15.


Die Consultation des kalten Brandes.

[111] König August I. von Pohlen hatte an der großen Zehe des rechten Fußes schon viel ausgestanden, und die Kunst seiner Aerzte und Wundärzte scheiterte an der Heilung derselben. Die Stelle wurde zuletzt so schlimm, daß in einer allgemeinen Berathschlagung der Leibärzte der Schluß gefaßt wurde, für jetzt nichts daran vorzunehmen, sondern man wollte den berühmten Wundarzt Petit von Paris kommen lassen, damit dieser durch seine große Kenntnisse einen Weg zur Heilung sagen, oder doch durch sein Ansehen alle Vorwürfe, die man hätte auffinden können, entfernen sollte. Petit erschien, so eilig, als es die große Entfernung von Paris bis auf das Schloß, das bey Warschau lag, erlaubte, nach einer Frist von zwölf Tagen.[111] Bey seiner Ankunft wurde sogleich eine Versammlung der Aerzte und Wundärzte gehalten, und man legte ihm den Fall mit allen Umständen vor, so wie er vor 12 Tagen, ehe man ihn hatte rufen lassen, gewesen war. Petit erkannte sogleich aus allen Kennzeichen, daß der kalte Brand an der Zehe sey, und er sagte, daß der König blos durch ein Wunderwerk die zwölf Tage hindurch hätte am Leben bleiben können. Die ganze Versammlung verfügte sich nun in das Krankenzimmer, und der erste Leibarzt bekam den Auftrag, den Verband abzunehmen. Allein, wie erschrack dieser, als er sah, daß der König keine Zehe mehr hatte, sondern daß sie abgenommen war. Alle waren in der größten Bestürzung, als der König selbst sie mit Lächeln davon befreyte, er zeigte auf seinen Kammerdiener, welcher ihm im Schlafe nach einer guten Gabe von Mohnsaft diesen wichtigen treuen Dienst geleistet hätte. Petit umarmte hierauf den Kammerdiener (der wackere Mann hieß Weisse), und rufte aus, daß diesem allein der König die Erhaltung seines Lebens zu danken hätte.

Quelle:
[Nebel, Ernst Ludwig Wilhelm:] Medicinisches Vademecum für lustige Aerzte und lustige Kranken [...] Theil 1–4, Frankfurt, Leipzig 1795 (Bd. 1), 1796 (Bd. 2); Berlin, Leipzig 1797 (Bd. 3); Berlin, Leipzig 1798 (Bd. 4), S. 111-112.
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