|
[32] Bolzau. Wilhelmine.
BOLZAU sitzt auf dem Sopha, hat ein Zeitungsblatt in der Hand. Alle Bäder wieder überfüllt! Ich begreife die Wuth der Menschen nicht, in die Bäder zu reisen. So recht behaglich zu Hause zu sitzen, ohne Sorgen – in aller Bequemlichkeit – das ist doch der eigentliche Lebensgenuß.
WILHELMINE rechts am Fenster – sieht ab und zu hinaus. Welche Zeit ist es wohl?
BOLZAU. Soll Dir mein Magen oder meine Uhr antworten?
WILHELMINE. Dein Magen pflegt sehr pünktlich zu gehn.
BOLZAU. Gott sei Dank – ja. Wenn der alte Bursche nicht zur rechten Zeit seine Bedürfnisse durch ein liebenswürdiges Knurren anzeigt – steht es schlecht mit der Gesundheit. Uhr sehend. Nun, mein Magen meldet Essenszeit – nach meiner Uhr fehlen noch zehn Minuten.
WILHELMINE. Ich begreife nicht, wo Ludmilla bleibt.
BOLZAU. Aengstigst Du Dich schon wieder?
WILHELMINE unruhig. Sie müßte schon wieder da sein; wenn nur nicht –[32]
BOLZAU. Aber Kind, sie ist doch groß genug, um den Wagen auszuweichen!
WILHELMINE. Oh die Wagen sind nicht die größte Gefahr für ein junges Mädchen.
BOLZAU. So? Nun, welche Gefahren lauern denn auf die armen holden Geschöpfe?
WILHELMINE. Das wirst Du wohl am besten wissen. Du warst einst auch eine solche Gefahr.
BOLZAU. Der Du bereitwillig in die Arme gelaufen bist! Hahaha!
WILHELMINE. Der ich wenigstens nicht rechtzeitig ausgewichen bin.
BOLZAU. Und die Gefahr hat Dich in's Unglück gestürzt?
WILHELMINE. Allerdings.
BOLZAU. Merkwürdig, daß sich die Mädchen wie blind in diese Gefahr stürzen.
WILHELMINE. Spotte nur nicht – wir armen Frauen haben schon so viel zu tragen.
BOLZAU. Viel zu tragen? – da hast Du Recht – Kleider – Spitzen – Schmuck –
WILHELMINE. Die Launen der Männer –
BOLZAU gutmüthig. Habe ich Launen, Wilhelmine –
WILHELMINE. Na, na –
BOLZAU. Minettchen!
WILHELMINE. Hm!
BOLZAU. Minona – Launen? Hast Du ein Recht, über mich zu klagen?
WILHELMINE. Das sagt der Mann mit der unschuldigsten Miene von der Welt! – und wie oft habe ich ihn schon gebeten, einen neuen Wagen zu kaufen? Hast Du denn den Landauer ganz vergessen?
BOLZAU. Oh weh, der Landauer! Rückt herum und nimmt die Zeitung vor.[33]
WILHELMINE. Ich schäme mich, wenn ich die Präsidentin, die Baronin Hirschberg und Andre in ihren Landauern fahren sehe und ich habe keinen.
BOLZAU für sich. Seltsames Volk, die Weiber! in der Jugend schämen sie sich – wenn sie recht viel angesehen werden – später schämen sie sich, wenn sie keinen Landauer haben und nicht genug angesehen werden! Liest Zeitung.
WILHELMINE. Bolzau!
BOLZAU. Hm!
WILHELMINE. Den Landauer?
BOLZAU legt die Zeitung fort – steht auf. Was giebt es denn heut zu essen, Minettchen?
WILHELMINE. Den Landauer!
BOLZAU komisch ärgerlich. Ah – den hab' ich wirklich schon im Magen.
WILHELMINE besänftigend. Nun – nun – Kapaunen giebt es –
BOLZAU freundlich. Kapaunen – hm! Das paßt mir ja grade heut vortrefflich – Sieht nach der Uhr. Gehn wir denn nicht bald zu Tisch?
WILHELMINE. Ludmilla ist noch nicht zurück!
BOLZAU. Ah so –
WILHELMINE die nach dem Fenster gegangen. Da kommt sie endlich!
BOLZAU. Höre, lieber Schatz – das Mädchen behandelst Du doch etwas zu strenge.
WILHELMINE. Zu strenge? Nein, nur gewissenhaft!
BOLZAU. Daß Du ihre Lectüre überwachst, sie an Pünktlichkeit und Ordnung gewöhnst – finde ich Alles ganz natürlich. Daß Du sie aber so von aller Gesellschaft fern hältst, ist etwas zu peinliche Sorgfalt – ich glaube, mit einer eignen Tochter könntest Du nicht besorgter sein.[34]
WILHELMINE. Das ist es ja eben. Als mein Bruder nach Amerika ging, vertraute er mir das Kind an –
BOLZAU. Uns an –
WILHELMINE. Wie?
BOLZAU. Uns vertraute er das Kind an. Es ist nämlich ein Unterschied –
WILHELMINE. Nun gut – uns vertraute er das Kind an – band mir die Erziehung auf die Seele –
BOLZAU. Uns auf die Seele.
WILHELMINE. Darum bin ich so ängstlich mit dem Mädchen – ein anvertrautes Gut hütet man mit dreifacher Gewissenhaftigkeit.
BOLZAU. Und doch wird sie einst auch einem Mann, will sagen, einer Gefahr begegnen –
WILHELMINE. Das ist ja meine ewige Furcht. Mit Schrecken denke ich dran, wie ich sie voriges Jahr in Baden mit einem jungen Manne unbefangen über die Wiese wandeln sah, seinen Worten lauschend. – Ich reiste aber am andern Morgen sofort ab, trotzdem meine Kur noch nicht zu Ende war.
BOLZAU. Hm! – Aber Schatz, welche Absicht hast Du denn dabei – willst Du das Kind zu einer Nonne erziehen?
WILHELMINE. Ach was! Ich will sie nur sorgsam bewahren, bis mein Bruder aus Amerika zurückkehrt – er soll sie erhalten, wie er sie mir anvertraut hat.
BOLZAU. Uns – anvertraut hat – uns. Ich habe auch versprochen, für ihr Wohl zu sorgen, und wenn sie einst einen braven Mann liebt – so gebe ich sie ihm, denn ein braver Mann ist das wahre Wohl für ein Mädchen.
WILHELMINE. Das sind Ansichten.
BOLZAU. Willst Du leugnen? Bin ich nicht Dein wahres Wohl?
WILHELMINE. Nun ja –[35]
BOLZAU. Also was fehlt Dir?
WILHELMINE. Hm – der Landauer –
BOLZAU bei Seite. Schon wieder der Landauer!
Buchempfehlung
In die Zeit zwischen dem ersten März 1815, als Napoleon aus Elba zurückkehrt, und der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni desselben Jahres konzentriert Grabbe das komplexe Wechselspiel zwischen Umbruch und Wiederherstellung, zwischen historischen Bedingungen und Konsequenzen. »Mit Napoleons Ende ward es mit der Welt, als wäre sie ein ausgelesenes Buch.« C.D.G.
138 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro