Antike Poesie

[762] Ich sah den Helikon in Wolkendunst,

Nur kaum berührt vom ersten Sonnenstrahle:

Schau! jetzo stehen hoch mit einem Male

Die Gipfel dort in Morgenrötebrunst.


Hier unten spricht von keuscher Musen Gunst

Der heilge Quell im dunkelgrünen Tale;[762]

Wer aber schöpft mit reiner Opferschale,

Wie einst, den echten Tau der alten Kunst?


Wie? soll ich endlich keinen Meister sehn?

Will keiner mehr den alten Lorbeer pflücken?

– Da sah ich Iphigeniens Dichter stehn:


Er ist's, an dessen Blick sich diese Höhn

So zauberhaft, so sonnewarm erquicken.

Er geht, und frostig rauhe Lüfte wehn.


Quelle:
Eduard Mörike: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1967, S. 762-763.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1867)
Gedichte
Der Nacht ins Ohr. Gedichte von Eduard Mörike.Vertonungen von Hugo Wolf. Ein Lesebuch von Dietrich Fischer-Dieskau
Sämtliche Gedichte in einem Band
Die schönsten Gedichte (insel taschenbuch)
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)