|
[208] 1773.
Ach, du lieber Mond! wie helle
Scheinest du in diese Zelle,
Wo, auf ewig eingemaurt,
Gottes Anverlobte traurt!
Aber leiser, meine Klage!
Daß kein Laut das Glück verjage,
So in Träumen mild und süß,
Sich zu Schwestern niederließ.[208]
Schlummert, o geliebte Seelen!
Ich will mich alleine quälen;
Will, im stillen, meiner Pein
Jammernde Vertraute sein.
Schlummert ihr auch, deren Härte
Mich in diesen Kerker sperrte!
Vater! Mutter! schlummert ein!
Jesus will, ich soll verzeihn.
Aber fromme, sanfte Klagen
Kann mir Jesus nicht versagen;
Schuf er meine Seele doch
Nicht für dieses schwere Joch!
Jeder Vogel darf im Freien
Sich mit seinesgleichen freuen;
Jedes Würmchen, noch so zart,
Spielt mit Würmchen seiner Art.
Noch im späten Mondenglanze
Drehen Mücken sich im Tanze;
Alles freuet inniglich
Dein, o süße Freiheit, sich!
Nur uns armen, guten Seelen
Soll dein Glück auf ewig fehlen;
Allen Freuden unbekannt,
Hat uns Wahn hieher gebannt!
An den heiligen Altären
Mußt' ich jeder Lust entschwören;
Mutter Gottes! Ach, ich schwur!
Und ich brach, ich brach den Schwur!
Diese Seufzer, diese Blicke
Schmachten nach der Welt zurücke;
Sehnen wiederum von hier,
O Clarissa, sich zu dir![209]
Du, an meiner Brust erzogen,
Ach, ich bin, ich bin betrogen!
Was man mir so schön gemalt,
Ist des Jammers Aufenthalt.
Weine, Freundin! Ach vergebens
Freut' ich mich mit dir des Lebens;
Und der Welt, die voller Pracht
Allen, nur nicht mir, gelacht!
Rosen pflanzt' ich; eh' sie blühen,
Werd' ich diesen Jammer fliehen.
Pflücke sie vom Strauch herab,
Und bestreue mir mein Grab!
Weine Freundin! Diese Blicke
Schmachten nach der Welt zurücke.
Mutter Gottes! ach, ich schwur!
Und ich brach, ich brach den Schwur!
Buchempfehlung
»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro