Ländliche Kurzweil

[795] An Constanze Hartlaub


Um die Herbstzeit, wenn man abends

Feld und Garten gerne wieder

Tauschet mit dem wärmern Zimmer,

Bald auch schon den lang verschmähten

Ofen sieht mit andern Augen,

Jetzo noch zweideutigen:

Haben wir hier auf dem Lande

Noch die allerschönsten Stunden

Müßig halb und halb geschäftig

Plaudernder Geselligkeit.


Jüngst so waren wir am runden

Tisch versammelt um die Lampe.

Eine Freundin, aus der Ferne

Neulich bei uns angekommen,

Saß, ein holder Gast, im Kreise.

Abgetragen war das Essen,

Nur das Tischtuch mußte bleiben.

Reinliche Gefäße vor sich

Eiferten die guten Frauen,

Wer des vielkörnigen Mohnes

Größern Haufen vor sich bringe;

– Weißen hatten wir und blauen –

Emsig klopften, unbeschadet

Des Gespräches, ihre Messer,

Während ich, zunächst dem Lichte,

In den Haller Jahresheften[795]

Blätterte und hin und wieder

Einen Brocken gab zum besten.


Doch nach einer kleinen Stille,

Plötzlich wie vom Zaun gebrochen,

Sagte meine Schwester Clärchen,

Schadenfrohen Blicks nach mir:

»Geld auf Zinsen auszulehnen

Ist wohl keine üble Sache,

Wenn man es nur christlich treibt;

Denn vom Hundert zieht man immer,

Wo nicht fünfe, doch fünfthalbe,

Das ist einem wie geschenkt;

Aber wer in müßger Weile

An dem Mohnfeld einst vorüber

Schlenderte, der grünen Häupter

Eines an der Seite spaltend,

Kleine Münze drin verbarg,

Hoffend, daß es groß und größer,

Eine Wunderfrucht, erwachse,

Und so viel es Körner trüge

So viel nagelneue Kreuzer

Künftig in der dürren Hülse

(Eine feine Kinderklapper,

Eine seltne Vogelscheuche!)

Klingend in dem Winde schüttle,

Der ist übel angeführt.

Nicht nur, daß die Interessen

Fehlen, auch die schönen Samen

Sind vergiftet, schwarz gemodert,

Und der unfruchtbare Mammon

Lauter Grünspan, ganz unkenntlich,

Garstig, wie dies Beispiel zeigt!«

Und hiermit warf sie den Kreuzer

Auf den Tisch, da lachte alles.


»Lassen Sie sich das erklären!«

Sagt ich, zu dem Gast gewendet:

»Wer in Schwaben einen neuen

Rock anhat zum ersten Male,

Muß von Freunden und Bekannten[796]

In das neue Taschenfutter

Einen blanken Kreuzer haben;

Und so ward mir, ländlich sittlich,

Auch der meine vorgen Sommer

Für den hübschen Schlafrock, eben

Den man gegenwärtig sieht.

Jenen Morgen nun erging ich

Guten Mutes mich im Garten,

Tat auch wirklich wie sie sagt,

Doch was ich dabei mir dachte,

Muß ich wohl am besten wissen.

Ein Orakel sollt es sein,

Das der Herbst erproben würde:

Bringt die Kolbe blauen Samen,

Ist der liebe Gast nicht kommen;

Bringt sie weißen, wird er dasein

Eben wenn man sie eröffnet;

Und um sie genau zu zeichnen

Legt ich jene Münze ein.

Aber bald war dieses alles

Bis den Augenblick vergessen.

Und nun seht« –

»Nichts!« rief die Schwester:

»Nein, ich lasse mir's nicht nehmen,

Spekulieren wolltest du!

Und der Fall beweist nur wieder,

Was oft, dich in Schutz zu nehmen,

Andere mit mir bezeugten:

Daß mein teuerster Herr Bruder

Bei dem allerbesten Willen

Zum Kapitalisten eben

Einmal nicht geboren ist.«


Quelle:
Eduard Mörike: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1967, S. 795-797.
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