Kinderlust

[263] Nun feget aus den alten Staub

Und macht die Laube blank!

Laßt ja kein schwarzes Winterlaub

Mir liegen auf der Bank!


Die erste weiße Blüthe flog

Mir heut' in's Angesicht.

Willkommen, Lenz! Ich lebe noch

Und weiß von Leide nicht.
[263]

Und schaue hell, wie du, hinein

In Gottes schöne Welt,

Und möcht' ein kleiner Bube sein

Und kollern durch das Feld.


O seht, da plätschern schon am See

Die lieben Kindelein,

Und ziehn die Hemdchen in die Höh',

Und wollen gern hinein.


Wie lockt der warme Sonnenschein,

Der auf dem Spiegel ruht!

Da ist kein Fuß zu weich, zu klein,

Er probt, wie 's Wasser thut.


Ich sitz' und seh' dem Spiele zu,

Und spiel' im Herzen auch.

Du lieber Lenz, ein Kind bist du,

Und übest Kinderbrauch.


Wie viel du hast, du weißt es kaum,

Und schüttest Alles aus.

Nehmt, Kinder, nehmt! Es ist kein Traum!

Es kommt aus Gottes Haus.


Und wenn du nun ganz fertig bist,

Hast keine Blume mehr,

Dann gehst du wieder ohne Frist,

Kein Abschied wird dir schwer.


Und rufst dem Bruder Sommer zu:

Bringst du die Früchte her?

Was ich versprach, das halte du!

Ei, ei, dein Korb ist schwer!


Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 263-264.
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