte, gewaltig, wie ein Karossenrad.
Vollgegossen war es vom Boden bis an den Saum
Mit Zucker, hell wie Schnee, und allerlei weißem Schaum,
Und eine Winterlandschaft imitirt es prächtig:
Inmitten ein Wald aus Confect, aufragend schwarz und mächtig;
Seitwärts liegen Weiler und Dörfchen weitgestreckt,
Die Häuser, statt von Reif, von Zuckerschaum bedeckt.
An den Rändern stehen, rings um die Confituren,
Zur Zierde kleine Personen: Porzellanfiguren,
In polnischer Tracht; sie scheinen sich lebendig zu rühren,
Schauspielern gleich, bestimmte Handlungen vorzuführen;
Alle Gebärden und Farben sind kunstvoll wiedergegeben,
Fehlt' ihnen nicht die Stimme, man würde meinen, sie leben.
Was, fragt man, stellen sie vor? Der Wojski erhob den Stab,
Und während man den Gästen den Schnaps zum Eingang gab,
Beginnt er folgendermaßen, und neigt sein weißes Haupt:
»Großmächt'ge Herrschaften! Wenn ihr es denn erlaubt –
Diese Menge Personen, die ihr da nehmet wahr,
Sie stellt uns die Geschichte des polnischen Kreistags2 dar:[271]
Sein Berathen, Beschließen – Triumphe und Streitigkeiten,
Dies Bild enträthselt' ich selbst und will's den Herrschaften deuten.
Also, zur Rechten seht ihr Schlachta in großer Zahl,
Man lud sie vor der Versammlung gewiß zu einem Mahl.
Der Tisch ist gedeckt, – doch Niemand, der sie zum Sitzen lädt,
In Gruppen stehen sie da, und jede Gruppe beräth.
Seht, und in jeder Gruppe steht in der Mitte ein Mann,
Hat die Lippen geöffnet, zieht die Lider hinan,
Er gesticulirt: ein Redner, – ihr habt's gewiß erkannt;
Er spricht, kommentirt mit dem Finger und zeichnet's auf die Hand.
Diese Redner empfehlen ihre Kandidaten,
Nicht immer glücklich – das läßt die Miene der Schlachta errathen.
Die zweite Gruppe dort lauscht fleißig, wie sich zeigt,
Der, mit den Händen im Gürtel, hat das Ohr geneigt;
Jener dreht sich den Schnurrbart, hält an's Ohr die Hand,
Faßt das Gehörte zusammen, lauscht sinnend und gespannt.
Der Redner ist froh: er sieht ja, er neige ihren Sinn,
Er streichelt die Tasche: er hat schon ihre Stimmen drin.
Doch anders die dritte Gruppe: die will sich nicht beugen lassen,
Hier muß der Redner die Hörer bei den Gürteln fassen,
Sie reißen sich los, – sie wenden die Ohren ab, – da seht:
Wie dieser Schlachcic die Hände erhebt, die Backen bläht!
Er droht dem Redner, er schließt ihm den Mund, – sein Zorn verräth,
Man habe den Gegner gelobt; und dieser Zweite hier
Der seine Stirne gesenkt hat, wie ein wilder Stier:
Mit den Hörnern, glaubt man, packt er den Redner schon –
Die Einen zücken den Säbel, die Andern sind entfloh'n.
Inmitten der Gruppen steht ein Einz'ger still, in Gedanken:
Das ist ein Unparteiischer, muß wohl zagen und schwanken,
Weiß nicht, für wen zu stimmen, kämpft mit sich selbst und ruft
Das Loos an. Beide Daumen erhob er in die Luft,
Um geschloss'nen Auges Nagel an Nagel zu schlagen,
Der Mann will ein Orakel wegen der Stimme befragen.[272]
Wenn sich die Finger treffen, wirft er sein ›Ja‹ hinein,
Und wenn sie sich verfehlen, entschließt er sich zum ›Nein‹.
Links eine andere Scene: ein Refectorium, –
Man schuf es für die Schlachta zum Sitzungssaale um.
Die Ältern sitzen auf Bänken, reihweis', die Jüngern steh'n;
Seht, wie sie, zwischen den Köpfen hindurch, in's Mittel späh'n:
Dort steht der Marschall – die Urne hält er: Stück um Stück
Zählt er die Kugeln, die Schlachta verzehrt sie mit dem Blick.
Jetzt warf er die letzte hinein, die Frohne erheben die Hände,
Und nennen den Erwählten. Der Wahlakt ist zu Ende.
Doch Einer respectirt den Stimmeneinklang nicht;
Seht, aus der Küche steckt er durch's Fenster das Gesicht,
Seht, wie er die Augen aufreißt! wie schaut er keck darein!
Öffnet den Mund, als schläng' er das ganze Zimmer ein!
Ihr merkt schon: dieser Schlachcic rief ›Veto!‹ in den Saal.
Schaut nun, wie sich plötzlich auf dieses Kampfsignal
Alles zur Thüre drängt, Alles zur Küche rennt –
Die Säbel blitzen – man sieht: ein blutiger Kampf entbrennt.
Dort aber, Herrschaften, seht: dort, im Corridor,
Tritt jetzt ein greiser Priester im Ornat hervor,
Der Prior ist's, mit dem Sanctissimum, – daneben
Läutet ein Bursch' im Chorhemd und bittet Raum zu geben.
Gleich steckt man die Säbel ein, bekreuzt sich auf den Knie'n,
Wo noch die Waffe klirrt, dort wendet der Greis sich hin, –
Und wie er erscheint, wird's ruhig und aller Streit ist fern.
Ach, ihr erinnert euch nicht daran, ihr jüngern Herrn!
Eben bei dieser Schlachta, so eigenmächtig, so frei,
So wild – und wehrhaft: bedurft' es doch keiner Polizei!
So lange der Glaube geblüht, so lang man das Recht gewahrt,
So lang war Freiheit mit Ordnung, und Ruhm mit Reichthum gepaart!
In andern Ländern, hör' ich, hält man ein Schergenheer,
Polizisten, Gensdarmen und dergleichen mehr.
Wahrt aber nur das Schwert die Sicherheit: ja dann,
Dann glaub' ich nie, daß dort die Freiheit herrschen kann.«[273]
Hier klimperte der Kämm'rer an seine Dose und sprach:
»Herr Wojski, diese Scenen schildert uns hernach.
Kein Zweifel, Ihr erzählt da von interessanten Dingen, –
Aber wir sind hung'rig, laßt uns zu essen bringen!«
Da sagt der Wojski und neigt tief bis zur Erde den Stab:
»Mein gnädiger Herr Kämm'rer, schlagt mir die Gnade nicht ab!
Ich werde gleich die letzte Schilderung beenden:
Seht, wie der neue Marschall von seiner Partei auf den Händen
Hinausgetragen wird: man wirft die Mützen empor, –
Da seht: die offenen Lippen! – ›Vivat!‹ erbraust's im Chor.
Und dort auf der andern Seite, dort steht, in Sinnen verloren,
Der Durchgefallene, – einsam, – die Mütze über die Ohren.
Vorm Hause wartet sein Weib, sie denkt sich's schon – o Harm!
Seht da, ohnmächtig fällt sie der Zofe in den Arm.
Weh! weh! schon sollt' sie ihn führen, den Titel: ›Hochwohlgeboren‹,
Und blieb nun für drei Jahre wieder nur ›Wohlgeboren!‹
Hier schließt der Wojski und giebt mit seinem Stab das Zeichen.
Gleich kommen paarweis' die Diener, die die Speisen reichen:
Den Anfang macht der Barszcz, der Königsbarszcz genannt,
Dann altpolnische Brühe, bereitet von Künstlerhand;
Der Wojski that noch auf geheimnißvolle Weise
Ein Münzenstück und mehrere Perlen in die Speise:
Solch' eine Brühe ist stärkend, blutreinigend. – Weiter kamen
Gerichte aller Art, – wer aber nennt die Namen?
Wo giebt es heut' noch Einen, der alle die Speisen versteh'?
Die Schüsseln voll Klopssuppe, Milch- und Fisch- Gelée,
Die Ingredienzien: Bisam, Zirbelnüsse, Klöße,
Dorsch, Zibeth, Traganth, Prünellen, – Fische, in jeder Größe:
Gedörrte Dunajec-Lachse, Hausen, dann Kaviar,
Türkischer, venetianischer, – und die Hechte gar,
Haupt- und Mittelhechte, ellenlang; dann Flunder,
Karpfen, Zwieken, Karauschen, – zum Schluß ein Küchenwunder:
Ein in der Mitte gebrat'ner, am Kopf geschmorter Fisch,
Am Schwanz ein Ragout mit Sauce, – und, wie vom Markte frisch,
Kommt doch unzerschnitten das Ganze auf den Tisch.«[274]
Die Gäste fragen weder, wie sich die Speisen nennen,
Noch verlangt sie's, jenes Wunder zu erkennen,
Vertilgt wird alles mit wahrem Soldatenappetit,
Und auch die Ungarweine nimmt man tüchtig mit.
Der große Tafelaufsatz hat während dieser Zeit
Die Farbe völlig verändert:3 schon ist er vom Schnee befreit
Und fängt zu grünen an. Am ganzen obern Saum
Schmilzt langsam, von der Wärme, der eisige Zuckerschaum:
Der Boden, bis jetzt verdeckt, entschleiert sich nun klar:
In anderer Jahreszeit stellt sich die Landschaft dar;
Aufglänzt ein grüner Frühling in reichem Farbenflor,
Getreide aller Art wächst, wie von Hefen, empor,
Safrangelber Weizen in goldigen Ährenwogen,
Roggenhalme, mit Silberblättchen überzogen,
Buchweizen auch, gar kunstvoll aus Chocolade gemacht,
Gärten mit Birnen und Äpfeln, blühend in reicher Pracht.
Kaum finden die Gäste Zeit, sich an den Früchten zu laben,
Möchten gern den Sommer vom Wojski verlängert haben:
Vergebens! der Tafelaufsatz wandelt, wie ein Planet,
Nach strengem Gesetz die Zeiten: langsam erwärmt, zergeht
Das goldige Ährenfeld; die Gräser werden fahl,
Das Laub wird roth, fällt ab in immer reicherer Zahl –
Man hätte des Herbstwinds Rauschen zu vernehmen geglaubt –
Und schließlich steh'n die Bäume, die erst so herrlich belaubt,
Vom Reif entblättert, vom Wind, der über sie hingegangen,
Nackt und schmucklos da: es waren Zimmetstangen,
Oder auch Lorbeerzweiglein, die statt der Fichten steh'n, –
Und statt der Nadeln sind sie mit Kümmelkörnern verseh'n.
Die Gäste beginnen zum Wein die Zweige abzuhacken,
Die Wurzeln abzureißen und als Imbiß zu knacken.
Der Wojski umschreitet den Aufsatz freudig, siegesbewußt,
Und blickt die Gäste an voll triumphierender Lust.
Heinrich Dombrowski stellt sich hocherstaunt und fragt:
»Sind das chinesische Schatten, Herr Wojski? Oder, sagt,[275]
Gab Euch Pinetti seine Teufel in die Hand?4
Habt ihr solche Service noch jetzt im Lithauerland?
Und tafelt ihr Alle noch so, nach altem Brauch und Sinn?
Sagt mir's, denn fern der Heimath floß mir das Leben hin.«
Der Wojski verneigt sich: »Nein, das ist, – mit Eurer Gunst,
Mein gnädiger General, – gar keine Teufelskunst,
Nur eine Erinn'rung ist's an jene Festlichkeiten,
Wie sie die Herrn gegeben in früheren, großen Zeiten,
Als Polen noch groß an Macht und reich an Glück gewesen.
Was Ihr da seht, ich hab's in diesem Buch gelesen.
Ob man die Sitte üb'rall wahrt auf Lithauer Boden?
Ach, schon schleichen sich auch zu uns die neuen Moden;
Wie mancher Junker schreit: Der Luxus sei ihm verhaßt,
Ißt wie ein Jude, geizt mit Speis' und Trank dem Gast,
Kargt mit dem Ungarwein, trinkt aber den falschen, verruchten
Modewein, den Champagner, den Russentrank, den verfluchten:
Im Kartenspiel verliert er dann Abends so viel Gold,
Daß ich hundert Schlachcicen damit bewirthen wollt'!
Ja, – denn was mein Herz drückt, das soll heut' frei heraus, –
Der Kämmerer lege mir das Wort nicht übel aus –
Als ich den herrlichen Aufsatz aus dem Schatz genommen,
Hab' ich sogar vom Kämmerer Spöttereien bekommen:
Es sei eine langweilige, altväterische Maschine,
Die, wie sie aussieht, etwa Kindern zum Spielzeug diene;
Sie passe nicht für solche Herren, zu solchem Feste. –
Richter! und Ihr auch sagtet: Langweilen wird's die Gäste.
Und dennoch, wie mich das Staunen der Herrschaften belehrt,
War dieses schöne Kunstwerk sicher sehenswerth.
Ich weiß nicht, ob sich bald ein solcher Anlaß erneut,
Bei uns hier Dignitäre zu bewirthen, wie heut'!
Herr General! Ihr, seh' ich, versteht Euch auf Gasterei'n, –
Nehmt dieses Buch entgegen, Euch wird's von Nutzen sein;
Wenn Ihr darnach ein Mahl gebt, ja dann könnt Ihr schon
Die fremden Monarchen laden, bah! selbst Napoleon.
Erlaubt mir aber, bevor Ihr das Buch von mir empfangt,
Daß ich erzähle, wie es in meine Hände gelangt.«
[276]
Da regt sich's vor der Thür: ein ganzer Chor stimmt an,
Und brausend hört man's rufen: »Hoch der Kirchenhahn!«
Herein strömt eine Menge, Mathias an der Spitze.
Der Richter ergreift seine Hand, führt ihn zu einem Sitze
Hoch oben an der Tafel, inmitten der Generale.
»Schlimmer Nachbar,« sagt er, »Ihr kommt so spät zum Mahle,
Es ist schon fast zu Ende!« »Ich esse gewöhnlich früh,«
Sagt Matschek, »nicht um's Mahl nahm' ich mir heut' die Müh',
Wollt' mir nur unser Volksheer etwas näher beschauen:
Viel wär' zu sagen, – 's ist nicht gestochen noch gehauen! –
Da hat mich die Schlachta bemerkt, zog mich gewaltsam her,
Und Ihr setzt mich zu Tisch: Nachbar, ich danke sehr.«
Spricht es und zum Zeichen, daß er nichts essen will,
Kehrt er den Teller um; und saß nun düster und still.
»Ihr also,« sprach Dombrowski, »Ihr, Herr Dobrzynski, seid
Jener berühmte Degen aus der Kosciuszko-Zeit,
Jener Mathias Gertchen! Kenn' Eu'ren Namen gut!
Bitt' Euch, und immer noch so rüstig und wohlgemuth!
Wie lang ist's her! Ich fang' schon zu altern an, – da schaut!
Seht her, auch dem Kniaziewicz ist schon das Haar ergraut:
Ihr aber nehmt's wohl heut' noch mit den Jüngern auf?
Und Gertchen blüht noch immer, trotz langem Zeitenlauf?
Ich hör', Ihr gerbtet jüngst den Russen derb das Fell!
Doch wo sind Eu're Brüder? Wären sie doch zur Stell'!
Ich sähe sie gar zu gern, die Kännchen, die Federmesser –
Die letzten Exemplare Altlithauer Eisenfresser.«
»Damals,« versetzt der Richter, »als wir die Russen vernichtet,
Sind fast alle Dobrzynski's in's Herzogthum geflüchtet,
Sie dürften gewiß in einer der Legionen dienen.«
»Ja,« meint ein junger Schwadronschef, »mir ist Einer von ihnen,
Ein Popanz, aus der zweiten Compagnie bekannt,
Der Wachtmeister Dobrzynski, auch ›der Täufer‹ genannt,
Von den Masuren bekam er den Namen ›Lithauer Bär.‹
Befiehlt's der General, so bringen wir ihn her.«
»Lithauen,« sagt ein Lieutenant, »hat hier so manchen Sohn,[277]
Einer tiraillirt zu Roß mit dem Tromblon;
Noch einen Andern kenn' ich, den man Scheermesser nennt,
Auch giebt's zwei Grenadiere im Schützenregiment,
Namens Dobrzynski.«
»Aber,« rief der General,
»Von ihrem Haupt, vom ›Federmesser‹ sprecht einmal!
Von dem mir ja der Wojski so viele Wunder gepriesen,
Als wär' es Einer jener vorsündfluthlichen Riesen.«
»Der,« erwidert der Wojski, »emigrirte wohl nicht,
Verbarg sich aber vor dem russischen Gericht:
Der Arme! Den ganzen Winter irrt' er Wald aus, Wald ein,
Jetzt erst kam er heraus. Er könnte wohl nützlich sein
In diesen stürmischen Zeiten: ein ritterlicher Mann –
Leider griff ihn das Alter schon ein wenig an.
Doch, – da ist er!« – Der Wojski wies hier mit der Hand
In's Vorhaus, wo die Masse der Bauern und Diener stand:
Dort taucht jetzt, wie ein Vollmond, zwischen den Köpfen hervor
Eine glänzende Glatze. Dreimal stieg sie empor,
Und dreimal, wie in Gewölk, verschwand sie im Gedränge.
Sich stets verbeugend, preßt sich der Schließer durch die Menge,
Tritt vor und spricht:
»Hochgnäd'ger Kronhetman, – oder ist's richtig:
Herr General, – thut nichts, der Titel ist minder wichtig –
Ich bin Rembajlo. Hier steh' ich mit meinem Federmesser,
Das nicht durch Inschrift noch Aufputz, sondern, was viel besser,
Durch Härte und Schneidigkeit zu seinem Ruhm gekommen,
So daß, Hochgnädiger Herr, selbst Ihr davon vernommen.
Könnte es sprechen, es würde vielleicht auch etwas sagen
Zum Lob der alten Hand, die nun seit vielen Tagen,
Gottlob, dem Vaterland gedient hat treu und echt,
Nicht minder meiner Herrschaft, der Horeszko Geschlecht,
Weß sich die Menschen heut' noch erinnern mit Fug und Recht.
Herrlein, selten schnitt wohl irgend ein Wirthschaftsschreiber
So geschickt seine Federn, wie dies da Köpfe und Leiber!
Lang' wär's zu zählen! und Nasen und Ohren! ohne Ende![278]
Und hat doch keine Scharte, wie man's dreh' und wende,
Und würdigte sich niemals zu schnöder That herab;
Im Krieg war's oder im Zweikampf, wenn ich's geschwungen hab' –
Einmal nur – Herr, gieb ihm die ewige Ruh' im Grab! –
Raucht' es, ach, von eines wehrlosen Mannes Blute,
Und das auch, – Gott ist mein Zeuge! – pro publica salute.«
»Zeig's her,« sagt lachend Dombrowski. »Nun, mein Ritter werth,
Ein schönes Federmesser: das richtige Henkerschwert!«
Verwundert haftet sein Blick am riesigen Rappiere,
Dann zeigt er's weiter herum im Kreis der Officiere;
Jeder versucht's, doch will's den Wenigsten gelingen,
Den riesenhaften Degen in die Höhe zu schwingen.
Dembinski, hieß es, brächte das Kunststück wohl zuwegen,
Mit seinem gewaltigen Arm, – doch der war nicht zugegen;
Von den Gegenwärtigen sind nur Lieutenant Rozycki,
Der P'lotoncommandant, und Schwadronschef Dwernicki
Die mächtige Eisenstange zu bewegen im Stand.
So geht das Rappier zur Probe weiter von Hand zu Hand.
Doch General Kniaziewicz, der Stattlichste an Gestalt,
Hat, wie sich zeigt, im Arm von Allen die meiste Gewalt;
Leicht faßt er's an, erhebt's, wie einen gewöhnlichen Degen,
Um es dann über den Köpfen blitzschnell zu bewegen,
Mit polnischen Fechterstückchen, die ihm im Sinn ge blieben,
Kreuzhieben, Finten, Battuten, Zirkel- und krummen Hieben,
Handgriffen der Contrepointe und Terz: er kannte sie gut,
Noch aus dem Warschauer Kadetteninstitut.
So ficht er lachend: da kniet schon der Schließer voller Erregung,
Umfängt in Thränen sein Knie und stöhnt bei jeder Bewegung:
»Schön! General! ach, herrlich! Das ist ja Pulawski's5 Stich!
Wart Ihr Conföderirter? – Herrlich! meisterlich!
So pflegte sich Dzierzanowski6 immer auszulegen!
Sawa's7 Stich! – Wer lehrt' Euch so die Hand bewegen?
Wär' es Matschek Dobrzynski? – Das aber, General,
Das ist meine Erfindung! Weiß Gott, daß ich nicht prahl'!
[279] Der Hieb ist nur im Weiler der Rembajlo bekannt,
Dort wird er nach meinem Namen der ›Herrleinhieb‹ genannt!
Wo habt Ihr's her? Mein Hieb ist's! mein Hieb!« und hurtig springt er
Vom Boden auf und stürmisch den General umschlingt er:
»Jetzt sterb' ich ruhig! – Es lebt doch in der Welt ein Mann,
Dem ich mein Kind, mein theures, überlassen kann!
Das hat mir ja Tag und Nacht so viele Schmerzen gekostet,
Ob nicht nach meinem Tode dies mein Rappier verrostet! –
Nein, nicht verrostet's! – Gnädigster General, verzeiht:
Werft doch diese Spießchen, die wälschen Degen bei Seit'!
Ist's für ein Schlachcickind doch eine wahre Schand',
Ein solches Stöcklein! – Nehmt den edlen Säbel zur Hand!
Gestattet, daß ich die Klinge Euch zu Füßen lege,
Sie ist das theuerste Kleinod, das ich auf Erden hege;
Ich hatte nicht Weib, noch Kind im Leben: dies Rappier
War mein Weib, mein Kind, – das ließ ich nimmer von mir,
Kost' es von Früh bis Abend, ja, in der Nacht sogar
Schlief es an meiner Seite; und als ich gealtert war,
Da hing es an der Wand, stets über meinem Bette,
Wie Gottes Gebote über des Juden Lagerstätte!
Ich dacht' es mit dieser Hand zugleich in's Grab zu legen –
Nun fand ich einen Erben. – Nehmt's zum Heil entgegen!«
Halb lachend, halb gerührt, versetzt der Feldherr: »College,
Trittst du mir Weib und Kind ab – auf deinem weiteren Wege
Gehst du dann gar verlassen und einsam durch das Leben,
Alt, verwittwet, verwaist! Was könnt' ich dir wohl geben
Für solch ein Geschenk? Und wie versüß' ich dir das Leid
Der traurigen Wittwerschaft und der Verlassenheit?«
»Bin ich Cybulski?«8 bricht der Schließer schmerzlich hervor,
»Der an den Russen sein Weib im Mariagespiel verlor,
Wie das Lied erzählt? – Das ist schon genug Entgelt,
Daß noch mein Federmesser soll glänzen vor der Welt,
In solcher Hand! Nur merkt Euch, wegen der großen Länge,
Daß es auch immer an langem gestrecktem Bändchen hänge;
Und immer vom linken Ohr aus, mit beiden Händen gehalten,
Zuhau'n! dann wird's vom Kopfe bis zum Bauche spalten!«[280]
Kniaziewicz nimmt das Rappier, doch kann er's, der Länge wegen,
Nicht tragen; – die Diener müssen's zur Bagage legen.
Was aus ihm geworden: gar Manches erzählt die Mähr',
Doch wußte man nichts Bestimmtes, nicht damals, noch nachher.
Dombrowski sprach zu Mathias: »Nun, und Ihr, College?
Scheint's doch, daß unsre Ankunft Euch gar nicht freudig errege?
Ihr blickt so sauer und schweigt! Wie? hüpft Euch nicht das Herz,
Wenn goldene, silberne Adler da blinken allerwärts?
Wenn die Kosciuszko-Reveille Euch in's Ohr trompetet?
Da dacht' ich, daß Ihr schon als andrer Kerl aufträtet.
Ergreift Ihr nicht den Säbel, steigt Ihr nicht zu Roß,
So trinkt doch mit den Collegen als froher Zechgenoß,
Auf's Wohl des Kaisers, auf die Hoffnungen von Polen!«
»Ha,« sagt Mathias, »ich weiß schon! doch, sag' ich's unverhohlen,
Zusammen in einem Neste horsten zwei Adler nicht gern!
Hetman, auf scheckigem Rosse reitet die Gunst der Herrn!
Napoleon ist ein Heros, viel wär' davon zu sagen –
Ich weiß, was meine Freunde geäußert in früheren Tagen,
Wie die Pulawski's sagten, im Hinblick auf Dumouriez:9
Noth thu' es, daß für Polen ein polnischer Held ersteh',
Kein Italiener, kein Franzose, – nein, ein Piast,
Ein Jan, ein Josef, oder ein Matschek, wie er uns paßt,
Und Punctum! – Das ›polnische‹ Heer! – Doch das sind Füsiliere,
Sapeurs und Grenadiere, Flanqueurs und Kanoniere:
Man hört mehr wälsche Titel10 in allen diesen Armeen,
Als nationale: wer mag nur die Namen verstehen?
Und da habt Ihr Schismatiker, Türken oder Tataren,
Ohne Gott und Glauben, ganz verwilderte Schaaren,
Die die Wanderer plündern, ich hab' es selbst geseh'n,
Die Weiber molestiren, ja, Kirchenraub begeh'n.
Der Kaiser geht nach Moskau, das ist leicht gesagt!
Wenn Seine Majestät das ohne Gott gewagt –
Er soll auch schon dem Kirchenbann verfallen sein:
Das alles ist« – Hier tunkt er sein Brot in die Suppe ein,
Verzehrt es und vollendet das letzte Wort nicht mehr.[281]
Mathias' Rede schmeckt dem Kämmerer nicht sehr;
Die Jugend beginnt zu murren, der Richter beschwichtigt die Schaar
Mit der Meldung: erschienen sei das dritte Paar.
Es war der Notar Bolesta. Er mußt' es selber sagen,
Niemand erkennt ihn. Bisher hatt' er sich polnisch getragen,
Jetzt aber hat Telimene ihm im Ehevertrage
Die Klausel abgerungen, daß er dem Kontusz entsage;11
Wohl oder übel, entschloß er sich zur französischen Tracht.
Der Frack hat ihn schon sichtlich halb um's Leben gebracht:
Er schreitet, als hätt' er ein Stöckchen geschluckt, mit steifem Rücken,
G'rad, wie ein Kranich, wagt nicht rechts, noch links zu blicken.
Die Miene ist fest, doch liest man die Tortur darin,
Wie soll er sich nur verbeugen! wo thut er die Hände hin!
Er, dieser Gestenfreund! – Die Hand in den Gürtel zu schlagen
Versucht er: da ist kein Gürtel, – er streichelt sich nur den Magen;
Jetzt merkt er's, – greift in den Frack, ganz krebsroth, ganz verwirrt,
Hat sich mit beiden Händen in Eine Tasche verirrt;
Spießruthen läuft er, während Alles kichert und zischt,
Schämt sich des Fracks, als wär' er bei einem Verbrechen erwischt –
Nun aber erblickt er Matschek's Augen und erbebt.
Matschek hatte bisher mit ihm in Freundschaft gelebt;
Jetzt sah er ihn mit so scharfem, so wildem Blicke an,
Daß der Notar erblaßte, sich zuzuknöpfen begann,
Als riss' er ihm mit dem Blick den Rock vom Leib. Doch starr
Mustert ihn Dobrzynski, ruft zweimal kräftig: »Narr!«
Ist aber über die Wandlung so fürchterlich ergrimmt,
Daß er sich gleich erhebt, gar keinen Abschied nimmt,
Fortschlüpft, sein Roß besteigt, um rasch nach Haus zu reiten.
Indessen hat Telimene schon alle Herrlichkeiten
Ihres Reizes entfaltet, und ihres Putzes Pracht, –
Vom Kopf bis zu den Füßen nach neuester Mode gemacht.
Was sie aber für Kopfputz, was für Robe getragen,
Vergeblich war' es zu schildern, das kann die Feder nicht sagen.[282]
Höchstens des Malers Pinsel mag den Ausdruck besitzen
Für alle die Tülle, Cashmires, Perlen, Steine und Spitzen,
Für das Roth der Wangen und des Auges Blitzen.
Der Graf erkennt sie sofort; bleich vor Verwunderung steht er
Vom Tische auf, rundum nach seinem Degen späht er:
»Du also bist es, Du! Trügt mich mein Auge nicht?
Drückst eines Andern Hand vor meinem Angesicht?
O unbeständig Wesen, o Seele ohne Treu',
Versinkst du in die Erde nicht vor Scham und Scheu?
So wahrst du, was dein Mund doch jüngsthin erst beschwor?
Was trug ich diese Bänder, ich leichtgläubiger Thor!
Doch ihm, der mich mißachtet, weh' dem Rivalen! fürwahr:
Nur über meine Leiche geht er zum Altar!«
Aufsteh'n die Gäste, schrecklich betroffen ist der Notar.
Der Kämmerer sucht eilig dem Streit zuvorzukommen;
Indessen hat Telimene den Grafen bei Seite genommen:
»Noch,« flüstert sie, »noch bin ich nicht Bolesta's Frau,
Wollt Ihr's verhindern, gut denn, erwidert mir genau,
Erwidert mir aber sogleich ein kurzes, bündiges Wort,
Liebt Ihr mich noch immer? Seid Ihr bereit, sofort
Als Bräutigam mit mir zu schreiten zum Altar,
Sofort, noch heute? Wollt Ihr's: verlass' ich den Notar!«
Da ruft der Graf: »O Weib, wie soll ich dich verstehen?
Einst hab' ich in der Liebe dich so poetisch gesehen,
Heut' scheinst du ja ganz prosaisch! Was sind denn eure Ehen,
Als Ketten, die nur binden, aber nicht vermählen,
Die nur die Hände vereinen, aber nicht die Seelen?
Glaub' mir, auch ohne Verlobung giebt's ein Sich-angeloben,
Pflichten auch ohne Verpflichtung! So muß sich Liebe erproben!
Zwei Herzen halten Zwiesprach von zwei Enden der Welt,
Wie mit den flimmernden Strahlen die Sterne am Himmelszelt –
Vielleicht drängt sich die Erde darum mit solchem Trieb
Zur Sonne, und ist darum dem Mond so ewig-lieb,
Weil sie sich ewig anschau'n und auf der kürzesten Bahn
Hin zu einander fliegen und sich doch nimmer nah'n!«[283]
»Genug,« versetzt sie, »genug von Eurem Sterngeflimmer!
Gottlob, ich bin kein Planet, ich bin ein Frauenzimmer,
Ich weiß schon Alles, was nachkommt, – faselt mir nicht so fort!
Jetzt sag' ich Euch zur Warnung: muckst Ihr nur ein Wort,
Um meine Ehe zu hindern, gebt Ihr heut' nicht Ruh':
Bei Gott! mit diesen Nägeln spring' ich auf Euch zu
Und« – »Nein,« erwidert der Graf, »nicht stör' ich Euer Glück.«
Und wendet sich ab, voll Trauer und Verachtung im Blick;
Und zur Strafe der Huldin mit dem falschen Sinn,
Gab er sein treues Herz der Kämmererstochter hin.
Der Wojski versöhnte gerne die Herrn, die sich entzweit,
Durch ein weises Beispiel aus der Vergangenheit,
Beginnt drum wieder, wie Rejtan einstmals Jagden hielt,
Und was er dem Herzog von Nassau für einen Streich gespielt.12
Jetzt aber beschließen die Gäste mit dem Eis den Schmaus,
Und gehen in den Schloßhof, in die Luft, hinaus.
Dort enden die Bauern ihr Mahl: es kreisen die Krüge voll Meth,
Indeß die Musik schon anstimmt und zum Tanze lädt.
Man sucht Thaddäus: der stand abseits auf der Au,
In eifrigem, leisem Gespräch mit seiner künftigen Frau:
»Soschja, ich hab' dir etwas sehr Wichtiges vorzulegen:
Den Onkel befragt' ich bereits, – und er hat Nichts dagegen.
Du weißt, daß von den Gütern, die ich übernehme,
Ein großer Theil auf dich, nach dem Gesetze, käme.
Die Bauern sind deine Knechte, nicht meine; du hast zu schalten,
Nicht ohne die Herrin darf ich über ihr Schicksal walten. –
Jetzt, da wir das Vaterland, das theure, wiedererhalten:
Soll diese glückliche Wandlung den Bauern gar nichts frommen,
Gar nichts, als daß sie einen andern Herren bekommen?
Das ist wohl wahr, sie waren bis nun nicht schlecht gestellt:
Aber, nach meinem Tod – Gott weiß, wer dann sie erhält!
Ich bin Soldat – wir Beide sind ja doch nur sterblich;
Ich bin ein Mensch, – wie leicht wird Menschenlaune verderblich!
Es ist doch sich'rer, wenn ich der Gewalt entsage,
Der Bauern Loos dem Schutz des Gesetzes übertrage.[284]
Selbst frei, laß uns die Bauern auch zu Freien erheben,
Laß uns ihnen den Boden zu Erb' und Eigen geben,
Der sie geboren, den sie erobert in blutigem Müh'n,
Durch den sie uns Alle nähren, durch den wir wachsen und blüh'n.
Unser Einkommen aber schmälert sich, mußt du wissen,
Durch diese Schenkung: wir werden bescheiden leben müssen.
Ich bin von Jugend auf gewohnt, recht sparsam zu leben;
Doch du bist von hohem Stand – ist das auch dir gegeben?
Du warst als Kind in der Hauptstadt – ob es dir nun gefällt,
Hier auf dem Land zu leben, abseits von der Welt,
Als Landedelfrau?«
Bescheiden erwidert Soschja und spricht:
»Ich bin ein Weib: zu schalten ist meine Sache nicht;
Bin auch zu jung zum Rathen; Ihr werdet ja mein Mann,
Was Ihr verfügt, das nehm' ich von ganzem Herzen an.
Befreist du nun die Bauern, und wirst du dadurch ärmer,
Dann, mein Thaddäus, liebt dich mein Herz nur um so wärmer.
Mein Stand ist mir kaum bekannt, gleichgiltig ganz und gar;
Ich weiß nur, daß ich eine arme Waise war,
Daß mich die Soplica's annahmen an Kindesstatt,
Daß mich ihr Haus erzogen und nun verehlicht hat.
Vor'm Lande bangt mir nicht; die Hauptstadt liegt mir so fern,
Hab' sie vergessen: das Land hatt' ich ja immer gern,
Konnt' meinen Hähnen und Hennchen mehr Kurzweil abgewinnen,
Glaub' mir's, Liebster, als jenen Petersburgerinnen.
Wenn es mich zu Zerstreuungen manchmal gezogen hat,
War's Kinderei, – ich weiß jetzt: mich langeweilt die Stadt.
Ich hab's im Winter, in Wilno, nach kurzer Zeit er kannt:
Ich bin für's Dorf geboren: ich sehnte mich nach dem Land,
Nach Soplicowo, mitten aus aller Belustigung.
Die Arbeit scheu' ich nicht, ich bin ja gesund und jung;
Ich weiß mich um's Haus zu kümmern, trag die Schlüssel gerne,
Du sollst sehen, Liebster, wie ich die Wirtschaft erlerne!«
Während sie noch so redet, tritt der Schließer zu ihnen,
Guckt sauer drein und sagt dann mit verwunderten Mienen:[285]
»Die Freiheit! Weiß schon: der Richter sprach davon vorhin!
Versteh' aber nicht: wie soll sich das auf die Bauern bezieh'n!
Am End' ist das was Wälsches!13 Gewiß – dann tadl' ich es:
Freiheit ist nichts Bäurisches, ist was Adliches!
Das ist schon wahr, wir Alle kommen von Adams Stamm:
Aber ich hab' gehört: die Bauern stammen von Cham,
Die Juden von Japhet, die Schlachta von Sem: so folgt daraus,
Daß wir Schlachcicen herrschen, als die Ältern im Haus.
Der Pfarrer auf der Kanzel führt's freilich anders aus,
Er meint: im alten Bunde war das wohl Fug und Recht,
Als aber Christus, der Herr, aus königlichem Geschlecht,
Im Bauernstall unter Juden erblickte das Licht der Welt,
Hab' er damit alle Stände vereinigt und gleichgestellt! –
Nun, wenn's nicht anders sein kann, sei's in diesem Sinn!
Zumal auch Ihre Gnaden, meine Gebieterin,
Der ganzen Sache zustimmt. Nun ja, sie hat zu schalten,
Ich zu gehorchen: Ihrer sind die Herrschergewalten.
Nur warn' ich, mit der Befreiung nicht so vorzugehen,
Daß sie ein leerer Schall wird, wie's unter den Russen geschehen,
Als der selige Karp die Bauern freigemacht,14
Und Rußland sie mit dreifacher Steuer umgebracht.
Man möge vielmehr die Bauern zu Schlachcicen erheben,
Wie's alter Brauch, – und ihnen unser Wappen geben.
Das Fräulein mag einigen Dörfchen Ihren Halbbock weihen,
Den andern Herr Soplica Seine Leliwa verleihen.
Dann ernennt auch Rembajlo des Bauern Gleichheit an,
Sieht er ihn als Schlachcic, der Stand und Wappen gewann.
Der Reichstag sanctionirt's. –
Und mög' Ihr Mann nicht denken,
Die Herrschaften würden so arm, wenn Sie den Boden verschenken:
Das thut mir Gott nicht an, daß das Magnatenkind
Ihr Händchen abarbeitet, gleich dem Hausgesind;
Da giebt's ein Mittel: ich weiß im Schlosse einen Schrein,
Der schließt das Tischgeräth der Herrn Horeszko ein,
Halsbänder auch und Spangen, Reitzeug Säbel und Ringe,
Kostbare Federbüsche, ganz wunderherrliche Dinge:[286]
Des Truchseß Schatz, im Erdreich geborgen und vergraben;
Jetzt soll ihn Fräulein Sophie, als seine Erbin, haben.
Ich hütet' ihn, wie mein Aug' im Kopf – vor russischem Raub
Und, Ihr Herrn Soplica's, vor Euch auch, mit Verlaub.
Auch hab' ich von meinen eigenen Thalern noch ein Säckchen, –
Dienstlohn und Herrengeschenke, – es ist ein stattlich Päckchen.
Ich dachte, wenn das Schloß einst wieder in unsern Händen,
Das Geld zum Restauriren der Mauern zu verwenden.
Heut' thut es möglicherweise der jungen Wirthschaft Noth,
So zieh' ich denn, Herr Soplica, zu Euch, – das Gnadenbrod
Ess' ich bei meiner Herrin bis zu meinem Tod,
Wiege der Horeszko dritte Generation,
Drill' es zum Federmesser, das Kindlein: wenn's ein Sohn –
Ein Sohn wird's aber gewiß; denn Krieg ist vor den Thoren,
Und während des Kriegs, da werden immer Söhne geboren.«
Kaum endete seine Rede der Schließer Gervasius,
Da kommt gemessenen Schritts der Frohn Protasius,
Verbeugt sich, und aus dem Busen des Kontusz hervorgezogen,
Erscheint ein riesiger Hymnus, ungefähr dritthalb Bogen,
Von einem jungen Unterofficier geschrieben,
Der auch in der Uniform der Belletrist geblieben,
Deß Oden einst die ganze Residenz bewundert.
Protas recitirt die Verse, las ihrer schon dreihundert,
Bis er zur Stelle kam: »O, du entzückende Sonne,
Die seligen Schmerz erweckt und qualenreiche Wonne,
Die du, sobald dein Antlitz blickt auf Bellona's Heere,
Die Schilde gleich zersprengst, in Trümmer brichst die Speere:
Wirf heut' durch Hymen's Macht den grausen Kriegsgott nieder,
Reiß' aus der Stirn die Schlangen der zischenden Zwietrachtshyder!«
Da klatscht fortwährend das Brautpaar, wie um Beifall zu spenden,
In Wahrheit, um die weit're Vorlesung abzuwenden. –
Der Richter bittet den Pfarrer, auf den Tisch zu steigen,
Um Thaddäus' Beschluß den Bauern anzuzeigen.
Kaum hören sie die Kunde, so stürzen sie freudig hin
Zum jungen Herrn, zu Füßen der Gebieterin:[287]
»Hoch!« riefen sie weinend, »Hoch die Herrschaft!« – In die Reihen
Ruft Thaddäus: »Hoch die Mitbürger, die Freien,
Die Gleichen, – die Polen!« »Ich bringe das Wohl des Volkes aus!«
Sagt Dombrowski, – da tönt des Volkes Jubelgebraus:
»Hoch die Feldherrn! Das Heer! Das Volk! Hoch alle Stände!«
So schallt es tausendstimmig, abwechselnd, ohne Ende.
Nur Herr Buchmann theilt nicht die Freude an der Sache:
Er lobt den Vorschlag, möcht' nur, daß man's anders mache.
Vorher aber empfiehlt er eine legale Enquete,
Die, –
Schade, daß die Kürze der Zeit im Wege steht,
Daß es nicht so gescheh'n kann, wie Herr Buchmann räth;
Denn Officiere und Damen, Soldaten und Bäuerinnen,
Steh'n schon im Hofe, paarweis, und wollen den Tanz beginnen.
»Eine Polonaise!« ruft Alles wie Ein Mann;
Die Officiere winken ihre Kapelle heran:
Der Richter aber flüstert dem General in's Ohr:
»Laßt die Kapelle noch warten, sie spielt uns später vor.
Ihr wißt: mein junger Neffe, Thaddäus, verlobt sich heut',
Und in meinem Hause ist's Brauch seit alter Zeit,
Verlobung und Hochzeit immer bei Dorfmusik zu begeh'n.
Seht dort den Fiedler, den Dudler, den Cymbalisten steh'n,
Brave Musikanten – seht wie der Fiedler schon zuckt,
Des Dudlers Blicke betteln, wie er sich bückt und duckt:
Die Armen werden jammern, schick' ich sie jetzt zurück –
Das Volk kann auch nicht springen bei anderer Musik.
Laßt die beginnen; wir wollen dem Volk die Lust nicht stören.
Dann wollen wir auch Eure schöne Kapelle hören.«
Er gab das Zeichen.
Der Fiedler schürzt seine Ärmel, preßt
Kräftig am Griff, das Kinn ruht an dem Stege fest,
Und, wie ein Pferd im Galopp, läßt er den Bogen gleiten;
Auf dies Signal beginnen die Dudler zu beiden Seiten:
Rühren hurtig die Arme, wie mächtige Flügel wehen,[288]
Und blasen in die Bälge, daß sich die Wangen blähen:
Als wollt' das Paar auffliegen in der Lüfte Reich,
Des rauhen Boreas pausbäckigen Kindern gleich.
Es fehlt an Cymbeln –
Cymbelschläger gab es viel,
Doch neben Jankiel wagt sich Keiner an das Spiel;
Der war den Winter über, Gott weiß wohin, verschwunden;
Jetzt hat er mit dem Stab sich plötzlich eingefunden.
Das wissen Alle, daß ihm auf diesem Instrument
Keiner gleicht an Übung, an Geschmack und Talent.
Man reicht ihm die Cymbeln, bittet, – der Jude sträubt sich: er sagt,
Daß er vor den Herrschaften nicht zu spielen wagt,
Er sei des Spielens entwöhnt, habe schon plumpe Hände;
Mit einer Verbeugung entschlüpft er: als nun Soschja behende
Hinläuft und ihm auf weißer Hand die Klöppel reicht,
Mit denen der Meister gewöhnlich die Saiten der Cymbel streicht –
Mit der Linken streichelt sie ihm den grauen Bart,
Knixt und sagt: »Ach, Jankiel, wenn Ihr mir heut' willfahrt!
Auf meiner Hochzeit zu spielen, habt Ihr ja immer gelobt:
So thut mir die Liebe, Jankiel, heut' werd' ich ja verlobt!«
Nun liebte er Soschja unendlich: auf ihre freundliche Bitte
Nickt er mit dem Bart; man führt ihn in die Mitte,
Bringt einen Sessel, er setzt sich, man holt die Cymbeln, legt
Sie auf des Meisters Knie: Drein schaut er, freudig bewegt,
Stolz, – wie ein Veteran, deß Arm das Land begehrt,
Herschleppen von der Wand die Enkel das wuchtige Schwert:
Der Alte lacht, wie lange hat er's nicht getragen,
Doch fühlt er, noch wird die Hand der Waffe nicht versagen.
Inzwischen knie'n zwei Schüler neben die Cymbeln hin,
Um klimpernd die Saiten zu stimmen und straffer anzuzieh'n.
Jankiel sitzt, schweigenden Mundes, – halbgeschlossen die Lider –
Starr zwischen den Fingern die Klöppel.
Nun aber läßt er sie nieder:
Erst schlägt's wie ein Triumphmarsch; in immer schnellerem Fall[289]
Haut's dann in die Saiten, wie ein Regenschwall –
Alles lauscht erstaunt; allein das waren nur Proben;
Bald bricht er ab, hält wieder die beiden Klöppel erhoben.
Er spielt auf's Neu': schon zittern die Stäbchen, leicht bewegt,
Wie wenn ein Mückenflügel an die Saiten schlägt:
Ein kaum vernehmliches Summen. Und immer, zum Himmel starrend,
Sitzt ruhig der Meister da, wie der Begeisterung harrend.
Wie stolz die Blicke von oben über die Cymbeln schweben!
Die Hände erheben sich – fallen – schlagen mit beiden Stäben.
Staunen ergreift die Hörer.
Und Saiten um Saiten erbeben –
Da schmettert's empor: eine ganze Janitscharenkapelle,
Trommeln hört man und Becken und Tambourin und Schelle:
Die Polonaise des dritten Mai!15 – Sich hebend und senkend
Hüpfen die Töne lustathmend, das Ohr mit Freude tränkend;
Die Mädchen wollen tanzen, die Burschen zucken und beben;
Die Alten aber trägt es in's vergangene Leben:
Wie nun die Zeit, die sel'ge, hell vor ihr Auge trat,
Da nach dem dritten Mai Landboten und Senat
Den Frieden zwischen König und Volk in höchstem Glanz
Im Rathhaussaal gefeiert, bei Spiel, Gesang und Tanz;
»Hoch der geliebte König!« so klang's da durch den Saal,
»Hoch das Volk, der Reichstag, die Stände allzumal!«
Und schneller immer und immer mächt'ger spielt er fort:
Da – wie ein Schlangenzischen ertönt ein falscher Akkord,
Wie Eisen über Glas knirscht: daß Alles ein Schauer durchdringt,
Daß es wie böse Ahnung in die Freude klingt.
Die Hörer fragen sich alle, von Angst und Bangen ergriffen:
Sind denn die Saiten verstimmt? hat sich der Meister vergriffen? –
Der Meister vergreift sich nicht! Mit Absicht berührt er sie
Stets, diese Verräthersaite, und trübt die Melodie –
Stets lauter reißt er die Saite, die grimme, fort und fort:
Den wider die Eintracht der Stimmen conföderirten Akkord!
Da faßt es der Schließer, bedeckt sein Antlitz mit der Hand:
»Das,« rief er, »ist Targowica! ich habe den Ton erkannt!«
Er spricht's: als schon lautsausend die Unheilssaite springt –[290]
Die Primen ertönen: ein wirrer, gebrochener Takt, – schon klingt
Der Primenton nicht mehr – nein, aus den Bässen dringt
Ein tausendfältig Brausen, ein immer lauteres Klirren,
Marsch, Kampf, Attaque und Sturm, Schüsse und Kugelschwirren,
Der Kinder Stöhnen, der Mütter Thränen; – der große Meister
Entfesselte so furchtbar des Sturmes klagende Geister:
Die Bäuerinnen erzittern – das Blutbad von Praga zieht
Am weinenden Aug' vorüber, bekannt aus Sage und Lied –
Froh sind sie, daß es nun endlich aus allen Saiten erbraust,
Daß er die Stimmen erstickt, begräbt mit eherner Faust.
Vom Staunen erholt sich kaum der lauschende Hörerkreis:
Da wandelt sich schon die Weise: erst wieder leicht und leis –
Ein Summen, ein Ächzen – wenige dünne Saitchen klagen,
Wie wenn sich ein paar Fliegen durch's Spinnengewebe schlagen.
Doch Saite gesellt sich zu Saite, es eint sich Ton mit Ton,
Und die Akkorde verflechten Legion um Legion:
Und schon schreitet's im Takt in mächtiger Harmonie,
Und bildet des alten Liedchens klagende Melodie:
Vom Krieger, vom verbannten, der irrt Wald aus, Wald ein,
Will manchmal fast vergehen vor Noth und Hungerspein,
Am Fuß des treuen Rößleins sinkt er endlich hin,
Und Rößlein mit dem Fuße gräbt das Grab für ihn.
Und die Soldaten erkennen' s, das Lied aus alter Zeit,
Dem polnischen Krieger so lieb! – Dicht um den Meister gereiht,
Lauschen sie, und gedenken der Tage voll Bitterkeit,
Da sie das Lied am Grabe des Vaterlandes sangen, –
Und sind dann in die weite, weite Welt gegangen!
Gedenken der langen Irrfahrt über Meer und Land,
Der Wanderung durch Fröste und heißen Wüstensand,
Inmitten fremder Völker: wo dieser Volksgesang
Oft so rührend und tröstend in ihrem Lager klang –
Und sie neigen die Häupter, sinnend, schmerzensbang.
Doch sie erheben sie gleich: Wie anders, – heller erklingt es!
Stärker, in andrem Takte, – andre Botschaft bringt es!
Und wieder läßt er von oben den Blick auf die Saiten schweben,[291]
Verflicht die Hände, und beide schlagen mit beiden Stäben:
Ein Schlag, so kunstvoll, so mächtig, daß, wie Drommeten von Erz,
Die Saiten gewaltig erklangen – und aufflog himmelwärts
Jene berühmte Weise, aus heiligster Hoffnung geboren,
Jener Triumphmarsch: Noch ist Polen nicht verloren!
Auf, Dombrowski, nach Polen! – Und Alles klatscht in die Hände,
Und: »Auf, Dombrowski!« jauchzt es von einem zum anderen Ende!
Der Meister, – als staunt' er selbst sein Lied an, so erbebt er,
Läßt aus den Fingern die Klöppel, beide Hände erhebt er,
Die Fuchsmütze hat sich ihm über die Schulter geschoben,
Es wallt der mächtige Bart, in würdigem Ernst erhoben,
Auf den Wangen erglüh'n ihm Ringe in seltsamem Roth,
Das Aug' ist voll des Geistes, von Jünglingsfeuer durchloht:
Nun blickt er auf Dombrowski, bedeckt sein Angesicht –
Während ihm über die Hände ein Strom von Thränen bricht:
»O, General! Du bist's, auf den wir Lithauer harrten,«
So ruft er, »wie wir Juden auf den Messias warten –
Du bist's, den uns der Mund der Sänger prophezeite,
Den uns ein Wunder des Himmels verkündigt! – O, leb' und streite,
Du Theuerer!« Er sprach's, von Schluchzen übermannt:
Der brave Jude, als Pole liebt' er sein Vaterland!
Dombrowski reicht ihm die Hand, dankt ihm von Herzensgrund,
Er zieht die Mütze und drückt die Hand an seinen Mund. – –
Zur Polonaise! – Der Kämm'rer steht auf mit leuchtendem Blick,
Und streift die fliegenden Ärmel des Kontusz leicht zurück,
Und dreht sich den Schnurrbart und reicht mit artigem Verneigen
Soschja die Hand und bittet um den Vortanz im Reigen.
Paarweis schließt sich an ihn der Herrn und Damen Kranz, –
Ein Zeichen: der Tanz beginnt, der Kämm'rer führt den Tanz.
Es funkeln die rothen Stiefel, über den Rasen gleitend,
Der Säbel auch und der Gürtel, blitzenden Glanz verbreitend.
Er schreitet, gleichsam ungern, in langsamer Bewegung,
Aber jeglicher Schritt, ja jede leichte Regung
Scheint, was der Tänzer fühlt und was er denkt, zu sagen.[292]
Jetzt bleibt er steh'n, als wollt' er die Dame etwas fragen:
Er flüstert ihr gern was zu, er neigt sich zu ihr vor –
Sie schämt sich, wendet den Kopf weg, neigt ihm nicht das Ohr.
Er zieht die Conföderatka: auf sein flehendes Neigen
Geruht sie, ihn anzublicken, doch sie verharrt im Schweigen;
Er mäßigt die Schritte, es forscht sein Blick in ihrem Blick:
Nun lacht er auf! ihr Auge verkündete sein Glück! –
Jetzt schreitet er schneller, von oben mustert er seine Rivalen,
Die Conföderatka, auf der die Reiherfedern strahlen,
Bald hängt er sie über die Stirn, bald schüttelt er sie empor,
Jetzt aber dreht er den Schnurrbart und rückt sie keck auf's Ohr.
Hingeht er – und voller Neid sind Alle hinter ihm her:
Ach, wenn er mit seiner Dame nur schon im Stillen wär'!
Artig die Hand erhebend, bleibt er zuweilen steh'n,
Und bittet sie flehentlich, sie möchten vorübergeh'n, –
Manchmal sucht er behende seitwärts hinwegzugleiten,
Nimmt einen andern Weg, die Neider irrezuleiten:
Hartnäckig aber dringen sie üb'rall auf ihn ein,
Den Fliehenden umschlingen sie flink im Ringelreih'n;
Da legt er zürnend die Hand an's Schwert, – als wollt' er sagen:
Weh' euch, ohnmächt'ge Neider! was werd' ich nach euch fragen!
Und wendet sich, Stolz auf der Stirne, keckes Geständniß im Blick,
G'rad in die Menge: die Tänzer weichen scheu zurück –
Doch ändern sie nun die Reihen und eilen wieder im Bunde,
Den Kühnen zu verfolgen –
Da scholl es in der Runde:
»Ach, das ist vielleicht der Letzte, – seht, junge Leute, seht!
Der Letzte, der Polonaisen so zu führen versteht!«
Lautjauchzend wandeln Paar um Paar; des Ringes Ründung
Schließt sich, öffnet sich, wie in tausendfacher Windung
Die Riesenschlange sich bricht; und wie die blitzenden Schuppen,
So schillert, in steter Verwandlung, die bunte Tracht der Gruppen,
Der Herrn, der Damen, der Krieger, vergoldet vom Abendglanz,
Gehoben vom dunklen Pfühl des Rasens: es braust der Tanz,
Es rauscht die Musik, – »Hoch!« »Bravo!« tönt's aus dem jauchzenden Kranz.[293]
Nur Sack, der Korporal, lauscht weder der Musik,
Noch tanzt, noch jubelt er im allgemeinen Glück.
Die Hände auf dem Rücken, bös, düster steht er da:
Er denkt, was ihm durch Soschja für Herzeleid geschah, –
Wie er ihr Körbchen geflochten, wie er ihr Blumen gebracht,
Nester ausgenommen und Ohrringe gemacht!
O, Undank! Obwohl er so viel Geschenke an ihr verschwendet,
Obwohl's ihm der Vater verbietet, obwohl sie sich von ihm wendet,
Sitzt er noch immer – wie oft – an jenem Bretterzaun,
Schleicht in den Hauf, um sie durch's Fenster zu erschau'n,
Versucht noch, ob er sie nicht in ihrem Gärtchen erblickt,
Wenn sie die Hennchen füttert, jätet, Gurken pflückt –
O, Undank! – Er senkt die Stirne, und – am Ende pfeift er
Eine Mazurka, den Tschako über die Ohren steift er,
Dann geht er fort in's Lager zu den Kanonenwachen,
Um da zur Tröstung ein Reversispielchen zu machen,
Zu seh'n, ob nicht der Becher sein trauernd Herz zerstreue:
So wahrte Sack Dobrzynski seiner Soschja die Treue!
Soschja tanzt fröhlich: man sieht sie aus der Ferne kaum,
Obwohl sie den Reigen anführt. Auf dem weiten Raum
Des grünbewachs'nen Hofs, in ihrem grünen Kleid,
Geschmückt mit Guirlanden und Kränzen, in der Tänzer Geleit,
Schwebt sie durch Gräser und Blumen in unsichtbarem Flug,
Und leitet den Tanz, wie ein Engel der Sterne nächtlichen Zug.
Doch man erräth, wo sie ist: zu ihr sind die Blicke gelenkt,
Zu ihr die Arme erhoben, zu ihr hat sich Alles gedrängt.
Vergebens hat sich der Kämm'rer sie festzuhalten geplagt,
Die Neider haben ihm schon den Vortanz abgejagt;
Auch Dombrowski bleibt nicht lang der glückliche Ritter,
Ein Zweiter nimmt sie ihm weg, und eilig naht schon ein Dritter,
Auch der ist bald verdrängt und hat kein Glück zu hoffen;
Schon ist sie müd': da hat sie ihren Thaddäus getroffen, –
Jetzt möchte sie nicht länger in immer andre Hände,
Möcht' nun bei ihm bleiben und macht dem Tanz ein Ende. –
Bald steht sie wieder am Tisch, mit Wein die Gäste labend.
[294]
Die Sonne sank; es war ein warmer, stiller Abend,
Der Himmel da und dort in kleine Wölkchen getaucht,
Oben bläulich, im Westen rosig angehaucht;
Die strahlenden, leichten Wölkchen, schön Wetter künden sie an:
Hier ruh'n sie, wie Lämmer, schlummernd auf grünem Wiesenplan,
Dort andre, etwas kleiner, Spiegelenten gleich; –
Im Westen hängt eine Wolke, durchsichtig, faltenreich,
Wie ein Spitzenvorhang: die Säume voll goldiger Garben,
Die obere Fläche perlgrau, das Innere purpurfarben;
Im Glanz der Abendsonne erglüht sie noch und glimmt,
Bis sie langsam vergilbt, verbleicht und grau verschwimmt.16
Da senkt die Sonne ihr Haupt, schiebt vor die Wolke, – und tief
Voll warmer Luft aufathmend, erseufzte sie – und entschlief.
Und tapfer trinkt die Schlachta: ein Hoch um's andre bringt sie,
Auf Bonaparte, die Feldherrn, Thaddäus und Soschja trinkt sie,
Ein Hoch der Reih' nach allen drei verlobten Paaren,
Allen, die kamen, – Allen, die geladen waren,
Allen Freunden und Lieben, die noch auf Erden leben,
Und die als heil'ge Schatten um die Lebendigen schweben!
Auch ich war bei den Festen und zechte mit den Gästen,
Und was ich sah und hörte, das gab ich euch zum Besten.
1 | Machte weite Reisen und gab eine Beschreibung seiner Pilgerfahrt in's heil. Land heraus. |
2 | Vgl. (d.Ü.) |
3 | Im 16. und im Anfang des 17. Jahrhunderts, in der Blüthezeit der Künste, wurden sogar die Bankette von Künstlern angeordnet und waren voller Symbole und theatralischer Scenen. Auf dem berühmten römischen Bankett zu Ehren Leo des X. befand sich ein Tafelaufsatz, der den Wechsel der vier Jahreszeiten vorstellte, und der auch gewiß dem des Radziwill als Muster gedient hat. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts nahmen die Tafelgebräuche in Europa eine andere Gestalt an; in Polen erhielten sie sich am längsten. |
4 | Pinetti, ein in ganz Polen berühmter Taschenspieler; wann er da verweilt hat, ist uns nicht bekannt. |
5 | Vgl. (d.Ü.) |
6 | Vgl. (d.Ü.) |
7 | Vgl. (d.Ü.) |
8 | In Lithauen giebt's ein bekanntes Klagelied von der Frau Cybulska, die ihr Mann im Kartenspiel an die Russen verloren hatte. |
9 | Die französische Regierung unterstützte die Conföderirten von Bar (vgl. ) nicht nur mit Geldmitteln, sondern sandte ihnen auch tüchtige Offiziere, unter Andern den später so berühmt gewordenen Dumouriez. (d.Ü.) |
10 | Im Polnischen wörtlich: »Mehr deutsche Titel«. Der Pole gebraucht für alles Nicht-Nationale den Namen »Deutsch«, ganz in demselben Sinne, wie die Deutschen den Ausdruck: »Wälsch«. (d.Ü.) |
11 | Die Mode, die nationale Tracht mit der französischen zu vertauschen, grassirte in den Provinzen von 1800 bis 1812. Die meisten jungen Leute wechselten die Tracht vor der Verheirathung, auf Wunsch der Braut. |
12 | Die Geschichte vom Streit zwischen Rejtan und dem Herzog von Nassau, die der Wojski nicht zu Ende erzählt, ist aus der Tradition bekannt. Dem neugierigen Leser sei hier der Ausgang derselben mitgetheilt: Ärgerlich über Nassau's Prahlereien, stellte sich Rejtan einmal neben ihm an einem Engpaß auf. Da stürzte plötzlich ein gewaltiger, durch das Schießen und Hetzen gereizter Eber auf sie zu. Rejtan reißt dem Herzog die Flinte aus der Hand, wirft sie an den Boden, ergreift dann einen Speer, reicht dem Herzog einen zweiten und ruft: »Jetzt wollen wir sehen, wer besser mit dem Spieß umgeht«. Schon drang der Eber auf sie ein, als der Wojski Herczecha, der in einiger Entfernung von ihnen stand, mit einem wohlgezielten Schuß das Thier niederstreckte. Die beiden Herren ärgerten sich anfangs, dann versöhnten sie sich und belohnten den Wojski reichlich. |
13 | Vgl. (d.Ü.) |
14 | Die russische Regierung erkennt keine Freien an, außer der Schlachta. Die von ihren Grundherrn freigegebenen Bauern werden sofort in die Listen der Kaiserlichen Tafelgüter eingetragen und müssen, statt den Frohne, eine erhöhte Steuer zahlen. Bekanntlich haben die Grundeigenthümer des Wilno'er Gouvernements auf einer Landschaftsversammlung im J. 1818 ein Projekt zur Befreiung sämmtlicher Bauern beschlossen und in dieser Angelegenheit eine Gesandtschaft an den Kaiser geschickt; aber die Regierung befahl, das Projekt zu unterdrücken und nie mehr zu erwähnen. Man kann unter der russischen Regierung einen Menschen auf keine andere Weise frei machen, als indem man ihn in die Familie aufnimmt. Viele wurden denn auch auf diesem Wege aus Gnade oder für Geld in die Schlachta aufgenommen. |
15 | Vgl. zu dieser Stelle, und überhaupt zum »Concert der Concerte«, die , – speciell zum »Blutbad von Praga« die (d.Ü.) |
16 | Dem Leser der bisher bemerkt hat, in welchen innigen Zusammenhang Mickiewicz die Erscheinungen der Natur und die menschlichen Dinge zu bringen liebt, wird es weder schwer fallen, noch als gezwungene Deutelei erscheinen, die inmitten der großen Festschilderung gar so unverhältnißmäßig breit und scheinbar kleinlich ausgemalten »Wolken« am Schlusse der Dichtung noch ganz anders, denn als bloße Äußerlichkeit, zu verstehen. Es wird ihm nicht schwer sein, in jener Wolke im Westen, der gold-und perlengeschmückten, aber im Innern blutig-rothen, den großen Kriegsmann des Westens, Napoleon, oder, wenn man will, die an ihn geknüpfte Hoffnung der Polen, zu erblicken. Wir befinden uns im Jahre 1812: die Aureole jenes Namens, wie diese Hoffnung und Festesfreudigkeit, wir mögen sie wohl wiedererkennen in dem glänzenden, aber flüchtigen Gebilde, das da » ... langsam verbleicht, vergilbt und grau verschwimmt, –« hinter dem die Sonne aufseufzend entschlummert. So läßt der Dichter an dieser Stelle, wie früher (S. 281) in den Worten Matschek's, die große Tragödie ahnen, die in Kurzem nicht bloß Lithauen und Polen, sondern die Welt erschüttern sollte. (d.Ü.) |
Buchempfehlung
Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.
52 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro