Scena VI.

[140] Justitia wiederholet ihre admonition.


ADVOCAT. Alldieweil / Hocherleuchtete Richtere / großqeneigte Patronen / diesem meinem Clienten großgünstig vergönnt worden / seine Nohtdursst durch mich unterdienstlich an- und vorbringen zu lassen / als leb ich der unterdienstlichen guten Zuversicht / meine hochgeneigten Patronen werden mich großgünstig hören / und / was ich gebührend anbringen werde / im besten vermerken.

PRAESES. Ihr sollet nach Gebühr mit willen gehöret werden. Doch werdet ihr euch der Weitleufftigkeit / und was sonst zur Sachen nicht gehöret / enthalten.

ADVOCAT. So meinet demnach mein Client, er habe nicht unrecht gethan / alldieweil der Soldat ohne das sein Leben verwürket gehabt / als der wider seinen geleisteten Eyd ausgerissen / und wo er wäre bekommen worden / hätte müssen aufgeknüpfet werden So sey es auch ermeldtē Soldaten so schimpflich nicht / daß er in geheim umkommen / als wenn er vor allem Volke an den Galgen / oder an einen Baum geknüpfet worden wäre.

ADSESSOR I. Wie viel Vnrichtigkeiten aber stekken in diesem[140] Scheingrunde? Erstlich ist noch nicht erwiesen / daß der Entleibte ausgerissen. Darnach wenn dieß gleich erwiesen wäre / so ist doch der Ausgerissene noch nicht vor Gerichte gehöret / viel weniger gerichtlicher Weise zum Tode verurtheilet worden. Drittens / gesetzt / daß er gehöret / und condemniret worden / so wäre er doch zu einem solchen Tode nicht condemniret gewesen. Darzu kommt zum vierdten / da die Obrigkeit dem Barbirer die exsecution nicht aufgetragen gehabt / und aber niemand zur exsecution zu gebrauchen ist / als dem es die Obrigkeit aufträget und befiehlet. Sehet derowegen / was vor ein Wust defecten ereignet sich in diesem Anbringẽ?


Chirurgus stellet / sich als ob er dem Advocaten etwas ins Ohr sagte.


ADVOCATUS. Es wendet aber mein Client ein / daß denen Chirurgis oder Barbirern ohne special-Befehl der Obrigkeit viel Dinges erlaubet sey / das sonst ohne Straffe von andern Leuten nicht begangen werden möge. Als daß ein Barbirer einem einen Zahn aus dem Munde breche / einen Finger / Hand / Arm / Bein ablöse / gantze Stükkē aus den Gliedern schneite / und was dergleichen mehr ist. Da er denn nicht zuvor von der Obrigkeit Erleubnis bitten darf / weil nehmlich solche Dinge / ob sie wohl nicht ohne Schmertzen seyn / dem Menschen zum besten dienen. Stehet derowegen der Barbirer in denen Gedanken / weil er auch in dieser That dem Nechsten zu dienen getrachtet habe / so sey er wohl zu entschuldigen.[141]

ADSESSOR II. Wenn der Barbirer auf ersuchen oder begehren des Soldaten gethan hätte / was er gethan / wie zu geschehen pfleget / wenn er einem / der es begehret / einen Zahn ausbricht / oder ein Glied ablöset; so hätte es mit seiner That freylich eine andere Bewandnis. Wiewohl dennoch nicht zu verantworten stünde / einem / ob er es gleich begehrete / das Leben nehmen. Nun hat der maleficant auf der tortur ausgesaget / wie erbärmlich der arme Soldat um sein Leben gebeten / aber doch nichts erhalten kö en. Darum schließ ich vielmehr / daß der Barbirer bey Glieder-ablösen / und andern seinen Verrichtungen des blutvergiessens dermassen gewohnet / daß er sich nicht entfärbet / endlich mit viel blutvergiessen dem armen gesellen das Hertze gar aus dem Leibe zu reissen. Welches eine höchst straffbare That ist und bleibet.

ADVOCAT. Ferner sagt mein Client, er sey von vielen vornehmen Medicis zu solcher That angefrischet worden / welches sie nicht würden gethan haben / wenn sie es vor unrecht gehalten hätten.

ADSESSOR III. Meint denn der gute Mann / daß grosse und berühmte Leute nicht auch strauchlen? Vnd warum haben dieselben Medici dergleichen That nicht selber vorgenommen? Haben sie nicht schon gesehen / daß es ohne Gefahr nicht geschehen könte? Hätte der Barbirer ihnen nicht antworten können / sie mögten es selber versuchen?[142]

ADVOCAT. Es berichtet mein Client weiter / daß der Entleibte eine sehr böse physiognomi gehabt / die von seinem boßhafften Gemühte überflüssig gezeuget.

ADSESSOR IV. Aus einer bösen physiognomi kan nicht eben / und gewiß ein böses Leben geschlossen werden. Denn welchem Gelehrten ist nicht bekandt / was vor eine böse physiognomi Socrates gehabt? Vnd wer weiß hingegen nicht / was er vor ein Tugendhafftes Leben geführet? Vnd ob man schon zugäbe / daß der Entleibte ein böser Mensch gewesen; so ist doch dem Barbirer die exsecution wider ihn nicht anbefohlen worden.

ADVOCAT. Weil aber der Entleibte arm gewesen / und man wohl weiß / daß faule Bettler zum öfftern Strafsenraub ausüben / so achtet mein Client dafür / er sey solcher gestalt vielen Todschlägen und Mordthaten zuvor kommen / welche der Entleibte noch hätte begehen können.

PRAESES. Aposse ad esse non valet conseqventia. Vnd wäre nicht gut / daß alle arme Leute Mörder wären. Das sind faule Fische / die an einem so heiligen Orte nicht sollen vorgebracht werden. Wenn ihr nun nichts bessers habt / so sind wir nicht gesonnen / euch länger mit Verdruß uñ besorgender Beschimpfung dieses hohen Gerichts zu zu hören.


Stehet auff.


ADSESSOR IV zum Büttel. Nim den Barbirer abermahl in gute Verwahrung[143] / und laß einen Priester zu ihm kommen / daß er sich zum Tode bereite. Denn Morgen soll ihm ein Vrtheil vorgelesen / und an ihm exseqviret werden.


Gehen ab.

Moriones agiren.


Quelle:
Johann Sebastian Mitternacht: Dramen. Tübingen 1972, S. 140-144.
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