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[15] Eine Frau in Alençon hat zwei Liebhaber, einen für das Vergnügen, den zweiten für den Gewinn; sie läßt denjenigen von beiden tödten, der zuerst etwas von ihrem Betruge merkt, erhält dann Begnadigung für sich und ihren flüchtigen Gemahl, der aber späterhin, um eine Summe Geldes zu retten, sich an einen Schwarzkünstler wendet, worauf ihr ganzes Treiben entdeckt und sie bestraft werden.
In Alençon lebte während der Regierung des Herzogs Karl, des letzten Herzogs, ein Prokurator, namens Saint-Aignan, welcher ein hübsche Frau aus jener Gegend geheirathet hatte, die sich aber mehr durch Schönheit als durch Sittenreinheit auszeichnete. Wegen ihrer Schönheit und Leichtfertigkeit wurde sie sehr von einem Prälaten verfolgt, dessen Namen ich aus Achtung vor dem Stande verschweigen will. Um an sein Ziel zu gelangen, fesselte dieser nicht nur den Ehemann so gut an sich, daß derselbe nichts von dem lasterhaften Umgang seiner Frau mit dem Prälaten[15] merkte, sondern brachte es noch obendrein dahin, daß jener die Anhänglichkeit, welche er immer im Dienst seiner Landesherren und Fürstinnen bewiesen hatte, vergaß, so daß er aus einem ergebenen Diener das ganze Gegentheil wurde und schließlich zur Zauberei seine Zuflucht nahm, um der Herzogin den Tod zu bringen. Lange Zeit nun stand der Prälat in einem ehebrecherischen Verhältniß mit dieser beklagenswerthen Frau, die ihm mehr aus Habsucht als aus Liebe zugethan war und auch deshalb, weil ihr Mann sie ersuchte, den Prälaten an sich zu ketten. In Alençon lebte aber auch ein junger Mann, ein Sohn des Stadtkommandanten, den sie so sehr liebte, daß sie ganz vernarrt in ihn war. Oft nun bediente sie sich des Prälaten, um ihrem Mann irgend einen Auftrag geben zu lassen und währenddessen den Sohn des Kommandanten nach Gefallen sehen zu können. Dieses Doppelspiel ging eine lange Zeit ungestört fort, sie hielt sich den Prälaten für den Gewinn und den Sohn des Kommandanten für ihr Vergnügen und schwur diesem, daß ihr Entgegenkommen dem Prälaten gegenüber nur dazu diene, daß sie ihr Verhältniß um so ungestörter fortsetzen könnten; jener habe immer nur Versprechungen von ihr erhalten, und er könnte versichert sein, daß niemals ein anderer Mann außer ihm selbst etwas anderes von ihr erhalten würde. Als eines Tages ihr Mann zum Prälaten ging, bat sie ihn um die Erlaubniß, aufs Land gehen zu dürfen, indem sie vorgab, daß die Stadtluft ihr nicht zuträglich sei. Sobald sie aber auf ihrem Meierhofe angekommen war, schrieb sie an den Sohn des Kommandanten, er solle nur ja gegen zehn Uhr abends zu ihr kommen. Der arme junge Mann kam auch; am Thor fand er aber die Kammerzofe, die ihn gewöhnlich einließ und die ihm sagte: »Kehre nur wieder um, mein Lieber, Dein Platz ist besetzt.« Er dachte, der Mann sei angekommen, und fragte, wie denn das käme. Das gute Mädchen empfand Mitleid mit dem schönen jungen Mann, den sie so tief lieben und so wenig Gegenliebe erhalten sah, und erzählte ihm den Verrath ihrer Herrin, in der Meinung, wenn er das hörte, würde er sofort seine Liebe unterdrücken. Sie theilte ihm also mit, daß der Prälat eben angekommen sei, worauf sie nicht vorbereitet gewesen wäre, denn er hätte erst am andern Tage kommen sollen[16] er habe aber ihren Mann bei sich zurückgehalten und sich noch des Nachts aufgemacht, sie zu sehen. Der Sohn des Stadtkommandanten war ganz verzweifelt und wollte garnicht Alles glauben. Er versteckte sich deshalb in einem Nachbarhause und wartete bis drei Uhr morgens, bis er auch wirklich den Prälaten herauskommen sah, den er trotz seiner Verkleidung nur zu gut erkannte. Ganz verzweifelt begab er sich nach Alençon zurück, wohin bald auch seine verrätherische Freundin zurückkehrte, und in der Absicht, ihn weiter wie bisher hinters Licht zu führen, als wäre nichts geschehen, ihn besuchte. Er aber sagte ihr, nachdem sie sich mit heiligen Personen eingelassen habe, sei sie selbst eine zu heilige Person, als daß sie zu einem Sünder, wie er sei, herniedersteigen könne, dessen Reue zudem auch so groß sei, daß er bald Vergebung seiner Sünde erhoffe. Als sie nun merkte, daß ihr Spiel entdeckt sei und weder Entschuldigungen noch Schwüre und Versprechungen, es nicht wieder zu thun, halfen, beklagte sie sich bei ihrem Prälaten. Nachdem sie weiter reiflich über die Angelegenheit nachgedacht hatte, ging sie zu ihrem Mann und sagte ihm, sie könne nicht länger in Alençon wohnen, weil der Sohn des Kommandanten, den sie gerade am meisten von allen Hausfreunden geachtet habe, unaufhörlich ihr nachstelle, und bat, sie möchten, um allen Verdächtigungen aus dem Wege zu gehen, nach Argentan übersiedeln. Ihr Mann, der sich ganz von ihr leiten ließ, gab ihr nach. Nicht lange aber nachdem sie in Argentan angekommen waren, schrieb sie dem Sohne des Kommandanten, er sei ein ganz ehrloser Mensch, sie habe in Erfahrung gebracht, daß er öffentlich Schlechtes von ihr und dem Prälaten gesprochen habe, dafür solle er ihr büßen. Der junge Mann hatte nun zu Niemandem von ihrem Verhältniß mit dem Prälaten gesprochen und da er bei letzterem in Ungnade zu fallen fürchtete, begab er sich mit zweien seiner Diener nach Argentan, wo er seine Geliebte beim Nachmittagsgottesdienst im Jakobinerkloster antraf. Er kniete neben ihr nieder und sagte: »Madame, ich bin hierhergekommen, um Euch vor Gott zu schwören, daß ich niemals zu irgendwem auf der Welt außer zu Euch selbst von Eurem Verhältniß gesprochen habe. Ihr habt mir einen so schlechten Streich gespielt, daß ich Euch nicht die Hälfte der beleidigenden Worte[17] gesagt habe, die Ihr verdient, und wenn es einen Mann oder eine Frau gibt, die behaupten wollen, ich hätte von Euch öffentlich gesprochen, so will ich sie hier vor Euch Lügen strafen.« Da sie das viele Volk in der Kirche und seine beiden handfesten Diener sah, that sie sich Zwang an und sprach mit ihm so liebenswürdig als sie konnte, versicherte, daß sie keinen Zweifel in die Wahrheit seiner Worte setze, daß sie ihn immer für einen zu anständigen Menschen gehalten habe, um Schlechtes von irgend jemandem zu sprechen, am allerwenigsten von ihr, die sie eine so große Freundschaft für ihn hege; ihr Mann aber habe einige übelwollende Bemerkungen gehört, und deshalb bitte sie ihn, er möchte ihrem Mann selbst versichern, daß er keine Gerüchte in Umlauf gesetzt habe und denselben auch keinen Glauben schenke. Er versprach ihr das gern, wollte sie nach ihrer Wohnung begleiten und bot ihr seine Begleitung an. Sie sagte ihm aber, daß es nicht gut wäre, wenn er mit ihr käme, weil ihr Mann denken würde, daß sie ihm seine Erklärung eingegeben habe, und indem sie einen seiner Diener am Rockärmel zurückhielt, fuhr sie fort: »Lasset diesen mit mir gehen, und sowie es Zeit ist, werde ich Euch durch ihn rufen lassen; inzwischen ruht Euch in Eurer Wohnung aus.« Er ging darauf ein, ohne ihren Plan zu errathen. Sie setzte dem Diener, den sie mitgenommen hatte, Speise und Getränke vor. Er fragte sie oft, ob es nicht Zeit sei, seinen Herrn zu holen, aber sie antwortete immer, er käme noch zurecht. Als es um Mitternacht war, schickte sie heimlich ihre Diener aus und ließ den jungen Mann rufen. Der ahnte nichts von der Falle, in die man ihn lockte, und ging ohne Scheu in das Haus des Saint-Aignan, wo seine Geliebte seinen einen Diener bewirthete, so daß er nur noch einen bei sich hatte. Als er nun an der Hausthür war, theilte ihm der Diener, der ihn hergeführt hatte, mit, daß seine Herrin ihn gern noch vor ihrem Mann sprechen wollte und ihn in einem Zimmer erwarte, wo außer ihr nur noch der eine seiner Diener sei, so daß er gut thäte, den andern durch die vordere Thür nach Haus zu schicken; was er auch that. Dann stieg er eine kleine ziemlich dunkle Treppe hinauf, wo der Prokurator von Saint-Aignan Leute in einer Garderobe in den Hinterhalt gelegt hatte. Als dieser den Lärm hörte, fragte er nach[18] der Ursache, und es wurde ihm geantwortet, daß ein Mann heimlich ins Haus eindringen wollte. Im selben Augenblicke stürzte ein gewisser Thomas Guérin, dessen Gewerbe darin bestand, Leute umzubringen, und der zu diesem Zweck vom Prokurator gedungen worden war, auf den jungen Mann los und versetzte ihm mehrere Säbelhiebe, so daß dieser trotz seiner Gegenwehr schließlich todt zu ihren Füßen niedersank. Der Diener, der bei der Dame des Hauses war, sagte: »Ich höre meinen Herrn auf der Treppe sprechen, laßt mich zu ihm gehen.« Sie hielt ihn aber zurück mit den Worten: »Sorge Dich nicht, er wird schon gleich kommen.« Als er aber kurz darauf seinen Herrn laut rufen hörte: »Ich sterbe, ich empfehle Gott meine Seele«, wollte er ihm zu Hülfe eilen. Sie hielt ihn aber wieder zurück und sagte, »Sei doch ruhig, mein Mann züchtigt ihn nur wegen seines Uebermuthes, sehen wir selbst, was es ist.« Sie trat auf die oberste Treppenstufe hinaus und fragte ihren Mann: »Nun, ist es geschehen?« worauf dieser erwiderte: »Komm und sieh selbst, endlich habe ich Dich an dem gerächt, der Dir so viel Schande bereitet hat.« Während er dies sagte, stach er mit seinem Dolch noch zehn- oder zwölfmal in den Leib dessen, den er lebend nicht anzugreifen gewagt hatte. Nachdem der Mord begangen und die beiden Diener entflohen waren, um den armen Vater zu benachrichtigen, sagte sich Saint-Aignan, daß der ganze Handel nicht geheim gehalten werden könnte, und überlegte, daß die Diener des Ermordeten nicht als vollgültige Zeugen angesehen werden könnten und daß sonst, abgesehen von den Mördern, einer alten Kammerfrau und einem jungen Mädchen von fünfzehn Jahren Niemand im Haus von dem Verbrechen etwas gesehen habe. Deshalb wollte er sich der Alten bemächtigen; sie fand aber Gelegenheit, ihm zu entschlüpfen, und ging zu den Jakobinern und gab später das genaueste Zeugniß über den Mord ab. Das junge Mädchen blieb noch einige Tage in seinem Hause; aber er fand Mittel und Wege, sie von einem der Mörder verführen zu lassen, und brachte sie in ein Bordell, so daß sie auch nicht mehr als vollgültige Zeugin auftreten konnte. Im übrigen ließ er, um die Mordthat zu verbergen, den Körper des Ermordeten verbrennen und die Knochen, die das Feuer nicht verzehrte, ließ er dort unter[19] den Mörtel mischen, wo er augenblicklich an seinem Hause baute. Dann schickte er eiligst ein Gnadengesuch an den Hof, in welchem er angab, daß er mehrere Male einem Manne sein Haus verboten, den er im Verdacht habe, seiner Frau nachgestellt zu haben, daß dieser ungeachtet seines Verbotes nachts in sein Haus gedrungen sei, um zu ihr zu gelangen, und daß er ihn, als er ihn am Eingang zu ihrem Zimmer fand, im Zorn und seiner Sinne nicht mächtig, getödtet habe. Aber bevor noch sein Brief in die Hände des Kanzlers kam, hatten der Herzog und die Herzogin schon durch den unglücklichen Vater Kenntniß von dem Vorfall erhalten, und diese benachrichtigten den Kanzler, um die Begnadigung zu verhindern. Als nun der Unglückliche sah, daß er nicht begnadigt werden würde, floh er mit seiner Frau und mehreren seiner Verwandten nach England. Bevor er aber abreiste, sagte er dem Mörder, der von ihm für das Verbrechen gedungen worden war, daß er einen speziellen Befehl des Königs habe, ihn festzunehmen und zum Tode zu verurtheilen, wegen seiner ihm geleisteten Dienste wolle er ihm aber das Leben retten. Er gab ihm zehn Thaler, um außer Landes zu gehen, was dieser auch that; seitdem ist er nicht mehr gesehen worden. Der Mord selbst wurde inzwischen so vollständig festgestellt, theils durch die Diener des Ermordeten und die Kammerfrau, die zu den Jakobinern geflüchtet war, theils auch, weil man die Knochen im Kalk fand, daß der Prozeß auch in Abwesenheit des Saint-Aignan und seiner Frau angestrengt und zu Ende geführt wurde. Sie wurden beide in contumaciam zum Tode verurtheilt, ihre Güter eingezogen und dem Vater als Buße 1500 Thaler zugesprochen. Als nun Saint-Aignan in England sah, daß er in Frankreich bürgerlich todt sei, brachte er es durch Dienstleistungen bei mehreren hochgestellten Persönlichkeiten und durch die Fürsprache der Verwandten seiner Frau dahin, daß der König von England sich beim König von Frankreich wegen seiner Begnadigung und Wiedereinsetzung in Aemter und Güter verwandte. Als aber der König von dem schmutzigen und niederträchtigen Verbrechen gehört hatte, schickte er dem König von England die Alten mit der Bitte ein, den Fall daraufhin zu prüfen, ob er Gnade verdiene, und theilte ihm des weiteren mit, daß in seiner Monarchie der Herzog von Alençon[20] für den Umkreis seines Herzogthums allein das Recht der Begnadigung habe. Trotz aller dieser die Ablehnung erklärenden Gründe beruhigte sich der König von England nicht, vielmehr betrieb er die Angelegenheit so angelegentlich weiter, daß der Prokurator schließlich auf seine Verwendung hin begnadigt wurde und in seine Heimath zurückkehrte. Um aber seiner Schlechtigkeit die Krone aufzusetzen, ließ er sich mit einem Zauberer namens Gallery in einen verbotenen Umgang ein, weil er hoffte, durch die Zauberkünste desselben, von der Bezahlung der 1500 Thaler, die er dem Vater des Ermordeten schuldete, befreit zu werden. Zu diesem Zwecke begaben sich er und seine Frau in Verkleidung nach Paris. Als nun seine Frau inne wurde, daß er immer lange Zeit mit Gallery in einem Zimmer eingeschlossen blieb und ihr den Grund nicht angab, lauerte sie ihm eines Morgens auf und sah, daß ihm Gallery fünf Holzfiguren zeigte, von denen drei herunterhangende und zwei in die Höhe gehobene Arme hatten. Der Zauberer sagte dem Prokurator: »Wir müssen ganz gleiche Figuren aus Wachs herstellen, und die mit den herunterhängenden Armen müssen die sein, deren Tod wir wollen, und die mit den emporgehobenen Armen diejenigen, deren Gunst und Geneigtheit wir wünschen.« Darauf sagte der Prokurator: »Dann soll diese für den König sein, dessen Gnade ich will, und diese für Brinon, den Kanzler von Alençon.« Gallery fuhr fort: »Diese Bilder müssen unter den Altar gestellt werden, und dort muß ihnen eine Messe mit ganz bestimmten Worten gelesen werden, die ich Euch gleich mittheilen werde.« Von den mit den herunterhängenden Armen bestimmte der Prokurator eine Figur für Gilles du Mesnil, den Vater des Ermordeten; denn er wußte, daß dieser nicht aufhören würde, ihn zu verfolgen, so lange er lebte. Eine der Frauenfiguren mit herunterhängenden Armen bestimmte er für die Schwester des Königs, die Herzogin von Alençon, weil sie ihren alten, treuen Diener du Mesnil sehr liebte und in so vielen Beziehungen die Schlechtigkeit des Prokurators erkannt hatte, daß er vor ihrem Tode sein eigenes Leben nicht sicher wähnte. Die zweite Frauenfigur endlich bestimmte er für seine eigene Frau, weil sie die Ursache seines ganzen Unglücks war und er die Ueberzeugung hatte, daß sie ihr lasterhaftes Leben[21] nicht ändern würde. Seine Frau sah Alles durch das Schlüsselloch und als sie vernahm, daß er sie mit auf die Lifte der Todten setzte, beschloß sie, daß ihm das selbst das Leben kosten sollte. Sie gab vor, von einem ihrer Onkel Geld leihen zu wollen, fuhr zu dem Requetenmeister des Herzogs von Alençon und erzählte ihm Alles, was sie von ihrem Mann gesehen und gehört hatte. Und da gerade an jenem Tage der Herzog und die Herzogin von Alençon nicht bei Hofe waren, berichtete der Kanzler den seltsamen Fall der Regentin, der Mutter des Königs und der Herzogin. Diese ließen sofort den Stadtschultheiß von Paris La Barre holen, der in aller Eile den Prokurator und seinen Helfershelfer Gallery festnehmen ließ. Sie gestanden ihr Verbrechen ohne weiteres Verhör ein, ohne daß es zur Folter kam, und es wurde ihnen der Prozeß gemacht und darüber dem König berichtet. Einige wollten sie retten und sagten deshalb dem König, sie hätten ja nur seine Gunst durch ihre Zauberkünste erlangen wollen. Der König aber liebte das Leben seiner Schwester wie sein eigenes und bestimmte, daß das Urtheil so gefällt würde, als hätten sie den Mordanschlag gegen sein eigenes Leben gemacht. Aber die Herzogin von Alençon selbst bat den König um das Leben des Prokurators und Umwandlung der Todesstrafe in irgend eine andere schwere Strafe. Der König schenkte ihr Gehör und er und Gallery wurden nach Marseille auf die Galeeren von Saint-Blanquart geschickt, wo sie ihr Leben in der Gefangenschaft beendeten und Muße hatten, die Schwere ihrer Sünden einzusehen. Die verworfene Frau aber setzte ihren verbrecherischen Lebenswandel in der Abwesenheit ihres Mannes schlimmer als früher fort und starb im Elend.
»Nun bitte ich Euch, meine lieben Zuhörerinnen,« endigte Simontault, »seht einmal her, welches Unglück wegen dieser lasterhaften Frau entstanden ist, wie viele Mister ihr sündiges Leben im Gefolge hatte. Ihr werdet finden, daß, seitdem Eva Adam zu Fall brachte, alle Frauen nichts anderes im Schilde führen, als die Männer zu quälen, zu tödten und in die Verdammniß zu stürzen. Ich selbst habe ihre Grausamkeit in so hohem Grade erfahren, daß mich die Verzweiflung, in die mich eine gestürzt hat, noch tödten wird. Und dabei bin ich noch wahnsinnig genug, frei heraus zu sagen, daß[22] die Hölle von ihrer Hand mir etwas lieblicheres ist als das Paradies aus der Hand einer anderen.«
Parlamente that, als verstände sie nicht, daß diese Worte nur ihr galten, und sagte:
»Da die Hölle Euch so lieblich erscheint, scheint Ihr die Teufelin, die Euch dorthin geschickt hat, nicht sonderlich zu fürchten?«
Er antwortete in erregtem Tone:
»Wenn meine Teufelin so schwarz von Angesicht würde, als sie grausam gegen mich gewesen ist, würde sie dieser ehrenwerthen Gesellschaft wahrscheinlich ebensoviel Furcht einflößen, als es mir jetzt Vergnügen macht, sie zu betrachten. Aber die Gluth der Liebe läßt die der Hölle vergessen. Und um selbst nichts weiter über diesen Punkt zu sagen, gebe ich Frau Oisille das Wort; denn ich weiß wohl, daß sie nur meine Ansicht bestätigen kann, wenn sie von den Frauen das, was sie alles weiß, erzählen wollte.«
Sogleich wandten sich alle Anwesenden nach ihr hin und baten sie um ihre Erzählung.
Sie war es zufrieden und begann lächelnd:
»Mir scheint, meine Damen, daß mein Vorredner von der wahrhaftigen Geschichte einer unglücklichen Frau ausgehend soviel Schlechtes von den Frauen gesagt hat, daß ich meine lange Erfahrung zu Hülfe nehmen muß, um eine ausfindig zu machen, deren Tugend seine schlechte Meinung Lügen strafen kann. Und da mir gerade eine Geschichte einfällt, die auch verdient, der Vergessenheit entrissen zu werden, will ich sie Euch erzählen.«
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