Das dritte Lied

[260] Die Sulamithinn.


Nach dem ich lag in meinem öden Bette,

Sucht' ich mein edles Liecht,

Ich sucht', ob ich den Liebsten bey mir hette,

Ich fand ihn aber nicht.
[260]

Mich zwang die Brunst das Lager zu verlassen:

Ich lauffe, was ich kan

Hin durch die Statt, such' umb auff allen Gassen

Und treff' ihn doch nicht an.


Ich fragte drauff die Wächter auß Verlangen:

Wißt ihr mein Leben nicht?

Und als ich war ein wenig fortgegangen

Da fandt ich erst mein Liecht.


Ich grieff ihn an, begierig ihn zu zwingen

Zu meiner Mutter hin;

Ich must' ihn doch biß in ihr Hauß heimbringen

Und in die Kammer ziehn.


So grosse Lust ihr habt zun Reheböcken,

Ihr Töchter Solyme,

So wenig solt ihr meinen Liebsten wecken,

Biß daß er selbst auffsteh.


Salomon.


Wer ist sie doch, die ihre Schönheit zeiget,

Kömpt auß der Wusteney,

Wie Rauch empor von theuren Myrrhen steiget

Und vieler Specerey?


Die Sulamithinn.


Läst Salomon sein Bette nicht umbgeben?

Stehn sechtzig nicht allhier

Auß Israel, die Stärcksten, so da leben,

Und wachen stets darfür?


Sie alle sampt sind ritterlich geübet,

Sind ihres Königs Macht

Und schützen ihn, in dem er liegt verliebet,

Behüten ihm die Nacht.


Der Salomon ließ schönes Holtz abhauen

Vom grünen Libanon,

Vom Silber ließ er edle Säulen bauen,

An seinen Bettethron.


Die Deck ist Goldt und Purpur ist sein Küssen;

Der Grund ist Lieb' und Gunst,

Auß Solyma, von Töchtern, die wol wissen,

Zu sticken nach der Kunst.
[261]

Kompt doch herauß, kompt her doch, ihr Jungfrauen,

Ihr Töchter von Zion!

Ach säumet nicht, kompt eilends anzuschauen

Den König Salomon!


Seht auff sein Haupt, seht an die schöne Krone

Auff seine Heyrathzeit,

Die jetzund gibt die Mutter ihrem Sohne

Zu rechter Fröligkeit.

Quelle:
Martin Opitz: Weltliche und geistliche Dichtung, Berlin und Stuttgart [1889], S. 260-262.
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