Zweytes Kapitel.

Wiedersehen.

[12] Herrmann blieb unter der liebreichen Wartung seiner alten Wirthe. Ungeachtet er nicht so wohl durch die Gefährlichkeit seiner Wunden, als durch ihre Menge und den großen Blutverlust zu Boden gestürzt, und seine Lage jetzt meistens nur durch heftige Bewegung und den schädlichen Trunk verschlimmert worden war, so schwebte er doch einige Tage zwischen Leben und Tod und nichts als Gutherzigkeit der ehrlichen Landleute konnte ihn retten. Der Schäfer, das Orakel des Dorfs, heilte ihn mit Saft von ausgepreßten Kräutern, unter welchen das Moos, auf von der Sonne gebleichten[12] Hirnschedeln gewachsen, wie unsere Urschrift sagt, das vornehmste war; ein Zeugniß, dem wir nicht zu widersprechen wagen – weil wir uns auf solche Dinge nicht verstehen.

Herrmann fieng an zu genesen, fieng an, nach Verlauf einer ziemlichen Zeit herum zu gehen, vermochte mit seinen freundlichen Wirthen von der schrecklichen Begebenheit zu sprechen, die ihn dem Tode nahe brachte, konnte ihnen danken, ihnen freigebig lohnen, aber für ihre heimlichen Ueberredungen zu fliehen, und der weitern Untersuchung seiner Sache zu entgehn, hatte er keine Ohren. Umsonst stellte man ihm vor, daß es ihm schwer werden würde, seine Unschuld vor vielleicht partheyischen Richtern zu erweisen, umsonst erinnerte man ihn, daß ihn hier nichts aufhielt, weil die Reuter, die man ihm anfangs zur Wache gegeben hatte, längst abgefordert worden waren; er bestand auf den Grundsatz, den er vor kurzem auf dem Schlosse Cyly äusserte: Die Unschuld fliehet nicht; und beschloß seinen Ankläger zu erwarten, oder im Fall dieser aussen blieb, gen Nürnberg zu ziehen und seine Sache den daselbst versammelten Fürsten vorzustellen.

Der letzte Entschluß ward ausgeführt. – Herzog Rudolfs Leute, unter welche sich jetzt auch der treue Kurd zählte, sorgten zu selbiger Zeit mehr für das Beste ihres gefangenen Herrn, als für die[13] Rache des ermordeten Friedrichs, und das erstere gab ihnen so viel zu thun, daß darüber das letzte ganz zu entschlafen schien. Herrmann sahe sich also genöthigt, wenn er nicht den Flecken der schrecklichen Beschuldigung unabgewischt lassen wollte, sich zu Nürnberg bey denen zu melden, auf deren Gerechtigkeit er ein so großes Zutrauen setzte. Seine Wirthe mußten sich endlich die Sache gefallen lassen, sie begleiteten ihn bis weit vor das Dorf hinaus, und er trennte sich erst unter der Tanne von ihnen, wo ihn der betrügerische Schlaf bald in die Arme des Todes geliefert hätte.

Dieser Baum, rief er, als er seine Begleiter entließ, dieser Baum sey Zeuge meiner Unschuld, ihr, ihr Theuren, glaubt sie nur aus Vorliebe für mich, aber, o daß dieser Stamm reden könnte, an den ich sorglos hingelehnt schlummerte, als der Löwe, der Herzog Friedrichen zerfleischte, neben mir stand, und mich mit dem Blute der Unschuld beflecken wollte, o daß diese Blätter Zungen würden die Wahrheit auszusprechen! Daß die Geister, welche Kunzmann und mich hier unsichtbar umschwebten, auftreten möchten wider den Mörder zu zeugen!

Haltet ein, Ritter, unterbrach ihn der älteste unter den Landleuten, was wir von euch halten, daß wißt ihr; aber diese Fürsten, zu denen ihr gedenkt! – Ihre Anzahl besteht nicht aus lauter Ruprechten von der Pfalz und Albrechten von[14] Oesterreich, es gibt viele unter ihnen, die nicht scharfsichtig genug sind, die Unschuld mitten in der Dämmerung zu entdecken, und einen und den andern, der es vielleicht nicht ungern sehen möchte, eigene Schuld auf einen Fremden zu wälzen. Vornehmlich hütet euch vor dem von Maynz. Es gehen seit Herzog Friedrichs Ermordung seltsame Gerüchte in dieser Gegend. – Wenigstens wissen wir alle so viel, daß er und Friedrich nie Freunde waren.

Herrmann kam gen Nürnberg und sein erstes Geschäft daselbst war – nach Ida zu fragen. Sollten meine Leser noch nicht gemuthmaßet haben, daß der Wunsch sie zu sehen, so viel Antheil an seiner Ankunft gehabt habe, als das Verlangen, vor den teutschen Fürsten seine Unschuld zu rechtfertigen?

Er erfuhr, daß der Graf von Würtemberg eine kurze Reise unternommen habe, und daß seine Tochter sich mittlerweile gar einsam und eingezogen auf seinem Schlosse hielte. Herrmann hatte Eile Ida zu sehen: er fühlte es, daß er einen großen Schritt vor sich hatte: sollte er bey dem zweifelhaften Ausgang desselben es darauf wagen, sie nie wieder zu erblicken? –

Die Liebe machte ihn sinnreich und kühn, und der Anschlag, den sie ihm eingab, war so plan und leicht, daß er glücken mußte. – Wie hätte man[15] einem Ritter, der der Gräfinn von Würtemberg Bothschaft von ihrem Vater brachte, den Zutritt versagen sollen! er ward unvorzüglich vorgefordert, und – Herrmann trat ein.

Herrmann! rief Ida, als er vor ihr kniete den Saum ihres Rocks zu küssen, Herrmann, ein Bote meines Vaters? –

Und würde Ida zürnen, wenn er es nicht wäre, wenn ihm die Liebe eingegeben hätte, sich einer unschuldigen List zu bedienen? –

O Herrmann! Herrmann! rief die Gräfinn und beugte sich tiefer zu ihm herab, wo bist du bis jetzt gewesen? Warum dieses todtenbleiche verfallne Gesicht, diese matten Augen? –

Wir haben schon mehr gesehen, daß dem Ritter der treuen Minne bey seiner Ida keine Augenblicke günstiger waren, als die Augenblicke der Ueberraschung; so auch der gegenwärtige. Die Gräfinn zögerte lange, ehe sie sich aus Herrmanns umschließenden Armen wand, und ihn in die Schranken des gebührlichen Wohlstandes zurück wies, und er kannte seinen Vortheil zu gut, um sich durch irgend einen unzeitigen Ausruf zu früh aus der süßen Vergessenheit ihrer selbst zu reißen.

Stehet auf Ritter von Unna, rief endlich die erröthende Ida mit abgewandtem Angesicht, wir spielen hier eine seltsame Rolle. – Ihr sagtet,[16] ihr brächtet mir Post von meinem Vater? wie lebt er, wird er bald zurückkehren?

Man wird sich erinnern, daß Herrmann kein Wort von diesen Dingen gesagt hatte, aber er hielt es nicht für nöthig sie eines bessern zu belehren, nahms für bekannt an, daß sie selbst nicht recht wisse was sie spräch, oder verstand überhaupt in der Entzückung, in der er war, selbst nicht, was sie sagte.

Er nahm auf ihren Befehl Platz an ihrer Seite, und nach einigen Augenblicken, da noch keines von beyden recht wußte, was es sagen sollte, nahm endlich eine Art von Unterredung zwischen beiden Platz, die nach und nach verständiger wurde und alles zum Vorschein brachte, was man in den gegenwärtigen Augenblicken nöthig hatte einander zu sagen.

Idas Erzählung war kurz. Ihr Leben war unter der Aufsicht ihres strengen Vaters so einförmig gewesen, als das Leben aller Jungfrauen ihrer Zeit. Nur selten kamen in jenen rauhen ungebildeten Jahrhunderten die Töchter des Landes zum Vorschein und Fleis und Wachsamkeit ihrer Eltern schützten sie auch vor häuslichen Abentheuern. Obgleich Fürstentöchter hierinn zuweilen eine Ausnahme machten, so blieb doch Graf Eberhard in Ansehung seiner Ida ganz bey der[17] gewöhnlichen Weise: immer noch lag ihm dieser Herrmann von Unna in Gedanken, der ihm einst von Idas Altan in den Garten entsprang, und an der Kaiserinn eine so mächtige Vorbitterinn hatte; – auch war Ida zu schön, um all den üppigen Augen ausgestellt zu werden, deren es auf dem Reichstage zu Nürnberg gab; selbst ihr bestimmter Bräutigam, der nun ermordete Herzog von Braunschweig, hatte sie nur zweymal gesehen, denn auch er durfte sich, nach dem Willen des alten Grafen, nur in so fern Hoffnung auf dieses Kleinod machen, als ihm das Glück in Ansehung der Kaiserkrone günstig war.

Herrmann triumphirte über Idas Erzählung, die sie ihm mit ihrer natürlichen unschuldigen Offenherzigkeit machte, dankte Graf Eberharden im Herzen, daß er so treulich über seinen Schatz gewacht hatte, und lobte sich laut, daß er schlau genug gewesen war, die Wachsamkeit ihrer Wächter zu betrügen. Aber Ida erinnerte ihn, nicht zu kühn zu seyn, weil nur der Zufall, und die Abwesenheit einer strengen Duegna deren Rückkunft aus der Kirche sie alle Stunden erwartete, ihm dieses Glück verschaft habe.

Der wichtigste Theil der Unterhaltung der beyden Liebenden, Herrmanns Geschichte und die Ursach seiner Erscheinung war noch zurück. Man[18] mußte eilen. Herrmann erzählte, und – habe ich noch nöthig den Eindruck zu schildern, den das, was die junge Gräfinn hörte, auf ihr Herz machte?

Unter allen Gefahren, in welchen sie den geliebten Herrmann in seiner langen traurigen Geschichte sah, kam ihr die gegenwärtige als die schrecklichste vor, sie zitterte, daß er sich selbst vor ein Gericht stellen wollte, dessen Beysitzer sie noch lange nicht genug kannte um zu wissen, ob die Unschuld bey ihnen sicher sey. Sie bat, sie flehte mit Thränen, er möchte seinen Ankläger erwarten, und dafern dieser nicht erschien, seine Unschuld vor erwiesen halten, da sie Gott und seinem eigenen Herzen bewußt wär; er möchte doch lieber jetzt gleich fliehen, da Kurd, der einige der nebst seinen Leuten wider ihn auftreten könne, beym Abschied ja selbst von seiner Unschuld überzeugt zu seyn geschienen hätte, da er und seine Gefährten vielleicht bey Herzog Rudolfs Befreyung, von welcher jetzt stark gesprochen wurde, geblieben, und also kein einiger seiner Ankläger übrig seyn könne! – Liebe und Angst sprach aus ihren Blicken, da sie ihm die Nothwendigkeit seiner Flucht so mit wichtigen und unwichtigen Gründen vorstellte, aber Herrmann blieb unbeweglich!

Würde ich deiner würdig seyn? rief er, würde ich einen Blick von dir, du Ebenbild der schuldlosesten[19] aller Jungfrauen verdienen, wenn ich die Blutschuld nicht von mir zu wälzen suchte? – Nein es ist nicht genug, daß Gott, du und ich mich unschuldig wissen, und andere gute Seelen meine Unschuld glauben, die ganze Welt soll sich überzeugen, daß Herrmann von Unna, wenigstens kein Verbrecher ist, wenigstens dieser Ursach wegen, sich nicht scheuen darf, an eine Gräfinn von Würtemberg zu denken.

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 2, Leipzig 1788, S. 12-20.
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Herrmann von Unna
Herrmann von Unna: Eine Geschichte aus den Zeiten der Vehmgerichte. Band 1 bis 3 in einer Transkription von Sylvia Kolbe

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