Die Griechen an die Freunde ihres Alterthums

[183] Sie haben viel geschrieben, gesungen und gesagt,

Gepriesen und bewundert, beneidet und beklagt.

Die Namen unsrer Väter, sie sind von schönem Klang,

Sie passen allen Völkern in ihren Lobgesang;

Und wer erglühen wollte für Freiheit, Ehr' und Ruhm,

Der holte sich das Feuer aus unserm Alterthum,

Das Feuer, welches schlummernd in Aschenhaufen ruht,

Die einst getrunken haben hellenisch Heldenblut.

Was hat euch nun, ihr Völker, so scheu und bang' gemacht?

Der Geist, den ihr beschworen, er steigt aus tiefer Nacht

Empor in alter Größe, und beut euch seine Hand –

Erkennt ihr es nicht wieder, das freie Griechenland?

Die Funken in der Asche, in der ihr oft gewühlt,

Die Funken, deren Gluthen ihr oft in euch gefühlt,

Sie schlagen lustig lodernd zu hohen Flammen aus –

Kleinmüthige, ihr seht es – und euch erfaßt ein Graus!

O weh, so habt ihr, Freunde, mit Namen nur gespielt!

Habt in die leeren Lüfte mit stolzem Pfeil gezielt!

Die Zeit ist abgelaufen, es ist genug gesagt,

Gepriesen und bewundert, beneidet und beklagt.

Was schwärmt ihr in den Fernen der grauen Heldenzeit?

Kehrt heim, ihr Hochentzückten! – der Weg ist gar zu weit.

Das Alt' ist neu geworden, die Fern' ist euch so nah,

Was ihr erträumt so lange, leibhaftig steht es da,

Es klopft an eure Pforte – ihr schließt ihm euer Haus –

Sieht es denn gar so anders, als ihr es träumtet, aus?

Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 183.
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