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[162] »Wie drunten die Puppen rennen,
So winzig, so käferklein,
Die selbst nicht vor Stolz sich kennen,
Will jede was Mehres sein.«
C. Schreiber.
Monate waren verstrichen – der Frühling war gekommen.
Der Frühling ist gekommen! Das war wie ein Jubelruf über die ganze, vom langen schweren Wintertraume erwachende Erde gezogen. Alle Fluren waren wieder grün geworden, alle Märzblümchen und Veilchen blühten wieder, alle Schwalben waren gekommen und suchten die verlassenen Nester wieder, und alle Lerchen sangen wieder – und dieser ganze lebende, lachende Frühling klang und blühte auch in manchem Herzen wieder.
Elisabeth und Pauline waren glücklich, als sie Beide, dem verschwiegensten Leben und Weben der Natur so nahe, den Frühling kommen sahen. Beide sahen sich jetzt öfter, und genossen die schönen Tage zusammen.[162]
Zwar sahen Elisabeths Eltern diese Freundschaft so ungern, als Paulinens Vater sie gern sah, weil es ihm immer Freude machte, wo er die Aristokratie der Geburt sich vor der seinen, vor der des Geldes, demüthigen sah. Aber wie oft auch Anfangs die Gräfin sanfte Vorstellungen an Elisabeth versuchte, in welchen sie Pauline als einen unpassenden Umgang schilderte – Elisabeth erklärte fest und bestimmt, daß sie dieser Freundin nie entsagen werde – und so war Pauline auf Schloß Hohenthal vorgestellt und hatte immer freien Zutritt. Die Gräfin war zu hoch und fein gebildet, um je dem bürgerlichen Mädchen merken zu lassen, daß seine Gegenwart ihr unangenehm sei – sie behandelte es immer mit zuvorkommender Herablassung, aber zugleich mit kalter Förmlichkeit. Von dem Grafen galt dasselbe.
Uebrigens hatte man im Schloß den Winter ganz einsam verlebt. Nur Rittmeister von Waldow war mit seiner Gattin öfter gekommen – ein langweiliges, unbedeutendes, langsam alterndes Ehepaar – und einige andere alte aristokratische Herren, welche in der Nähe lebten, und an einem bestimmten Abend zum Spiel mit dem Grafen kamen. Unter diesen langweiligen Verhältnissen, fühlte die Gräfin selbst, wäre es Grausamkeit gewesen, Elisabeth Paulinens Umgang zu entziehen – allein das Frühjahr brachte die ebenbürtigen Nachbarn zurück, welche im Winter die Einsamkeit ihrer Landgüter mit dem Leben in der Residenz vertauscht hatten.[163]
Es war also auch an einem schönen Frühlingsmorgen, als die beiden Freundinnen Arm in Arm durch die saftgrünen Wiesen gingen. Sie hatten sich Veilchen und Maasliebchen gepflückt, und um daraus kleine Kränze zu winden, setzten sie sich nebeneinander auf eine Bank.
Es war ein liebliches Bild. Pauline trug einen runden Strohhut mit flatternden Enden; ihr blondes Haar war darunter glatt gescheitelt, ihre kleine, zarte Gestalt umgab ein luftiges Kleid von rosaer Farbe mit einer Art von schwarzem, den Hals umschließenden Sammetmieder. Ihre ganze Erscheinung hatte etwas Idyllisches. Eine Art Gegensatz zu diesem Eindruck empfing man durch Elisabeths Bild. Um ihre langen blonden Locken hatte sie einen Tüllschleier geknüpft, ihre edle, schlanke Gestalt umschloß ein schwarzes Wollenkleid mit weiten Aermeln und einer langen Gürtelschnur um die zarte Taille, so glich sie halb einem Burgfräulein, halb einer Nonne vergangener Zeit.
Als so die beiden Mädchen im kindlichen Naturgenuß mit den Veilchen auf ihrem Schoos spielten, und ihre Blicke darauf gesenkt hatten, ahnten sie nicht, daß sie plötzlich der Gegenstand einer lebhaften Unterredung geworden.
Jaromir von Szariny und ein jüngerer Baron von Waldow, Neffe des Rittmeisters, waren in einem Seitenweg, und von ihnen ungesehen, vorübergegangen.
»Da ist sie wieder!« rief Jaromir, und blieb traumverloren[164] stehen. Es befremdete ihn gar nicht, daß er die Unbekannte wieder sah, obwohl er sie am Wenigsten jetzt und hier erwartet hätte – aber daß er ihr einst wieder begegnen werde, hatte ihm Tausend Mal sein Herz gesagt, und er hatte diesem seltsamen prophetischen Herzen immer geglaubt.
»Ah, Sie meinen die Damen dort, Schade, daß ich meine Lorgnette vergessen habe,« sagte Waldow nachlässig, indem er auch stehen blieb.
»Ich bitte Sie, Waldow, Sie waren schon öfter hier, Sie müssen die Damen dieser Umgegend kennen – sagen Sie mir endlich, wer dieses Mädchen ist!«
»Was denn endlich?« erwiderte Waldow, der die Dringlichkeit seines Freundes nicht begriff. »Ich habe sie noch niemals gesehen – doch ja, ich entsinne mich, gestern sah ich die Eine von ihnen mit dem alten Felchner, dem Fabrikanten, fahren, man sagte mir, es sei seine Tochter.«
»Seine Tochter? Aber welche meinen Sie?« fragte Jaromir ziemlich befremdet.
»Die Kleine.«
»Die Kleine – aber die Schlanke, wer ist sie?«
»Nun jedenfalls auch so ein Fabrikantenmädchen, vielleicht eine Untergebene, eine Verwandte – was weiß ich. Etwas Nobles kann es keines Falls sein,« sagte Waldow leicht, und fuhr scherzend fort: »Indessen Sie wissen, der[165] Adelsverein erlaubt eine Mesalliance mit diesen schönen bürgerlichen Kindern, sobald sie die Töchter reicher Fabrikanten oder Bankiers sind, und man mit ihrer reichen Mitgift den Glanz eines durch die fluchwürdigen Verhältnisse dieser neuerungssichtigen Zeit herabgekommnen adligen Hauses wieder auffrischen und erhöhen kann. – Sie haben das freilich nicht nöthig, aber leider Gottes giebt es Leute mit sehr viel Ahnen, und doch keiner Aussicht auf ein andres Erbe, als einen Namen, und das gilt jetzt kaum so Viel –« er schnippte mit den Fingern, welche der gelbe Glacéhandschuh bedeckte, in die Luft, und fuhr dann geschwätzig plaudernd fort: »Kommen Sie, wir wollen diese Mädchen begrüßen, wir wollen uns einen Spaß mit ihnen machen, man kann dies mit diesen bürgerlichen Püppchen, ohne sie zu erzürnen, sie werden entzückt sein, in der Einsamkeit ihrer Dampfmaschinen und prosaischen Wasserwerke ein Abenteuer mit ein paar Löwen der feinsten Salons zu erleben. Kommen Sie –« und er wollte Jaromir am Arme mit fortziehen.
Gewaltsam widerstand dieser und hielt ihn zurück. »Sind Sie bei Sinnen – ich glaube, Sie wären im Stande, sich auch gegen dieses Mädchen einen unziemlichen Scherz zu erlauben,« rief er außer sich.
»Unziemlich oder nicht,« sagte Waldow, »darüber ließe sich ein langer Monolog halten – aber ich begreife wahrhaftig[166] nicht, warum heute unpassend sein soll, was unter gleichen Verhältnissen Ihnen selbst sehr amüsant war – es kann auch nichts Spaßhafteres geben, als das halb verlegene, halb erzürnte Erröthen eines niedlichen bürgerlichen Dingelchens.«
Die Mädchen waren unterdeß, ohne das Geringste von dem zu ahnen, was man unweit von ihnen über sie verhandelte, und ohne die Sprecher nur zu sehen, einen Pfad herabgegangen, welcher sie von diesen noch weiter entfernte.
Um Alles in der Welt nicht hätte Jaromir das heilig stille Geheimniß seines Herzens von seiner Begegnung Elisabeths an diesen seichten Salonmenschen verrathen, und noch weniger wäre er im Stande gewesen, sich ihr mit ihm zugleich zu nähern – als Ausfluchtsmittel sah er daher nach der Uhr, und sagte:
»Aber Sie vergessen, daß uns Ihr Onkel um 10 Uhr zum Frühstück erwartet, und daß dieß schon vorüber ist – lassen Sie uns eilen, zurück zu kommen, nicht in allen Fällen ist es guter Ton, auf sich warten zu lassen.«
»Besonders wenn man selbst Appetit hat,« sagte Waldow, und indem er über der Aussicht auf ein gutes Frühstück die schönen Mädchen vergaß, ging er rasch mit Jaromir dem Herrnhause zu, wo sie jetzt Beide als Gäste wohnten.
Wirklich waren sie von dem Paar bereits zum Frühstück[167] erwartet worden, bei dem sie noch einen fremden Gast fanden. Man stellte ihn als Hofrath Wispermann vor. Es war ein langer, hagerer Herr, den man, wenn man diese dünnen Beine und Arme, diesen langen Hals, auf welchem ein großes Haupt mit spärlichen braunen Haaren und einem leichenblassen, abgezehrten Gesicht sich befand, recht wohl für einen riesigen Schatten halten konnte.
Und dieser Schatten war ein Sohn des Aesculap, welchem einer der kleinsten deutschen Fürsten den Titel als Hofrath gegeben. Er hatte mit seinen Curen nirgend großes Glück machen können. Manche Patienten waren ihm unter den Händen gestorben, gerade in den Augenblicken, als er sich geschmeichelt hatte, daß er durch die starke Dosis einer modernen Arzenei, welche freilich aus giftigen Substanzen bestand, sie auf der Stelle und urplötzlich curiren werde. Wie sich nun die Sachen oft so ganz anders verhielten, als er vorausgesagt hatte, und endlich von allen seiner ehemaligen Freunde und Bekannten nur der Todtengräber und die Leichenfrau ihm treu blieben, erklärte er plötzlich aller modernen Medicin den Krieg, und ward ein Verkündiger des neuen Evangeliums vom Wasser.
Er hatte ein ziemlich ansehnliches Kapital zusammengespart, und es jetzt zur Anlegung einer Wasserheilanstalt, und zwar in der Nähe des Schlosses Hohenthal, benutzt, wo eine kleine Villa zu verkaufen gewesen war, welche er Hohenheim[168] nannte. Eine kleine Anzahl elender Häuser umgaben sie, die meist von Fabrikarbeitern Herrn Felchners bewohnt waren.
Der Wasserdoctor machte nun Herrn von Waldow seine Aufwartung, um ihm die in allen öffentlichen Blättern pomphaft angekündigte Eröffnung seiner Wasserheilanstalt noch besonders mündlich anzuzeigen.
»Nun, das wird Leben und Gesellschaft in unsere Umgegend bringen,« sagte der Rittmeister vergnügt. »Gesunde werden die Kranken begleiten, und vielleicht entwickelt sich noch ein ganz comfortables Leben in unsrer Nähe.«
»Das wäre sehr schön!« stimmte seine Gemahlin ein. »Man brauchte dann nicht selbst in ein Bad zu reisen, wenn das Bad umgekehrt selbst zu uns kommt. Wie viel haben Sie schon Kurgäste, Herr Hofrath?
Diese naive Frage machte den langen Doctor ein Wenig verlegen, er sah vor sich nieder, scharrte mit dem Fuß, und sagte dann lispelnd: Bis jetzt ist nur ein kranker Herr da –« gleichsam aber als wolle er den für ihn niederschlagenden und beschämenden Eindruck dieser Antwort gänzlich vernichten, setzte er mit Nachdruck und Stolz hinzu: »aber es ist ein Engländer.«
Der jüngere Waldow konnte sich des Lachens kaum erwehren, und brach jetzt heraus: »Wahrhaftig, nur ein Engländer ist es im Stande, in einem verlassenen deutschen[169] Erdwinkel der einzige Kurgast einer Wasserheilanstalt zu sein.«
»Man muß bedenken, wie früh es noch im Jahre ist,« sagte der Doctor sehr ernst.
»Und daß eine Schwalbe noch keinen Sommer macht,« fiel Waldow ein. »Aber wahrhaftig,« fuhr er begütigend fort, »ich versichere Ihnen, mein Herr Hofrath, Ihre Anstalt muß berühmt, von vielen Fremden besucht werden – es soll in der feinen Welt bald zum guten Ton gehören, ein paar Wochen in Hohenheim zu leben. – Alles kommt ganz darauf an, ob mein Freund, Graf Szariny, will: – erklärt er Hohenheim für berühmt, so wird es dasselbe auch in Kurzem sein – und daß ein Engländer gerade schon da ist, wird uns sehr zum Nutzen gereichen, man braucht da weniger aufzuschneiden. – Was meinen Sie, mein Freund?«
Jaromir hatte nur scheinbar dem Gespräch zugehört, seine Gedanken waren anders beschäftigt gewesen, er glaubte jetzt den Kern des Gespräches ganz richtig erfaßt zu haben, als er antwortete: »Man wird doch in Deutschland nicht immer so bornirt sein, alles dumme Zeug nachzuäffen, was ein Engländer angiebt.«
Der Hofrath stand entrüstet auf.
Die gnädige Frau war unbeschreiblich verlegen.
Der Rittmeister nöthigte zum Trinken.[170]
Jaromir sah sehr harmlos die ganze bestürzte Gesellschaft der Reihe nach an.
Waldow wußte sich nicht mehr zu helfen, und hielt sich laut lachend die Seiten – endlich sagte er: »Sie sehen, Herr Hofrath, an welchem fürchterlichen Spleen mein armer Freund bereits leidet – Sie werden eine glänzende Genugthuung von ihm erhalten, denn über kurz oder lang werden Sie ihn in Ihrer Anstalt finden.«
Eh' man über dieses Mißverständniß sich deutlicher erklären konnte, fuhr unten ein Wagen vor, und ein Diener meldete Herrn Felchner.
Der Rittmeister ward ein Wenig blaß. »Der Mensch kommt in Geschäften zu mir, welche keinen Aufschub leiden,« sagte er, und fügte eilig, wie sich besinnend hinzu: »Es betrifft Grenzstreitigkeiten und Ablösungsverhältnisse. Ich bitte zu entschuldigen, wenn ich mich in mein Zimmer zurückziehe.«
Auch der Wagen des Hofraths hielt unten, und so trennte man sich für den Augenblick schnell von einander. Die Gattin des Rittmeisters warf diesem einen flehenden Blick zu, und ging ebenfalls in ihr Zimmer – Waldow warf sich gähnend in eine Sophaecke, wo er alsbald entschlief, während Jaromir ein Packet Zeitungen ergriff, eine Cigarre anzündete, und damit in den Garten ging.[171]
Es war ein unerquickliches Geschäft, was der Rittmeister mit Herrn Felchner abzuthun hatte.
Er trug auch hier seinen alten grauen Hausrock – diese Misachtung aller conventionellen Sitte im Haus eines Aristokraten war für ihn charakteristisch.
»Gehorsamer Diener,« sagte er im Eintreten, »wollte mir nur selbst die Antwort auf meine beiden Briefe holen, welche Sie mir schuldig geblieben sind.«
»Es freut mich, daß ich das Vergnügen habe, Sie selbst persönlich bei mir zu sehen,« sagte der Rittmeister höflich, aber Felchner fiel ihm in's Wort: »Sie entschuldigen, daß ich Ihre höflichen Redensarten unterbreche, allein wir Geschäftsleute haben immer nicht viel Zeit, dergleichen zu erwidern und anzuhören, und heute bin ich ganz besonders pressirt. Wir wollen uns einander nicht unnöthig mit höflichen Redensarten aufhalten. Mein Besuch, fürcht' ich, wird Ihnen nicht erwünscht sein, denn Sie werden wohl wissen, weshalb ich komme, sollten Sie sich dessen, was wir zusammen verabredet haben, jedoch gar nicht mehr erinnern, so werde ich mir selbst die Freiheit nehmen.« Mit diesen Worten zog Herr Felchner aus seinen großen Rocktaschen einige actenmäßig aussehende Papiere.
»Herr Felchner,« sagte der Rittmeister vertraulich, »wir haben immer gute Nachbarschaft gehalten, wir wollen nicht um eines solchen Bagatells willen –«[172]
»Bagatell!« unterbrach ihn dieser, und seine kleinen Augen funkelten, seine Nase ward noch spitzer, als sie ohnehin war. »Bagatell! Wenn es Ihnen das ist, so zahlen Sie mir meine zehn Tausend Thaler aus! Für einen Fabrikanten giebt es kein Bagatell, dem Industriellen ist jeder Groschen ein Kapital, das seine Zinsen tragen muß, sonst stocken die Geschäfte – sprechen Sie nicht von Bagatell!«
»Beruhigen Sie sich, ich meinte nur nicht dieses Geld allein, sondern Geld überhaupt sei eine Bagatell dem Glücke uns nahestehender Personen gegenüber, von welchen ich mit Ihnen vor allen Dingen zu sprechen wünschte.«
»Ich verstehe Sie nicht, aber ich muß Sie bitten, zur Sache zu kommen, ich habe durchaus nicht viel Zeit.«
»Nun – Sie haben eine erwachsene, liebenswürdige Tochter –«
»Ja, wahrhaftig! Sie ist mein Stolz und meine Freude.«
»Ich habe einen einzigen Sohn, welcher jetzt auf Reisen ist –«
»Ich bitte – zur Sache, zur Sache!« und Herr Felchner rutschte ungeduldig auf seinem Stuhle hin und her.
»Wir sind Nachbarn, unsere Besitzungen stoßen aneinander –«
»Weiß es, weiß es, verschmelzen immer mehr in einander,« sagte Felchner höhnisch.[173]
»Das ist auch meine Meinung,« fiel der Rittmeister rasch in's Wort, ohne den Hohn in der Stimme des Fabrikherrn zu bemerken, oder bemerken zu wollen, und fuhr freundlich fort: »Es würde Sie schmerzen, jemals Ihre Tochter weit von sich zu entfernen – nun, ich denke, Sie schlagen mit Freuden ein, Sie müssen meinen Sohn von früher kennen, Sie haben den Vortheil, daß Ihre Tochter Ihnen unentführt bleibt, den Vortheil ihrer Standeserhöhung – schlagen Sie ein, mein lieber Freund – wir wollen aus unsern Kindern ein glückliches Paar machen –« und der Rittmeister hielt dem Fabrikanten mit freundlichem Lächeln die Hand hin.
Dieser aber, statt, wie Jener wohl erwarten mochte, mit seiner Hand in die dargebotene einzuschlagen, schlug heftig mit dem Actenstück darauf, das er in der Hand hielt, warf aufspringend den Stuhl um, auf dem er gesessen, und zitternd vor Wuth brachte er nur die Worte heraus:
»Nein, das ist zu unverschämt.« Bleich stand er da, sein lederartiges Gesicht zuckte in jedem Fältchen seiner Haut, die zornsprühenden Augen drehten sich wild nach zwei verschiedenen Seiten, die einzelnen Haare seines Hauptes sträubten sich zur Decke.
Auch der Rittmeister sprang auf, und indem er einige Schritte gewissermaßen furchtsam zurücktrat, sagte er: »Welches Benehmen, mein Herr – in meinem Zimmer!«[174]
»Ich frage Sie,« sagte Herr Felchner, auf's Aeußerste gereizt, »wie kamen Sie dazu, mir dieses unverschämte Anerbieten zu machen? Wie konnten Sie denken, ich werde die Hand meiner einzigen Tochter einem Krautjunker geben, ja einem Krautjunker, von dem ich noch dazu weiß, daß er in Kurzem ein Betteljunker sein wird, da ich die Wirthschaft seines Vaters kenne! Oder konnten Sie sich wirklich einbilden, ich solle es mir zur Ehre schätzen, wenn meine Tochter eine gnädige Frau würde? Die adligen Freier werden sich zu Duzenden finden, denn das Mädchen ist ein Engel, und wäre sie häßlich wie die Sünde, ihr Geld würde sie in den Augen altadliger Hungerleider doch zu einem Engel machen. – Aber bilden Sie sich nicht ein, daß heut zu Tage ein Industrieller noch Respect hat vor einem großen Wappenschilde und einem vornehmen Namen – Herr Rittmeister – das sind Bagatellen – Bagatellen, zu erbärmlich, sie nur zu beachten.«
»Es ist gut,« fuhr er ruhiger fort, nachdem er die heftige Rede abgebrochen und hochaufathmend frische Kraft zum Weitersprechen gesammelt hatte – »das Wort Bagatell bringt mich wieder auf die Ursache meines Kommens, und auf die zehn Tausend Thaler zurück, welche Sie für ein Bagatell erklärten, und welche ich Ihnen wahrscheinlich mit meinem Kinde schenken sollte – Sie haben das Vaterherz so in Wuth gebracht, daß ich beinah Narr genug gewesen[175] wäre, darüber meine zehn Tausend Thaler zu vergessen – sie waren schon vor einem Monate gefällig – Sie werden meine Nachsicht zu schätzen wissen – ich bin da, um das Geld in Empfang zu nehmen.«
»Mein Herr Industrieller,« sagte der Rittmeister, der unterdeß mühsam nach Fassung gerungen, und vergebens überlegt hatte, wie er sich noch am Besten aus der Schlinge ziehen könnte, mit beleidigtem Ton in der Stimme und einem Anflug von Spott, »es ist mir unmöglich, mit Leuten, welche alle Rücksichten und Höflichkeiten aus den Augen setzen, auf die jeder Mensch von Bildung Anspruch macht, zu verhandeln, ich werde Ihnen Ihr Geld noch heute in Ihre Wohnung schicken –« und der Rittmeister kehrte dem Fabrikanten vornehm den Rücken, und war im Begriff, das Zimmer zu verlassen.
»Sie können bleiben,« sagte dieser, »ich werde gehen – Ihre elende Ausflucht ist eines Aristokraten des neunzehnten Jahrhunderts würdig. Sie haben das Geld nicht, ich sehe sehr wohl ein, daß ich es also nicht mitnehmen kann, und werde daher gehen. Brechen Sie aber Ihr Wort abermals, und ich erhalte das Geld nicht noch heute, so begebe ich mich morgen mit dieser Verschreibung zu den Gerichten, und Ihre Waldung ist mein Eigenthum. Ich empfehle mich Ihnen.«
Mit diesen Worten ging der kleine graue Mann zu der[176] großen Flügelthüre hinaus, und fuhr dann in seinem glänzenden Staatswagen heim. Während er einen Blick auf die nahe Waldung warf, rieb er sich vergnügt die Hände, und sagte zu sich selbst:
»Es ist nicht möglich, daß er das Geld bis heute Abend schafft, der Wald ist also mein, und ich habe im Grunde keinen schlechten Handel gemacht. Den Wald lasse ich umhauen, benutze den Platz zu einer Bleiche, der Bach, welcher durchfließt, läßt sich zu einem Graben machen, und kann eine neue Walkmühle treiben – nein, nein, es ist wirklich kein schlechter Handel – es ist gut, wenn ich auf so billige Art, und ganz allmälig meinen Grundbesitz vergrößern kann«
Dem Rittmeister merkte man bei Tafel nicht an, welchen großen Aerger er kurz vorher gehabt, in welcher innern Aufregung er sich noch befand, welche schlimmen Sorgen er sich machen mußte. Er war der liebenswürdige Wirth, wie gewöhnlich.
Als man die Tafel aufhob, sagte er: »Ich muß heute noch einen Besuch bei Graf Hohenthal machen, wollen mich die Herren begleiten, so werde ich mich freuen, Sie vorstellen zu können.«
Jaromir und der Neffe waren mit Vergnügen dazu bereit.[177]
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