Erster Auftritt.

[472] Montan. Chloe.


MONTAN.

Lisette! so nenn ich dich jetzt das letztemal,

Gefällt dir dieser Ort, so dank es meiner Wahl.

Ich hoff es, denn du zeigst ein sittsam muntres Wesen,

Und darum hab ich dich zur Schäferin erlesen:

Ich habe dir entdeckt, wie mich fern von der Welt

Dieß anmuthsvolle Land durch Lust gefangen hält;

Wie ich, indem ich hier der schönsten Ruh genieße,

Vergnügt der Höfe Pracht, der Städte Lerm vermisse.[472]

Die Insel, die noch nicht der Herrschsucht Wuth erreicht,

Erfüllet mich mit Lust, der keine Wollust gleicht.

Ergötze dich mit uns in diesem schönen Lande,

Geneuß der Insel Glück im stillen Schäferstande.

Als Magd nahm ich dich zwar vom festen Lande mit,

Wo ich des Schicksals Zorn bis zur Verzweiflung litt;

Doch nun mußt du mit mir, kannst du dich drein ergeben,

Als eine Schäferinn und treue Freundinn leben.

CHLOE.

Mein Herr!

MONTAN.

So heiß ich nicht, ich heiße nur Montan;

Ich bin ein Schäfer nur, der Herr steht mir nicht an,

Da ich, Trotz der Geburt, als Schäfer Schaafe weyde.

CHLOE.

Nun denn, Montan! so sagt

MONTAN.

Nein! Sage: Denn wir beyde

Sind uns als Schäfer gleich

CHLOE.

Auch das! so sage mir:

Warum flohst du die Welt, und warum lebst du hier?

MONTAN.

So lang ich in der Welt mit andern Menschen lebte,

Und so, wie jeder thut, nach Glück und Ehre strebte;[473]

Floh Glück und Ehre mich, je mehr ich sie gesucht,

Ein hart Gefängniß ward der Sorgen letzte Frucht.

Zwar Anfangs stieg ich sehr an Reichthum, Glück und Ehren,

Jedoch des Neids Bemühn kann wohl ein Land zerstören.

Gewissenloser Geiz, der Rechtsverdreher List,

Nebst falscher Freundschaft Schein, und was sonst boshaft ist,

Verkehrten bald mein Gut in ein sehr schwach Vermögen.

Wer mich vorher verehrt, der war mir jetzt entgegen.

Nur einen Freund ließ mir des Himmels Gütigkeit;

Er war sehr frey und kühn, auch wild zu mancher Zeit,

Nie müßig, stets vergnügt, sein Herr in Lust und Schmerzen,

Ein Mann voll Redlichkeit, ein Freund aus edlen Herzen.

Bey meinem bösem Glück war er mein Trost allein;

Doch dieses Trostes auch mußt ich beraubet seyn.

Bey stets beschäftigten, und niemals satten Sinnen,

Konnt er an stillen Glück niemals Geschmack gewinnen,

Was andre so ergötzt. Die Ruh floh er mit Macht,

Stets hat er seine Zeit mit Reisen zugebracht.

Als er das Vaterland wohl funfzigmal durchkreuzet,

Und ihn, die Welt zu sehn, stets neue Lust gereizet,

Setzt er sich auf ein Schiff, das, wie man Post empfieng,

Nach dreyer Jahre Frist bey Japan untergieng.[474]

CHLOE.

Bey Japan? Ist das weit?

MONTAN.

Mehr als zwey tausend Meilen.

CHLOE.

Ist das noch in der Welt?

MONTAN.

Laß mich zum Enzweck eilen,

Das Meer hat ihn verschluckt, wie ich nicht zweifeln kann,

Das Schicksal war sein Freund, er selbst war sein Tyrann.

Ich kam um einen Freund, doch eine Freundin lebte,

Nach deren Reiz und Herz mein zärtlich Wünschen strebte;

Ihr Leib und Geist war schön, ich sah, sie liebte mich,

Doch was nur um uns war, das widersetzte sich,

Bis endlich, da das Glück uns lang genug gehasset,

Mein Arm, in meiner Frau, die Treue selbst umfasset:

Doch mein so großes Glück war für mich allzugroß,

Das Schicksal stellte mich bald neuen Aengsten blos.

Man gönnte mir das nicht, was andre hitzig suchten;

Die ihres bösen Glücks bey meiner Liebe fluchten.

Man schrieb mir meine Glut, als ein Verbrechen an,

Weil, wie man boshaft sprach, ich aus Betrug gethan,

Was mich beglückt gemacht. Und daß die, die ich liebte,

Durch den gebrochnen Schwur ein fremdes Herz betrübte.[475]

Aus Rachgier hörte man das Recht der Unschuld nicht,

Man führte mich sogleich, nicht etwan vor Gericht,

Nein, in Gefangenschaft; und was mich fast verzehrte,

War, daß man meiner Frau, mich zu begleiten, wehrte.

CHLOE.

Die arme Frau!


Weinend.


MONTAN.

Sie starb,


Chloe erschrickt und weint.


bald drauf für Kümmerniß,

Da sie mir einen Sohn und eine Tochter ließ.

Die von sechs Wochen nur, und den von kaum zwey Jahren,

Auch diese mußten früh der Aeltern Glück erfahren:

Mein Freund, der in die Welt mit Weib und Kindern zog,

Schickt damals gleich, da ihn der letztern Flehn bewog,

Sie wiederum zurück; die erstre mußte sterben,

Den Kindern drohte schon ein ähnliches Verderben.

Ein Sohn voll Artigkeit, und von sechs Jahren schon

Kam an des Fürsten Hof. Als eines Fürsten Sohn

Ward er nach Art des Hofs, bey Lust und Pracht erzogen,

Doch seiner Schwester war das Glück nicht so gewogen.

Vier Wochen war sie alt, da sie ein altes Weib,

Das sie vorher gepflegt, bey halb erstorbnen Leib[476]

Schwach in mein Haus gebracht, sie als mein Kind zu pflegen:

Man thats auf mein Geheiß, um meines Freundes wegen;

Aus Liebe, für das Kind, ersann das Weib die List,

Wodurch dieß Töchterpaar vermenget worden ist.

Sie glichen beyde sich an Alter und Geberden;

Und also mußten sie uns ganz unkenntlich werden.

Ich nahm sie beyde drauf nebst dem noch kleinen Sohn

Zu mir in aller Still, und floh zur See davon.

Die Insel hat ich sonst auf eigner Fahrt gesehen;

Sie wiederum zu sehn, war kaum mein Wunsch geschehen,

Als die Verzweiflung mich an ihre Küsten trieb:

Ich landete. sie ists, wo ich bis jetzo blieb.

Mir bracht, als ich entfloh, ein Diener, wie er sollte,

Die Kinder heimlich nach, die ich nicht lassen wollte.

Wir fünfe fanden da den schönsten Aufenthalt;

Die Furcht der Einsamkeit floh vor der Anmuth bald.

Mein Diener half war erst mir und den zarten Kindern

Der steten Nothdurft Müh, durch treuen Dienst vermindern.

Zehn Jahr erkannt er schon sein Glück an diesem Ort,

Drauf fuhr er unversehns mit einem Schiffe fort;

Seit dieser Zeit sind wir hier allein gewesen.

Weil sich mein Wunsch schon längst dem Schäferstand erlesen,[477]

So holt ich mir ein Theil der ältsten Zeit zurück,

Und mit der alten Zeit, der alten Schäfer Glück.

Arkadien nennt ich, nach jener Schäfer Lande,

Den neuen Aufenthalt. Mit einem Freundschaftsbande,

Entfernt von blöder Furcht, und ihres Zwanges Schmerz

Verband ich mir des Knechts, und meiner Kinder Herz;

Mir half des Dieners Treu zu wenig kleinen Heerden,

Die jetzt noch viel vermehrt von uns geweydet werden.

Was ich von Schäfern nur gelesen und gehört,

Was gute Dichter mich von ihrem Glück belehrt,

Thu ich hier alles nach, hier bin ich Freund und König,

Ich habe nicht zu viel, doch niemals auch zu wenig.

CHLOE.

Das letztre geht noch an, das erstre schadet nicht.

MONTAN.

Ein Kluger wünscht sich nichts, so lang ihm nichts gebricht.

Als Schäfer leb ich nun mit zwoen Schäferinnen

Und einem Schäfer hier. Doch noch werd ich nicht innen,

Welchs meine Tochter ist: Kömmt Sylvia von mir?

Ists Doris? welch ein Schmerz.

CHLOE.

Es ist schwer rathen hier.[478]

MONTAN.

Ich seh, daß fast, (doch darf ich wohl hier Hofnung fassen?)

Damöt und Sylvia einander nie verlassen.

(Damöt nennt ich den Sohn, der sonst Dorante hieß;)

Vielleicht betrög ich mich, wenn ich mich drauf verließ.

Kann es nicht seyn, daß die, die nichts von Aeltern wissen,

Auch von Geschwistern nichts, sich dennoch lieben müssen,

Wenns gleich Geschwister sind?

CHLOE.

Das kann unmöglich seyn.

MONTAN.

Warum?

CHLOE.

Wer Henker gäb der Unschuld dieses ein?

MONTAN.

O! das thut die Natur. Wer sagt es denn den Thieren?

Doch ihre Liebe läßt sich allzu deutlich spüren;

Mir scheint es selbst nicht so, daß sie Geschwister sind.

Ach Doris! wärest du um den Damöt mein Kind!

Gieb Acht auf Sylviens und auf Damötens Liebe:

Erforsch auch mit Bedacht der muntern Doris Triebe,

Das lose Kind scheint mir zum Lieben sehr geschickt;

Ist dieß, so wird sie nie, wie Sylvia beglückt.

Denn eh im festen Land ihr Glück sie soll verderben,

Das mich dort so verfolgt, eh will ich heute sterben.[479]

CHLOE.

Sie dauert mich fürwahr

MONTAN.

Mich auch. Doch hüte dich,

Und sey in meinem Zweck mir ja nicht hinderlich:

Laß ihr die Einfalt stets, die sie es läßt verwinden,

Wenn einst ihr feurig Herz die Liebe sollt empfinden.

Sag ihr und Sylvien von Städten nicht ein Wort:

Laß sie dabey, die Welt sey dieser kleine Ort.

Damöt und Sylvia sind mit dem Glück zufrieden,

Wenn eins das andre liebt. Ist Doris was beschieden,

Es wird ihr nicht entgehn, sie liebe wo sie will;

Doch bitt ich, schweig du ja bey ihr von allen still,

Was Lust in ihr erweckt, die Insel zu verlassen.

CHLOE.

Wofern ich untreu bin, sollst du mich ewig hassen.

MONTAN.

Damöt und Sylvia sind von sehr stillem Geist,

Der ihre Wünsche nicht aus diesem Stande reißt.

Drum mußt du, da sie sich des größten Glücks erfreuen,

Ja ihre Geister nicht durch fremdes Glück zerstreuen.

CHLOE.

Montan, du sollst an mir der Klugheit Muster sehn,

Ja, was du selbst nicht kannst, das soll durch mich geschehn,

Ich will bey Obst und Milch, bey Fluren, Wald und Heerden,

Die beste Schäferinn des besten Schäfers werden.[480]

Ich will nach Schäferart vergnügt und lustig seyn,

Und mich der Einsamkeit, so wie der Anmuth freun.

Wie aber heiß ich denn? ich bin nicht mehr Lisette,

Was wär ich denn, wenn ich gar keinen Namen hätte?

MONTAN.

Nein, nein, dein Name soll hinführo Chloe seyn.

CHLOE.

Wie? Kohle?

MONTAN.

Chloe.

CHLOE.

Wie? wie?

MONTAN.

Chloe.

CHLOE.

Lohe?

MONTAN.

Nein!

Versteh mich, Chloe.

CHLOE.

So! Gut. Chloe. Gut gegeben

Ja – Koh – – lo – – – Chloe.

MONTAN.

Recht, recht so.

CHLOE.

Bey meinem Leben,

Das Nämchen steht mir an. Lisette, gute Nacht!

MONTAN.

Den Namen hab ich schon den Kindern hinterbracht.[481]

CHLOE.

Ja, ja sie haben mich schon so genennt.

MONTAN.

Was rauschet

In jenen Sträuchern? St, daß man uns nicht belauschet,

Die lose Doris kömmt mit Springen auf uns zu.


Quelle:
Christlob Mylius: Vermischte Schriften. Berlin 1754, S. 472-482.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Elixiere des Teufels

Die Elixiere des Teufels

Dem Mönch Medardus ist ein Elixier des Teufels als Reliquie anvertraut worden. Als er davon trinkt wird aus dem löblichen Mönch ein leidenschaftlicher Abenteurer, der in verzehrendem Begehren sein Gelübde bricht und schließlich einem wahnsinnigen Mönch begegnet, in dem er seinen Doppelgänger erkennt. E.T.A. Hoffmann hat seinen ersten Roman konzeptionell an den Schauerroman »The Monk« von Matthew Lewis angelehnt, erhebt sich aber mit seiner schwarzen Romantik deutlich über die Niederungen reiner Unterhaltungsliteratur.

248 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon