Zweyter Auftritt.

[482] Doris, Montan, Chloe.


DORIS keichend.

Ey! was hab ich gesehn! – – Montan.

MONTAN.

Was keichest du?

DORIS.

Montan ach – – Chloe – – ach!

CHLOE.

Nun Doris!

MONTAN.

So zerstöret?

DORIS.

Wüßts du, Montan, was ich gesehen und gehöret!

MONTAN.

Was sahst und hörtst du denn?

DORIS.

Es gieng ein Schäfer da,

Der doch kein Schäfer war, weil er ganz anders sah.[482]

MONTAN.

Es war vielleicht Damöt?

DORIS.

Nein, der war bey der Heerde.

MONTAN.

Nein, nein!

DORIS.

Glaubst du, daß ich ihn so verkennen werde?

Noch einer war dabey, doch einer war recht schön,

Er lief sehr schnell, ich wünscht er möchte langsam gehn:

Doch nein, er eilte fort, und rufte ganz entzücket,

O welch ein schönes Kind! so bald er mich erblicket.

MONTAN.

Er hat dich nicht gemeynt:

DORIS.

Ja, wen denn sonst? Ach! geh

Und lauf ihn eilends nach, daß ich ihn recht beseh.

MONTAN.

Bey Leibe nicht, mein Kind! ich will dirs nur entdecken,

Was unter solcher Tracht für böse Thiere stecken.

DORIS.

Ha, ha, es hat sich wohl!

MONTAN.

Siehst du den dichten Wald?

Das ist ein böser Ort, der Faunen Aufenthalt.

DORIS.

Ha, ha! die Faunen sind wohl allerliebste Dinger.


Lacht.
[483]

MONTAN.

Sie sind den Löwen gleich; doch die sind noch geringer

An Stärk und Grausamkeit, als diese Faunen sind;

O! das ist grimmigs Vieh. Ach! hüte dich, mein Kind!

Sie schweifen oft herum, und wollen bey den Heerden,

Wo Schäferinnen sind, derselben Räuber werden.

DORIS.

Was machen sie denn wohl mit einer Schäferinn?

MONTAN.

Sie werfen sie ergrimmt in dichten Sträuchern hin,

Und

CHLOE.

Fressen sie; nicht wahr?

MONTAN.

Ja wohl, die bösen Thiere!

DORIS.

Wie kommt es, daß ich sie doch niemals um mich spüre?

MONTAN.

Du hast sie wohl gesehn, gleich itzt sahst du ein Paar,

Wie du mir selbst gesagt.

DORIS.

Ha ha, warum nicht gar!

Wie sehn die Faunen aus?

MONTAN.

Die Faunen? rauch wie Bäre.[484]

DORIS.

Rauch waren diese nicht.

MONTAN.

Wenn es das alles wäre.

Auf jeder Seite trägt ihr Kopf ein spitzigs Horn.

DORIS.

Sie hatten keine nicht.

MONTAN.

Ihr Angesicht voll Zorn,

Erschreckt den, der sie sieht.

DORIS.

Mich hat es nicht erschrecket!

Des einen Freundlichkeit hat mir viel Lust erwecket.

MONTAN.

Ihr plumper Körper, der auf Widderfüssen ruht

DORIS.

O nein! Damöten ziert sein Fuß nicht halb so gut.

MONTAN.

Und denn ihr langer Zahl.

DORIS.

Den hätt ich müssen sehen.

MONTAN zu Chloe.

O weh! sie glaubt mir nichts, nun ists um sie geschehen!


Zu Doris.


Ach Doris! traue ja dem äußern Ansehn nicht:

Die Faunen ändern oft, Tracht, Mienen und Gesicht;

Durch lockende Gestalt vorwitzge Schäferinnen,

Dergleichen Doris ist, liebkosend zu gewinnen.


[485] Zu Chloe.


Ich geh und jag ihn fort, er sey auch wer er sey;

Bleib du indeß bey ihr und sey itzt klug und treu.


Quelle:
Christlob Mylius: Vermischte Schriften. Berlin 1754, S. 482-486.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

Seltsame Leiden eines Theaterdirektors

»Ein ganz vergebliches Mühen würd' es sein, wenn du, o lieber Leser, es unternehmen solltest, zu den Bildern, die einer längst vergangenen Zeit entnommen, die Originale in der neuesten nächsten Umgebung ausspähen zu wollen. Alle Harmlosigkeit, auf die vorzüglich gerechnet, würde über diesem Mühen zugrunde gehen müssen.« E. T. A. Hoffmann im Oktober 1818

88 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon