8. Nachtklage

[10] Auß eines Andern Erfindung.


Jetzt blicken durch deß Himmels Saal

Die güldnen Sternen allzumal,

Ich bin ohn' Hoffnung gantz allein,

Ich wach', und Andre schlaffen ein.


Du, Jungfrau, liegest in der Rhu

Und hast die stoltzen Augen zu;

Du bläsest durch den rothen Mundt

Das süsse Gifft, so mich verwundt.


Du denckest nicht an meine Noth,

Noch an den süssen Liebesgott,

Der mein Gemüt' und Sinn hat bracht

In deine Hand und grosse Macht.
[10]

Ich lieg' an deiner tauben Thür,

Ob ich doch möge kommen für

Und diesen unbewegten Sinn

Durch meine Bitte zu mir ziehn.


Was sonst bey Tag' irrt hin und her,

Die schnellen Fisch' und auch ihr Meer,

Sind sicher, geben sich zu Rhu,

Ich bringe nur kein Auge zu.


Die Threnen ruff' ich Zeugen an

Damit ich dich nicht zwingen kan,

Die Threnen, so ich dir zur Schand'

Hier laß' als meiner Liebe Pfand.


Ein jeglichs Ding hat seine Zeit;

Wann es gefroren und geschneyt,

Macht sich der Westwind auff die Bahn,

Legt allem neue Kleider an.


Das eine fellt, das andre steht;

Wann Phebus auff die Wache geht

Weicht Luna weg; will sie entstehn,

Muß Phebus dann zu Bette gehn.


Es geht doch alles nach Gebühr;

Zwey Dinge bleiben für und für;

Dein harter Sinn und meine Pein

Die musten gantz unendlich seyn.


Die Ursach ist mein treuer Sinn,

Weil ich beständig bey dir bin

Und liebe dich noch diesen Tag

So sehr als ich vor lengst schon pflag.


Ich bin kein Schiff nicht in der See,

Das nach deß Windes Wellen geh;

Ich halt' allein bey dir fest' an

Mit Glauben, der nicht wancken kan.


Und diß ist, Jungfrau, meine Schuld.

Wolan, ich gehe mit Gedult

Und such' ein Ende meiner Pein;

Ich will dir nicht beschwerlich seyn.


Gehab dich wol, ich scheid' jetzt ab,

Gehab dich wol, ich eil' ins Grab.

Nimb meine Seel' allein und bloß

Zu dir in deine zarte Schoß.


Sonst wird sie Venus auff dem Wagn

So hoch als Sonn' und Monde tragn;

Sonst wird mein' arme Seele stehn,

Wo jetzund die Gestirn' auffgehn.


Die Sternen umb deß Himmels Feldt,

So nächtlich leuchten aller Welt,

Die waren Buhler vor der Zeit,

Jetzt stehen sie von Noth befreyt.


Sie stehn und haben fleissig Acht,

Was Pein mir wird von dir gemacht;

Durch sie erfehrts der Venus Sohn,

Der wird dir geben rechten Lohn.


Die Namen werden auffgesetzt;

Wer denn mit Zehren sich genetzt

Am meisten auff der Welt allhier,

Den zeucht man Andern dorte für.


Die beste Stell' ist wol für mich,

Drumb sterb' ich jetzund williglich;

Da wil ich seyn dein höchster Spott,

Die du mich bringest in den Todt.


Ich gehe nun und laß' allhier

Die heissen Threnen vor der Thür;

Doch soll ich fort, denck' auch vorhin,

Ob ich des Todtes schuldig bin.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 10-11.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Weltliche Dichtungen
Weltliche und geistliche Dichtung, hrsg

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon