15. Schlummerlied für Amor

[18] Schliess, Amor, trautes Kind

Schliess, holder Gott, geschwind

Der Augen Zauberschein;

Der Schlummer wartet dein,

Mit ihm ein Frühlingsträumchen.

Dort am Orangenbäumchen

Schläft's noch, vom Flattern matt,

Auf einem Blüthenblatt.

Bald säuselt es dir zu

Und senkt sein Goldgefieder

Dir auf die Augenlieder,

Und süsse, süsse Ruh.


O schliess den Zauberschein

Der Augen, und schlaf ein!

Die schönste Rose trägt,[18]

Von Floren selbst gepflegt,

Im Purpurschooss dein Bettchen;

Dich deckt ein Nelkenblättchen;

Von Balsamdüften bist

Du lieblich übergossen,

Von Mondenglanz umflossen,

Vom Sternenlicht geküsst.


Still feiert rings die Nacht;

Zephyre halten Wacht

Um die erwählte Rose,

Geschmückt mit zartem Moose

Und wiegen sanft dich ein;

Auch flechten Amoretten

Dir schöne Silberketten

Aus Mond- und Sternenschein;

Jetzt lassen sie sich nieder,

Und senken ihr Gefieder

Und schlummern gähnend ein.


Nur du wachst noch allein!

O schliess die Augen zu!

Der Erdkreis liegt in Ruh,

Entschlummert schweigt der Hain,

Kein Laut entbebt den Triften

Kein Wiederhall den Klüften;

Die Nachtigall allein,

Die Heroldin der Liebe,

Sie sinkt verschmähte Triebe.

O gieb der Armen Ruh!

O schliess dein Auge zu!

So stillst du ihre Pein.[19]

Schlaf, trautes Kind,

Schlaf ein!

Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Gedichte. Jena 1873, S. 18-20.
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