Andrer Auftritt

[9] Melpomene. Tharsus. Sedulius. Alethea vorher. Obsequens folget nach. Silenus. Thalia.


SILENUS.

Hier kommt Melpomene! Geschwind versteck dich dort!

Daß sie uns hier nicht sehn.


Silenus und Thalia verstecken sich auf beyden Seiten.


MELPOMENE.

Ach aller liebster Ort,

Voll Schönheit, und noch mehr, von ganz besondern Gaben!

Was hab ich dir gethan? Willst du mich nicht mehr haben?

Kan meine Schwachheit dir nicht mehr gefällig seyn?

Warum verstößt du mich? Du ladest mich hier ein;

Zu was? das kan ich dir für Thränen itzt nicht sagen.

Doch wiß, ich werde mich nicht über dich beklagen.

Mein Elend würde mir zur Strafe, wenn ich dich

Nur etwas schuldig spräch. Ja ich erkläre mich:

Du mustest mich hieher zum Richter-Stuhl beruffen;

Du hattest den Befehl. Wenn ich nun diese Stuffen[9]

Aus meiner wahren Noth gleich nicht betreten hab;

So fordre mir ja nicht deswegen Rechnung ab.

Ich liebt und flohe dich. So gern ich folgen wollte;

So hieß mich doch die Noth, daß ich mich schützen sollte.

THARSUS.

Hast du geliebtes Kind nicht hier das Paar gesehn,

Das dich verjagen will?

SEDULIUS.

Es ist noch nicht geschehn.

Ihr Drohen hat nichts mehr als Unwahrheit zum Grunde.

Das findt sich endlich schon.

MELPOMENE.

Aus einem Lügen-Munde

Ist oft das stärkste Gift der Tugend zubereit.

THARSUS.

Ach sey doch nicht verzagt! bey der Gerechtigkeit

Entdeckt sich alles klar.

SEDULIUS.

Du must nichts unterlassen.

Thu deine Schuldigkeit auf recht und offner Strassen.

Sey fleissig in dem Werk, und redlich in dem Stand!

Das andre übergieb des Himmels starker Hand!

THARSUS.

Behalte Muth zum Recht! die Zagheit thut ihm Schaden.

MELPOMENE.

Ich fürcht, ich stehe nur in lauter Ungenaden.

Und da fällt alles schwer.

THARSUS.

Die Tugend macht es leicht,

Die aus der Eigenschaft der höchsten Würde steigt.[10]

MELPOMENE.

Ja das erkenn ich wohl. Doch unbekannte Leute

Die stöst man insgemein bey Höfen auf die Seite;

Man sieht sie sauer an. Und dieses kränket mich.

THARSUS.

Bey der Gerechtigkeit thut man nicht fürchterlich.

Ihr reiner Glanz wird dir die Zagheit schon benehmen.

Leg Furcht und Schrecken hin! du darfst dich nun nicht schämen.

Wisch deine Thränen ab! Geh ohne Furcht dahin,

Wohin du gehen sollst! So wahr ich bey dir bin!

So frölich wirst du auch von dort zurücke kommen!

Du hast des Himmels Huld mit dir dahin genommen.

Und deine Schuldigkeit, die dich darzu verpflicht

Der Wahrheit nachzugehn, glaub, die beschämt dich nicht.

Und wenn dich weder Furcht noch Hoffnung darzu triebe;

So würket doch in dir die ganz besondre Liebe,

Die du für deinen Schutz im Lande haben mußt.

Nicht die Belohnung, nein! nicht einmal der Verlust

Muß Grund und Ursach seyn. Apollo muß es wissen:

Denn wird er schon für dich gerecht und billig schliessen.

SEDULIUS.

Ja Tharsus hat ganz recht! Setz alle Furcht beyseit,

Und suche Recht und Gnad fein mit Bescheidenheit,

Und wahrer Zuversicht. Du würdest dich vergehen:

Wenn du in diesem Fall in Zweifel wolltest stehen.

Denn dieses wäre schon der größten Strafe werth.

Du bist in einem Land, wo man nach Recht verfährt.

So bald die Wahrheit sich am rechten Ort entdecket;

Sind alle Lügner stumm und werden abgeschrecket.

MELPOMENE.

Doch Alethea schweigt bey meinen Klagen still?[11]

ALETHEA.

Weil ich zu rechter Zeit nur für dich reden will.

Ich muß den wahren Grund von deiner Klage wissen:

Alsdann werd ich ihn selbst für dich entdecken müssen.

MELPOMENE.

Ach warum säumest du und kränkest mich noch mehr?

ALETHEA.

Du machst aus Schwachheit dir die Sache selber schwer.

Hör auf zu klagen! komm! Ich will dich dahin führen,

Wo die Gerechtigkeit durch klug und recht regieren

Am Thron dir Dienste thut. Der Muth verläßt dich nicht;

Weil selbst die Wahrheit hier für deine Sache spricht,

Und zwar an ihrem Platz, da, wo sie hin gehöret,

Allwo sie weder Neid noch stolze Bosheit störet.

An meiner Stelle kommt kein andrer Redner dran.

Komm herzhaft! hab Gedult! du hast ja nichts gethan.

Dein Fleiß wird Zeuge seyn, und dein Gehorsam sagen:

Wie wohl und redlich ihr euch alle habt betragen.

THARSUS.

Dein Trost ist rein und wahr; komm mache dich bereit

Und hoff bey diesem Werk nur in Gelassenheit.

Sey nicht so ungestüm. Du kanst dich sonst ja fassen:

Wie? hat dich itzo denn die Einsicht gar verlassen?

Du machst ja andern sonst zur Hoffnung Muth und Herz?

MELPOMENE.

Ach mich qvält itzo nichts als ein geheimer Schmerz.

Die Ehrfurcht hält mich ab. Die Bosheit thut mir Schaden,

Und schreyet über mich von lauter Ungenaden.

Ich weis wohl, daß sie lügt: Allein wer glaubt mir gleich?

Sie übertäubt mich ganz. Seht, das vertrau ich euch.

Das streitet nun in mir: Die wahre Pflicht, und Treue,

Und auch die Blödigkeit; das kränket mich aufs neue.[12]


Quelle:
Friederike Caroline Neuber: Ein Deutsches Vorspiel verfertiget von Friederica Carolina Neuberin, Leipzig 1897, S. 9-13.
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