Der sterbende Genius

[483] Willkommen, Lieber, nun und nicht wieder ruft

Dich meine Stimme; nah ist der Abschied mir.[483]

Gefunden hab ich was ich suchte

Und der Bezauberung Bande schmelzen.


Das schöne Wesen – siehst du die Königinn –

Hebt Bann und Zauber; lange vergebens flog

Um jeden Thron ich, aber endlich

Winkte durch Sie mir die alte Heymath.


Schon lodert mächtig jene geheime Glut –

Mein altes Wesen – tief in dem irrdischen

Gebilde: Du sollst Opferpriester

Seyn, und das Lied der Zurückkehr singen.


Nimm diese Zweige, decke mit ihnen mich,

Nach Osten singe dann das erhabne Lied,

Bis auf die Sonne geht und zündet

Und mir die Thore der Urwelt öffnet.


Der Duft des Schleyers, der mich vor dem umgab,

Sinkt dann vergoldet über die Ebenen,

Und wer ihn athmet, schwört begeistert

Ewige Liebe der schönen Fürstinn.

Quelle:
Novalis: Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs. Band 2, Stuttgart 1960–1977, S. 483-484.
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