Dritter Auftritt.

[486] Doris. Chloe.


DORIS.

Montan! wo läufst du hin? Er geht, was soll das heißen?

CHLOE.

Er wird dem bösen Vieh dich aus den Klauen reißen.

DORIS.

Es ist kein böses Thier, das glaub ich nimmermehr,

Es hätte mich verfolgt, wenn es so grimmig wär;

Er sah und lobte mich, heißt das mir nachgestellt?

Ich lief, sonst hätt er sich wohl gar zu mir gesellet.

Wie albern bin ich doch, daß ich gelaufen bin!

Ich lauf ihm wieder nach, allein, wo lauf ich hin?

Ich! Chloe! hilf mir doch, den Schäfer muß ich finden,

CHLOE.

Wie? Doris denke nach! wollst du ihn überwinden?

DORIS.

Was wird er mir denn thun? ich bleibe fest dabey,

Daß er kein böses Thier, gar ein Schäfer sey.

CHLOE.

Da thust du recht daran, Montan hat sich betrogen.

DORIS.

Er sich betrogen? Nein! er hat mich nur belogen;[486]

Montan ist nicht so dumm, ich bins desgleichen nicht:

Das zehnte mal glaub ich nicht, was er immer spricht,

Daß Schaafe, Flur und Wald das Allerbeste wären;

Daß sich die Schäfer nicht so wie die Schaafe mehren,

Daß man in Einsamkeit das beste Leben führt.

Ja, warum hätte mich denn gleich ein Blick gerührt,

Den jener auf mich warf? wie könnt ich denn so trachten,

Daß die, die ich gesehn, mit uns Gesellschaft machten,

Nein, Chloe, wie gesagt, nein ich bin nicht so dumm,

Ich fürcht und wünsche viel, und weiß nicht recht warum.

CHLOE.

Du gutes Kind, ich kann mein Maul nicht länger halten,

Jetzt will ich der Natur Dollmetscheramt verwalten,

Dir sagen, was du denkst, und was du noch nicht weißt,

Ich muß es thun, so sehr es den Montan verdreußt.

DORIS.

Ja, liebe Chloe, ja, du must mir alles sagen,

Ich werde, wenn ichs weiß, nach dem Montan nichts fragen,

Ihn hör ich selten gern, doch bin ich Freuden voll,

Indem ich itzt von dir was neues hören soll.

CHLOE.

Du glaubst, uns fünfen ist allein die Welt gegeben,

Und daß wir Schäfervolk nur hier beysammen leben.[487]

DORIS.

Montan hat es gesagt.

CHLOE.

Und daß die nahe See

Unendlich weit von hier in einer Strecke geh.

DORIS.

Montan hat es gesagt.

CHLOE.

Daß außer Hütt und Horden,

Für Mensch und Vieh kein Haus jemals gebauet worden.

DORIS.

Montan hat es gesagt, es ist doch wohl nicht wahr?

Gelt! Chloe?

CHLOE.

Nicht ein Wort.

DORIS.

Das dacht ich.

CHLOE.

Hier ist zwar

Ein schöner Aufenthalt voll Anmuth und Vergnügen,

Und wer nichts bessers kennt, kann sich wohl dran begnügen.

Allein

DORIS.

Was gibts denn sonst für einen schönen Ort?

Sag es heraus, ich zieh mit dir noch heute fort.

CHLOE.

Geduld, die Welt ist groß, die Läng und in die Breite,

Und es bewohnen sie viel hundert tausend Leute.[488]

DORIS.

Viel hundert tausend?

CHLOE.

Ja, ich selbst kam übers Meer,

Aus dieser großen Welt nur gestern erst hieher.

DORIS.

So kommst du aus der Welt? sind schöne Schäfer drinnen?

Und kennst du auch daselbst viel lustge Schäferinnen?

CHLOE.

Was Schäferinnen? und was Schäfer? schäm dich doch!

Glaubst du denn dem Montan und seinen Grillen noch?

Sehr wenig sind, die so, wie wir hier Schaafe weiden.

DORIS.

Sehr wenig, Chloe! ach! ich bin entzückt für Freuden.

CHLOE.

Was ihr hier Schäfer nennt, sind Mannspersonen dort,

Und die find oft recht schön.

DORIS freudig.

Schön? schön?

CHLOE.

Ja, auf mein Wort!

Die Schäferinnen

DORIS.

Nun?[489]

CHLOE.

Nennt man dort Frauenzimmer!

Den Mannspersonen sind sie gut.

DORIS.

Das denk ich immer.

Zehn Schaafe geb ich dir für den Bericht zum Lohn.

Ist der, den ich gesehn nicht eine Mannsperson?

CHLOE.

Ja freylich.

DORIS.

Wenn ich doch ein Frauenzimmer wäre!

CHLOE.

Durch ein galantes Kleid kämst du zu dieser Ehre.

DORIS.

Was ist das für ein Kleid?

CHLOE.

Ich hab eins mitgebracht.

DORIS.

Ach! zeige mir es doch! Still, höre doch! was lacht?


Mops lacht drinnen.


CHLOE.

Was seh ich?

DORIS.

Chloe, ach! das sind die Mannspersonen.

Ach! Chloe, bitte sie, das sie stets bey uns wohnen.

CHLOE.

Lauf, lauf! in dieser Tracht laß du dich ja nicht seyn!

DORIS.

Warum nicht?

CHLOE.

Folgst du nicht, so ists um dich geschehn,[490]

Komm nur geschwind, und laß mich für das andre sorgen;

Du sollst ihn morgen sehn.

DORIS.

O lieber heut als morgen!


Beyde ab.


Quelle:
Christlob Mylius: Vermischte Schriften. Berlin 1754, S. 486-491.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Arnim, Bettina von

Märchen

Märchen

Die Ausgabe enthält drei frühe Märchen, die die Autorin 1808 zur Veröffentlichung in Achim von Arnims »Trösteinsamkeit« schrieb. Aus der Publikation wurde gut 100 Jahre lang nichts, aber aus Elisabeth Brentano wurde 1811 Bettina von Arnim. »Der Königssohn« »Hans ohne Bart« »Die blinde Königstochter« Das vierte Märchen schrieb von Arnim 1844-1848, Jahre nach dem Tode ihres Mannes 1831, gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter Gisela. »Das Leben der Hochgräfin Gritta von Rattenzuhausbeiuns«

116 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon